Übersichtsarbeiten - OUP 06/2023

Periprothetische Frakturen des Humerus
Eine Übersicht – Epidemiologie, Einteilung, Therapiemöglichkeiten und Outcome

Röntgen: True a.p. und 2. (axiale) Ebene

CT: Abhängig vom Frakturtyp optional zur präoperativen Planung und Beurteilung des Glenoids

Präoperative Bildgebung aufrufen/anfordern: zur Verlaufsbeurteilung einer Schaftlockerung

Zusätzlich sollte immer der verwendete Prothesentyp bekannt sein, um das notwendige Ausschlaginstrumentarium vorrätig zu haben und Konversionsmöglichkeiten zu kennen.

Der neurologische Status insbesondere der Nn. radialis und axillaris sollte aufgrund der Frakturmorphologie und der möglichen Konversion auf eine inverse Prothese ebenfalls bekannt sein.

Im Falle einer Hemi- oder anatomischen Prothese kann mittels Ultraschall eine Einschätzung der Rotatorenmanschette erfolgen und so die Indikation eines kompletten Prothesenwechsels auf ein inverses Modell eingeschätzt werden.

Labordiagnostik: insbesondere zur Beurteilung der Infektparameter, Gerinnung und des Hb-Wertes

Einteilung/Klassifikation

Wie im Weiteren näher ausgeführt, existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Klassifikationen zur Einteilung der PPHF. Davon unabhängig lassen sich die Frakturen in intra- und postoperative Frakturen einteilen anhand ihrer Entstehung.

Wright/Cofield

1995 wurde von Wright und Cofield erstmals eine Klassifikation der PPHF publiziert anhand einer Studie mit 9 Teilnehmenden. Die Fraktur wird hier in Relation zur Prothesenspitze eingeteilt und lässt per se noch keine Therapieempfehlung zu (Abb. 1) [28].

Worland

Im weiteren Verlauf wurde 1999 von Worland eine Einteilung vorgestellt, die aufgrund der Frakturmorphologie eine Therapieempfehlung nach sich zieht (Abb. 2) [27].

Für die Frakturtypen mit fest einliegender Prothese wird grundsätzlich ein konservatives und/oder osteosynthetisches Vorgehen empfohlen, im Falle einer gelockerten Prothese der Wechseleingriff.

UCS (Unified Classification System)

Die Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen (AO) hat 2013 eine erweiterte Einteilung der periprothetischen Frakturen im Allgemeinen vorgeschlagen, die sich an der etablierten Systematik der Fraktureinteilung orientiert und zusätzlich noch die Knochenqualität berücksichtigt [6]. Neben der Lokalisationsbeschreibung (1: Humerus) werden die Frakturen dann wie in Tabelle 1 unterteilt (Tab. 1, Abb. 3).

Kirchhoff

2016 wurde von Kirchhoff et al. eine Klassifikation vorgestellt, die neben dem Frakturtyp und der Lockerung der Prothese auch den implantierten Prothesentyp und den Status der Rotatorenmanschette berücksichtigt. Dadurch wird die Einteilung zwar komplex, lässt aber auch eine differenziertere Therapieempfehlung zu [12]. Allerdings werden hier bei den unterschiedlichen Subtypen teils 2–3 unterschiedliche Therapieoptionen vorgeschlagen, so dass auch hier weiterhin individuelle Faktoren in die Wahl des Verfahrens einbezogen werden müssen.

Klinische Relevanz der
Einteilungen

Verschiedene Autoren haben die Anwendbarkeit der einzelnen Einteilungen untersucht. Lediglich die aktuellste Studie von Wiethölter et al. konnte eine hohe inter- und intraobserver Reliabilität für die UCS-, Wright/Cofield- und Kirchhoff-Einteilung demonstrieren; die Autoren resümieren allerdings auch, dass sich allein anhand radiologischer Kriterien keine verlässlichen Therapieempfehlungen ableiten lassen [24]. Weitere Arbeiten zeigten eine nur moderate bis teils schwache Reliabilität für die vorgestellten Einteilungen und ließen ebenfalls keine reproduzierbare Therapieentscheidung zu [3, 14].

Therapie

Indikationsstellung

Die Wahl der optimalen Behandlungsstrategie hängt neben der Frakturmorphologie von mehreren Faktoren ab, die in der kritischen Auseinandersetzung Beachtung finden sollten.

Neben dem Frakturverlauf ist insbesondere die ossäre Integration der Prothese und die Knochenqualität von entscheidender Bedeutung und anhand der radiologischen Bildgebung nicht immer zweifelsfrei zu beurteilen. Häufig kann eine definitive Entscheidung über die Stabilität erst intraoperativ getroffen werden, so dass Operateurinnen und Operateure in jedem Fall mit beiden Verfahren vertraut sein müssen und das entsprechende Instrumentarium und Material vorgehalten werden sollte.

Darüber hinaus ist auch ein Infektverdacht, insbesondere im Fall einer bereits vor der Fraktur gelockerten Prothese, häufig in der Akutsituation erst intraoperativ auszuschließen oder anzunehmen, so dass ggf. auf ein zweizeitiges Vorgehen mit Spacerphase gewechselt werden muss.

Der individuelle präoperative Funktionszustand und Anspruch der Patientin oder des Patienten sollte ebenso in die Wahl des Therapieverfahrens Eingang finden wie ihre/seine Komorbiditäten.

Ziel jeder Therapie sollte sein, den Zustand der Schulterfunktion vor der Fraktur wieder herzustellen, Komplikationen zu minimieren sowie die Konsolidierung der Fraktur, Schmerzfreiheit und eine Rückkehr zu den Aktivitäten des täglichen Lebens zu erreichen. Im Falle einer schlechten Schulterfunktion vor der Fraktur und einliegender Total- oder Hemiprothese kann ggf. durch den Wechsel auf eine inverse Prothese sogar eine Verbesserung des Funktionszustandes erreicht werden und sollte immer mit bedacht werden.

Konservative Therapie

Im Rahmen einer strengen Indikationsprüfung kann in Ausnahmefällen auch eine konservative Therapie zur Behandlung einer PPHF angezeigt sein.

In einer Fallserie von 5 geriatrischen Patientinnen, die mit einer unzementierten Hemiprothese versorgt waren, erfolgte über 3 Monate eine konservative Therapie mittels eines orthopädietechnisch angepassten Doppelschalen-Brace. Die passive Beübung wurde ab der 3. Behandlungswoche freigegeben, mit Ausnahme von Rotationsbewegungen. Die aktive Beübung fand ab der 5. Woche statt. Eingeschlossen wurden in dem rein weiblichen Kollektiv Patientinnen mit Typ C- und B3-Frakturen nach Worland und über durchschnittlich 23 Monate nachbeobachtet. In diesem Zeitraum wurde bei einer Patientin im Pflegeheim mehrfach unautorisiert der Brace abgenommen und die Patientin entwickelte im Verlauf eine Radialisläsion, bei keiner anderen Patientin kam es im Therapieverlauf zu Komplikationen. Die genannte Patientin konnte nicht am Follow-up teilnehmen, da sie frakturunabhängig verstarb. Bei 3 der übrigen 4 Patientinnen zeigte sich eine subjektive Zufriedenheit mit dem Therapieergebnis ohne Schmerzen und mit einem guten funktionellen Outcome, zudem waren die Aktivitäten des täglichen Lebens im Vergleich zum Status vor der Fraktur nicht eingeschränkt [22].

Die Autoren präzisieren allerdings, dass erst nach sorgfältiger Abwägung und aufgrund einer jeweils deutlichen Funktionseinschränkung vor der Fraktur und Multimorbidität entschieden wurde, einen konservativen Therapieversuch zu unternehmen. Grundsätzlich ist ein solches Vorgehen auf gering dislozierte Spiralfrakturen mit fest einliegendem Schaft limitiert, allerdings werden sowohl in zitierter Studie als auch weiteren kleinen Fallserien ebenfalls gute radiologische und funktionelle Ergebnisse bei (um bis zu Schaftbreite) dislozierten Frakturen berichtet [4, 5, 15].

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