Übersichtsarbeiten - OUP 06/2023
Periprothetische Frakturen des HumerusEine Übersicht – Epidemiologie, Einteilung, Therapiemöglichkeiten und Outcome
In einem aktuellen Review konnte bei 60 PPHF, die konservativ behandelt wurden, eine Pseudarthroserate von 50 % festgestellt werden [18], so dass das Vorgehen nach Ansicht der Autorinnen/des Autors Einzelfällen vorbehalten bleiben sollte.
Osteosynthetische Versorgung
Polyaxiale Plattensysteme, die im Rahmen der Frakturversorgung periprothetischer Femurfrakturen bereits sehr etabliert sind [17], erlauben auch bei zentraler Plattenlage die bikortikale Schraubenpositionierung beidseits am Prothesenschaft vorbei. Voraussetzung für die Schraubenfixierung ist ein ausreichender Platz zwischen Prothese und Kortikalis. Bei zementierten Prothesen ist dieser Raum breiter und eine bikortikale Schraubenpositionierung leichter und langstreckiger möglich als bei einer zementfreien Prothese, die den kompletten Markraum ausfüllt (Abb. 4).
Der im Rahmen der Prothesenimplantation zumeist gewählte deltoideopektorale Zugang lässt sich komplikationslos nach distal erweitern im Sinne eines anterolateralen Zugangs (nach Henry). Die Platte sollte die Prothesenspitze um mindestens 2 Kortikalisbreiten überlappen, um keine Sollbruchstelle zu provozieren.
Alternativ kann bei distaler gelegenen Frakturen, wenn nicht mindestens 3 bikoritkale Schrauben im Schaft platziert werden können, auch von dorsal eine Doppelplattenostesynthese wie bei distalen Humerusfrakturen erfolgen. Der Vorteil ist, dass die 3,5 mm-Schrauben häufig gut am Prothesenschaft vorbei platziert werden können (Abb. 5).
Mit einer plattenosteosynthetischen Versorgung lässt sich die geringste Pseudarthrosenrate aller Therapieverfahren erreichen, in größeren Kollektiven liegt sie bei 7 % [18], in kleineren Serien sogar bei 0 % [1].
Häufig werden Plattenosteosynthesen mit einer zusätzlichen Drahtcerclage implantiert. Die additive Cerclage oder auch zusätzliche 3,5 mm-Plattenosteosynthesen erhöhen jedoch biomechanisch nicht die Primärstabilität im Vergleich zu einer singulär verwendeten 4,5 mm-Platte [20]. Die Cerclage dient in erster Linie als Repositionshilfe.
Darüber hinaus werden bei fortgeschrittenem Knochenverlust teilweise Augmentationen mit bone grafts (aus Beckenkamm oder Tibiaschaft) vorgenommen [19].
Vorsicht ist geboten, sollte eine insuffiziente Rotatorenmanschette zusammen mit einer anatomischen Prothese oder Hemiprothese vorliegen. Hier kann dann zur Verbesserung der Schulterfunktion selbst bei stabilem Schaft ein Prothesenwechsel auf eine inverse Prothese indiziert sein (Abb. 6).
Prothesenwechsel
Bei 74 % der PPHF liegt ein stabil verankerter Schaft vor [19], was sich allerdings häufig nur schwierig und teils erst intraoperativ nachweisen lässt. Bei periprothetischen Frakturen des Femur konnte jedoch eine hohe Rate an gelockerten Prothesen, die trotz präoperativem Assessment erst intraoperativ auffallen, von 20 % demonstriert werden, so dass hier eine sorgfältige und kritische Evaluation erfolgen sollte [17].
Im Rahmen der präoperativen Beurteilung kann anhand der aktuellen oder zurückliegenden Röntgenbildgebung mittels Aufhellungslinien möglicherweise bereits eine erste Einschätzung erfolgen. Wenn in mindestens 3 der 8 von Sperling et al. beschriebenen humeralen Zonen eine Aufhellung von mehr als 2 mm Breite besteht, kann eine Lockerung des Schaftes angenommen werden (Abb. 7) [24]. Ebenfalls kann im Vergleich mehrerer Bilder eine Migration der Prothese hinweisend für eine Lockerung sein. In allen anderen Fällen muss intraoperativ eine Stabilitätsbeurteilung vor der Versorgung erfolgen. Nach Darstellung der Fraktur kann eine direkte Manipulation des Schaftes durch axiale Stauchung oder Rotation erfolgen und neben der Migration auch das Knochen-Zement/Prothesen-Interface beurteilt werden. In uneindeutigen Fällen kann unter Stress eine radiologische Beurteilung und/oder Visualisierung des proximalen Schaftes erfolgen [1]. Ähnlich der Plattenosteosynthese sollte der neu implantierte Schaft die Fraktur um mindestens 2 Kortikalisbreiten überragen.
Für die Revisionsprothese zeigt sich laut eines Reviews von Mourkus et al. eine Komplikationsrate von 29 % mit Entwicklung einer Pseudarthrose in 16 % der untersuchten Fälle [18].
Zementierte Langschaftprothesen, die im Rahmen einer Revision implantiert wurden, zeigen über ein Follow-up von 7 Jahren in 48 % der Fälle radiologische Lockerungszeichen unterschiedlicher Schwere auf. Eine dadurch hervorgerufene Revision erfolgte bei 12 % der Patientinnen und Patienten auf eine zementfreie modulare Langschaftprothese mit distaler Verriegelung [25].
Wenn ein zementfreier Langschaft implantiert wird, sollte eine Sicherungscerclage angelegt werden, bevor der Schaft eingebracht wird, um das Risiko einer intraoperativen PPHF zu minimieren. Im Rahmen der Studie von Werner et al. kam es bei keiner der zementierten Langschaftprothesen zu einer intraoperativen PPHF, lediglich eine postoperative Fraktur nach 4 Jahren im Rahmen eines Sturzes wurde beobachtet [25].
Im eigenen Vorgehen erfolgt im Revisionsfall standardmäßig der Wechsel auf eine zementierte Langschaftprothese, da hier neben dem geringeren Risiko einer intraoperativen Fraktur und der Tatsache, dass im eigenen Kollektiv noch keine revisionspflichtigen Lockerungen aufgetreten sind, auch eine bessere Einstellung der adäquaten Humeruslänge erfolgen kann, weil der Schaft nicht auf die Formschlüssigkeit des Knochens wie bei der press-fit-Verankerung angewiesen ist (Abb. 8).
Sonderfälle
Sollte kein suffizienter Knochenstock zur Verfügung stehen, um eine Prothese meta- oder diaphysär zu verankern, kann in seltenen Einzelfällen die Implantation eines totalen Humerusersatzes notwendig werden.
Outcome
In einer aktuellen Übersicht von 40 Studien, im Rahmen derer insgesamt 210 PPHF nachbeobachtet wurden, zeigte sich bei der hohen Anzahl konservativ behandelter Patientinnen und Patienten (29 %) eine inakzeptabel hohe Pseudarthrosenrate von 50 % [18]. Allerdings waren die Klassifikationen und Kriterien innerhalb der Studien inhomogen und/oder intransparent. In jedem Fall sollte eine Therapieentscheidung für ein konservatives Vorgehen immer sehr differenziert und individuell gestellt werden. 47 % der Patientinnen und Patienten konnten in den zugrunde liegenden Studien osteosynthetisch versorgt werden und im Gegensatz hierzu wurde eine Konsolidierung der Fraktur bei 93 % der Verletzungen erreicht. Die Rate an ausgeheilten Frakturen bei einem Wechsel der Prothese lag bei 84 %. In anderen Studien konnte sogar eine Heilungsrate operativ versorgter PPHF von beeindruckenden 97 % demonstriert werden, lediglich eine Pseudarthrose nach Prothesenwechsel trat in der Gruppe von 36 nachuntersuchten Frakturen auf. Die Dauer der Frakturheilung betrug im Schnitt 6,8 Monate. Im Rahmen der Untersuchung wurde darüber hinaus auch bei einem Teil der Patientinnen und Patienten bereits vor der Fraktur ein ASES-Score erhoben, bei 5 von 6 osteosynthetisch versorgten PPHF konnte dieser Wert nach 2 Jahren wieder erreicht werden und bei allen 5 PPHF, die einen Prothesenwechsel bekamen, wurde der Wert im Follow-up sogar überschritten [1].
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