Wissenschaft - OUP 02/2020
Perspektive: Endoskopische Zugänge in der Beckenchirurgie
Alexander Trulson, Markus Beck, Markus A. Küper, Ulrich Stöckle, Fabian M. Stuby
Zusammenfassung:
Die operativen Therapieoptionen von Extremitäten- und Stammverletzungen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich weiterentwickelt. Neben einer verbesserten Exposition des Situs, ging es nicht zuletzt auch um die Auswahl schonender anatomischer Zugänge, ohne Kompromisse hinsichtlich Repositionsmöglichkeiten und mit dem Ziel der Reduktion von
Komplikationen. Der Optimierung der Zugangswege hin zu wenig invasiven bzw. minimalinvasiven Verfahren kommt ein besonderes Augenmerk zu. Nach der Etablierung von Arthro-, Laparo- und Thorakoskopien könnte die Beckenchirurgie das nächste Gebiet werden, welches hierdurch nachhaltig verändert wird. In den vergangenen zwei Jahren explorierten wir die Machbarkeit endoskopischer Zugänge zum vorderen Beckenring und Acetabulum. Angefangen mit der endoskopischen operativen Stabilisierung von Open-book-Verletzungen konnten auf diese Weise bisher 8 Patienten an 2 Maximalversorgern operiert werden. Die Ergebnisse sind ermutigend dahingehend, die endoskopischen Zugänge weiterzuentwickeln und frakturbedingte Herausforderungen schrittweise zu lösen.
Schlüsselwörter:
endoskopischer Zugang, Beckenring, Acetabulum, minimal-invasiv, Symphysiodese, open-book, Plattenosteosynthese
Zitierweise:
Trulson A, Beck M, Küper MA, Stöckle U, Stuby FM: Perspektive: Endoskopische Zugänge in der Beckenchirurgie. OUP 2020; 9: 100–106
DOI 10.3238/oup.2019.0100–0106
Summary: Surgical methods to stabilize extremity and torsal injuries have continuously evolved in the past decades. Besides a better visualization of the situs, in no regards less important was the development of biomechanically optimized approaches for better reposition and with the goal of reducing perioperative complications. Minimizing surgical approaches is a main interest in all surgical fields. After establishing arthro-, laparo- and thoracoscopy, the pelvic surgery could be the next major area which is profoundly changed by this development. During the past two years, we have been exploring endoscopic approaches and surgical options to the symphysis and acetabulum. Starting with the pelvic stabilization after open book injuries, we were able to demonstrate that 8 patients at 2 level 1 trauma centers in Germany could be treated with the technique. The results are encouraging to thrive the development and face fracture related challenges.
Keywords: endoscopic approach, pelvic ring, acetabulum, open-book, symphyseal plating, minimal-invasive
Citation: Trulson A, Beck M, Küper MA, Stöckle U, Stuby FM: Outlook: Endoscopic approaches in pelvic ring surgery. OUP 2020; 9: 100–106 DOI 10.3238/oup.2019.0100–0106
Alexander Trulson, Markus Beck, Fabian M. Stuby: BG Unfallklinik Murnau, Allgemeine- und Traumachirurgie
Markus A. Küper: BG Unfallklinik Tübingen, Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie
Ulrich Stöckle: Charité – Universitätsmedizin Berlin, Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie
Einleitung
Verletzungen des vorderen Beckenringes stellen die größte Gruppe unter den Beckenringverletzungen dar. In den meisten Fällen werden diese heutzutage als Kombinationsverletzung mit Beteiligung des hinteren Beckenringes oder mit simultanen acetabulären Verletzungen nachgewiesen [6]. Eine weitere häufige Entität von Beckenverletzungen stellen isolierte Acetabulumfrakturen dar. Beide Verletzungsmuster treten mit zwei Häufigkeitsgipfeln auf: Der erste Gipfel liegt im mittleren Alter und ist assoziiert mit Hochrasanztraumata, der zweite Gipfel liegt im höheren Alter (> 70 Jahre). Die Verletzungen im höheren Alter treten eher im Rahmen von Niedrigenergietraumata auf.
Mit Blick auf den vorderen Beckenring zeigen biomechanische Analysen, dass es vor allem durch anterior-posteriore Kompression zu sog. Open-Book-Verletzungen, also Rupturen der Symphysis pubis kommt. Häufig besteht dabei auch eine begleitende Verletzung des hinteren Beckenringes im Sinne von Verletzungen der Iliosakralgelenke (ISG) [2, 28, 29, 35]. In diesem Fall handelt es sich um ein potentiell lebensbedrohliches Verletzungsmuster: Durch einen Abfall des intrapelvinen Druckes bei gleichzeitiger Vergrößerung des intrapelvinen Volumens kann es durch eine Abnahme der selbstlimitierenden Tamponade zu einer größeren, unter Umständen vital bedrohlichen Einblutung kommen [13, 15]. Sowohl eine rasche Primärstabilisierung als auch eine suffiziente definitive Osteosynthese sind wichtige Faktoren für das Outcome der Patienten [3, 6, 25, 27].
Acetabulumverletzungen unterscheiden sich in ihrem Frakturmuster vor allem abhängig der Verletzungsursache. So beobachten wir im Rahmen von Hochenergietraumata häufiger Frakturen der hinteren Acetabulumwand sowie vordere Pfeiler- und Zwei-Pfeiler-Frakturen. Im Rahmen von Niedrigenergietraumata treten hingegen vordere Pfeiler/hintere Hemiquer-Frakturen mit teils deutlichen Dislokationen der quadrilateralen Fläche, sowie Zwei-Pfeiler-Frakturen, gehäuft auf [21].
Insgesamt ist bei Beckenfrakturen, wie in den meisten Bereichen der Unfallchirurgie, eine Altersverschiebung hin zu geriatrischen Patienten zu beobachten, weshalb sich auch das Anforderungsprofil an unsere Versorgung verändert [6, 7, 13, 15, 17, 30]. Konservative Therapieoptionen gewinnen mehr an Bedeutung und operative Verfahren sollten im Sinne der Vermeidung eines sogenannten „second hits“ in möglichst kurzer Zeit mit einem möglichst geringen zusätzlichen Trauma durchführbar sein [16, 24].
In diesem Kontext wurden die operativen Zugänge in der Becken- und Acetabulumchirurgie in den vergangenen Jahrzehnten modifiziert, z.B. durch die Entwicklung limitiert-invasiver Zugänge wie der Kombination aus modifiziertem Stoppa-Zugang mit dem ersten Fenster des ilioinguinalen Zuganges nach Letournel. Aber auch Neuentwicklungen wie der Pararectus-Zugang spielen in den letzten Jahren eine wichtige Rolle [4, 5, 12, 18, 19, 20, 26, 32].
Doch auch wenn es sich dabei um deutliche Fortschritte im Vergleich zum etablierten ilioinguinalen Zugang handelt, besteht weiterhin ein nicht unerhebliches Weichteiltrauma durch den Zugang. Hinzu kommt, dass die Minimierung des Zugangstraumas oftmals zu einer reduzierten Übersicht führt.