Übersichtsarbeiten - OUP 04/2020

Skoliose im Kindesalter (early onset scoliosis)
Diagnostik und Therapie

Zu jeder Diagnostik gehört selbstverständlich eine ausführliche Anamnese. Hier sollten neben Vorerkrankungen insbesondere Auffälligkeiten während Schwangerschaft und Geburt erfragt werden. Die bisherige zerebrale und motorische Entwicklung der Kinder ist ebenfalls relevant, auch die Familienanamnese kann hinsichtlich etwaiger Vorerkrankungen Aufschluss geben. Wichtig sind zudem Einflussfaktoren wie Traumata, Operationen, vorangegangene Therapien wie z.B. Bestrahlungen.

Körperliche Untersuchung

Im Rahmen der körperlichen Untersuchung sollten neben den wirbelsäulenspezifischen Parametern wie Krümmungslokalisation, Torsion und Flexibilität, auch Thoraxform, Atembeweglichkeit, Kopfkontrolle und Gleichgewichtswahrnehmung untersucht werden. Für Rückschlüsse auf die Korrekturkapazität ist zudem die Mobilität der Wirbelsäule wichtig, insbesondere die aktive Aufrichtung der Wirbelsäule. Bei der neurologischen Untersuchung sollen selbst geringe Auffälligkeiten oder Reflexasymmetrien den Verdacht auf eine neurologische Ursache wecken. Die Inspektion der Haut kann zudem Hinweise auf zugrundeliegende Erkrankungen geben, hier sollte die Haut auf Café-au-Lait-Flecken (Neurofibromatose) oder kutane Stigmata für eine okkulte Dysraphie inspiziert werden („hairy patch“).

Konventionelles Röntgen

Bei Hinweisen auf eine strukturelle Wirbelsäulendeformität sollte eine Röntgenuntersuchung veranlasst werden. Goldstandard ist die Darstellung der gesamten Wirbelsäule in 2 Ebenen, stehend bei mobilen Patienten oder sitzend bei nicht gehfähigen Kindern. Neuere Techniken (EOS Imaging) erlauben eine partiell dreidimensionale Auswertung und können insbesondere bei wiederholten Untersuchungen (Verlaufskontrollen) die Strahlendosis reduzieren. Weiterführend, insbesondere im Hinblick auf eine operative Maßnahme, geben Bendingaufnahmen in beide Richtungen sowie Aufnahmen unter Traktion Aufschluss über die Korrekturfähigkeit der Wirbelsäule. Diese Aufnahmen geben Hinweise darauf, welche Abschnitte der Wirbelsäule bereits rigide sind (und operativ korrigiert werden müssen) und welche Abschnitte noch flexibel sind (und sich postoperativ spontan korrigieren können). Das Ausmaß der Skoliose wird mittels Cobb-Winkel radiologisch in der Wirbelsäulen-a.-p.-Aufnahme in Grad bestimmt.

MRT

Die Magnetresonanztomographie (MRT) dient in erster Linie zum Ausschluss begleitender oder ursächlicher intraspinaler Anomalien. Selbst bei unauffälligem neurologischen Befund wurden in ca. 20 % der Fälle mit EOS intraspinale Anomalien beobachtet [9, 21]. Die komplette Achse von Hirnstamm bis Sakrumspitze sollte dargestellt werden. Eine MRT ist bei Krümmungen über 20 ° mit Progress oder bei neurologischen Defiziten obligat [14]. Die häufigsten in der MRT beobachteten Entitäten sind die Arnold-Chiari-Malformation, der Konustiefstand (nach dem 1. Lebensjahr sollte die Konusspitze über der Grundplatte des 2. Lendenwirbels liegen), das Tethered Cord/verdickte Filum terminale, die Syringomyelie sowie die Diastematomyelie.

Computertomographie

Die Computertomographie gibt Aufschluss über knöcherne Anomalien oder Fehlbildungen. Insbesondere bei Vorbereitung zur operativen Versorgung gibt die CT Aufschluss über die knöcherne Deformität sowie über die Pedikelform und -größe und unterstützt somit die Planung/Implantatauswahl. Dreidimensionale Darstellungen sorgen für ein besseres Verständnis von komplexen Deformitäten.

Lungenfunktionsdiagnostik

Bei ausgeprägter Skoliose mit Beteiligung des knöchernen Thorax sollte eine Lungenfunktionsuntersuchung erfolgen. Die am häufigsten durchgeführte Lungenfunktionsmessung ist die Spirometrie. Hierbei sind sowohl die Lungenvolumina relevant, als auch der Fluss des Atemstroms. In der Fluss-Volumen-Kurve wird die Lungenfunktion erfasst. Die Messung ist stark von der optimalen Mitarbeit abhängig, bei Kleinkindern meist also nicht durchführbar. Das Thoraxvolumen kann auch über ein low-dose CT-Thorax vermessen werden [13].

Die Lungenfunktionsdiagnostik ist in erster Linie relevant, um die Dringlichkeit einer Operation abzuschätzen, dient aber auch zur Abschätzung des Narkoserisikos und als Verlaufsparameter postoperativ. Aufschluss geben hier u.a. die Vitalkapazität (VC) als Maß für die Ausdehnungsfähigkeit von Lunge und Thorax, aber auch dynamische Messwerte wie die Einsekundenkapazität zur Beurteilung des Bronchialssystems.

Therapie

Ziel ist eine frühzeitige und konsequente Therapie der Skoliose. Insbesondere die kongenitalen Skoliosen mit angeborenen Wirbelkörperfehlbildungen oder die komplexen Fehlbildungen einschließlich Thoraxdysplasien oder spondylokostaler Dysplasien (z.B. Jarcho-Levin-Syndrom) bedürfen einer spezifischen und frühzeitigen Behandlung.

Die individuelle Therapiestrategie bei einem Kind mit EOS stützt sich auf eine Vielzahl von Prinzipien:

  • 1. Die Therapie der Skoliose umfasst die gesamte Wachstumsphase der Patienten.
  • 2. Die Begleiterkrankungen bzw. zugrundeliegenden Erkrankungen spielen für eine Therapieplanung eine wesentliche Rolle.
  • 3. Die Entscheidung bezüglich des Operationszeitpunkts und des Operationsverfahrens hängt von multiplen Faktoren ab. Hier sind Ausmaß und Progress der Krümmung, Alter der Patienten, Wachstumspotential der Patienten bzw. Wirbelsäule, Begleiterkrankungen sowie Einschränkung der Lungenfunktion und eventuelle motorische Defizite relevant.
  • 4. Für jedes Kind sollte individuell eine Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen.

Verlaufskontrollen: Grundsätzlich müssen Patienten mit EOS über die gesamte Wachstumsphase betreut werden, es werden je nach Progress der Skoliose regelmäßige, meist halbjährliche oder jährliche klinisch und radiologische Verlaufskontrollen geplant. Ideal ist eine standardisierte Fotodokumentation. Zudem müssen insbesondere in den Phasen starken Wirbelsäulenwachstums, bis zum 5. Lebensjahr und in der Pubertät, engmaschigere Kontrollen durchgeführt werden.

Konservative Therapie

Die konservative Therapie ist insbesondere bei idiopathischen early-onset Skoliosen eine wichtige Therapieoption. Auch bei neuromuskulären und Syndrom assoziierten Skoliosen hat die konservative Therapie einen hohen Stellenwert, in erster Linie aber, um Zeit zu gewinnen (und Wachstum zuzulassen) bis zur operativen Versorgung. Bei der kongenitalen Skoliose spielt die konservative Therapie keine wesentliche Rolle, eine Versorgung mittels Korsett ist kontraproduktiv.

Ein konservatives Vorgehen beinhaltet meist Physiotherapie begleitend zur Korsetttherapie. Insbesondere bei mild ausgeprägten Skoliosen (Cobb-Winkel < 20°) sollte frühzeitig mit einer spezifischen Krankengymnastik begonnen werden. Ziel sollte hier eine Kräftigung der Muskulatur sein, sekundäre Funktionsstörungen sollten frühzeitig angegangen und idealerweise somit vermieden werden. Bei idiopathischen Skoliosen im Adoleszentenalter konnte sich in kleiner angelegten Studien ein Effekt durch wirbelsäulenspezifische Krankengymnastik nachweisen lassen. Bei EOS ist die Datenlage allerdings nicht aussagekräftig [26].

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