Übersichtsarbeiten - OUP 04/2020

Skoliose im Kindesalter (early onset scoliosis)
Diagnostik und Therapie

Cave: Bei jeder wuchslenkenden Instrumentation sollte allerdings beachtet werden, dass in den meisten Fällen nach Wachstumsabschluss eine Fusion der primär instrumentierten Segmente spontan eintritt oder sekundär operativ erfolgt. Um langfristig größtmögliche Mobilität der Wirbelsäule zu gewährleisten, ist es daher wichtig, bereits bei der primären wuchslenkenden Instrumentation die instrumentierte Strecke möglichst kurz zu halten!

Dorsal distrahierende Verfahren

Das Prinzip der dorsalen distrahierenden Verfahren besteht in einer kranialen und kaudalen Verankerung an der Wirbelsäule, die meist transpedikulär erfolgt. Diese sind über eine subfaszial eingeschobene distrahierende Instrumentation verbunden.

Es wurden verschiedene „mitwachsende“, nichtfusionierende Verfahren, die konventionelle Growing-rod-Technik (Abb. 2a), entwickelt. Das „Mitwachsen“ dieser Implantate muss über repetitive operative Distraktionen sichergestellt werden. Diese Distraktionsoperationen werden zumeist alle 6 Monate durchgeführt. Die repetitiven Eingriffe erhöhen die Komplikationsrate und können mit einer psychischen Belastung der Kinder assoziiert sein [1, 4, 12].

Bei „Magec growing rods“ (Abb. 2b, 3) handelt es sich um magnetisch verlängerbare Systeme, die ohne Eingriff von extern verlängert werden können. Diese zumeist alle 3 Monate durchgeführte Distraktion erfolgt ambulant ohne Narkose und erspart den Kindern wiederholte Verlängerungsoperationen [23], postoperative Schmerzen und stationäre Aufenthalte. Allerdings können Metallosen und erhöhte Ionenkonzentrationen auftreten [28]. Nach Wachstumsabschluss erfolgt meist die definitive Korrektur über die Länge der ursprünglichen Instrumentation [2].

Ein Rippen basiertes dorsal distrahierendes Verfahren stellt das VEPTR-Verfahren („vertical expandable prosthetic titanium rib) dar. Es wurde nicht primär für die Skoliosekorrektur entwickelt und ist insbesondere bei Thoraxinsuffizienz-Syndromen indiziert [5]. Allerdings führt das Verfahren zu einer zunehmenden Einsteifung des knöchernen Thorax mit reduzierter Atemexkursion. Es sollte daher nur bei primären Thoraxdeformitäten angewendet werden und ist bei Skoliosen ohne Rippendeformitäten/-synostosen kontraindiziert.

Dorsal lenkende Verfahren

Eine weitere nichtfusionierende operative Versorgung stellt das wuchslenkende Verfahren nach Shilla dar. Hierbei erfolgt die Korrektur mit Fusion am Apex über Pedikelschrauben. Die Stäbe werden am Apex fixiert, cranial und caudal werden Gleitschrauben eingebracht. Hierüber kann das Längenwachstum stattfinden, die eingebrachten Stäbe dienen zur Wachstumslenkung [18, 31]. Das Verfahren ist vor allem bei angulären Deformitäten sinnvoll, wenn am Apex osteotomiert und kurzstreckig fusioniert wird und eine begleitende großbogige Krümmung „gelenkt“ werden soll.

Ventral wuchslenkende Verfahren

Ventrale wuchslenkende Verfahren wie das „Vertebral Body Tethering“ oder Staples schränken das Wachstum ventral ein. Sie sind in ihrem Ergebnis schwer einzuschätzen und wirken kyphogen. Sie sollten daher in der Altersgruppe unter 10 Jahren nicht angewendet werden.

Fazit für die Praxis

Early Onset Skoliosen sind alle Skoliosen, die vor dem 10. Lebensjahr auftreten.

Sie sind ätiologisch unterschiedlich: kongenital, idiopathisch, neuromuskulär, Syndrom
assoziiert.

Die Therapie muss immer
individuell geplant werden. Sie orientiert sich an der Ätiologie, dem Ausmaß und Progress der Krümmung sowie dem Alter des Patienten.

Die Therapie und Verlaufskontrolle erstreckt sich über die gesamte Wachstumsphase des Patienten.

Konservative Verfahren haben
bei einigen Subtypen ihre
Berechtigung.

Bei den operativen Verfahren überwiegen wachstumslenkende Verfahren.

Interessenkonflikte:

Michael Ruf: Honorare für Vorträge von DePuy, Medtronic, Nuvasive, Stryker

Deborah Schray, Gregor Ostrowski:
keine angegeben

Tobias Pitzen: Honorare für Vorträge und Hospitantenbetreuung von BBraun, DePuy, Medtronic, Nuvasive

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de

Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Michael Ruf

SRH Klinikum
Karlsbad Langensteinbach

Guttmannstraße 1

76307 Karlsbad-Langensteinbach

michael.ruf@srh.de

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