Übersichtsarbeiten - OUP 02/2013

Tendinitis calcarea

S. Nebelung1, R. Mueller-Rath2

Zusammenfassung: Die Kalkschulter (Tendinitis calcarea) ist ein häufiges und schmerzhaftes Krankheitsbild der Schulter mit großer Relevanz im klinischen Alltag des Orthopäden. Der mitunter langjährige Krankheitsverlauf ist in der Regel gekennzeichnet durch eine phasenhafte Entwicklung des Kalkdepots. Symptomatisch werden die meist zwischen 30 und 50 Jahre alten Patienten durch Schmerzen, die ohne Provokationsereignis auftreten und bewegungsunabhängig sind. Die klinische Symptomatik gleicht überwiegend einem Impingement-Syndrom mit Ruhe- und Nachtschmerz und Schmerzausstrahlung in den anterolateralen Oberarm. Im Rahmen einer akuten Exazerbation, die mit der spontanen Kalkresorption assoziiert ist, zeigen die Beschwerden mitunter einen massiven entzündlichen Charakter.

Konservative Maßnahmen umfassen die Gabe von Analgetika und Antiphlogistika, subakromiale Infiltrationen und extrakorporale Stoßwellentherapie. Bei Beschwerdepersistenz ist die arthroskopische Kalkentfernung indiziert, die in > 90 % der Fälle zu Beschwerdefreiheit und guten bis sehr guten klinischen Ergebnissen führt.

Schlüsselwörter: Kalkschulter, Tendinitis calcarea, Kalkdepot, Rotatorenmanschette, Schulterschmerzen

Abstract: Rotator cuff calcific tendinitis is a frequent and painful clinical entity with great relevance to the orthopaedic surgeon. The disease history may be one of many years and is characterised by distinct phases in the development of the calcific deposit. Mainly affecting patients between 30 and 50 years, the disease becomes symptomatic in terms of unprovoked pain unrelated to activity. The clinical presentation is similar to the impingement syndrome with pain at rest and at night, which may radiate to the anterolateral proximal arm. The acute exacerbation is marked by inflammatory changes and may be associated with resorption of the calcific deposit. Conservative management includes analgesic and anti-inflammatory drugs, subacromial corticoid injections and extracorporal shock wave therapy. If this approach fails and patients are persistently symptomatic, arthroscopic removal of the calcific deposit is indicated. In more than 90 % of patients the latter management is definite and provides good-to-excellent clinical outcomes.

Keywords: pathologic calcification, calcific tendinitis, calcific deposit, rotator cuff, shoulder pain

Die vorliegende Übersichtsarbeit stellt das Krankheitsbild der Tendinitis calcarea (Synonyme: Tendinosis calcarea, Kalkschulter, Kalkschultertendinopathie) in Bezug auf Grundlagen, Klinik, Diagnostik und Therapie dar.

Epidemiologie

Die in der Literatur angegebene Prävalenz der Tendinitis calcarea bei asymptomatischen Patienten schwankt zwischen 2,7 und 20 % [1, 2]. Über 50 % aller Patienten mit Kalkdepot entwickeln im Verlauf der Erkrankung eine klinische Symptomatik [1]. Viele Autoren geben den Altersgipfel der Erkrankung mit dem 30.–50. Lebensjahr an [3]. Die Prädilektionsstelle der Entstehung des Kalkdepots ist die Supraspinatussehne, ansatznah etwa 2 cm proximomedial des Tuberculum majus [4], die in 51–82 % der Tendinitis-Patienten betroffen ist [1]. Seltener sind die Infraspinatus- (27–44,5 %, [1, 5]) oder Teres minor- (23 %, [1]) bzw. Subscapularissehne (3 %, [1]) betroffen. Die Studienlage in Bezug auf die Geschlechtsabhängigkeit der Inzidenz ist uneinheitlich, allerdings scheinen Frauen häufiger betroffen zu sein [1, 6]. Bezüglich beruflicher Risikofaktoren weisen körperlich schwer arbeitende Menschen eine niedrigere Inzidenz auf als primär nicht körperlich arbeitende Menschen [2]. Ein bilaterales Auftreten lässt sich in 13–24 % der Fälle nachweisen [6, 7].

Ätiopathogenese

Die Pathogenese der Tendinitis calcarea ist noch immer Gegenstand wissenschaftlicher Debatten, wobei 2 Theorien diskutiert werden. Zum einen formulierte Codman die Theorie der degenerativen Vorschädigung, wo nach der Degeneration von Sehnenfasern die Entwicklung von Kalkdepots folgte [4]. Experimentell wird diese Theorie gestützt durch die festgestellte Assoziation von Hypo- bzw. Avaskulärität von Sehnengewebe und daraus entstehender Hyalinisierung und Kalzifizierung [8].

Zahlreiche Befunde sprechen gegen die These der degenerativen Verkalkung [9, 10]. Zum einen treten die Kalkdepots der Tendinitis calcarea v.a. in vitalem Gewebe auf und nicht - wie nach obiger Theorie anzunehmen - in avitalem, hypo- bzw. avaskulärem Gewebe. Ein weiterer Aspekt ist, dass der typische Altersgipfel im mittleren und nicht im höheren Alter liegt. Uhthoff et al. formulierten daher die zu guten Teilen anerkannte Theorie des reparativen Prozesses mit stadienabhängigem Ablauf, die durch die Korrelation der Klinik mit der Histologie untermauert werden konnte [9, 10]. Trotz des in den meisten Patienten nachvollziehbaren stadienhaften Ablaufs, der sich histomorphologisch in Präkalzifikations-, Kalzifikations- und Postkalzifikationsstadium unterscheiden lässt und in der Regel selbstlimitierend über mehrere Monate verläuft, sind insbesondere die Triggerfaktoren der Entstehung der Kalzifikationen und der verschiedenen Erkrankungsstadien noch unklar. Zudem legen histopathologische Befunde nahe, dass die Stadien nicht immer streng sequenziell, sondern mitunter parallel oder unvollständig ablaufen können [11].

Das Präkalzifikationsstadium weist neben begleitenden degenerativen Veränderungen eine fokale chondroide Metaplasie der Tenozyten innerhalb der Sehne auf. Als Folge der Metaplasie kommt es zu einer vermehrten Produktion Knorpel-spezifischer Zellprodukte wie Proteoglykane.

Das sich anschließende Kalzifikationsstadium wird unterteilt in Formations-, Ruhe- und Resorptionsphase. Die Formationsphase ist gekennzeichnet durch die oft Jahre dauernde Ablagerung von Hydroxylapatitkristallen zwischen und innerhalb der Chondrozyten. Die sich ausbildenden Kalkfoci verschmelzen mit zunehmendem Krankheitsverlauf, sodass sich große, homogene, röntgenologisch scharf abgrenzbare und kreideartig-krümelige Kalkdepots ausbilden, die in der sich anschließenden Ruhephase weiter abgekapselt werden. Durch vermehrte Vaskularisation des perifokalen Sehnengewebes und dadurch bedingter zellulärer Infiltration wird die Resorptionsphase eingeleitet. Im Rahmen des Entzündungsgeschehens wird das Kalkdepot aufgebrochen, resorbiert und phagozytiert, wodurch der Kalk verflüssigt wird („Zahnpasta-artig“) und spontan in die Bursa subacromialis und den Subakromialraum eindringen kann. Das intratendinöse Begleitödem bedingt die typische akut schmerzhafte Klinik.

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