Übersichtsarbeiten - OUP 03/2022

Therapie der manifesten Osteoporose

Uwe Maus

CME

1

Punkt

Lernziele:

Das Frakturrisiko bei Osteoporose und das drohende Frakturrisiko, das sog. „imminente Risiko“ werden dargestellt.

Die Indikationsstellung für die spezifische medikamentöse Therapie wird erläutert.

Die therapeutischen Möglichkeiten, vor allem der Stellenwert der osteoanabolen Therapie bei manifester Osteoporose werden hergeleitet.

Nach dem Lesen des Beitrages können Sie die Indikation für eine spezifische medikamentöse Therapie leitliniengerecht empfehlen.

Zusammenfassung:
Osteoporose ist eine Erkrankung, mit der sich Orthopäden und Unfallchirurgen im Alltag laufend auseinandersetzen müssen. Die Identifikation der Patientinnen und Patienten mit einer osteoporotischen Fraktur gehört dabei zu den Schlüsselaufgaben während der stationären oder auch ambulanten Behandlung. Da das Problem aufgrund des demografischen Wandels und der zunehmenden Alterung der Bevölkerung ebenfalls zunimmt, ist die möglichst frühzeitige Diagnose der Osteoporose zur Vermeidung von Leid, Schmerzen und Kosten von enormer Bedeutung. In dem vorliegenden Beitrag werden die notwendigen Schritte für die Behandlung der Patientinnen und Patienten aufgezeigt. Insbesondere nach einer Fraktur ist eine schnelle Diagnostik und Therapie gefragt, da das Risiko für die ersten 12–24 Monate nach der Fraktur drastisch erhöht ist und Folgefrakturen drohen. Dieses sog. „imminente Risiko“ ist in den letzten Jahren intensiv diskutiert worden. Ziel ist, nach der Fraktur möglichst schnell eine adäquate Therapie einzuleiten. Vor dem Hintergrund der aktuellen Zulassungssituation der Wirkstoffe und der vorhandenen Studienlage, kann hierbei auf eine antiresorptive oder auch eine osteoanabole Therapie zurückgegriffen werden. Die Entscheidung für die jeweiligen Therapien kann dabei individuell und risikobasiert erfolgen. Neben der Einleitung der notwendigen Therapie ist auch die Weiterbetreuung der Patientinnen und Patienten enorm wichtig. Erfolgversprechende Maßnahmen sind bspw. die Etablierung von Netzwerken zwischen Kliniken und Praxen oder das „Disease Management Programm“ (DMP) Osteoporose, welches sich nach positivem Beschluss nun in den einzelnen Regionen in der Umsetzung befindet.

Schlüsselwörter:
Osteoporose, Fraktur, Imminentes Risiko, Bisphosphonate, Romosozumab, Teriparatid

Zitierweise:
Maus U: Therapie der manifesten Osteoporose.
OUP 2022; 11: 0122–0131
DOI 10.53180/oup.2022.0122-0131

Summary: Osteoporosis is a disease that orthopaedic surgeons and trauma surgeons have to deal with on a daily basis. The identification of patients with an osteoporotic fracture is one of the key tasks during inpatient or even outpatient treatment. As the problem is also increasing due to demographic change and the ageing of the population, the earliest possible diagnosis of osteoporosis to avoid suffering, pain and costs is of enormous importance. In this article, the necessary steps for the treatment of patients are outlined. Especially after a fracture, rapid diagnosis and therapy are required, as the risk is drastically increased for the first 12–24 months after the fracture and subsequent fractures are imminent. This so-called „imminent risk“ has been discussed intensively in recent years. The aim is to initiate adequate therapy as soon as possible after the fracture. Against the background of the current approval situation of the active substances and the available studies, either an antiresorptive or an osteoanabolic therapy can be used. The decision for the respective therapies can be made individually and risk-based. In addition to the initiation of the necessary therapy, the further care of the patients is also enormously important. Promising measures are, for example, the establishment of networks between clinics and practices or the „Disease Management Programme“ (DMP) Osteoporosis, which is now being implemented in the individual regions after a positive decision.

Keywords: Osteoporosis, fracture, imminent risk, bisphosphonate, romosozumab, teriparatide

Citation: Maus U: Therapy of severe osteoporosis with fractures.OUP 2022; 11: 0122–0131.
DOI 10.53180/oup.2022.0122-0131

Universitätsklinik Düsseldorf, Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie

Einleitung

Osteoporose ist eine chronische Erkrankung, mit der sich Orthopäden und Unfallchirurgen in Klinik und Praxis tagtäglich auseinandersetzen müssen. Die Osteoporose entwickelt sich schleichend und still – die meisten Patientinnen und Patienten mit reduzierter Knochendichte haben keine oder nur diffuse Schmerzen im Bewegungsapparat. Klinische Auswirkungen hat die Osteoporose vor allem mit Auftreten von osteoporotischen Frakturen. Typische Lokalisationen sind der distale Unterarm, die Wirbelsäule, das proximale Femur, der Humerus und zunehmend auch das Becken [1]. Die verschiedenen Frakturen treten altersabhängig unterschiedlich gehäuft auf. Bei jüngeren, unmittelbar postmenopausalen Frauen ist anteilsmäßig die distale Unterarmfraktur häufiger, bei älteren Frauen nimmt die prox. Femurfraktur deutlich zu [2]. Per definitionem wird eine Osteoporose mit vorhandener Fraktur als manifeste Osteoporose bezeichnet.

Mit dem Auftreten der ersten Fraktur beginnt im Grunde ein Wettlauf gegen die Zeit, da das Risiko für weitere Frakturen nach der ersten Fraktur stark erhöht ist und dies insbesondere in den ersten Monaten und Jahren [3]. Die Herausforderung ist daher, Patientinnen und Patienten mit einer Osteoporose möglichst früh zu identifizieren und eine adäquate und auf den Einzelfall angepasste Therapie einzuleiten.

Der vorliegende Beitrag soll dabei helfen, die notwendige Diagnostik und die anschließende Therapie planen und durchführen zu können.

Definition und Bedeutung der Osteoporose

Die Osteoporose ist definiert als systemische Skeletterkrankung, die durch 3 wesentliche Parameter bestimmt ist: unzureichende Knochenfestigkeit, Verschlechterung der Mikroarchitektur des Knochengewebes und erhöhte Frakturneigung. Auch wenn die Knochendichte durch eine Knochendichtemessung in der Praxis leicht bestimmt werden kann, geht die Knochendichte nur indirekt in diese Definition ein. Die Knochendichte und die Knochenqualität bestimmen letztlich die Knochenfestigkeit, die sich eben aus der Knochenmasse, vor allem aber auch der Knochenstruktur ergibt.

Betrachtet man den für eine Osteoporose relevanten Knochendichtewert, wird eine Knochendichte mit einem sog. T-Wert von ? –2,5 als Osteoporose bezeichnet. Werte zwischen T < –1,0 und T > –2,5 beschreibt man mit dem Wort Osteopenie. Allerdings treten in einigen Fällen auch Frakturen auf, obwohl die Knochendichtemessung keine Werte im Bereich einer Osteoporose ergibt [4].

Die Prävalenz der Osteoporose ist bei Frauen gegenüber Männern erhöht und nimmt mit dem Alter zu. Frauen im Alter von 50–60 Jahren haben eine Prävalenz von 15 %, bei Frauen um das 70. Lebensjahr steigt sie bis auf 45 %. Die Prävalenz bei Männern ist mit 2,4 bzw. 17 % wesentlich niedriger [5]. In Deutschland ereignen sich über 750.000 osteoporotische Frakturen jährlich. Auf der Basis des Lebenszeitrisikos, bezogen auf jegliche osteoporotischen Frakturen, droht jeder 3. Frau und jedem 5. Mann nach dem 50. Lebensjahr das Risiko einer Fragilitätsfraktur. Das Risiko für Hüftfrakturen nach dem 50. Lebensjahr beträgt 17 % bei Frauen und 10 % bei Männern [6]. In einer auf Krankenkassendaten beruhenden Untersuchung erlitten ca. 52 % der Patientinnen und Patienten über 50 Jahren mit einer Osteoporose innerhalb von 3 Jahren eine oder mehrere Frakturen [7]. Allerdings ist die Dunkelziffer von osteoporotischen Wirbelkörperfrakturen relativ hoch, da diese Frakturen klinisch stumm verlaufen können oder auch nur für einen begrenzten Zeitraum Schmerzen verursachen und somit keine weitere Diagnostik veranlasst wird. Gerade proximale Femurfrakturen, aber auch Wirbelkörperfrakturen führen zu einer erhöhten Morbidität und Mortalität. Nach einer proximalen Femurfaktur ist die Mortalität insbesondere im ersten Jahr stark erhöht [8]. Gleichzeitig verlieren viele der Patientinnen und Patienten die Selbständigkeit und müssen nach der Akutversorgung der Fraktur in einer Pflegeeinrichtung untergebracht werden. Die Schwierigkeiten in der Weiterversorgung der Osteoporose in diesen Fällen liegen auf der Hand.

An den genannten Daten ist zu erkennen, welche Bedeutung die Osteoporose bzw. osteoporotische Frakturen und eine entsprechende Diagnostik und rasche Therapieeinleitung hat.

Generelle Osteoporosepropyhlaxe und
Basismaßnahmen

Die Therapie der manifesten Osteoporose setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen. Die Grundlage für die weitere, vor allem auch spezifische medikamentöse Therapie, stellt die sogenannte Basistherapie dar. Diese besteht aus den Hauptkomponenten:

Körperliche Aktivität und Sturzvermeidung

Ernährung und Lebensstil

Medikamentenüberprüfung.

Ziel der körperlichen Aktivität und der Vermeidung von Stürzen, ist vor allem auch die Vermeidung der Immobilisation. Die Förderung von Muskelkraft und Koordination ist eine zentrale Aufgabe um Patientinnen und Patienten zu befähigen, in ihrem Alltag möglichst mobil zu bleiben. Außerdem hat die körperliche Betätigung einen Einfluss auf den Knochenstoffwechsel und kann zu einem Erhalt, ggf. auch zu einer Zunahme der Knochendichte führen. Die Abklärung von Sturzrisiken, basierend auf einer Sturzanamnese wird aber der 8. Lebensdekade empfohlen. Wird bei der Ermittlung der Sturzrisiken ein erhöhtes Risiko festgestellt, ist es ein Ziel der Betreuung der Patientinnen und Patienten, vermeidbare Ursachen zu beseitigen oder zu reduzieren [9].

Bei älteren Patientinnen und Patienten, die in einer Pflegeeinrichtung untergebracht sind, können auch Hüftprotektoren angeboten werden, wobei hier insbesondere auch auf die Passform zu achten ist.

Hinsichtlich der Ernährung sollte auf eine ausreichende Zufuhr von Calcium und Vitamin D geachtet werden. Die bisherige Empfehlung einer täglichen Gesamtzufuhr von 1000 mg Calcium ist unverändert aktuell. Die Einnahme von Calciumsupplementen wird nur empfohlen, wenn die Zufuhr über die Ernährung zu gering ist. Im Rahmen der Therapie sollte die Aufnahme der genannten Menge sichergestellt werden, sodass in diesem Zusammenhang die Einnahme von Supplementen nochmals genauer zu betrachten ist. Eine isolierte Aufnahme von Vitamin D3 ohne die tägliche ausreichende Menge an Calcium wird nicht empfohlen. Die Menge von 800 IE als tägliche Dosis sollte gerade auch bei hohem Sturz- und Frakturrisiko und geringer Sonnenlichtexposition zusätzlich oral eingenommen werden. Im Einzelfall bestehende Kontraindikationen sind entsprechend zu berücksichtigen.

Auch Nikotin hat einen Einfluss auf das Sturzrisiko und sollte daher vermieden werden.

Die Überprüfung der Medikation und der Einnahme von Fraktur-begünstigenden Medikamenten wie z.B. Antidepressiva, Antiepileptika und anderen, sollte ggfs. auch in Rücksprache mit anderen Fachdisziplinen, der Hausärztin oder dem Hausarzt und anderen behandelnden Ärztinnen und Ärzten erfolgen.

Die genannten Maßnahmen entsprechen den generellen Empfehlungen für eine Osteoporose- und Frakturprophylaxe und können daher auch für den Bereich der Prävention eingesetzt werden.

Indikationsstellung
zur spezifischen
medikamentösen Therapie

Neben den geschilderten generellen Empfehlungen wird bei einem erhöhten Frakturrisiko, spätestens jedoch mit dem Auftreten der ersten osteoporotischen Fraktur, eine spezifische medikamentöse Therapie empfohlen.

Die Indikation zur spezifischen medikamentösen Therapie ergibt sich entsprechend der DVO-Leitlinie ab einem 10-Jahres-Frakturrisiko von > 30 %. Daher stellt sich die Frage, wie diese Schwelle ermittelt wird und welche Besonderheiten bei einer bereits vorhandenen osteoporotischen Fraktur bestehen.

Für die Ermittlung des Frakturrisikos ist neben dem Alter und dem Geschlecht der Patientin oder des Patienten die Knochendichte wichtig. Die Indikation zur Knochendichtemessung ergibt sich, wie die im Weiteren geschilderte Indikation zur medikamentösen Therapie, durch die Grundrisiken Alter und Geschlecht und die später noch relevanten Risikofaktoren.

Das Frakturrisiko wird nicht nur durch die Parameter Alter, Geschlecht und Knochendichte bestimmt, zudem muss noch eine Reihe an klinischen Risikofaktoren erfasst werden, die wiederum das Frakturrisiko beeinflussen können. Je nach Risikofaktor erhöht oder erniedrigt sich das Risiko innerhalb der nächsten 10 Jahre, eine osteoporotische Fraktur zu erleiden und die Knochendichte, oder genauer gesagt, das durch die Kombination von Alter, Geschlecht und Knochendichte definierte Frakturrisiko wird durch die Risikofaktoren entsprechend modelliert. Die Modellierung erfolgt, indem pro Risikofaktor die Therapieschwelle um ein Kästchen verschoben wird (Tab. 3). Also bspw. würde bei einer entsprechenden Konstellation statt bei einem T-Wert von –3,5 bereits ab einem T-Wert von –3,0 eine Indikation zur medikamentösen Therapie bestehen. Dieses Verschieben erfolgt jedoch für maximal einen ganzen T-Wert bzw. in der Tabelle 3 um maximal 2 Kästchen.

Risikofaktoren

Entstehung und Ausprägung der Osteoporose sind abhängig von verschiedenen Risikofaktoren. Diese Risikofaktoren sind für die Einschätzung des Frakturrisikos wichtig und im Rahmen der Anamnese zu erfassen. Risikofaktoren können beeinflussbar und nicht beeinflussbar sein. Zwei Risikofaktoren mit wesentlichem Einfluss auf das Frakturrisiko sind das Alter der Patientin oder des Patienten und das Geschlecht. Die weiteren Risikofaktoren für die Einschätzung des sog. 10-Jahres-Frakturrisiko müssen dann erfragt werden. In Tabelle 1 sind die Risikofaktoren zusammengefasst. Wichtig ist, dass für diese erste Abschätzung des Frakturrisikos noch keine Knochendichtemessung notwendig ist. Diese erfolgt erst im zweiten Schritt, wenn ein 10-Jahres-Frakturrisiko von 20 % abgeschätzt wurde. Diese Angaben beziehen sich auf den Algorithmus nach der Leitlinie des DVO [9]. Es gibt auch andere Möglichkeiten der Risikoabschätzung wie z.B. das FRAX-Tool [10]. Diese sind in Deutschland allerdings weniger verbreitet. Eine Checkliste für die Erfassung der Risikofaktoren ist sehr hilfreich und kann bspw. auch in der Praxissoftware oder der KIS implementiert werden. Ab einem Alter von 70 Jahren bei Frauen und von 80 Jahren bei Männern wird generell eine Osteoporosediagnostik empfohlen.

In der neueren Literatur wird empfohlen, bei jeder Fraktur nach dem 50. bzw. 60. Lebensjahr zumindest an die Abklärung der Osteoporose zu denken, da eine sichere Unterscheidung zwischen adäquatem und nicht-adäquatem Trauma sehr schwierig ist und für beide Traumata ein Zusammenhang mit der Knochendichte nachgewiesen wurde [11, 12]. Von dieser Empfehlung ausgenommen sind lediglich die Hoch-Rasanz-Traumata.

Merksatz: Nach Frakturen bei Frauen nach der Menopause und Männern ab 60 Jahren sollte eine Osteoporoseabklärung erfolgen – Ausnahme sind Hochrasanztraumata.

Diagnostik

Die Basisdiagnostik der Osteoporose und die Abklärung der Ursachen erfolgt im Allgemeinen aus folgenden Bestandteilen [5]:

Anamnese zur Erfassung der Risikofaktoren und des bisherigen Krankheitsverlaufes und der Vorerkrankungen

Klinische Untersuchung zum Ausschluss von Frakturen und von typischen Veränderungen bei Osteoporose wie z.B. Tannenbaumphänomen, Witwenbuckel, Verringerung der Rumpflänge

Erfassung des Sturzrisikos, ggfs. auch mit klinischen Tests (Timed-up-and-go-Test, Chair-Rising-Test, Tandemstand, 4 m-Gehtest [13]

Bildgebende Verfahren, in erster Linie Röntgenaufnahme der BWS und LWS, ggfs. auch weitere Untersuchungen wie CT oder MRT

Knochendichtemessung mittels DXA-Verfahren an der LWS, Gesamthüfte, Schenkelhals (in Ausnahmefällen auch distaler Unterarm)

Laboruntersuchung zum Ausschluss sekundärer Ursachen (Tab. 2)

Nach Abschluss der Diagnostik und nach Ausschluss anderer Erkrankungen, die zu einer sekundären Osteoporose führen können, kann die Indikation zur spezifischen medikamentösen Therapie gestellt werden.

Indikation zur spezifischen medikamentösen Therapie der Osteoporose

Bei der Einleitung einer spezifischen medikamentösen Therapie können verschiedene Ausgangssituationen betrachtet werden. Grundsätzlich wird in der DVO-Leitlinie die Therapieschwelle bei einem 30-prozentigem 10-Jahres-Frakturrisiko angenommen. Unter diesem Frakturrisiko werden zunächst jedoch noch die Primärprävention einer osteoporotischen Fraktur und die Sekundärprävention zusammengefasst. Im Rahmen der Primärprävention wird aus den vorliegenden Ergebnissen der Basisdiagnostik und mit Hilfe der in der DVO-Leitlinie dargestellten Tabelle die Indikation zur spezifischen medikamentösen Therapie ermittelt (Tab. 3). In diese Entscheidung werden somit Alter, Geschlecht, Ergebnis der Knochendichtemessung und die relevanten Risikofaktoren eingeschlossen (Tab. 4). Hintergrund dieses Vorgehens ist, dass sich erst in der Konstellation aus den genannten Parametern das Frakturrisiko soweit modulieren lässt, dass die Therapiegrenze überschritten wird. Derzeit ist analog zu dem international verbreiteten FRAX-Risikorechner ein Risikorechner des DVO in Vorbereitung [10].

Im Falle von vorliegenden Frakturen, also der Sekundärprävention, oder starker Risikofaktoren wird die Therapieschwelle deutlich früher überschritten, sodass dann das Vorliegen weiterer Risikofaktoren, oder auch einer entsprechend erniedrigten Knochendichte, nicht mehr in die Therapieentscheidung mit einbezogen werden müssen. In der DVO-Leitlinie sind folgende Situationen aufgeführt:

Niedrigtraumatische Wirbelkörperfrakturen 2. oder 3. Grades oder auch multiple Wirbelkörperfrakturen 1. bis 3. Grades bei einem T-Wert < –2,0 am Schenkelhals oder am Gesamtfemur

Niedrigtraumatische proximale Femurfrakturen bei einem T-Wert < –2,0

Bestehende oder geplante Therapie mit oralen Glukokortikoiden ? 7,5 mg Prednisolonäquivalent täglich für > 3 Monate, wenn der T-Score < –1,5 an LWS oder Schenkelhals ist oder gleichzeitig niedrigtraumatische Frakturen an der Wirbelsäule oder dem prox. Femur vorliegen

Die Graduierung der Wirbelkörperfrakturen erfolgt hier nicht nach den klinischen häufig verwendeten Klassifikationen oder AO oder OF, sondern entsprechend eines Scorings nach Genant [14]. Dieses orientiert sich an der Ausprägung der Höhenminderung des Wirbelkörpers und klassifiziert in 3 Schweregrade. Frakturen I. Grades haben eine Höhenminderung bis 25 %, Frakturen II. Grades bis 40 % und Grad III Frakturen > 40 %.

In den Fällen der niedrigtraumatischen Frakturen kann in Abhängigkeit von der klinischen Gesamtsituation, wie bereits erwähnt, auf eine Knochendichtemessung verzichtet werden. Diese geschilderten Szenarien werden in der aktuellen Auffassung als Hochrisikosituationen eingeschätzt. Im Rahmen der Therapie kann in diesen Fällen aufgrund des hohen Risikos eine osteoanabole Therapie als sogenannte First-line-Medikation diskutiert werden. Dies bedeutet, dass die Therapie direkt mit Teriparatid oder Romosozumab eingeleitet wird und nicht vorher noch eine Therapie mit einem anderen Wirkstoff eingeleitet wird. Auf jeden Fall wichtig sind in diesen Fällen aber eine Abklärung der Osteoporose und eine adäquate Therapie einzuleiten.

Für die Therapie der Osteoporose sind verschiedene Medikamente mit unterschiedlichen Wirkmechanismen, Einnahmemodalitäten etc. zugelassen. Eine Übersicht über die zugelassenen Medikamente findet sich in Tabelle 5.

Imminent Risk –
Drohendes Frakturrisiko

Das Risiko, nach der ersten osteoporotischen Fraktur weitere Frakturen zu erleiden ist erhöht, wobei unmittelbar nach der Fraktur das Risiko für ca. 12–24 Monate deutlich erhöht ist und dann wiederum etwas sinkt. Der Zeitraum der ersten 12–24 Monate wird jedoch aufgrund des stark erhöhten Frakturrisikos als besonders kritischer Zeitraum betrachtet und ist in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus gerückt. Die Hauptrisiken, welche bei älteren Patientinnen und Patienten das Frakturrisiko initial stark erhöhen, sind das Alter und vor allem frische Brüche. In einer Untersuchung mit Versicherungsdaten mit über 1,2 Mio. Teilnehmern konnte eine Inzidenz für alle Frakturtypen innerhalb des ersten Jahres nach einer Fraktur von 3,8 % insgesamt und von 4,8% bei Frauen und von 2,5 % bei Männern festgestellt werden. Innerhalb des 2. Jahres stieg die Inzidenz auf 6,6 % insgesamt und auf 8,3 % bei Frauen und auf 4,4 % bei Männern an. In dieser Untersuchung konnte bsp. für Patientinnen und Patienten über 80 bzw. über 85 Jahren eine Risikoerhöhung für Hüftfrakturen um das 3,2-fache (95 % CI 2,87–3,57) bzw. 4,55-fache (95 % CI 4,05–5,12) nachgewiesen werden. Das Risiko durch frische Frakturen erhöhte sich auf das 2,8-fache (95 % CI 2,70–2,92) für alle Frakturtypen als Folgefrakturen und auf das 2,1-fache (95 % CI 1,93–2,28) für Hüftfrakturen [15]. In einer weiteren Untersuchung konnte ebenfalls altersabhängig nachgewiesen werden, dass bei den über 70-Jährigen das Risiko bis zur ersten Folgefraktur insbesondere in den ersten 6 Monaten stark erhöht ist [3]. Dabei scheint das Risiko vor allem für Wirbelkörperfrakturen und Unterarmfrakturen, jedoch auch für Hüftfrakturen erhöht zu sein [16]. Letztlich sollte jede Fraktur, welche sich bei Frauen nach der Menopause oder bei Männern nach dem 60. Lebensjahr ereignet, als Anlass für eine Abklärung des Frakturrisikos betrachtet werden. Je nach Untersuchung beträgt der Anteil der Patientinnen und Patienten mit einer Folgefraktur unabhängig von der Frakturlokalisation der Vorfraktur bis > 30%, der Anteil der Patientinnen und Patienten mit einer Hüftfraktur immerhin > 10% nach 5 Jahren [17].

Neben dem erhöhten Frakturrisiko aufgrund der bereits geschilderten Faktoren, könnte auch ein Rückgang der Knochendichte durch systemische Faktoren nach der Fraktur und die vorübergehende geringe Belastung und Belastbarkeit eine Rolle spielen [18].

Hinsichtlich der Einschätzung des unmittelbaren Frakturrisikos sei an dieser Stelle auch auf den weiteren Beitrag in diesem Heft verwiesen.

Dringende Therapieeinleitung notwendig

Die Auseinandersetzung mit dem Thema der „Imminent Risk“ macht deutlich, dass insbesondere nach einer Fraktur möglichst zeitnah mit einem wirksamen Wirkstoff mit der Behandlung begonnen werden sollte. Die DVO-Leitlinie empfiehlt in diesen Fällen einen Therapiebeginn auch ohne eine vorherige Knochendichtemessung. Eine Therapieempfehlung hinsichtlich des primär empfohlenen Medikamentes findet sich in der Leitlinie nicht, allerdings wird auf eine effektivere Frakturreduktion von Teriparatid im Vergleich zu oralen Bisphosphonaten bezogen auf Wirbelkörperfrakturen hingewiesen. Eine Darstellung mit den aktuell zugelassenen Medikamenten bzw. Wirkstoffen ist im Anhang beigefügt. In der Zwischenzeit mehren sich jedoch die Studienergebnisse mit Hinweisen darauf, dass osteoanabole Medikamente, also Teriparatid und Romosozumab, den oralen Bisphosphonaten hinsichtlich der Reduktion von Wirbelkörperfrakturen überlegen sind und ihnen bei Patientinnen und Patienten mit hohem Frakturrisiko den Vorzug gegeben werden sollte.

In einer Vergleichsstudie mit 680 Studienteilnehmern pro Gruppe untersuchten Kendler et al. im direkten Vergleich von Teriparatid und Risedronat die Inzidenz von neuen Wirbelkörperfrakturen und anderen Frakturtypen. Von den eingeschlossenen Teilnehmern hatten alle mindestens eine prävalente Fraktur, entsprachen also der Definition eines Hochrisikokollektivs. Die Autoren konnten unter Teriparatid einen Rückgang der Inzidenz neuer Wirbelkörperfrakturen auf 52 % nach 12 Monaten und auf 44 % nach 24 Monaten nachweisen [19]. Im Jahr 2019 wurde der Therapiehinweis des G-BA aus dem Jahr 2006 bzw. 2007 aufgehoben und somit eine primär osteoanabole Therapie möglich. Eine Vorbehandlung mit einem antiresorptiven Medikament und der Nachweis des ungenügenden Outcomes waren somit hinfällig [20].

Nachdem mit Teriparatid schon länger eine osteoanabole Substanz im klinischen Einsatz ist, ist mittlerweile eine zweite Substanz verfügbar. Romosozumab ist ein humanisierter Antikörper gegen Sklerostin. Sklerostin ist osteozyten-spezifisch und reguliert die Anpassung des Knochens auf physikalische Reize oder auch körperliches Training. Unter dem Einfluss der physikalischen Beanspruchung wird die Sklerostin-Konzentration im Serum gesenkt und es kommt zu Knochenneubildung und gleichzeitiger Hemmung des Knochenabbaus [21]. Diesen Effekt macht man sich bei der Anwendung von Romosozumab zunutze. Durch die 12-monatige Anwendung des Wirkstoffes kommt es zu einem schnellen Anstieg der Knochendichte auf über 10 % an der LWS und über 4 % an der Hüfte. Gleichzeitig wird Anzahl an neu auftretenden Frakturen reduziert. Bezogen auf Wirbelkörperfrakturen konnte eine Risikoreduktion von jeweils mehr als 70 % nach 12 und 24 Monaten gezeigt werden [22]. Im direkten Vergleich mit Alendronsäure konnte durch Romosozumab eine stärkere Zunahme der Knochendichte und eine stärkere Senkung des Frakturrisikos erreicht werden [23]. Bei der Verordnung von Romosozumab sind die Kontraindikationen gegen den Einsatz des Medikamentes zu berücksichtigen, da in einer der bisherigen Studien im Vergleich zu Alendronsäure eine höhere Rate an kardiovaskulären Ereignissen beobachtet wurde [23, 24]. Außerdem ist Romosozumab derzeit nur für postmenopausale Frauen zugelassen.

Auch wenn die osteoanabolen Medikamente nach einer antiresorptiven Therapie wirksam sind, zeigt sich bspw. bezogen auf die Knochendichte ein stärkerer Zuwachs bei therapienaiven Patientinnen und Patienten im Vergleich zu denjenigen mit einer Vorbehandlung [25].

Die vorliegenden Studienergebnisse waren auch die Basis für die vom DVO veröffentlichten Statements, in denen bei Patientinnen und Patienten mit hohem Frakturrisiko eine initial osteoanabole Therapie empfohlen wird. Die jeweilige Zulassungssituation ist entsprechend zu beachten.

Letztlich kann allerdings auch mit den antiresorptiven Medikamenten bei einem hohen, imminenten Risiko eine Reduktion des Risikos für vertebrale Frakturen und Hüftfrakturen erreicht werden [26].

Anschlusstherapie notwendig

Die osteoanabolen Medikamente, ebenso wie Denosumab, sind sog. reversible Medikamente. Sie werden nicht dauerhaft im Knochen gespeichert und zeigen daher nach Applikationsende keine protrahierte Wirksamkeit [27]. Um den Rückgang der Knochendichte und erneute auftretende Frakturen zu verhindern, sollte eine Anschlusstherapie mit einem antiresorptiven Medikament, also Bisphosphonaten oder auch Denosumab, begonnen werden. Hierzu stehen verschiedene Optionen zur Verfügung, für die mittlerweile entsprechende Studienergebnisse vorliegen.

Individuelle, risikoadaptierte Therapieplanung

Die Diagnostik und die medikamentösen Therapieoptionen lassen eine individuelle, risikoadaptierte Therapie zu. Daher steht zu Beginn der Therapieentscheidung zunächst die Überlegung an, welches Risiko die einzelne Patientin oder der Patient hat, welche Risikofaktoren und Nebenerkrankungen vorliegen, welches Therapieziel verfolgt wird, welche Erwartungen an die Therapie geknüpft sind etc. Vor diesem Hintergrund sollte dann die entsprechende Entscheidung in Rücksprache und Abstimmung mit der Patientin oder dem Patienten getroffen werden. Auch das Risikoprofil bezüglich nephrologischer, kardiovaskulärer oder onkologischer Erkrankungen muss in die Entscheidung mit einfließen. In Abhängigkeit dieser Voraussetzungen kann dann ein entsprechendes Medikament gewählt werden. Relativ allgemein ausgedrückt kann bei niedrigem Risiko ein abwartendes Verhalten gewählt werden, bei moderatem Risiko eher eine antiresorptive Therapie mit einem Bisphosphonat oder Denosumab und bei Patientinnen und Patienten mit hohem Risiko eine osteoanabole oder ggfs. auch eine antiresorptive Therapie [28].

Weiterversorgung

Die langfristige Betreuung der Patientinnen und Patienten ist enorm wichtig. Neben der entsprechenden Therapieplanung und den Überlegungen hinsichtlich langfristiger medikamentöser Konzepte, ist auch die Planung von Therapiepausen für die Weiterbetreuung ein relevanter Punkt. Aber gerade am Beginn der Therapie, also bspw. an der Überleitung aus dem Krankenhaus bestehen derzeit noch Defizite, sodass nur eine unzureichende Anzahl an Patientinnen und Patienten die notwendige Therapie erhält [6]. In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Versuche zur Verbesserung der Versorgung unternommen. Mit der Identifikation der Patientinnen und Patienten mit Osteoporose im Krankenhaus, über die Schaffung von Netzwerken zwischen Klinik und Praxis oder anderen Strukturen bis hin zur Verabschiedung und der nun anstehenden Umsetzung des sog. „Disease Management Programm“, kurz DMP, Osteoporose, wurden zahlreiche Optionen zur Verbesserung der Zusammenarbeit und zur Patientenversorgung geschaffen [29, 30]. Wichtig ist, diese Strukturen auf die regionalen Gegebenheiten anzupassen und gemeinsam an der Umsetzung zu arbeiten.

Fazit

Osteoporotische Frakturen stellen eine Herausforderung für die akute Versorgung und die langfristige Therapie dar. Vor dem Hintergrund der aktuell zur Verfügung stehenden, osteoanabol oder antiresorptiv wirksamen Medikamenten, besteht die Möglichkeit zum risikoadaptierten Vorgehen, um eine möglichst schnelle Reduktion des Frakturrisikos zu erreichen. Gleichzeitig ist jedoch auch eine langfristige Therapieplanung in Form von Sequenz- oder Langzeittherapien notwendig.

Abkürzungsverzeichnis

AO: Arbeitsgemeinschaft Osteosynthese
CRP: C-reaktives Protein
DVO: Dachverband der deutschsprachigen wissenschaftlichen osteologischen Gesellschaften
DXA: Dual-X Rax Absorptiometrie
FFP: Fragility Fracture of the pelvis
GFR: Glomeruläre Filtrationsrate
IE: Internationale Einheiten
KIS: Krankenhaus Informations System
OF: Osteoporotische Fraktur

Interessenkonflikte:

Vortrags- und Beraterhonorare von Alexion, Lilly Deutschland, UCB, Amgen, Theramex, Kyowa Kirin, AgNovos

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Univ.-Prof. Dr. Uwe Maus

Klinik für Orthopädie und

Unfallchirurgie

Universitätsklinik Düsseldorf

Moorenstraße 5

40225 Düsseldorf

uwe.maus@med.uni-duesseldorf.de

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5