Übersichtsarbeiten - OUP 03/2022

Therapie der manifesten Osteoporose

In den Fällen der niedrigtraumatischen Frakturen kann in Abhängigkeit von der klinischen Gesamtsituation, wie bereits erwähnt, auf eine Knochendichtemessung verzichtet werden. Diese geschilderten Szenarien werden in der aktuellen Auffassung als Hochrisikosituationen eingeschätzt. Im Rahmen der Therapie kann in diesen Fällen aufgrund des hohen Risikos eine osteoanabole Therapie als sogenannte First-line-Medikation diskutiert werden. Dies bedeutet, dass die Therapie direkt mit Teriparatid oder Romosozumab eingeleitet wird und nicht vorher noch eine Therapie mit einem anderen Wirkstoff eingeleitet wird. Auf jeden Fall wichtig sind in diesen Fällen aber eine Abklärung der Osteoporose und eine adäquate Therapie einzuleiten.

Für die Therapie der Osteoporose sind verschiedene Medikamente mit unterschiedlichen Wirkmechanismen, Einnahmemodalitäten etc. zugelassen. Eine Übersicht über die zugelassenen Medikamente findet sich in Tabelle 5.

Imminent Risk –
Drohendes Frakturrisiko

Das Risiko, nach der ersten osteoporotischen Fraktur weitere Frakturen zu erleiden ist erhöht, wobei unmittelbar nach der Fraktur das Risiko für ca. 12–24 Monate deutlich erhöht ist und dann wiederum etwas sinkt. Der Zeitraum der ersten 12–24 Monate wird jedoch aufgrund des stark erhöhten Frakturrisikos als besonders kritischer Zeitraum betrachtet und ist in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus gerückt. Die Hauptrisiken, welche bei älteren Patientinnen und Patienten das Frakturrisiko initial stark erhöhen, sind das Alter und vor allem frische Brüche. In einer Untersuchung mit Versicherungsdaten mit über 1,2 Mio. Teilnehmern konnte eine Inzidenz für alle Frakturtypen innerhalb des ersten Jahres nach einer Fraktur von 3,8 % insgesamt und von 4,8% bei Frauen und von 2,5 % bei Männern festgestellt werden. Innerhalb des 2. Jahres stieg die Inzidenz auf 6,6 % insgesamt und auf 8,3 % bei Frauen und auf 4,4 % bei Männern an. In dieser Untersuchung konnte bsp. für Patientinnen und Patienten über 80 bzw. über 85 Jahren eine Risikoerhöhung für Hüftfrakturen um das 3,2-fache (95 % CI 2,87–3,57) bzw. 4,55-fache (95 % CI 4,05–5,12) nachgewiesen werden. Das Risiko durch frische Frakturen erhöhte sich auf das 2,8-fache (95 % CI 2,70–2,92) für alle Frakturtypen als Folgefrakturen und auf das 2,1-fache (95 % CI 1,93–2,28) für Hüftfrakturen [15]. In einer weiteren Untersuchung konnte ebenfalls altersabhängig nachgewiesen werden, dass bei den über 70-Jährigen das Risiko bis zur ersten Folgefraktur insbesondere in den ersten 6 Monaten stark erhöht ist [3]. Dabei scheint das Risiko vor allem für Wirbelkörperfrakturen und Unterarmfrakturen, jedoch auch für Hüftfrakturen erhöht zu sein [16]. Letztlich sollte jede Fraktur, welche sich bei Frauen nach der Menopause oder bei Männern nach dem 60. Lebensjahr ereignet, als Anlass für eine Abklärung des Frakturrisikos betrachtet werden. Je nach Untersuchung beträgt der Anteil der Patientinnen und Patienten mit einer Folgefraktur unabhängig von der Frakturlokalisation der Vorfraktur bis > 30%, der Anteil der Patientinnen und Patienten mit einer Hüftfraktur immerhin > 10% nach 5 Jahren [17].

Neben dem erhöhten Frakturrisiko aufgrund der bereits geschilderten Faktoren, könnte auch ein Rückgang der Knochendichte durch systemische Faktoren nach der Fraktur und die vorübergehende geringe Belastung und Belastbarkeit eine Rolle spielen [18].

Hinsichtlich der Einschätzung des unmittelbaren Frakturrisikos sei an dieser Stelle auch auf den weiteren Beitrag in diesem Heft verwiesen.

Dringende Therapieeinleitung notwendig

Die Auseinandersetzung mit dem Thema der „Imminent Risk“ macht deutlich, dass insbesondere nach einer Fraktur möglichst zeitnah mit einem wirksamen Wirkstoff mit der Behandlung begonnen werden sollte. Die DVO-Leitlinie empfiehlt in diesen Fällen einen Therapiebeginn auch ohne eine vorherige Knochendichtemessung. Eine Therapieempfehlung hinsichtlich des primär empfohlenen Medikamentes findet sich in der Leitlinie nicht, allerdings wird auf eine effektivere Frakturreduktion von Teriparatid im Vergleich zu oralen Bisphosphonaten bezogen auf Wirbelkörperfrakturen hingewiesen. Eine Darstellung mit den aktuell zugelassenen Medikamenten bzw. Wirkstoffen ist im Anhang beigefügt. In der Zwischenzeit mehren sich jedoch die Studienergebnisse mit Hinweisen darauf, dass osteoanabole Medikamente, also Teriparatid und Romosozumab, den oralen Bisphosphonaten hinsichtlich der Reduktion von Wirbelkörperfrakturen überlegen sind und ihnen bei Patientinnen und Patienten mit hohem Frakturrisiko den Vorzug gegeben werden sollte.

In einer Vergleichsstudie mit 680 Studienteilnehmern pro Gruppe untersuchten Kendler et al. im direkten Vergleich von Teriparatid und Risedronat die Inzidenz von neuen Wirbelkörperfrakturen und anderen Frakturtypen. Von den eingeschlossenen Teilnehmern hatten alle mindestens eine prävalente Fraktur, entsprachen also der Definition eines Hochrisikokollektivs. Die Autoren konnten unter Teriparatid einen Rückgang der Inzidenz neuer Wirbelkörperfrakturen auf 52 % nach 12 Monaten und auf 44 % nach 24 Monaten nachweisen [19]. Im Jahr 2019 wurde der Therapiehinweis des G-BA aus dem Jahr 2006 bzw. 2007 aufgehoben und somit eine primär osteoanabole Therapie möglich. Eine Vorbehandlung mit einem antiresorptiven Medikament und der Nachweis des ungenügenden Outcomes waren somit hinfällig [20].

Nachdem mit Teriparatid schon länger eine osteoanabole Substanz im klinischen Einsatz ist, ist mittlerweile eine zweite Substanz verfügbar. Romosozumab ist ein humanisierter Antikörper gegen Sklerostin. Sklerostin ist osteozyten-spezifisch und reguliert die Anpassung des Knochens auf physikalische Reize oder auch körperliches Training. Unter dem Einfluss der physikalischen Beanspruchung wird die Sklerostin-Konzentration im Serum gesenkt und es kommt zu Knochenneubildung und gleichzeitiger Hemmung des Knochenabbaus [21]. Diesen Effekt macht man sich bei der Anwendung von Romosozumab zunutze. Durch die 12-monatige Anwendung des Wirkstoffes kommt es zu einem schnellen Anstieg der Knochendichte auf über 10 % an der LWS und über 4 % an der Hüfte. Gleichzeitig wird Anzahl an neu auftretenden Frakturen reduziert. Bezogen auf Wirbelkörperfrakturen konnte eine Risikoreduktion von jeweils mehr als 70 % nach 12 und 24 Monaten gezeigt werden [22]. Im direkten Vergleich mit Alendronsäure konnte durch Romosozumab eine stärkere Zunahme der Knochendichte und eine stärkere Senkung des Frakturrisikos erreicht werden [23]. Bei der Verordnung von Romosozumab sind die Kontraindikationen gegen den Einsatz des Medikamentes zu berücksichtigen, da in einer der bisherigen Studien im Vergleich zu Alendronsäure eine höhere Rate an kardiovaskulären Ereignissen beobachtet wurde [23, 24]. Außerdem ist Romosozumab derzeit nur für postmenopausale Frauen zugelassen.

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