Übersichtsarbeiten - OUP 03/2022

Therapie der manifesten Osteoporose

Das Frakturrisiko wird nicht nur durch die Parameter Alter, Geschlecht und Knochendichte bestimmt, zudem muss noch eine Reihe an klinischen Risikofaktoren erfasst werden, die wiederum das Frakturrisiko beeinflussen können. Je nach Risikofaktor erhöht oder erniedrigt sich das Risiko innerhalb der nächsten 10 Jahre, eine osteoporotische Fraktur zu erleiden und die Knochendichte, oder genauer gesagt, das durch die Kombination von Alter, Geschlecht und Knochendichte definierte Frakturrisiko wird durch die Risikofaktoren entsprechend modelliert. Die Modellierung erfolgt, indem pro Risikofaktor die Therapieschwelle um ein Kästchen verschoben wird (Tab. 3). Also bspw. würde bei einer entsprechenden Konstellation statt bei einem T-Wert von –3,5 bereits ab einem T-Wert von –3,0 eine Indikation zur medikamentösen Therapie bestehen. Dieses Verschieben erfolgt jedoch für maximal einen ganzen T-Wert bzw. in der Tabelle 3 um maximal 2 Kästchen.

Risikofaktoren

Entstehung und Ausprägung der Osteoporose sind abhängig von verschiedenen Risikofaktoren. Diese Risikofaktoren sind für die Einschätzung des Frakturrisikos wichtig und im Rahmen der Anamnese zu erfassen. Risikofaktoren können beeinflussbar und nicht beeinflussbar sein. Zwei Risikofaktoren mit wesentlichem Einfluss auf das Frakturrisiko sind das Alter der Patientin oder des Patienten und das Geschlecht. Die weiteren Risikofaktoren für die Einschätzung des sog. 10-Jahres-Frakturrisiko müssen dann erfragt werden. In Tabelle 1 sind die Risikofaktoren zusammengefasst. Wichtig ist, dass für diese erste Abschätzung des Frakturrisikos noch keine Knochendichtemessung notwendig ist. Diese erfolgt erst im zweiten Schritt, wenn ein 10-Jahres-Frakturrisiko von 20 % abgeschätzt wurde. Diese Angaben beziehen sich auf den Algorithmus nach der Leitlinie des DVO [9]. Es gibt auch andere Möglichkeiten der Risikoabschätzung wie z.B. das FRAX-Tool [10]. Diese sind in Deutschland allerdings weniger verbreitet. Eine Checkliste für die Erfassung der Risikofaktoren ist sehr hilfreich und kann bspw. auch in der Praxissoftware oder der KIS implementiert werden. Ab einem Alter von 70 Jahren bei Frauen und von 80 Jahren bei Männern wird generell eine Osteoporosediagnostik empfohlen.

In der neueren Literatur wird empfohlen, bei jeder Fraktur nach dem 50. bzw. 60. Lebensjahr zumindest an die Abklärung der Osteoporose zu denken, da eine sichere Unterscheidung zwischen adäquatem und nicht-adäquatem Trauma sehr schwierig ist und für beide Traumata ein Zusammenhang mit der Knochendichte nachgewiesen wurde [11, 12]. Von dieser Empfehlung ausgenommen sind lediglich die Hoch-Rasanz-Traumata.

Merksatz: Nach Frakturen bei Frauen nach der Menopause und Männern ab 60 Jahren sollte eine Osteoporoseabklärung erfolgen – Ausnahme sind Hochrasanztraumata.

Diagnostik

Die Basisdiagnostik der Osteoporose und die Abklärung der Ursachen erfolgt im Allgemeinen aus folgenden Bestandteilen [5]:

Anamnese zur Erfassung der Risikofaktoren und des bisherigen Krankheitsverlaufes und der Vorerkrankungen

Klinische Untersuchung zum Ausschluss von Frakturen und von typischen Veränderungen bei Osteoporose wie z.B. Tannenbaumphänomen, Witwenbuckel, Verringerung der Rumpflänge

Erfassung des Sturzrisikos, ggfs. auch mit klinischen Tests (Timed-up-and-go-Test, Chair-Rising-Test, Tandemstand, 4 m-Gehtest [13]

Bildgebende Verfahren, in erster Linie Röntgenaufnahme der BWS und LWS, ggfs. auch weitere Untersuchungen wie CT oder MRT

Knochendichtemessung mittels DXA-Verfahren an der LWS, Gesamthüfte, Schenkelhals (in Ausnahmefällen auch distaler Unterarm)

Laboruntersuchung zum Ausschluss sekundärer Ursachen (Tab. 2)

Nach Abschluss der Diagnostik und nach Ausschluss anderer Erkrankungen, die zu einer sekundären Osteoporose führen können, kann die Indikation zur spezifischen medikamentösen Therapie gestellt werden.

Indikation zur spezifischen medikamentösen Therapie der Osteoporose

Bei der Einleitung einer spezifischen medikamentösen Therapie können verschiedene Ausgangssituationen betrachtet werden. Grundsätzlich wird in der DVO-Leitlinie die Therapieschwelle bei einem 30-prozentigem 10-Jahres-Frakturrisiko angenommen. Unter diesem Frakturrisiko werden zunächst jedoch noch die Primärprävention einer osteoporotischen Fraktur und die Sekundärprävention zusammengefasst. Im Rahmen der Primärprävention wird aus den vorliegenden Ergebnissen der Basisdiagnostik und mit Hilfe der in der DVO-Leitlinie dargestellten Tabelle die Indikation zur spezifischen medikamentösen Therapie ermittelt (Tab. 3). In diese Entscheidung werden somit Alter, Geschlecht, Ergebnis der Knochendichtemessung und die relevanten Risikofaktoren eingeschlossen (Tab. 4). Hintergrund dieses Vorgehens ist, dass sich erst in der Konstellation aus den genannten Parametern das Frakturrisiko soweit modulieren lässt, dass die Therapiegrenze überschritten wird. Derzeit ist analog zu dem international verbreiteten FRAX-Risikorechner ein Risikorechner des DVO in Vorbereitung [10].

Im Falle von vorliegenden Frakturen, also der Sekundärprävention, oder starker Risikofaktoren wird die Therapieschwelle deutlich früher überschritten, sodass dann das Vorliegen weiterer Risikofaktoren, oder auch einer entsprechend erniedrigten Knochendichte, nicht mehr in die Therapieentscheidung mit einbezogen werden müssen. In der DVO-Leitlinie sind folgende Situationen aufgeführt:

Niedrigtraumatische Wirbelkörperfrakturen 2. oder 3. Grades oder auch multiple Wirbelkörperfrakturen 1. bis 3. Grades bei einem T-Wert < –2,0 am Schenkelhals oder am Gesamtfemur

Niedrigtraumatische proximale Femurfrakturen bei einem T-Wert < –2,0

Bestehende oder geplante Therapie mit oralen Glukokortikoiden ? 7,5 mg Prednisolonäquivalent täglich für > 3 Monate, wenn der T-Score < –1,5 an LWS oder Schenkelhals ist oder gleichzeitig niedrigtraumatische Frakturen an der Wirbelsäule oder dem prox. Femur vorliegen

Die Graduierung der Wirbelkörperfrakturen erfolgt hier nicht nach den klinischen häufig verwendeten Klassifikationen oder AO oder OF, sondern entsprechend eines Scorings nach Genant [14]. Dieses orientiert sich an der Ausprägung der Höhenminderung des Wirbelkörpers und klassifiziert in 3 Schweregrade. Frakturen I. Grades haben eine Höhenminderung bis 25 %, Frakturen II. Grades bis 40 % und Grad III Frakturen > 40 %.

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