Übersichtsarbeiten - OUP 11/2015

Versorgungsstrategien von osteoporotischen proximalen Humerusfrakturen

Bei nicht oder nur gering dislozierten Frakturen am proximalen Humerus kann mit konservativer Therapie ein gutes funktionelles Ergebnis erzielt werden. Die Schulterbeweglichkeit kann nach Literaturangaben etwa 85 % im Vergleich zur gesunden Schulter erreichen [16]. Zu den häufigsten Komplikationen nach konservativer Therapie zählen vor allem eine Bewegungseinschränkung sowie das subakromiales Impingement durch ein disloziertes und durch den Zug der Supraspinatussehne kranialisiertes Tuberculum majus Fragment (Abb. 2).

In einer prospektiven, randomisierten Studie wurden 38 Patienten mit einem Durchschnittsalter von 74 Jahren mit dislozierten 3- oder 4-Part-Frakturen konservativ oder operativ mittels Plattenosteosynthese behandelt [17]. Die radiologischen Ergebnisse waren in der operativen Gruppe besser, die funktionellen Ergebnisse zeigten zwischen beiden Gruppen jedoch keinen signifikanten Unterschied. Eine weitere Studie fand sogar schlechtere Ergebnisse in der operativen Gruppe bei dislozierten proximalen Humerusfrakturen Typ 11B und 11C [18].

Operative Therapie

Das Ziel der operativen Therapie von proximalen Humerusfrakturen ist eine anatomische Reposition und stabile Fixierung der Fraktur. Indikationen für eine operative Behandlung beim älteren Patienten stellen metaphysäre Trümmerzonen, Luxationsfrakturen, offene Frakturen, Frakturen mit Gelenkbeteiligung (sog. Head-Split-Frakturen) und Frakturen im Bereich des Collum anatomicum sowie Gefäß- und Nervenverletzungen dar. In der Literatur werden viele verschiedene operative Verfahren und Techniken beschrieben. Prinzipiell kann dabei zwischen kopferhaltenden und kopfersetzenden Verfahren unterscheiden werden.

Offene Reposition und winkelstabile Plattenosteosynthese

Die häufigsten Indikationen für die offene Reposition und winkelstabile Plattenosteosteosynthese stellen 2-, 3- und 4-Part-Frakturen (Abb. 3) mit Dislokation der Tuberkula und/oder des Humeruskopfs dar. Der deltoideo-pektorale Zugang bietet im Vergleich zum Delta-Split-Zugang eine bessere Übersicht und damit eine einfachere Möglichkeit zur Reposition der Fraktur. Beim Delta-Split Zugang besteht zudem eine höhere Gefahr für eine iatrogene Verletzung des Nervus axillaris. Nach Literaturangaben gibt es jedoch keinen Unterschied in den klinischen, radiologischen und elektrophysiologischen Ergebnissen zwischen dem deltoideo-pektoralen und dem Delta-Split-Zugang [19].

Die Analyse der Frakturmorphologie ist für die Operationsstrategie von zentraler Bedeutung. Zuerst sollte die vorhandene Varus- oder Valgus-Achsabweichung des Humeruskopfs korrigiert werden. Liegt zusätzlich eine Verschiebung ad latus und eine Torsionsabweichungen vor, sollte diese ebenfalls korrigiert werden. Bei 3- und 4-Part-Frakturen ist es hilfreich, das Intervall zwischen Tuberculum majus und Tuberculum minus zusammen mit dem Rotatorenmanschettenintervall zu eröffnen, um eine Impaktion des Kopfs besser adressieren zu können. Eine temporäre Kirschner-Draht-Transfixation des Kopfs an den Schaft kann die so erzielte Reposition kurzfristig sichern. Im osteoporotischen Knochen ist die temporäre Kirschner-Draht-Transfixierung aufgrund der schlechten Knochenqualität jedoch häufig nicht möglich. Alternativ kann die Rotatorenmanschette daher mit Fäden angeschlungen werden und die Fraktur darüber indirekt reponiert werden. Anatomische winkelstabile Platten bieten dann die Möglichkeit einer stabilen Fixierung des Kopfs an den Schaft. Die winkelstabilen Kopfschrauben sollten möglichst subchondral platziert werden, da in dieser Region die beste Knochenqualität vorliegt. Die Tuberkula können nach Reposition über die Fadencerclagen zusätzlich an die Platte fixiert werden [20].

Nach Literaturangaben ist die operative Versorgung von proximalen Humerusfrakturen trotz moderner winkelstabiler Osteosyntheseverfahren sehr komplikationsträchtig. In einer kürzlich veröffentlichten prospektiven Multicenter-Studie wurden gute klinische Ergebnisse ein Jahr postoperativ berichtet (Constant-Score: 70,6 Punkte, DASH-Score 15,2 Punkte). Gleichzeitig traten bei 34 % der Patienten Komplikationen innerhalb des ersten Jahres nach Operation auf [10]. Bemerkenswert ist dabei, dass 40 % der Komplikationen bereits am Ende des operativen Eingriffs ersichtlich waren. Die häufigste Komplikation war dabei die intraartikuläre Schraubenlage (14 %). Fast 20 % der Patienten wurden innerhalb des ersten Jahres operativ revidiert.

In einer Meta-Analyse der mittel- und langfristigen Ergebnisse nach winkelstabiler Plattenosteosynthese wiesen 4-Part-Frakturen im Vergleich zu 2-Part-Frakturen ein signifikant schlechteres Ergebnis auf (Constant Score 67,7 gegenüber 77,4 Punkte) [21]. Komplikationsrate von operativ versorgten proximalen Humerusfrakturen betrug laut der Meta-Analyse 48,8 %, die Revisionsrate lag bei 13,8 %. Die häufigsten Komplikationen waren hierbei eine sekundäre Varusachsabweichungen (16,3 %), das Aufteten einer Humeruskopfnekrose (10,8 %) (Abb. 4), eine intraartikuläre Schraubenlage (7,5 %), ein subakromiales Impingement (4,8 %) und Infektionen (3,5 %). In dieser Meta-Analyse stellte die intraartikuläre Schraubenlage den häufigsten Grund für eine operative Revision dar.

Die häufig nur mittelmäßigen funktionellen Ergebnisse der operativen Therapie des älteren Patienten haben zu einer kontroversen Diskussion in der jüngeren Vergangenheit geführt. Hintergrund der Diskussion ist, ob die Osteosynthese beim älteren Patienten tatsächlich einen Vorteil gegenüber der konservativen Therapie bietet. Mehrere randomisierte, kontrollierte Studien konnten keinen Nachweis einer Überlegenheit der operativen Therapie gegenüber der konservativen Behandlung erbringen.

Sanders et al. haben in einer Matched-pairs-Analyse von 18 Patienten, die mittels winkelstabiler Plattenosteosynthese versorgt wurden, und 18 konservativ behandelten Patienten bessere klinische Ergebnisse und eine niedrigere Komplikationsrate in der konservativen Gruppe gefunden [22]. Eine anatomische Reposition der Fraktur ist nach Literaturangaben der einzige prognostische Faktor, der mit einem besseren funktionellen Ergebnis assoziiert ist.

Die Bedeutung der Kalkarschrauben

Osteoporotische Frakturen am proximalen Humerus sind häufig vergesellschaftet mit einer metaphysären Trümmerzone im Bereich des medialen Kalkars [23]. Eine metaphysäre Abstützung am Kalkar mittels der sog. Kalkarschrauben scheint in der Versorgung von proximalen Humerusfrakturen insbesondere bei osteoporotischen Frakturen sinnvoll zu sein (Abb. 5). Die Platzierung von winkelstabilen Schrauben im unteren Anteil des Humeruskopfs kann einer sekundären Varusabweichung des Kopfs entgegenwirken und so das Risiko einer sekundären Dislokation reduzieren [24, 13].

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