Übersichtsarbeiten - OUP 11/2015

Versorgungsstrategien von osteoporotischen proximalen Humerusfrakturen

Bislang liegen nur wenige biomechanische Untersuchungen vor, die den abstützenden Effekt der Kalkarschrauben belegen konnten. Katthagen et al. fanden keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Stabilität in Abduktion und bei Torsion mit und ohne Kalkarschrauben im Kadaverversuch [25]. Erst nach Einsetzen eines kortikospongiösen Knochenblocks im Bereich des Kalkars war die Bruchlast mit den Kalkarschrauben unter axialer Belastung und Adduktion signifikant erhöht. Bai et al. konnten eine signifikante Zunahme der Axial- und Schersteifigkeit nach Einbringen von 2 Kalkarschrauben in einem simulierten Frakturmodel nachweisen [26]. Der stabilisierende Effekt der Kalkarschrauben war jedoch nur bei bei Vorhandensein einer metaphysären Trümmerzone und bei varisch impaktierten Frakturen messbar.

Im Gegensatz zu den inkonsistenten biomechanischen Daten weisen alle verfügbaren klinischen Studien einen positiven Einfluss der Kalkarschrauben nach. Gardner et al. veröffentlichten die erste klinische Studie über die Verwendung von zusätzlichen Kalkarschrauben und konnten dabei eine signifikante Reduktion von sekundären Dislokationen nachweisen [24]. Zhang et al. haben diese ersten Ergebnisse in einer prospektiven randomisierten Studie bestätigt. 72 Patienten (mittleres Alter 63,2 Jahre) wurden zur Hälfte mit und zur anderen Hälfte ohne Kalkarschrauben versorgt [27]. Die Patienten mit medialer Unterstützung haben signifikant bessere funktionelle Ergebnisse erzielen können. Gleichzeitig war die Rate an sekundären Dislokationen mit Verwendung der Kalkarschrauben signifikant niedriger (23,1 % vs. 3,4 %, p = 0,036). Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass die winkelstabil eingebrachten Kalkarschrauben insbesondere bei proximalen Humerusfrakturen mit metaphysärer Trümmerzone die Primärstabilität erhöhen. Zusätzlich tragen die Kalkarschrauben dazu bei, die intraoperative Reposition zu halten, was sich in einer verringerten Anzahl an sekundären Dislokationen wiederspiegelt.

Die Bedeutung der Zementaugmentation

Die Zementaugmentation wird seit längerer Zeit erfolgreich bei der Versorgung von proximalen Femurfrakturen eingesetzt. Biomechanische Untersuchungen konnten auch am proximalen Humerus nachweisen, dass mit Hilfe der Zementaugmentation die Primärstabilität insbesondere bei osteoporotischen Frakturen verbessert werden kann [28]. Klinische Daten sind aktuell noch nicht veröffentlicht. Aktuell wird eine europaweit angelegte prospektive, randomisierte Multicenterstudie durchgeführt, die den Nachweis einer Überlegenheit der Zementaugmantation bei der Versorgung von osteoporotischen proximalen Humerusfrakturen zeigen soll.

Geschlossene Reposition und
Nagelosteosynthese

Nagelosteosynthesen versuchen die hohe Stabilität rigider Implantate mit der guten Weichteilschonung minimalinvasiver Verfahren zu vereinigen. Indikationen für die Nagelung bestehen bei ausgeprägter metaphysärer Trümmerzone oder Spiralfrakturen, die in den Humerusschaft übergehen. Jüngere Studien, die unterschiedliche moderne winkelstabile winkelstabile Platten mit Humerusnägeln verglichen haben, konnten keine Unterschiede im funktionellen Ergebnis feststellen [30].

Prothetischer Gelenkersatz

Trotz moderner winkelstabiler Platten- und Nagelsysteme können nicht alle proximalen Humerusfrakturen anatomisch rekonstruiert werden. Bei 3- und 4-Part-Frakturen des proximalen Humerus besteht nach aktueller Studienlage bei Head-Split-Frakturen, fortgeschrittener Osteoporose oder nach fehlgeschlagener Osteosynthese die Indikation zum endoprothetischen Gelenkersatz. Grundsätzlich kann hierbei zwischen einer anatomischen Frakturprothese (in der Regel als Hemiprothese) und einer inversen Prothese unterschieden werden.

Anatomische Frakturprothese

Um ein zufriedenstellendes Ergebnis nach Versorgung einer proximalen Humerusfraktur mit einer anatomischen Frakturprothese zu erzielen, sind die regelrechte Einheilung der Tuberkula, die Wiederherstellung der korrekten Höhe des Humeruskopfs sowie die Rekonstruktion des Offsets und der Retroversion von zentraler Bedeutung (Abb. 6) [16].

Das Design der Frakturprothesen wurde in den vergangenen Jahren konsequent weiterentwickelt, um diesen Forderungen gerecht zu werden. Trotz Verbesserungen im Prothesendesign besteht jedoch nach Angaben in der Literatur eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem subjektiven und dem tatsächlichen funktionellen Ergebnis nach Implantation einer anatomischen Frakturprothese – die erzielten subjektiven Ergebnisse sind meist deutlich besser als die objektive Schulterfunktion [31, 32].

In einer retrospektiven multizentrischen Studie mit einem Follow-up von mindestens einem Jahr gaben 79 % der Patienten keine oder nur geringe Beschwerden an. Im Gegensatz dazu waren nur 34,7 % der Patienten dazu in Lage, den betroffenen Arm bis zur Horizontalen zu abduzieren [32].

Die Ergebnisse einer randomisierten, kontrollierten Studie zeigten einen signifikanten Vorteil in der Lebensqualität für die anatomische Frakturprothese im Vergleich zur konservativen Behandlung bei älteren Patienten mit 4-Part-Frakturen [33]. Der Hauptvorteil lag vor allem in der Schmerzreduktion. Die erzielte Beweglichkeit war in beiden Gruppen gleich. Eine retrospektive Kohortenstudie verglich die offene Reposition und winkelstabile Plattenosteosynthese mit der Hemi-Frakturprothese bei 3- und 4-Part-Frakturen [34]. Dabei konnte mit der Frakturprothese ein besseres klinisches Ergebnis (Constant-Score 74,6 gegenüber 63,8 Punkte) trotz einer insgesamt höheren Komplikationsrate erzielt werden.

Die häufigsten Komplikationen bei der Frakturendoprothetik sind intraoperativ iatrogene periprothetische Frakturen (5 %) und Verletzungen des N. axillaris (5 %). Häufige Frühkomplikationen stellen die sekundäre Dislokation der Tuberkula (23 %), die Entstehung einer Arthrofibrose (5 %), Instabilität (15 %) und Infektion (6 %) dar. Als häufigste Spätkomplikationen kommt es zu einer Resorption der Tuberkula (7 %, Abb. 7) oder einer sekundären Rotatorenmanschetteninsuffizienz (23 %), sehr häufig wird eine sekundäre Glenoidarthrose beobachtet (35 %) [35]. Zur Vermeidung der Spätkomplikationen ist eine Refixation der Tuberkula im Rahmen der Primärversorgung erforderlich. Die kombinierte Refixation der Tuberkula mittels Faden- und Drahtcerclagen weist dabei bessere radiologische und funktionelle Ergebnisse auf als die isolierte Fadencerclage [36].

Inverse Prothese

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