Übersichtsarbeiten - OUP 09/2018

Chancen der Telemedizin für O&U

Michael Nerlich1, Tanja Herbst1, Antonio Ernstberger1, Markus Blätzinger2

Zusammenfassung: Telemedizin bzw. eHealth sind heute nicht mehr aus dem medizinischen Alltag wegzudenken. In sämtlichen Bereichen von Orthopädie und Unfallchirurgie sind – von der Präklinik, Klinik bis hin zur Nachsorge – inzwischen durch diverse elektronische Möglichkeiten deutliche Verbesserungen in den Kommunikationsstrukturen zu verzeichnen, was sich eindeutig positiv auf die Qualität der Patientenversorgung auswirkt.

Nachdem anfangs diverse Insellösungen existierten, es aber fachbereichsübergreifend an einrichtungsübergreifenden Systemen mangelte, hat die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) zusammen mit der AUC – Akademie der
Unfallchirurgie GmbH durch Festschreibung der Rahmenbedingungen im Weißbuch Schwerverletztenversorgung den Weg für ein flächendeckendes, schnittstellenkompatibles Teleradiologiesystem geebnet. Nichtsdestotrotz existieren nach wie vor Kommunikationsdefizite, vor allem sektorenübergreifend, die künftig – unterstützt durch Methoden und Systeme der eHealth – zu optimieren sind. Insgesamt ist ein Bestreben hin zu patientenzentrierten Lösungen (aktive Mitwirkung des Patienten) zu beobachten.

Schlüsselwörter: Telemedizin, Orthopädie und Unfallchirurgie, Traumanetzwerk, Teleradiologie, Telekooperation TKmed®,
TeleQualy

Zitierweise
Nerlich M, Herbst T, Ernstberger A, Blätzinger M: Chancen der
Telemedizin für O&U.
OUP 2018; 7: 432–440 DOI 10.3238/oup.2018.0432–0440

Summary: Telemedicine or eHealth today are important tools of everyday medical life. In all areas – from the preclinic, clinic to aftercare – significant improvements in communication structures have been noticed through various eHealth options, which have significant positive effects on the quality of patient care in orthopedics and trauma surgery.

At the beginning, there were several isolated solutions and many small individual projects, but there was a lack of interdisciplinary and comprehensive systems in all health care fields. The German Trauma Society (DGU) took the lead together with AUC and paved the way for a modulated, comprehensive, interface-compatible teleradiology system. Nevertheless, there are still deficits across all sectors, which in the future will have to be optimized by eHealth methods and systems. Overall, there is an effort towards patient-centered solutions (mature patient).

Keywords: telemedicine, orthopedics and trauma surgery, TraumaNetwork, teleradiology, telecooperation TKmed®,
TeleQualy

Citation
Nerlich M, Herbst T, Ernstberger A, Blätzinger M: Opportunities of telemedicine for orthopedics and trauma surgery.
OUP 2018; 7: 432–440 DOI 10.3238/oup.2018.0432–0440

1 Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Regensburg

2 AUC – Akademie der Unfallchirurgie GmbH, München

Entwicklung und Notwendigkeit der Telemedizin
von der Präklinik bis
hin zur Nachsorge

Der Ursprung der Entwicklung telemedizinischer Strategien und Lösungen liegt in der Erkenntnis eines grundlegenden Kommunikationsdefizits begründet. Heutzutage ist allgemein bekannt, dass Kommunikation – in welcher Form auch immer – selten ohne Informations- bzw. Wahrnehmungsverzerrungen zwischen Sender und Empfänger funktioniert. Die Botschaft des Senders wird meist unvollständig übertragen und darüber hinaus vom Empfänger bei weitem nicht gleichbedeutend aufgefasst. Insbesondere in der Medizin, in der reibungslose Kommunikation ohne Zeitverluste zwischen Präklinik, Klinik und Nachbehandlung essenziell – also im wahrsten Sinne des Wortes lebensnotwendig – ist, werden alle möglichen Hebel in Bewegung gesetzt, um Informationen möglichst effektiv zu übermitteln. Telemedizinische Lösungen dienen dazu, Informationen möglichst zeitsparend, strukturiert, zielgerichtet, lückenlos und vollständig zwischen Sender und Empfänger zu übermitteln.

Seit einigen Jahren leitet die Telemedizin einen Wandel in den medizinischen Strukturen und Sektoren ein. Die Abläufe in Kliniken und Krankenhäusern werden mehr und mehr durch elektronische Kommunikationssysteme gestützt, welche die ärztliche Tätigkeit in vielen Bereichen erleichtern. Die Entwicklung und Implementierung von eHealth-Systemen setzt sich auch deswegen rapide durch, weil vor allem für den medizinischen Nachwuchs der Umgang mit IT, Technik und der Datenaustausch über soziale Medien bereits selbstverständlich ist und ohne Vorbehalte akzeptiert wird.

Gerade in der Orthopädie und Unfallchirurgie wurden in den vergangenen Jahren vielerlei Fortschritte im Bereich der Telemedizin erzielt. Die Kommunikation zwischen Präklinik und Klinik wird zunehmend elektronisch unterstützt, und auch die Übertragung radiologischer Bilddaten zwischen Kliniken in einem Traumanetzwerk wurde flächendeckend ausgebaut. Darüber hinaus zeigt sich im Bereich der Orthopädie und Unfallchirurgie unter dem Stichwort „patient empowerment“ ein Trend zum mündigen und informierten Patienten, der vor allem in Diagnosefindung und Behandlungsablauf eingebunden und selbstbestimmt beteiligt werden möchte. Weniger attraktiv sind für Patienten derzeit noch Onlinechats oder Videotelefonate mit dem behandelnden Arzt, hingegen werden webbasierte Organisationstools wie z.B. eine Online-Terminvereinbarung positiv angenommen [4]. Erste richtungsweisende Schritte zu größerer Akzeptanz und vermehrter Implementierung von telemedizinischen Lösungen sind auch im Bereich der Nachsorge unternommen worden, vor allem in den Praxen niedergelassener Kollegen.

Präklinische Versorgung

Deutschlandweit ist im präklinischen Bereich seit einigen Jahren ein länderübergreifender Versorgungsmangel zu beobachten. Diverse Strukturänderungen (z.B. demografische Entwicklung, medizinischer Fortschritt, der Rückgang von Arztpraxen auf dem Land, Hausärztemangel, Arbeitsüberlastung von Krankenhausärzten, Schließung von Krankenhäusern etc.) führen dazu, dass in ruralen Gebieten weniger Ärzte verfügbar sind. Die Verfügbarkeit von Haus- und Fachärzten ist zunehmend regional ungleich verteilt. Mit dem Ärztemangel in ländlichen Gegenden stehen dort gleichermaßen auch weniger Ärzte für einen fachlich qualifizierten Einsatz als Notarzt zur Verfügung. Durch diese Ressourcenknappheit bei Ärzten und Notärzten kommt es zu einer unzureichenden Patientenversorgung in der Präklinik. Die in vielen Bundesländern übliche 12-Minuten-Frist vom Eingang des Notrufs an der Leitstelle bis zum Eintreffen am Unfallort kann oft nicht eingehalten werden. Vor allem in dünn besiedelten Gebieten auf dem Land sind die Auswirkungen dieses Notarztmangels zu spüren. Wenn der Notarzt nicht rechtzeitig vor Ort sein kann, hat dies u.U. erhebliche Auswirkungen auf das Outcome des Patienten.

Trotz dieses Strukturwandels muss unbedingt eine hochqualitative und auch wirtschaftliche Patientenversorgung sichergestellt sein. Mittlerweile wird seit knapp 30 Jahren bundesweit fachbereichsübergreifend sehr intensiv an diversen präklinischen Methoden in diesem Zusammenhang geforscht, um Ideen und Möglichkeiten zu entwickeln, den Fachärzte- und Notarztmangel in ländlichen Gebieten zu überbrücken bzw. um die damit einhergehenden Probleme durch elektronische Lösungen zu kompensieren.

Anfänge der Telemedizin in Regensburg: NOAH

Die präklinischen Versorgungslücken vor allem in Flächenstaaten können sehr gut durch Telematik-Lösungen geschlossen werden. Die Telemedizin ist hier ein adäquates Instrument, um in der Notfallversorgung Distanzen zu überwinden und wichtige Informationen schnell vom Unfallort ins Krankenhaus zu transportieren. Vor allem in akut lebensbedrohenden Situationen ist ein rascher, elektronischer Austausch von Informationen essenziell. Hier sind Schlaganfall- und Herzinfarktnetzwerke bereits weit vorangeschritten, doch auch die Traumatologie mit ihren schwerstverletzten Patienten ist abhängig von bestmöglichen präklinischen Strukturen, gestützt von praktikablen telemedizinischen Systemen, mit denen es möglich ist, Patienten vom Unfallort bis zur Einlieferung ins Krankenhaus optimal zu versorgen.

Am Universitätsklinikum Regensburg gab es bereits vor 20 Jahren erste Vorstöße, mit Telematik-Lösungen die Kommunikation zwischen Präklinik und Klinik zu optimieren. Hierbei wurde das Augenmerk vor allem auf die strukturierte, elektronische Informationsübermittlung vom Notarzt zum Krankenhaus gelegt. Im Projekt NOAH (Notfall-Organisations- und Arbeitshilfe) [8] werden Daten an der Einsatzstelle elektronisch erhoben, die dann wenige Sekunden später in übersichtlicher, strukturierter Form der Rettungsleitstelle bzw. der Zielklinik zur Verfügung stehen. In einem Feldversuch konnte die prinzipielle technische wie auch konzeptionelle Eignung des NOAH-Systems für eine verlustfreie Datenübertragung belegt werden. Für das Zielkrankenhaus ergab sich durch den Einsatz des NOAH-Systems ein Zeitgewinn von über 20 Minuten. Auch konnte belegt werden, dass sich die Quantität und vor allem die Qualität der übermittelten Information deutlich verbesserte [9].

Im Regensburger Projekt NOAH wurde erstmals die Machbarkeit eines derartigen Datenübertragungssystems für den Rettungsdienst nachgewiesen. Diese innovative Projektidee wurde anschließend aufgegriffen und weiterentwickelt bis hin zum Notfall-Informations-Dokumentations-Assistenten (NIDA) [18]. Dieser ist ähnlich einem Tablet konzipiert und für den mobilen Einsatz in der Präklinik bestimmt. Das System dokumentiert und überträgt verschiedene Daten eines Notfalleinsatzes oder Krankentransports in die Zielklinik, z.B. Patientendaten, Vitaldaten, logistische Daten und medizinische Maßnahmen. Das NIDA-Pad konnte 2014 im Rahmen des Projekts „Telematik II“ durch das Bayerische Rote Kreuz und das Bayerische Innenministerium landesweit in allen öffentlich-rechtlichen Rettungsfahrzeugen der Rettungsdienstbereiche implementiert werden und ist heute aus der täglichen präklinischen Arbeit nicht mehr wegzudenken, da es Zeit spart und Leben rettet. Das NIDA-Pad erleichtert die präklinische Arbeit, indem es den Datenfluss beschleunigt und strukturiert. Dadurch werden Prozesse vereinfacht und Kommunikationsfehler weitgehend eliminiert. Darüber hinaus ist eine exakte und lückenlose Dokumentation möglich, sodass der gesetzlichen Forderung durch das BayRDG nach Qualitätsmanagement und wissenschaftlicher Auswertung entsprochen wird [19].

Etablierung in der Präklinik: Telenotarzt

Heute haben sich derartige präklinische Konzepte, deren Grundfunktionen bereits vor einigen Jahren im Regensburger NOAH-Projekt erstmals auf grundsätzliche Machbarkeit hin getestet worden sind, flächendeckend ausgebreitet. Beispielsweise hat sich der Aachener Telenotarzt-Dienst [21] etabliert, der notärztliche Kompetenz sofort und überall verfügbar macht. Der Telenotarzt-Dienst unterstützt vor allem die Rettungsdienste bei der präklinischen Versorgung und begleitet Patiententransporte. Die Kommunikationseinheit des Telenotarzt-Dienstes ermöglicht sichere und zuverlässige Sprach- und Datenkommunikation via Mobilfunk (Audio, Video, Vitaldaten, Fotos). Diese Art und Weise der Übertragung vielfältiger, relevanter Informationen sorgt letztendlich für eine höhere Qualität in der Versorgung von Notfallpatienten, steigert die Effizienz im Einsatz rettungsdienstlicher Ressourcen und verbessert den nahtlosen Informationsfluss entlang der gesamten Rettungskette.

Auch das Konzept „Telenotarzt Bayern“, das im Rettungsdienstbezirk Straubing seinen Ursprung nahm, revolutioniert derzeit die moderne rettungsdienstliche Versorgung [22]. Der Fokus liegt bei diesem eHealth-Modell auf der Unterstützung des Rettungsdienstes am Unfallort, um das therapiefreie Intervall bis zum Eintreffen des Notarztes an der Unfallstelle zu verringern. Dem Telenotarzt steht modernste Technologie zur Verfügung, ihm werden Bilddaten und medizinische Daten live durch den Rettungsdienst vor Ort übertragen, sodass er unmittelbar virtuell in die Versorgung eingebunden ist. Bei Eintreffen des Notarztes vor Ort wird an diesen übergeben.

In beiden genannten Telenotarzt-Projekten wird explizit Wert auf die Datensicherheit gelegt, sodass die personenbezogenen Patientendaten bestmöglich nach neuesten Standards geschützt sind. Der Patient profitiert von diesen Systemen enorm, da das therapiefreie Intervall via Telemedizin verkürzt wird, indem frühestmöglich notärztliche Kompetenz zum Patienten getragen wird.

Inner- und interklinische Kommunikation: Telekooperation TNW/TKmed

Neben dem telemedizinischen Fortschritt im Bereich präklinischer Versorgungsstrukturen sind auch Modifizierungen der Kommunikation in der inner- und interklinischen Kommunikation zur Verbesserung der Versorgungsqualität unerlässlich. Bei der Behandlung von Herzinfarkt- und Schlaganfallpatienten ist der Einsatz telemedizinischer Mittel bereits weit fortgeschritten. Aber auch in unserem Fachbereich, der Orthopädie und Unfallchirurgie, profitieren wir vor allem bei der Schwerverletztenversorgung und Notfallmedizin in lokalen, regionalen und überregionalen Traumazentren von einer effizienten teleradiologischen Vernetzung.

Bereits im Jahr 2009 gab es im TraumaNetzwerk Ostbayern (TNO), bestehend aus 25 zertifizierten Traumazentren unterschiedlicher Versorgungsstufen, erste Überlegungen zu teleradiologischer Bildübermittlung innerhalb des TNO. Das rurale Ostbayern ist im Vergleich zu den Ballungsräumen dünn besiedelt, sodass weite Distanzen zwischen den Kliniken zu überbrücken sind. Das TNO hatte mit dem Universitätsklinikum Regensburg (UKR) lediglich einen einzigen zentralen Maximalversorger. Bislang gab es zwar Insellösungen im Bereich der Telemedizin auf dem Markt, die jedoch nicht herstellerunabhängig eingesetzt werden konnten. Die Kliniken arbeiten mit unterschiedlichen „klinikweiten Informationssystemen“ (KIS), die nur unzureichend mit teleradiologischen Systemen anderer Hersteller kompatibel sind. Die Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Regensburg zeigte daher großes Interesse daran, zeitnah eine funktionierende, schnittstellenkompatible und vor allem herstellerunabhängige elektronische Telekommunikation im regionalen TraumaNetzwerk Ostbayern zu implementieren und begann während der Jahre 2010–2012, einen neuen, für die regionalen Bedürfnisse passenden Prototyp namens Exdicomed zu entwickeln. Das vielversprechende ostbayerische Projekt Exdicomed konnte durch das Programm „Leitprojekte Medizintechnik“ des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie (StMWi) in Kombination mit EFRE-Fördermitteln (Europäischer Fonds für Regionale Entwicklung in Bayern) realisiert werden. Dieses innovative Projekt, welches gängige Dateiformate (DICOM, JPG, PDF etc.) verarbeiten kann, wurde flexibel, sicher, herstellerunabhängig und schnittstellenkompatibel gestaltet. Es war damit für alle interessierten Kliniken und TraumaNetzwerke in technischer Hinsicht problemlos nutzbar. Das TNO mit seinen 25 Kliniken stand während der Testphase als Pilotnetzwerk zur Verfügung. Bereits während der 2-jährigen Projektentwicklungsphase am UKR gab es sehr positive Resonanzen seitens der Pilotklinik auf dieses neuartige System. Es wurden rundum positive Auswirkungen auf die Versorgungsqualität beobachtet.

Auf der Basis dieses erfolgreichen, stabil funktionierenden und innovativen bayerischen Pilotprojekts wurde 2012 die AUC von der DGU beauftragt, das radiologische Datenübertragungssystem TKmed [23] zu entwickeln, das bundesweit in den medizinischen Alltag bzw. in die TraumaNetzwerke DGU integriert werden konnte, sodass letztendlich das erklärte Ziel umfangreich realisiert werden konnte, durch den Einsatz von Telekommunikation die Patientensicherheit zu erhöhen und das Outcome schwerstverletzter Patienten zu steigern [7]. Nicht zuletzt die Festschreibung funktionierender Teleradiologie durch die DGU im Weißbuch Schwerstverletztenversorgung (Abb. 1) trug zu flächendeckender Implementierung der Telemedizin in deutschen Traumanetzwerken bei. Inzwischen sind über 500 Empfänger aller Versorgungsstufen an das System Telekooperation TNW/TKmed angebunden, darunter zahlreiche Universitäts- und BG-Kliniken [15]. Die AUC stellt federführend dieses schnittstellenkompatible und vor allem datenschutzkonforme teleradiologische System im Auftrag der DGU zur Verfügung, welches initial vom Universitätsklinikum Regensburg mit Projektnamen Exdicomed zwischen 2010 und 2012 entwickelt worden ist [10, 11].

TKmed hat von Anfang an eine eigene Entwicklungsphilosophie verfolgt. Während der Fokus von vielen Anbietern ausschließlich auf die „Technik“ von Telekooperationssystemen gelegt wurde, hat TKmed schon immer den Anwender als entscheidende Komponente im Blick gehabt. Klinische Realität, die durch Technologie unterstützt wird, so lautete die Devise. Daher gilt TKmed bis heute als das Netzwerk „von Ärzten für Ärzte“. Traumazentren der verschiedenen Versorgungsstufen sind auf eine schnelle und funktionierende Kommunikation untereinander angewiesen, insbesondere um wertvolle Zeit bei der Versorgung von Schwerstverletzten zu sparen und um Expertise (Second Opinion) in die kleineren Häuser der Peripherie zu tragen. Hier können wertvolle Zeit eingespart und möglicherweise Patientenverlegungen vermieden werden, sodass die Qualität der Patientenversorgung deutlich ansteigt.

Notfallverlegung

Im Jahr 2008 bildeten sich in Deutschland erste zertifizierte TraumaNetzwerke DGU (TNW). Das sind regionale Klinikzusammenschlüsse von 10–30 Traumazentren mit einem Maximalversorger (meist ein Universitätsklinikum) im Zentrum. Gemäß den Empfehlungen des Weißbuchs zur Schwerverletztenversorgung der DGU sollte gleichzeitig eine sichere, praxisorientierte und stabil funktionierende Kommunikationsplattform innerhalb dieser Traumanetzwerke realisiert werden, um radiologische Bilddaten und Patientendokumente datenschutzkonform zwischen den nunmehr vernetzten Kliniken versenden zu können (Abb. 2). Ziel dieser Implementierung digitaler Kommunikation in Traumanetzwerken war es, die medizinische Prozessqualität und das Outcome bei der (Notfall-)Versorgung schwerstverletzter Patienten zu steigern, die Patientensicherheit durch Verfügbarmachen von Expertise in der Peripherie zu verbessern und den Workflow in Kliniken und Praxen effizienter zu gestalten. Insgesamt sollten die regionalen Qualitätsunterschiede bei der Versorgung von Traumapatienten eliminiert werden, sodass deutschlandweit alle Kliniken einen einheitlich hohen Behandlungsstandard für schwerstverletzte Patienten bieten.

Die teleradiologische Vernetzung von Kliniken eines Traumanetzwerks hat sich vor allem im Bereich der Notfallverlegung bewährt. Oftmals wird ein Schwerstverletzter in einem lokalen oder regionalen Traumazentrum initial versorgt und dann zum Maximalversorger weiterverlegt. Früher wurden die radiologischen Aufnahmen im lokalen Traumazentrum auf CD gebrannt und dem Patiententransport mitgegeben, sodass erst bei Eintreffen des Patienten im größeren Krankenhaus die Bilder in den PC eingespielt und betrachtet werden konnten. Hier hat man wertvolle Minuten bei der Patientenversorgung verloren. Heute können mit Hilfe der Teleradiologie die radiologischen Bilddaten, die im erstversorgenden Haus angefertigt worden sind, in Sekundenschnelle an den Maximalversorger übermittelt werden. Dort können die Bilder noch vor Eintreffen des Patienten betrachtet und entsprechende Maßnahmen zur Patientenbehandlung getroffen werden. Gleichzeitig wird damit auch der klinikinterne Workflow effizienter gestaltet.

Second Opinion

Das Einholen einer ärztlichen Zweitmeinung ist eine wesentliche Komponente der Selbstbestimmtheit des modernen Patienten. Dieser ist oft unsicher, inwiefern einer medizinischen Aussage gefolgt werden kann. Heute raten die meisten Ärzte den Patienten dazu, bei Bedenken die Zweitmeinung eines Kollegen einzuholen. Hier öffnen sich Entscheidungsspielräume bzw. es werden Unsicherheiten durch 2 identische Aussagen eliminiert. Einige Fachärzte bieten hierfür bereits Tele-Sprechstunden an, sodass sich die Fahrt in die Praxis oder Klinik für den Patienten erübrigt, was besonders in strukturschwachen Regionen Vorteile hat.

Die Second Opinion (Zweitmeinung) per TKmed bringt hohen Patientennutzen, da Expertise in kleinere, periphere Krankenhäuser des TraumaNetzwerks getragen wird, was u. U. unnötige Verlegungen (strapaziös) oder Doppeluntersuchungen (Strahlenbelastung) vermeidet. Die Bilder werden per Knopfdruck an den Experten beim Maximalversorger geschickt, der diese am Bildschirm befundet und diesen Befund schließlich an die behandelnden Ärzte im anfragenden Krankenhaus rückmeldet (Abb. 3). Die Behandlungskompetenz in kleineren Krankenhäusern verbessert sich durch diese teleradiologische Second Opinion.

Zuweiserbindung und
Patient Empowerment durch TKmed-Direkt

Im Oktober 2015 ist TKmed den nächsten innovativen Entwicklungsschritt mit der Verfügbarkeit des Moduls TKmed-Direkt gegangen. Dieser Schritt bedeutet die gleichberechtigte Teilhabe des Patienten und seiner Angehörigen an einer digitalen Kommunikationslösung, also ein patientenzentriertes, digitales System. Zusammengefasst sehen die Entwicklungsschritte also wie folgt aus: Technikzentriertes System (Vergangenheit) > Arztzentriertes System (Gegenwart) > Patientenzentriertes System (Ziel, Zukunft).

Patienten, niedergelassene Fachärzte und Reha-Einrichtungen sollten nun von jedem internetfähigen PC aus eigene radiologische Bilder über die Kommunikationsplattform an den zuständigen Empfänger senden. Die Kommunikationskompetenz der Patienten als mündige Bürger wird dadurch gefördert und gestärkt, sie können gleichberechtigt und auf Augenhöhe am Behandlungsablauf teilhaben. Eine unmittelbare, umfassende, redundanzfreie Kommunikation für bestmögliche Patientensicherheit und schnelle Behandlungsabläufe wird dadurch ermöglicht. Außerdem verringert sich die Belastung für den Patienten, wenn er radiologische Bilddaten und Patientendokumente direkt online an seinen behandelnden Arzt am Klinikum senden kann: Wartezeiten und unnötige Klinikanfahrten über weite Strecken fallen weg, Doppeluntersuchungen mit unnötiger Strahlenbelastung werden vermieden. Auch der innerklinische Workflow wird erleichtert, was letztendlich den Patienten zugutekommt. Gleichzeitig können die Kosten für das Gesundheitssystem bei verbesserter Versorgungsqualität gesenkt werden.

Qualität der Telekommunikation: TeleQualy

Das Projekt TeleQualy-I evaluiert seit 12/2014 das Teleradiologiesystem TKmed. Diese gemeinsame Studie der AUC und der Klinik für Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Regensburg beinhaltet eine kontinuierliche Anwenderevaluation und Userbefragung. Anschließend werden die jeweiligen Ergebnisse wissenschaftlich ausgewertet. Im Zuge der ständigen technischen Weiterentwicklung werden nicht nur die technischen, objektiven Daten und Transferzahlen überprüft: Durch die Evaluation mit TeleQualy werden darüber hinaus auch aktiv die Wünsche und Anregungen der Anwender abgefragt und berücksichtigt, gemäß dem Motto „von Ärzten für Ärzte“ [2]. Dieses wichtige Feedback, basierend auf den Erfahrungen der klinischen Anwender, führt zu sinnvollen und zeitnahen technischen Modifizierungen. Auch derzeit wird wieder eine aktuelle Umfrage zur Nutzung und zum Nutzen radiologischer Systeme in den Unikliniken Deutschlands – Fachbereiche O&U – durchgeführt.

Künftig soll durch die Studie TeleQualy-II auch das Zusatzmodul TKmed-Direkt vor allem hinsichtlich der Patientensicherheit und Patientenzufriedenheit wissenschaftlich evaluiert und ausgewertet werden, also die unmittelbare Kommunikation zwischen stationären Einrichtungen und dem Patienten oder niedergelassenen Facharzt. Besonders bei dieser neuen, unmittelbaren Anbindung von Patienten und Facharztpraxen ist es notwendig, die Anwendung gründlich zu evaluieren, Feedback von dieser Anwendergruppe einzuholen und umfassend wissenschaftlich auszuwerten, um das System ständig an die Gegebenheiten anzupassen und immer weiter zu optimieren.

Postklinisch:
Nachbehandlung, Reha,
Praxen/Niedergelassene

Der Grundgedanke telemedizinischer Modelle ist die Überwindung räumlicher Distanzen. Die Chancen der Digitalisierung für die Bildübertragung zu nutzen, wurde international dort zuerst erkannt und genutzt, wo mangels Humanressourcen die medizinische Versorgung unzureichend war. Die ersten Schritte der eHealth am Universitätsklinikum Regensburg orientierten sich daher ins Ausland, um per Videoübertragung die Expertise eines deutschen Universitätsklinikums in die medizinisch oft unterversorgten Entwicklungs- und Schwellenländer zu tragen. Bereits seit 1998 arbeitet das Universitätsklinikum Regensburg an einem Projekt der G8-Staaten mit. Die Projektgruppe entwickelte im Jahr 2002 Empfehlungen zur Telekonsultation im klinischen Praxisbetrieb [5]. Die darin verankerten Empfehlungen stellten einen ersten Schritt zur Entwicklung einer allgemeinen Leitlinie für die Praxis der Telemedizin/Telekonsultation dar. Die Regensburger Forscher waren bereits damals sehr erfahren im Bereich der Telemedizin und daher von Beginn an federführend beteiligt an der International Society for Telemedicine & eHealth (ISfTeH). Sie konnten ihre Erfahrungen mit eHealth und Telemedizin gewinnbringend einsetzen, die ISfTeH sinnvoll umstrukturieren von einer Individualmitgliedschaft hin zu einer Ländermitgliedschaft, sodass die Gesellschaft nun als einflussreiche internationale Dachgesellschaft mit Verlinkung zur WHO die ihr immanenten Ziele weltweit wahrnehmen kann. Ziel dieser internationalen Vereinigung ist es, Wissen und Erfahrung in Telemedizin und eHealth weltweit zu verbreiten und den Zugang zu anerkannten Experten auf diesem Gebiet zu erleichtern. Die Telemedizin und eHealth in Deutschland konnte u.a. durch diese gesellschaftliche Verortung eine hohe Akzeptanz in der Ärzteschaft erwirken und bereits damals einen ersten Aufschwung verzeichnen [6].

Erste internationale Gehversuche der Telemedizin waren also durchaus erfolgreich und somit entwickelte sich rasch die Idee, Telemedizin auch im vermeintlich medizinisch gut versorgten Deutschland zu nutzen. Bei näherer Betrachtung gab es nämlich durchaus Defizite, z.B. bei der Anbindung an ein überregionales Krankenhaus, vor allem in Flächenstaaten wie beispielsweise Ostbayern, oder bei älteren bzw. immobilen Patienten, die Probleme mit der Überwindung weiterer Strecken haben. Diverse prä- und interklinische eHealth-Strukturen entwickelten sich seitdem rapide.

Im Bereich O&U publizierten Eberl et al. 2005 die Ergebnisse einer prospektiven, randomisierten Studie der BG Kliniken Bergmannsheil Bochum zur Nachbehandlung von Patienten nach Ellenbogengelenkarthrolyse per Televisite [1]. Es wurden keine signifikanten Unterschiede im Outcome zur herkömmlichen Nachsorge festgestellt, aber die Patienten zeigten große Zufriedenheit mit der Handhabung der Televisite. Zudem ist die Zeitersparnis sowohl auf Patientenseite (Anfahrtswege fallen weg) als auch beim Arzt als positiv zu verzeichnen. „Insgesamt ergeben sich für den Patienten subjektive Verbesserungen wie eine frühere Rückkehr in die häuslich-familiäre Umgebung, die damit verbundene kürzere Rekonvaleszenz und eine raschere Wiedereingliederungsmöglichkeit in den Arbeitsprozess bei entsprechender persönlicher und umweltabhängiger struktureller Voraussetzung. Insgesamt ist über das Medium der Televisite unter Ausnutzung der heute vorhandenen technischen Möglichkeiten ein sinnvoller Einsatz im medizinischen Bereich realisierbar und damit einhergehend eine Optimierung der Partnerschaft Arzt – Patient unter Einbeziehung von subsidiären Kollateralstrukturen wirksam möglich und eine Erweiterung des Einsatzgebietes vorstellbar“ [1].

Im Projekt INTERLIFE aus dem Jahr 2004 arbeiteten die Universität Regensburg (ICT Regensburg) und die Aristotelian University of Thessaloniki (Medical School & Lab of Medical Informatics) gemeinsam an der Umsetzung eines bereits entwickelten, innovativen Home-care-Systems, welches frühzeitige Entlassungen aus Krankenhäusern und eine auf elektronischer Kommunikation basierende, intensive Nachsorge des Patienten zu Hause anstrebte. Schwerpunkt dieses EU-Projekts war die Umsetzung eines Prototyps für das schnurlose „Home Monitoring“ (im CHS-Vorgängerprojekt entwickelt) hin zu einem vermarktbaren Produkt. Hierfür wurde Marktforschung betrieben, und auch die Kontaktaufnahme mit potenziellen kommerziellen Anbietern und Zielgruppen gehörte zum Umfang des Projekts. Abgerundet wird das genannte Unterfangen mit einer Studie, deren Patientenbeteiligung die Vorteile des Systems belegen soll [3].

Televisite, Homecare und
Videosprechstunde

Ärztemangel – vor allem in ländlichen Regionen – kann mit telemedizinischen Projekten teilweise aufgefangen werden. Dort wurden die Chancen der Telemedizin gut genutzt und sie werden nach und nach ausgebaut und weiterentwickelt. Ein aktuelles und preisgekröntes eHealth-Konzept ist der Tele-Arzt [20]. Dieses Modell richtet seinen Fokus hauptsächlich auf den hausärztlichen Bereich. Der Arzt wählt vorab geeignete Patienten aus und delegiert einige Aufgaben wie beispielsweise die Aufnahme der Vitalparameter etc. auf besonders ausgebildete Tele-MFA (medizinische Fachangestellte), die den Patienten vor Ort betreuen und die Daten auf elektronischem Wege zurück in die Praxis übertragen. Der Arzt befundet in seiner Praxis die übertragenen Daten und schaltet sich bei Bedarf via Videotelefonie ein. Dies spart für den Arzt Zeit und Ressourcen, und dennoch wird der Patient zu Hause betreut und dem Arzt werden aktuelle Gesundheitsdaten zur Verfügung gestellt. Unterstützt wird dieses Konzept durch die Kooperation einiger Krankenkassen. Dieses funktionierende und damit zukunftsträchtige Konzept konnte den Telematik-Award 2017 für sich gewinnen. Die Fachbereiche Orthopädie und Unfallchirurgie könnten sich im klinischen Alltag dieses Modell zunutze machen, indem es bei geeigneten Nachsorge-Patienten angewendet wird, die zur Sprechstunde für die klinische Nachuntersuchung weite Wege auf sich nehmen müssen.

Die Möglichkeit, eine Online-Videosprechstunde in den Praxen durchzuführen, die mit allen datenschutzrechtlichen Vorschriften konform geht, ist insbesondere für die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen hochinteressant, da die Online-Videosprechstunde vor allem bei der Wundkontrolle und bei der medizinischen Beratung sowohl dem Arzt als auch dem Patienten viel Zeit sparen kann. Gerade bei größeren Entfernungen zwischen Patient und Facharzt stellt die Videosprechstunde in bestimmten Fällen eine adäquate Überbrückung dar. Ein zukunftsweisender Schritt hin zu größerer Akzeptanz und flächendeckender Implementierung dieser Art von Telemedizin ist die Tatsache, dass die Online-Videosprechstunde schon ab 1. April 2017 offiziell durchgeführt und abgerechnet werden kann. Das E-Health-Gesetz hatte die finanzielle Förderung dieser telemedizinischen Leistung ab 1. Juli 2017 gefordert. KBV und GKV-Spitzenverband haben sich über die technischen Anforderungen für die Praxis und den Videodienst geeinigt, insbesondere zur technischen Sicherheit und zum Datenschutz. Der Videodienstanbieter muss zertifiziert sein, die Übertragung zwingend Ende-zu-Ende-verschlüsselt [17].

Das Deutsche Ärzteblatt hatte in seiner Ausgabe von Mai 2018 über die Lockerung des Verbots der ausschließlichen Fernbehandlung berichtet [12]. Die Delegierten des 121. Deutschen Ärztetags haben mit großer Mehrheit einer Änderung der ärztlichen (Muster-)Berufsordnung (MBO-Ä) zugestimmt. § 7 Abs. 4 MBO-Ä erlaubt den Ärzten künftig „im Einzelfall“, ihre Patienten auch ohne vorherigen persönlichen Erstkontakt ausschließlich über Kommunikationsmedien zu beraten oder zu behandeln, „wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird.“

Im Ausland ist die Fernbehandlung bereits deutlich stärker in die medizinische Versorgungslandschaft integriert als bei uns in Deutschland, und mit der neuen Regelung stärken wir unsere Position nun auch im internationalen Vergleich. Die Neuregelung des bisherigen Fernbehandlungsverbots stärkt die Telemedizin letztendlich in all ihren Ausprägungen enorm, da die bislang diffuse Rechtslage endlich eindeutig geregelt wird, was die Handlungsspielräume der Mediziner – unter Beachtung des Patientenwohls – deutlich erweitert. Die Telemedizin ersetzt natürlich nicht den persönlichen Patientenkontakt, aber in vielen Fällen ist sie ein adäquates Mittel, um Distanzen zu überwinden und um unnötigen Zeitaufwand und Mühen abzuwenden, insbesondere von immobilen Patienten.

Anschlussheilbehandlung und Nachsorge

Heutzutage ist die telemedizinische Vernetzung in einigen Bereichen weit fortgeschritten. Allerdings endet die Patientenversorgung nicht bei der Entlassung aus dem Krankenhaus. Vor allem schwerstverletzte Traumapatienten haben nach dem Krankenhausaufenthalt noch einen weiten und oft steinigen Weg bis zur Genesung zu gehen. Die Nachsorge, z.B. Anschlussheilbehandlung, darf bei der telemedizinischen Vernetzung nicht vernachlässigt werden. Speziell für die Orthopädie und Unfallchirurgie kann festgehalten werden, dass die elektronische Anbindung von Nachbehandlern und entlassenen Patienten noch ausbaufähig ist. Neben der Patienten-Nachsorge weist auch die elektronische Kommunikation zwischen Akutklinik und Rehaklinik in den Bereichen O&U noch Defizite auf, vor allem bei der kurzfristigen, einrichtungsübergreifenden Bereitstellung von Behandlungsdaten. Das Potenzial der Weitergabe von relevanten Behandlungsdaten eines Patientenmangels geeigneter IT-Lösungen und fehlender Prozessintegration wird weder beim Wechsel zwischen Sektoren (stationär – ambulant – häuslich) noch innerhalb der Sektoren (Akutklinik – Rehaklinik, Hausarzt – Facharzt) ausgenutzt. Ein Nachbehandler muss nach wie vor mit hohem Aufwand Informationen beim Patienten erfragen, versuchen Behandlungsinformationen telefonisch zu bekommen oder auf die Zusendung von Vorbefunden warten.

Die wichtige Rolle der Politik und des Datenschutzes

Die hohe Bedeutung der Telemedizin als moderner Baustein für effiziente Gesundheitsversorgung ist nun auch in den Köpfen der Politiker*innen angekommen. Bereits im Jahr 2008 unterstrich die damalige Bayerische Sozialministerin Christa Stewens: „Telemedizin spielt gerade in einem Flächenstaat wie Bayern eine wesentliche Rolle, wenn es darum geht, eine für alle Bevölkerungsgruppen zugängliche, hochwertige Gesundheitsversorgung zu gewährleisten. Telemedizin kann dazu beitragen, Versorgungslücken zu schließen und die Gesundheitsversorgung effizienter zu gestalten“ [13].

Eine stärkere Förderung der Telemedizin forderte auch Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml vom Bund [14]. „Die Telemedizin muss rasch in die Regelversorgung der Gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden“, erklärte Huml beim 2. Bayerischen Tag der Telemedizin im Münchner Universitätsklinikum Großhadern. Die Telemedizin müsse nun endlich den Status von Pilot- und Modellprojekten verlassen und als Regelleistung in der GKV anerkannt werden.

Grundsätzlich ist anzumerken, dass die Akzeptanz und die Förderung von Telemedizin in den vergangenen Jahren auch in den politischen Reihen und bei den Sozialversicherungsträgern stark zugenommen haben, obwohl ein Einzug in den Leistungskatalog noch nicht bzw. unzureichend stattgefunden hat. Für die Abrechnung telemedizinischer bzw. teleradiologischer Leistungen fehlen derzeit noch explizite Abrechnungsziffern, sodass man sich mit Behelfslösungen zufrieden geben muss.

Die finanzielle Förderung von eHealth- und Telemedizin-Projekten durch Innovationsprogramme und Forschungsinitiativen der Ministerien ist enorm wichtig und macht Forschung und Entwicklung in diesem Bereich überhaupt erst möglich. Die Hauptakteure sind neben den IT-Firmen und Entwicklern vor allem die medizinischen Institute und Universitätskliniken, die hier ihre medizinische Expertise einfließen lassen und die theoretischen Konzepte in den klinischen Alltag transponieren. Vor allem diese Forschungsverbünde aus IT und Medizin sind hier diejenigen, die imstande sind, durch Zusammenspiel der Kräfte wohl die größte Expertise zu generieren und anwendungsorientierte, zukunftsträchtige Konzepte und Projekte in gemeinsamer Forschungs- und Entwicklungsarbeit erreichen können. Insbesondere den (Universitäts-)kliniken ist es kaum möglich, ohne die Zuschüsse von EU, Bund oder Ländern neben Patientenversorgung, laufenden Forschungsprojekten und Lehrtätigkeit noch vernünftige Forschungsarbeit im Bereich eHealth zu leisten, da die Anforderungen an Ressourcen wie Personal, Soft- und Hardware, an Strukturen und Datenschutz immer höher werden und derartige Projekte somit nur noch durch adäquate Drittmittelbereitstellung unterhalten werden können. Es ist höchst erfreulich zu beobachten, dass Bund und Länder mit diversen Initiativen und Ausschreibungen derartige Forschungsprojekte in hohem Maße unterstützen. Denn nur die stetige Neu- und Weiterentwicklung und Umsetzung der vielen Ideen und Möglichkeiten im telemedizinischen Bereich führt dazu, insgesamt in Deutschland Strukturen zu entwickeln, die zukunftsorientiert aufgebaut sind und in vielen Teilbereichen der Medizin eine Zukunft durch Unterstützung von Telemedizin und eHealth zulassen.

Sehr aufgeschlossen steht auch die Bundesärztekammer der Telemedizin gegenüber [16]. Sie verweist auf den Sammelbegriff Telemedizin mit der Gemeinsamkeit der verschiedenen telemedizinischen Versorgungskonzepte, nämlich den prinzipiellen Ansatz, dass medizinische Leistungen der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in den Bereichen Diagnostik, Therapie und Rehabilitation sowie bei der ärztlichen Entscheidungsberatung über räumliche Entfernungen (oder zeitlichen Versatz) hinweg erbracht werden, wobei Informations- und Kommunikationstechnologien eingesetzt werden. Die Bundesärztekammer wirbt somit für den Einsatz von eHealth-Konzepten in sämtlichen Bereichen der medizinischen Versorgung: präklinisch, inner- und interklinisch und im Bereich der Nachbehandlung und Rehabilitation.

Patientendaten sind eine wertvolle und besonders schützenswerte Ressource, und viele Patienten sind nicht zu Unrecht verunsichert, wenn ihre personenbezogenen Daten in eHealth-Anwendungen verarbeitet werden. Es ist essenziell, mit bestmöglichen technischen und organisatorischen Maßnahmen sichere Telematik-Lösungen zu konzipieren, um unautorisierte Zugriffe und Missbrauch der hochsensiblen Patientendaten durch Dritte weitestmöglich zu eliminieren. Zum Wohle unserer Patienten muss Datensicherheit unser oberstes Gebot sein. Die auf dem Markt etablierten, flächendeckend eingesetzten Systeme verarbeiten Patientendaten gemäß den geltenden Rechtsvorschriften. Hinsichtlich der seit 25.05.2018 anzuwendenden neuen EU-Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) ist anzumerken, dass das darin verankerte verstärkte Recht des Einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung grundsätzlich positiv zu bewerten ist. Der Umgang mit Daten ändert sich allerdings in vielen Bereichen, doch die dadurch notwendige verstärkte Bürokratisierung mancher Abläufe darf die Anwendung von telemedizinischen Lösungen vor allem in Notfallsituationen nicht limitieren.

Ausblick: Nutzen wir die Chancen der Telemedizin
für O&U adäquat?

Nach und nach wird sich in den unterschiedlichen medizinischen Fachbereichen die Telemedizin durchsetzen, weil eHealth und Telemedizin eine immer wichtigere, nicht mehr wegzudenkende Rolle im Gesundheitssystem spielen. Die positiven Faktoren im klinischen Alltag sind unübersehbar: sowohl Zeit als auch Kosten können eingespart werden und es kommt der Qualität der Patientenversorgung zugute, wenn die Kommunikation – und letztendlich ist Telemedizin nichts als eine Form von Kommunikation – strukturiert und effizient durchgeführt wird. Essenziell sind bereits heute und auch in Zukunft intelligente, sektorenübergreifende, modular gestaltete und praxisorientierte Telematik-Lösungen, die den zu Recht strengen Datenschutzbestimmungen für Patientendaten entsprechen. In Kliniken und Praxen werden täglich große Datenmengen generiert, deren sinnvolle Verknüpfung künftig – selbstverständlich unter Beachtung des Datenschutzes – die Forschungs- und Entwicklungsarbeit erleichtern könnte. Bereits heute werden Daten in deutschlandweiten Registern (z.B. Traumaregister der DGU) und Datenbanken gesammelt, um aus diesen umfangreichen Datenmengen Regelmäßigkeiten abzuleiten und Erkenntnisse für die medizinische Behandlung zu ziehen. Hier werden sich in den kommenden Jahren sicherlich einige innovative Ideen und Möglichkeiten auftun, zwischen diesen Datenbanken sinnvoll zu kooperieren, um letztlich effektivere und detailliertere Resultate bei der Auswertung der vorhandenen Daten zu erzielen.

Die Fachbereiche Orthopädie und Unfallchirurgie haben bereits einige Anstrengungen unternommen, um sinnvolle telemedizinische Systeme in den Versorgungsalltag zu integrieren. Die Chance, die das Weißbuch Schwerverletztenversorgung (DGU) angeboten hat, wurde genutzt, um TKmed zu entwickeln und als funktionierende Kommunikationsbasis in den Traumanetzwerken zu implementieren. Nichtsdestotrotz können wir als Vertreter der O&U noch vieles von anderen medizinischen Fachbereichen lernen, insbesondere in der Anbindung der Nachbehandlung und in der Kommunikation mit den Kliniken der Akutrehabilitation. Auch bei der Prävention von Verletzungen, z.B. im Sport oder bei der Verkehrsunfallprävention, wird zunehmend mit eHealth-gestützten Methoden gearbeitet, um Verletzungsmuster bzw. -gefahren bereits im Vorfeld zu erkennen, zu analysieren und mit Unterstützung der Telematik wirksame Maßnahmen oder Produkte zu entwickeln, die eine Verletzung von vornherein verhindern können.

Die zunehmende Unterstützung durch die Politik, die Ärztekammern und beratend fungierende Telemedizin-Allianzen, die uns widerfährt, ist eine gute Basis für weitere Bemühungen in diesen Bereichen, sodass wir gemeinsam durch Weiterentwicklung und Modernisierung der bisherigen Kommunikationsstrukturen eine Zukunft für eine Orthopädie und Unfallchirurgie schaffen, die mit Unterstützung der Telemedizin eine starke Basis für die Patientenversorgung bietet.

Wir müssen die sich uns bietenden zahlreichen Chancen, unsere Ideen und Visionen in die Tat umzusetzen, noch heute nutzen, um künftig innerhalb der bestehenden präklinischen, klinischen und postklinischen Strukturen innovative und flächendeckende telemedizinische Lösungen voranzubringen und zu implementieren. Genau hier müssen wir ansetzen, um unseren Fachbereich Orthopädie und Unfallchirurgie gut gerüstet in die Zukunft zu führen.

Interessenkonflikt: Keine angegeben.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Michael Nerlich

Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie

Universitätsklinikum Regensburg

Franz-Josef-Strauß-Allee 11

93053 Regensburg

michael.nerlich@ukr.de

Literatur

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2. Ernstberger A, Schmucker U: Das Projekt TeleQualy, in: Orthopädie und Unfallchirurgie Mitteilungen und Nachrichten (OUMN) 2014; 10: 495–6

3. Guerdal D, Leis A, Chouvarda I, Lekka I, Nerlich M, Maglaveras N: A Home Care System used in post-operative patient management. E-Health, Proceedings of Med-e-Tel 2006; The International Trade Event and Conference for eHealth, Telemedicine and Health ICT. p. 59

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5. Nerlich M, Balas EA, Schall T et al.: G8 Global Health Applications Subproject 4: Teleconsultation practice guidelines: report from G8 Global Health Applications Subproject 4. Telemed J E Health. 2002; 8: 411–8

6. Nerlich M, Mohr MT, Guerdal D: The ups and downs of the International Society for Telemedicine. J Telemed Telecare. 2004; 10 Suppl 1: 76–8

7. Ruchholtz S, Lefering R, Debus F, Mand C, Kühne C, Siebert H: TraumaNetzwerk DGU® und TraumaRegister DGU®. Erfolge durch Kooperation und Dokumentation, in: Chirurg. 2013; 84: 730–8

8. Schächinger U, Kretschmer R, Neumann C, Nerlich M: NOAH. A mobile emergency care system. Notfall-Organisations- und Arbeitshilfe. Stud Health Technol Inform. 1999; 64: 85–92

9. Schächinger U, Kretschmer R, Röckelein W, Neumann C, Maghsudi M, Nerlich M: NOAH – A mobile emergency care system. Eur J Med Res. 2000; 5: 13–8

10. Staemmler M, Walz M, Weisser G et al.: TKmed® – Telekooperation für die einrichtungsübergreifende Versorgung, in: Duesberg F (Hrsg.) e-Health 2014. Solingen: medical future Verlag; 2013: 120f

11. Staemmler M, Walz M, Weisser G et al.: Establishing end-to-end security in a nationwide network for telecooperation. In:Stud Health Technol Inform. 2012; 180: 512–6

12. www.aerzteblatt.de/archiv/198076, Dtsch Arztebl 2018; 115(20–21): A-965 / B-813 / C-813, (Stand 04.06.18)

13. www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft /e-health/telemedizin/article /858417/ regelversorgung-bayern-foerderung- telemedizin.html (Ärztezeitung vom 07.04.2014)

14. www.auc-online.de/de/telemedizin.html (Stand: 18.05.2018)

15. www.bayerisches-aerzteblatt.de/fileadmin/aerzteblatt/ausgaben/2008/09 /einzelpdf/BAB_0908_538_539.pdf (Stand: 06.07.2018)

16. www.bundesaerztekammer.de/aerzte/telematiktelemedizin/telemedizin/ (Stand: 30.05.2018)

17. www.kbv.de/html/videosprechstunde.php (Stand: 30.05.2018)

18. www.meddv.de/de/11-produkte-und-loesungen/einsatzdokumentation/17-nidapad (Stand 04.06.2018)

19. rettungsdienst.brk.de/aktuelles/innenminister-informiert-sich-beim-brk-
ueber- telematik-ii (Stand 04.06.2018)

20. www.tele-arzt.com/
(Stand: 30.05.2018)

21. www.telenotarzt.de
(Stand: 30.05.2018)

22. www.telenotarzt.bayern/was-ist-
telenotarzt/ (Stand: 30.05.2018)

23. tkmed.org/ (Stand: 30.05.2018)

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