Übersichtsarbeiten - OUP 09/2018

Chancen der Telemedizin für O&U

Sehr aufgeschlossen steht auch die Bundesärztekammer der Telemedizin gegenüber [16]. Sie verweist auf den Sammelbegriff Telemedizin mit der Gemeinsamkeit der verschiedenen telemedizinischen Versorgungskonzepte, nämlich den prinzipiellen Ansatz, dass medizinische Leistungen der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in den Bereichen Diagnostik, Therapie und Rehabilitation sowie bei der ärztlichen Entscheidungsberatung über räumliche Entfernungen (oder zeitlichen Versatz) hinweg erbracht werden, wobei Informations- und Kommunikationstechnologien eingesetzt werden. Die Bundesärztekammer wirbt somit für den Einsatz von eHealth-Konzepten in sämtlichen Bereichen der medizinischen Versorgung: präklinisch, inner- und interklinisch und im Bereich der Nachbehandlung und Rehabilitation.

Patientendaten sind eine wertvolle und besonders schützenswerte Ressource, und viele Patienten sind nicht zu Unrecht verunsichert, wenn ihre personenbezogenen Daten in eHealth-Anwendungen verarbeitet werden. Es ist essenziell, mit bestmöglichen technischen und organisatorischen Maßnahmen sichere Telematik-Lösungen zu konzipieren, um unautorisierte Zugriffe und Missbrauch der hochsensiblen Patientendaten durch Dritte weitestmöglich zu eliminieren. Zum Wohle unserer Patienten muss Datensicherheit unser oberstes Gebot sein. Die auf dem Markt etablierten, flächendeckend eingesetzten Systeme verarbeiten Patientendaten gemäß den geltenden Rechtsvorschriften. Hinsichtlich der seit 25.05.2018 anzuwendenden neuen EU-Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) ist anzumerken, dass das darin verankerte verstärkte Recht des Einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung grundsätzlich positiv zu bewerten ist. Der Umgang mit Daten ändert sich allerdings in vielen Bereichen, doch die dadurch notwendige verstärkte Bürokratisierung mancher Abläufe darf die Anwendung von telemedizinischen Lösungen vor allem in Notfallsituationen nicht limitieren.

Ausblick: Nutzen wir die Chancen der Telemedizin
für O&U adäquat?

Nach und nach wird sich in den unterschiedlichen medizinischen Fachbereichen die Telemedizin durchsetzen, weil eHealth und Telemedizin eine immer wichtigere, nicht mehr wegzudenkende Rolle im Gesundheitssystem spielen. Die positiven Faktoren im klinischen Alltag sind unübersehbar: sowohl Zeit als auch Kosten können eingespart werden und es kommt der Qualität der Patientenversorgung zugute, wenn die Kommunikation – und letztendlich ist Telemedizin nichts als eine Form von Kommunikation – strukturiert und effizient durchgeführt wird. Essenziell sind bereits heute und auch in Zukunft intelligente, sektorenübergreifende, modular gestaltete und praxisorientierte Telematik-Lösungen, die den zu Recht strengen Datenschutzbestimmungen für Patientendaten entsprechen. In Kliniken und Praxen werden täglich große Datenmengen generiert, deren sinnvolle Verknüpfung künftig – selbstverständlich unter Beachtung des Datenschutzes – die Forschungs- und Entwicklungsarbeit erleichtern könnte. Bereits heute werden Daten in deutschlandweiten Registern (z.B. Traumaregister der DGU) und Datenbanken gesammelt, um aus diesen umfangreichen Datenmengen Regelmäßigkeiten abzuleiten und Erkenntnisse für die medizinische Behandlung zu ziehen. Hier werden sich in den kommenden Jahren sicherlich einige innovative Ideen und Möglichkeiten auftun, zwischen diesen Datenbanken sinnvoll zu kooperieren, um letztlich effektivere und detailliertere Resultate bei der Auswertung der vorhandenen Daten zu erzielen.

Die Fachbereiche Orthopädie und Unfallchirurgie haben bereits einige Anstrengungen unternommen, um sinnvolle telemedizinische Systeme in den Versorgungsalltag zu integrieren. Die Chance, die das Weißbuch Schwerverletztenversorgung (DGU) angeboten hat, wurde genutzt, um TKmed zu entwickeln und als funktionierende Kommunikationsbasis in den Traumanetzwerken zu implementieren. Nichtsdestotrotz können wir als Vertreter der O&U noch vieles von anderen medizinischen Fachbereichen lernen, insbesondere in der Anbindung der Nachbehandlung und in der Kommunikation mit den Kliniken der Akutrehabilitation. Auch bei der Prävention von Verletzungen, z.B. im Sport oder bei der Verkehrsunfallprävention, wird zunehmend mit eHealth-gestützten Methoden gearbeitet, um Verletzungsmuster bzw. -gefahren bereits im Vorfeld zu erkennen, zu analysieren und mit Unterstützung der Telematik wirksame Maßnahmen oder Produkte zu entwickeln, die eine Verletzung von vornherein verhindern können.

Die zunehmende Unterstützung durch die Politik, die Ärztekammern und beratend fungierende Telemedizin-Allianzen, die uns widerfährt, ist eine gute Basis für weitere Bemühungen in diesen Bereichen, sodass wir gemeinsam durch Weiterentwicklung und Modernisierung der bisherigen Kommunikationsstrukturen eine Zukunft für eine Orthopädie und Unfallchirurgie schaffen, die mit Unterstützung der Telemedizin eine starke Basis für die Patientenversorgung bietet.

Wir müssen die sich uns bietenden zahlreichen Chancen, unsere Ideen und Visionen in die Tat umzusetzen, noch heute nutzen, um künftig innerhalb der bestehenden präklinischen, klinischen und postklinischen Strukturen innovative und flächendeckende telemedizinische Lösungen voranzubringen und zu implementieren. Genau hier müssen wir ansetzen, um unseren Fachbereich Orthopädie und Unfallchirurgie gut gerüstet in die Zukunft zu führen.

Interessenkonflikt: Keine angegeben.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Michael Nerlich

Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie

Universitätsklinikum Regensburg

Franz-Josef-Strauß-Allee 11

93053 Regensburg

michael.nerlich@ukr.de

Literatur

1. Eberl R, Biskup K, Reckwitz N, Muhr G, Clasbrummel B: The televisit system in patients care after discharge in clinical use – first experiences. Biomed Tech 2005; 50: 132–6

2. Ernstberger A, Schmucker U: Das Projekt TeleQualy, in: Orthopädie und Unfallchirurgie Mitteilungen und Nachrichten (OUMN) 2014; 10: 495–6

3. Guerdal D, Leis A, Chouvarda I, Lekka I, Nerlich M, Maglaveras N: A Home Care System used in post-operative patient management. E-Health, Proceedings of Med-e-Tel 2006; The International Trade Event and Conference for eHealth, Telemedicine and Health ICT. p. 59

4. Holderried M, Schlipf M, Höper A, Meier R, Stöckle U, Kraus TM: Chancen und Risiken der Telemedizin in der Orthopädie und Unfallchirurgie. Z Orthop Unfall 2018; 156: 68–77

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