Übersichtsarbeiten - OUP 09/2018

Chancen der Telemedizin für O&U

Michael Nerlich1, Tanja Herbst1, Antonio Ernstberger1, Markus Blätzinger2

Zusammenfassung: Telemedizin bzw. eHealth sind heute nicht mehr aus dem medizinischen Alltag wegzudenken. In sämtlichen Bereichen von Orthopädie und Unfallchirurgie sind – von der Präklinik, Klinik bis hin zur Nachsorge – inzwischen durch diverse elektronische Möglichkeiten deutliche Verbesserungen in den Kommunikationsstrukturen zu verzeichnen, was sich eindeutig positiv auf die Qualität der Patientenversorgung auswirkt.

Nachdem anfangs diverse Insellösungen existierten, es aber fachbereichsübergreifend an einrichtungsübergreifenden Systemen mangelte, hat die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) zusammen mit der AUC – Akademie der
Unfallchirurgie GmbH durch Festschreibung der Rahmenbedingungen im Weißbuch Schwerverletztenversorgung den Weg für ein flächendeckendes, schnittstellenkompatibles Teleradiologiesystem geebnet. Nichtsdestotrotz existieren nach wie vor Kommunikationsdefizite, vor allem sektorenübergreifend, die künftig – unterstützt durch Methoden und Systeme der eHealth – zu optimieren sind. Insgesamt ist ein Bestreben hin zu patientenzentrierten Lösungen (aktive Mitwirkung des Patienten) zu beobachten.

Schlüsselwörter: Telemedizin, Orthopädie und Unfallchirurgie, Traumanetzwerk, Teleradiologie, Telekooperation TKmed®,
TeleQualy

Zitierweise
Nerlich M, Herbst T, Ernstberger A, Blätzinger M: Chancen der
Telemedizin für O&U.
OUP 2018; 7: 432–440 DOI 10.3238/oup.2018.0432–0440

Summary: Telemedicine or eHealth today are important tools of everyday medical life. In all areas – from the preclinic, clinic to aftercare – significant improvements in communication structures have been noticed through various eHealth options, which have significant positive effects on the quality of patient care in orthopedics and trauma surgery.

At the beginning, there were several isolated solutions and many small individual projects, but there was a lack of interdisciplinary and comprehensive systems in all health care fields. The German Trauma Society (DGU) took the lead together with AUC and paved the way for a modulated, comprehensive, interface-compatible teleradiology system. Nevertheless, there are still deficits across all sectors, which in the future will have to be optimized by eHealth methods and systems. Overall, there is an effort towards patient-centered solutions (mature patient).

Keywords: telemedicine, orthopedics and trauma surgery, TraumaNetwork, teleradiology, telecooperation TKmed®,
TeleQualy

Citation
Nerlich M, Herbst T, Ernstberger A, Blätzinger M: Opportunities of telemedicine for orthopedics and trauma surgery.
OUP 2018; 7: 432–440 DOI 10.3238/oup.2018.0432–0440

1 Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Regensburg

2 AUC – Akademie der Unfallchirurgie GmbH, München

Entwicklung und Notwendigkeit der Telemedizin
von der Präklinik bis
hin zur Nachsorge

Der Ursprung der Entwicklung telemedizinischer Strategien und Lösungen liegt in der Erkenntnis eines grundlegenden Kommunikationsdefizits begründet. Heutzutage ist allgemein bekannt, dass Kommunikation – in welcher Form auch immer – selten ohne Informations- bzw. Wahrnehmungsverzerrungen zwischen Sender und Empfänger funktioniert. Die Botschaft des Senders wird meist unvollständig übertragen und darüber hinaus vom Empfänger bei weitem nicht gleichbedeutend aufgefasst. Insbesondere in der Medizin, in der reibungslose Kommunikation ohne Zeitverluste zwischen Präklinik, Klinik und Nachbehandlung essenziell – also im wahrsten Sinne des Wortes lebensnotwendig – ist, werden alle möglichen Hebel in Bewegung gesetzt, um Informationen möglichst effektiv zu übermitteln. Telemedizinische Lösungen dienen dazu, Informationen möglichst zeitsparend, strukturiert, zielgerichtet, lückenlos und vollständig zwischen Sender und Empfänger zu übermitteln.

Seit einigen Jahren leitet die Telemedizin einen Wandel in den medizinischen Strukturen und Sektoren ein. Die Abläufe in Kliniken und Krankenhäusern werden mehr und mehr durch elektronische Kommunikationssysteme gestützt, welche die ärztliche Tätigkeit in vielen Bereichen erleichtern. Die Entwicklung und Implementierung von eHealth-Systemen setzt sich auch deswegen rapide durch, weil vor allem für den medizinischen Nachwuchs der Umgang mit IT, Technik und der Datenaustausch über soziale Medien bereits selbstverständlich ist und ohne Vorbehalte akzeptiert wird.

Gerade in der Orthopädie und Unfallchirurgie wurden in den vergangenen Jahren vielerlei Fortschritte im Bereich der Telemedizin erzielt. Die Kommunikation zwischen Präklinik und Klinik wird zunehmend elektronisch unterstützt, und auch die Übertragung radiologischer Bilddaten zwischen Kliniken in einem Traumanetzwerk wurde flächendeckend ausgebaut. Darüber hinaus zeigt sich im Bereich der Orthopädie und Unfallchirurgie unter dem Stichwort „patient empowerment“ ein Trend zum mündigen und informierten Patienten, der vor allem in Diagnosefindung und Behandlungsablauf eingebunden und selbstbestimmt beteiligt werden möchte. Weniger attraktiv sind für Patienten derzeit noch Onlinechats oder Videotelefonate mit dem behandelnden Arzt, hingegen werden webbasierte Organisationstools wie z.B. eine Online-Terminvereinbarung positiv angenommen [4]. Erste richtungsweisende Schritte zu größerer Akzeptanz und vermehrter Implementierung von telemedizinischen Lösungen sind auch im Bereich der Nachsorge unternommen worden, vor allem in den Praxen niedergelassener Kollegen.

Präklinische Versorgung

Deutschlandweit ist im präklinischen Bereich seit einigen Jahren ein länderübergreifender Versorgungsmangel zu beobachten. Diverse Strukturänderungen (z.B. demografische Entwicklung, medizinischer Fortschritt, der Rückgang von Arztpraxen auf dem Land, Hausärztemangel, Arbeitsüberlastung von Krankenhausärzten, Schließung von Krankenhäusern etc.) führen dazu, dass in ruralen Gebieten weniger Ärzte verfügbar sind. Die Verfügbarkeit von Haus- und Fachärzten ist zunehmend regional ungleich verteilt. Mit dem Ärztemangel in ländlichen Gegenden stehen dort gleichermaßen auch weniger Ärzte für einen fachlich qualifizierten Einsatz als Notarzt zur Verfügung. Durch diese Ressourcenknappheit bei Ärzten und Notärzten kommt es zu einer unzureichenden Patientenversorgung in der Präklinik. Die in vielen Bundesländern übliche 12-Minuten-Frist vom Eingang des Notrufs an der Leitstelle bis zum Eintreffen am Unfallort kann oft nicht eingehalten werden. Vor allem in dünn besiedelten Gebieten auf dem Land sind die Auswirkungen dieses Notarztmangels zu spüren. Wenn der Notarzt nicht rechtzeitig vor Ort sein kann, hat dies u.U. erhebliche Auswirkungen auf das Outcome des Patienten.

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