Übersichtsarbeiten - OUP 09/2018

Chancen der Telemedizin für O&U

Die Möglichkeit, eine Online-Videosprechstunde in den Praxen durchzuführen, die mit allen datenschutzrechtlichen Vorschriften konform geht, ist insbesondere für die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen hochinteressant, da die Online-Videosprechstunde vor allem bei der Wundkontrolle und bei der medizinischen Beratung sowohl dem Arzt als auch dem Patienten viel Zeit sparen kann. Gerade bei größeren Entfernungen zwischen Patient und Facharzt stellt die Videosprechstunde in bestimmten Fällen eine adäquate Überbrückung dar. Ein zukunftsweisender Schritt hin zu größerer Akzeptanz und flächendeckender Implementierung dieser Art von Telemedizin ist die Tatsache, dass die Online-Videosprechstunde schon ab 1. April 2017 offiziell durchgeführt und abgerechnet werden kann. Das E-Health-Gesetz hatte die finanzielle Förderung dieser telemedizinischen Leistung ab 1. Juli 2017 gefordert. KBV und GKV-Spitzenverband haben sich über die technischen Anforderungen für die Praxis und den Videodienst geeinigt, insbesondere zur technischen Sicherheit und zum Datenschutz. Der Videodienstanbieter muss zertifiziert sein, die Übertragung zwingend Ende-zu-Ende-verschlüsselt [17].

Das Deutsche Ärzteblatt hatte in seiner Ausgabe von Mai 2018 über die Lockerung des Verbots der ausschließlichen Fernbehandlung berichtet [12]. Die Delegierten des 121. Deutschen Ärztetags haben mit großer Mehrheit einer Änderung der ärztlichen (Muster-)Berufsordnung (MBO-Ä) zugestimmt. § 7 Abs. 4 MBO-Ä erlaubt den Ärzten künftig „im Einzelfall“, ihre Patienten auch ohne vorherigen persönlichen Erstkontakt ausschließlich über Kommunikationsmedien zu beraten oder zu behandeln, „wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird.“

Im Ausland ist die Fernbehandlung bereits deutlich stärker in die medizinische Versorgungslandschaft integriert als bei uns in Deutschland, und mit der neuen Regelung stärken wir unsere Position nun auch im internationalen Vergleich. Die Neuregelung des bisherigen Fernbehandlungsverbots stärkt die Telemedizin letztendlich in all ihren Ausprägungen enorm, da die bislang diffuse Rechtslage endlich eindeutig geregelt wird, was die Handlungsspielräume der Mediziner – unter Beachtung des Patientenwohls – deutlich erweitert. Die Telemedizin ersetzt natürlich nicht den persönlichen Patientenkontakt, aber in vielen Fällen ist sie ein adäquates Mittel, um Distanzen zu überwinden und um unnötigen Zeitaufwand und Mühen abzuwenden, insbesondere von immobilen Patienten.

Anschlussheilbehandlung und Nachsorge

Heutzutage ist die telemedizinische Vernetzung in einigen Bereichen weit fortgeschritten. Allerdings endet die Patientenversorgung nicht bei der Entlassung aus dem Krankenhaus. Vor allem schwerstverletzte Traumapatienten haben nach dem Krankenhausaufenthalt noch einen weiten und oft steinigen Weg bis zur Genesung zu gehen. Die Nachsorge, z.B. Anschlussheilbehandlung, darf bei der telemedizinischen Vernetzung nicht vernachlässigt werden. Speziell für die Orthopädie und Unfallchirurgie kann festgehalten werden, dass die elektronische Anbindung von Nachbehandlern und entlassenen Patienten noch ausbaufähig ist. Neben der Patienten-Nachsorge weist auch die elektronische Kommunikation zwischen Akutklinik und Rehaklinik in den Bereichen O&U noch Defizite auf, vor allem bei der kurzfristigen, einrichtungsübergreifenden Bereitstellung von Behandlungsdaten. Das Potenzial der Weitergabe von relevanten Behandlungsdaten eines Patientenmangels geeigneter IT-Lösungen und fehlender Prozessintegration wird weder beim Wechsel zwischen Sektoren (stationär – ambulant – häuslich) noch innerhalb der Sektoren (Akutklinik – Rehaklinik, Hausarzt – Facharzt) ausgenutzt. Ein Nachbehandler muss nach wie vor mit hohem Aufwand Informationen beim Patienten erfragen, versuchen Behandlungsinformationen telefonisch zu bekommen oder auf die Zusendung von Vorbefunden warten.

Die wichtige Rolle der Politik und des Datenschutzes

Die hohe Bedeutung der Telemedizin als moderner Baustein für effiziente Gesundheitsversorgung ist nun auch in den Köpfen der Politiker*innen angekommen. Bereits im Jahr 2008 unterstrich die damalige Bayerische Sozialministerin Christa Stewens: „Telemedizin spielt gerade in einem Flächenstaat wie Bayern eine wesentliche Rolle, wenn es darum geht, eine für alle Bevölkerungsgruppen zugängliche, hochwertige Gesundheitsversorgung zu gewährleisten. Telemedizin kann dazu beitragen, Versorgungslücken zu schließen und die Gesundheitsversorgung effizienter zu gestalten“ [13].

Eine stärkere Förderung der Telemedizin forderte auch Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml vom Bund [14]. „Die Telemedizin muss rasch in die Regelversorgung der Gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden“, erklärte Huml beim 2. Bayerischen Tag der Telemedizin im Münchner Universitätsklinikum Großhadern. Die Telemedizin müsse nun endlich den Status von Pilot- und Modellprojekten verlassen und als Regelleistung in der GKV anerkannt werden.

Grundsätzlich ist anzumerken, dass die Akzeptanz und die Förderung von Telemedizin in den vergangenen Jahren auch in den politischen Reihen und bei den Sozialversicherungsträgern stark zugenommen haben, obwohl ein Einzug in den Leistungskatalog noch nicht bzw. unzureichend stattgefunden hat. Für die Abrechnung telemedizinischer bzw. teleradiologischer Leistungen fehlen derzeit noch explizite Abrechnungsziffern, sodass man sich mit Behelfslösungen zufrieden geben muss.

Die finanzielle Förderung von eHealth- und Telemedizin-Projekten durch Innovationsprogramme und Forschungsinitiativen der Ministerien ist enorm wichtig und macht Forschung und Entwicklung in diesem Bereich überhaupt erst möglich. Die Hauptakteure sind neben den IT-Firmen und Entwicklern vor allem die medizinischen Institute und Universitätskliniken, die hier ihre medizinische Expertise einfließen lassen und die theoretischen Konzepte in den klinischen Alltag transponieren. Vor allem diese Forschungsverbünde aus IT und Medizin sind hier diejenigen, die imstande sind, durch Zusammenspiel der Kräfte wohl die größte Expertise zu generieren und anwendungsorientierte, zukunftsträchtige Konzepte und Projekte in gemeinsamer Forschungs- und Entwicklungsarbeit erreichen können. Insbesondere den (Universitäts-)kliniken ist es kaum möglich, ohne die Zuschüsse von EU, Bund oder Ländern neben Patientenversorgung, laufenden Forschungsprojekten und Lehrtätigkeit noch vernünftige Forschungsarbeit im Bereich eHealth zu leisten, da die Anforderungen an Ressourcen wie Personal, Soft- und Hardware, an Strukturen und Datenschutz immer höher werden und derartige Projekte somit nur noch durch adäquate Drittmittelbereitstellung unterhalten werden können. Es ist höchst erfreulich zu beobachten, dass Bund und Länder mit diversen Initiativen und Ausschreibungen derartige Forschungsprojekte in hohem Maße unterstützen. Denn nur die stetige Neu- und Weiterentwicklung und Umsetzung der vielen Ideen und Möglichkeiten im telemedizinischen Bereich führt dazu, insgesamt in Deutschland Strukturen zu entwickeln, die zukunftsorientiert aufgebaut sind und in vielen Teilbereichen der Medizin eine Zukunft durch Unterstützung von Telemedizin und eHealth zulassen.

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