Übersichtsarbeiten - OUP 02/2018

Chondroide Knochentumoren
Diagnostik und TherapiealgorithmenDiagnostic and therapy algorithm

Arne Streitbürger1, Wiebke Guder1, Georg Gosheger1, Markus Nottrott1, Jendrik Hardes1

Zusammenfassung: Die Diagnostik und Therapie
benigner und maligner Tumoren des Bewegungsapparats stellen Orthopäden und Unfallchirurgen häufig vor große Herausforderungen, aber auch Ärzte weiterer Fachdisziplinen wie Radiologen, Allgemeinmediziner und nicht zuletzt auch Pathologen. Die knorpelbildenden Tumoren sind seitens ihrer klinischen Erscheinungsform als auch der Bildgebung eine sehr heterogene Gruppe primärer Knochentumoren. Betroffen sind sowohl junge als auch ältere Patienten, wobei die Mehrzahl der Malignome bevorzugt um das 6. Lebensjahrzehnt anzutreffen ist. Benigne Varianten wie das Enchondrom oder das Osteochondrom sind die häufigsten Vertreter dieser Gruppe und werden regelhaft als Zufallsbefunde diagnostiziert. Die Herausforderung für den Behandler liegt insbesondere in der Schwierigkeit der Abgrenzung der gutartigen Tumoren von den Malignomen.

Neben den Ergebnissen einer selektiven Literaturrecherche werden die eigenen Erfahrungen in diesem Beitrag eingebracht, um die aktuellen Erkenntnisse auf dem Gebiet der
Diagnostik und Therapie der chondrogenen Tumoren aufzuzeigen. Das Ziel dieses Beitrags ist es, die klinisch, radiologisch und nicht zuletzt pathologisch heterogene Gruppe der Knorpeltumoren zu systematisieren. Denn nur derjenige, der die häufigsten chondroiden Tumoren kennt und hinsichtlich ihres Agressivitätspotenzials voneinander abgrenzen kann, wird die richtigen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen zeitgerecht treffen können.

Schlüsselwörter: Knorpeltumoren, Enchondrom,
Osteochondrom, atypischer chondrogener Tumor,
Chondrosarkom, Therapie, Leave-me-alone-Läsion

Zitierweise
Streitbürger A, Guder W, Gosheger G, Nottrott M, Hardes J:
Chondroide Knochentumoren. Diagnostik und Therapiealgorithmen. OUP 2018; 7: 089–097 DOI 10.3238/oup.2018.0089–0097

Summary: Diagnostic and therapy of benign and malignant tumours of the musculoskeletal system are a challenge for orthopedic surgeons as well as for other subspecialists such as radiologists and pathologists. Tumours of cartilaginous origin are highly heterogeneous in terms of their clinical
behavior and radiological appearance. Regarding to their incidence, patients of every age group are affected, though malignant variants appear more likely in patients above the age of 60 years.

Benign tumours like the enchondroma or the osteochondroma, the most common types of cartilage tumours, are most frequently accidental findings. The particular challenge in the diagnosis and treatment of these tumours is the differentiation between benign and malignant variants.

In this article, the results of a selective literature research and the author´s clinical experience in the field of cartilage bone tumours are presented to highlight the up-to-date therapeutic approaches in these tumours entities. A systematic categorization of this heterogeneous group of tumours in terms of clinical behavior, histopathological and radiological appearance is decisive to be able to differentiate between these tumours and thus being able to take therapeutic measures timely and efficiently.

Keywords: chondroid tumours, enchondroma, osteochondroma, atypical chondroid tumour, leave me alone lesion,
chondrosarcoma

Citation
Streitbürger A, Guder W, Gosheger G, Nottrott M, Hardes J:
Cartilage tumours of bone. Diagnostic and therapy algorithm.
OUP 2018; 7: 089–097 DOI 10.3238/oup.2018.0089–0097

Einleitung

Knorpelbildende Tumoren sind insgesamt selten. Die maligne Variante, das Chondrosarkom, ist mit einer Inzidenz von ca. 3–5 Fällen pro Millionen Einwohner einer der häufigsten primär malignen Knochentumoren, welche jedoch in der Gesamtheit der Malignom-Neuerkrankungen nur eine untergeordnete Rolle spielen [1]. Die Inzidenz der gutartigen Knorpeltumoren ist aufgrund fehlender repräsentativer Daten nur sehr schwierig abzuschätzen, liegt jedoch deutlich über derjenigen der Chondrosarkome. Die Knorpeltumoren zeichnen sich durch eine große Vielzahl unterschiedlicher klinischer, radiologischer und histologischer Erscheinungsformen aus [2, 3]. In der nativ radiologischen Bildgebung ist die gesamte Bandbreite der Knochen-Destruktionsmuster der Lodwick-Klassifikation [4] vertreten. So finden sich bei den Stadium-I-Tumoren wie dem Enchondrom vorwiegend Lodwick-1A-Destruktionen. IB/C-Läsionen sind bei Stadium-II-Tumoren (z.B. Chondromyxoidfibrom) anzutreffen, wobei Lodwick-III-Läsionen mit Mottenfraß und/oder permeativ imponierendem Wachstum meist mit den Chondrosarkomen assoziiert sind [1]. Matrixverkalkungen kommen regelhaft zur Darstellung und sind je nach Entität und Dignität unterschiedlich konfiguriert. Die MRT ist ein wichtiges diagnostisches Instrument in der Entitäts- und Dignitätseinschätzung dieser Tumoren. Die kortikale Destruktion ist ebenso wie ein perifokales Ödem in der MRT-Bildgebung Zeichen einer erhöhten biologischen Aktivität des Tumors und kann auf das Vorliegen eines Chondrosarkoms deuten. Die Gemeinsamkeit der Knorpeltumoren hinsichtlich ihres histologischen Erscheinungsbilds ist das Vorhandensein von Knorpelzellen und einer chondroiden Matrix. Jedoch zeigt dieses Bild innerhalb der Gruppe eine große Varianz auf. Das Vorliegen von Mitosen, von Zellatypien und/oder Zellkernveränderungen, die Zunahme der Zelldichte in der Tumormatrix oder auch die Destruktion der Spongiosabälkchen sind histologische Malignitätskriterien. Eine eindeutige Dignitätseinteilung wird zum Teil jedoch durch fließende Übergänge, speziell zwischen dem benignen Enchondrom und dem atypischen chondrogenen Tumor, erschwert.

Neben den primären Chondrosarkomen sind regelmäßig sekundäre Entartungen von initial benignen Knorpeltumoren zu beobachten. Insbesondere Patienten mit speziellen Syndromen wie dem M. Ollier oder der multiplen Exostosenerkrankung sind hiervon betroffen.

Seitens der Therapie kommt die gesamte therapeutische Bandbreite zum Einsatz: von einem konservativen, abwartenden Therapieansatz über die verschieden Varianten der chirurgischen Tumorresektion, der multimodalen Chemotherapie sowie in Sonderfällen die lokale Radiotherapie.

Einteilung/Charakteristika einzelner Entitäten

Die einzelnen Entitäten der Knorpeltumoren zeichnen sich durch eine Vielzahl unterschiedlicher klinischer, histopathologischer als auch bildmorphologischer Erscheinungsformen aus. Es ist daher essenziell, zunächst ein Verständnis für die wesentlichen Charakteristika der einzelnen Tumorentitäten zu erlangen, um basierend hierauf die richtigen klinisch/therapeutischen Schlussfolgerungen ziehen zu können.

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