Originalarbeiten - OUP 03/2012

Das FIT™ -Konzept (Funktionelle Interdisziplinäre Therapie)
als perioperatives Management nach alloplastischem Gelenkersatz
The FIT-Concept (functional interdisciplinary therapy) – postoperative management after alloplastic j

Ganz erhebliche Änderungen haben sich in den letzten Jahren in der präemptiven (präventiven) Schmerztherapie ergeben. Prinzipiell werden hier prä-, intra- und postoperative Schmerztherapieansätze differenziert.

Die bereits präoperativ eingeleitete Schmerztherapie wird mit Analgetika durchgeführt, die die Thrombozytenfunktion wenig oder nicht beeinträchtigen. Hierzu zählen Cox-II-Hemmer, Paracetamol und Metamizol.

Intraoperativ sollte der Operateur ergänzend zu den anästhesiologischen Maßnahmen auf spezielle Verfahren zurückgreifen (s.u.).

Postoperativ dominieren heutzutage – neben den allgemeinen medikamentösen Schmerztherapieansätzen – periphere Nervenblockaden, die allerdings bisweilen die frühe Mobilisation beeinträchtigen können. Die patientenkontrollierte Schmerzpumpe (PCA) kann gleichfalls mit der frühen Mobilisation interferieren, wenn der Patient zu einer nicht adäquaten Dosierung greift.

 

Ein Blick in die Literatur zeigt, dass es sich bei der perioperativen Schmerztherapie keinesfalls um neue Erkenntnisse handelt. Bereits 1913 publizierte Crile im Lancet einen Artikel, der aufzeigte, dass regionale Nervenblockaden zusätzlich zur Intubationsnarkose die intraoperative Nozizeption und die Ausbildung „schmerzhafter Narben“, die durch Veränderungen im zentralen Nervensystem entstehen, reduzieren helfen. 1983 publizierte Woolf in Nature eine deutliche Evidenz für eine zentrale Komponente auf eine posttraumatische „Pain-Hypersensitivität“.

Es erscheint erstaunlich, dass trotz dieser lange bestehenden Erkenntnisse nur knapp 50% der Patienten ein Jahr nach muskuloskeletalen Eingriffen völlig schmerzfrei sind. Wird die perioperative Schmerztherapie nicht suffizient durchgeführt, entwickelt sich aufgrund bekannter Mechanismen aus dem akuten ein chronisches Schmerzerlebnis. Bei der Modulation der Nozizeptoren werden eine periphere Sensibilisierung, die durch Reduktion der Reizschwelle von Nozizeptoren entsteht, und eine zentrale Sensibilisierung mit genereller Zunahme der Schmerzempfindlichkeit unterschieden. Beide Faktoren resultieren in einer Hyperalgesie. Diese kann primär durch direkten Einfluss auf die Nozizeptoren entstehen, jedoch auch sekundär durch Veränderungen im umgebenden Gewebe sowie durch zentrales „Processing“ aufgrund der eingehenden Schmerzimpulse. Behandlungsziel ist, diese Hyperalgesie durch eine multimodale Schmerztherapie zu verhindern. Auf die Möglichkeiten in diesem Bereich, aber auch auf die erreichten Effekte wurde nicht nur in der anästhesiologischen Literatur mehrfach hingewiesen: Brooks zeigte, dass ein multimodaler Schmerztherapieansatz synergistische Summationseffekte verhindert [4]. Gleichfalls konnte belegt werden, dass ein Einsetzen der analgetischen Therapie vor Beginn des Schmerzes eine zentrale Sensibilisierung und Schmerzverstärkung verhindert oder zumindest deutlich reduziert.

Metaanalysen belegen auch die hohe Effektivität einer prophylaktischen Analgesie bei akuten postoperativen Schmerzen [5].

Entscheidenden Einfluss hierbei hat auch insbesondere der Operateur. Natürlich ist es wichtig, sich auf den Anästhesisten als Partner bei der Schmerztherapie zu verlassen; aber auch der Operateur kann intraoperativ einiges zur Schmerztherapie beitragen:

Hierzu zählen verschiedene Möglichkeiten der lokoregionalen Anästhesie. Als erstes ist hier die Lokalanästhesie der Haut im Bereich des Zugangsweges zu erwähnen, was zu einer deutlichen Reduktion des Schmerzempfindens des Patienten führt [6].

Des Weiteren kann der Operateur jedoch auch sog. „Infield-Blöcke“ legen: Hierbei handelt es sich um Leitungsanästhesien, die der Operateur im Bereich des sterilen OP-Feldes anlegen kann wie z.B. den N. subscapularis-Block sowie den Fuß-Block [7, 8]. Die Infiltration des tiefen OP-Feldes mit einem Schmerzcocktail führte in prospektiv kontrollierten Studien [9] zu einem signifikant geringerem Schmerzmittelverbrauch und zu einem geringeren Schmerzwert auf der VAS postoperativ. Die applizierten Substanzen sind unterschiedlich, sie reichen bis hin zu einer Kombination aus einem lokalen Anästhetikum, einem nichtsteroidalen Antiphlogistikum, einem Opioid und Epinephrin.

In unserer eigenen täglichen Operationspraxis führen wir für den subkutanen und epifaszialen Bereich eine zusätzliche Lokalanästhesie mit einer Kompresse durch, die mit Lokalanästhetikum getränkt ist, da ein reines Infiltrieren des Bereiches oftmals das Gewebe aufschwemmt. Die Technik mit der Kompresse beeinträchtigt nicht die Gewebesituation und erlaubt einen normalen Wundverschluss ohne ein ödematöses Aufquellen des subkutanen Gewebes.

Lokale Schmerzkatheter, die unter sterilen Bedingungen intraoperativ in das Operationsfeld gelegt werden, können die perioperative Schmerztherapie ergänzen (Abb.1).

Dieses System wird dann postoperativ mit Lokalanästhetikum nach einem vorgegebenen Schema (Tab.3) beschickt.

Verschiedene Arbeiten belegen die Effektivität dieser Maßnahmen im Bereich der Gelenkchirurgie [10-14].
Neben der perioperativen Schmerztherapie ist natürlich auch das intraoperative Vorgehen ganz entscheidend. Zweifelsfrei haben hier die minimal-invasiven Techniken im Bereich des Hüftgelenkes einen erheblichen Beitrag geleistet, ob über einen posterioren oder einen anterolateralen (ALMI) Zugang [15, 16] oder über eine streng anteriore Schnittführung.

Studien, bei denen ein Standardzugang direkt mit einem MIS-Hautschnitt verglichen wurde und bei denen die sonstigen perioperativen Maßnahmen identisch waren, zeigen jedoch oftmals, dass im klinischen Alltag der objektivierbare Effekt des minimal-invasiven Zuganges überschätzt wird. Dennoch gibt es hier Aspekte, die objektiv zu einer Verbesserung der postoperativen Mobilität führen [17].

Eine Periduralanästhesie bietet meist Vorteile, wobei jedoch zu beachten ist, dass das sensorische Niveau etwa 1–4 Etagen oberhalb des motorischen Niveaus anzusiedeln ist. Ein schmerzfreier Operationszugang zur Hüfte bedeutet somit nicht, dass gleichzeitig auch eine gute Muskelrelaxation vorliegt. Um beispielsweise den M. iliopsoas gut zu relaxieren, wird eine Periduralanästhesie mindestens bis TH 8 notwendig. Diese Schonung der Muskulatur erleichtert nicht nur das operative Vorgehen, sondern führt auch zu einer besseren Funktion, da die prä- und postoperative Muskelkraft deutlich mit dem Operationsergebnis korrelieren [18].

Auch der routinemäßige Einsatz von Redonsaugdrainagen sollte immer wieder überdacht werden. So zeigte sich in Metaanalysen, dass diese Drainagen meist nur zu einer Zunahme der Transfusionsnotwendigkeit nach Knie- und Hüftgelenksersatz führen, sie bieten aber keine Vorteile, die Wundheilung ohne Saugdrainagen ist in aller Regel nicht schlechter als mit ihnen [19].

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