Originalarbeiten - OUP 03/2012

Das FIT™ -Konzept (Funktionelle Interdisziplinäre Therapie)
als perioperatives Management nach alloplastischem Gelenkersatz
The FIT-Concept (functional interdisciplinary therapy) – postoperative management after alloplastic j

Als weiterer Baustein ist das Blutmanagement (autologe Retransfusion) zu nennen. Patienten mit einem höheren postoperativen Hb-Wert zeigen deutlich kürzere Rehabilitationsphasen, einen kürzeren Krankenhausaufenthalt und eine bessere Funktion [20].

Postoperativer Belastungsaufbau

In der postoperativen Phase spricht nach endoprothetischem Ersatz des Hüft- bzw. Kniegelenkes nichts gegen eine schmerzadaptierte Vollbelastung, auch wenn diese in Deutschland noch nicht als genereller Standard angesehen wird. Eine frühe axiale Aufbelastung scheint keinen negativen Einfluss auf das Knochen-/Implantat-Interface zu haben [21-22]. Dies mag auch für moderne metadiaphysär verankerte Kurzschaftsysteme gelten [23].

Beim sog. Durchschnittspatienten mit regelechtem Körpergewicht, ohne wesentliche anatomischen Auffälligkeiten im Bereich der Hüfte (z.B. schwere Dysplasie, rheumatische Destruktion), ohne aufgetretene intra- und postoperative Komplikationen (z. B. Fissur, Fraktur) ist sowohl nach zementiertem als auch nach zementfreiem endoprothetischem Ersatz von Hüfte und Knie in der frühen postoperativen Phase eine weitgehende axiale Vollbelastbarkeit des betroffenen Beines anzunehmen. Die Patienten werden ab dem ersten bis zweiten Tag nach dem Eingriff unter Einsatz zweier Unterarmgehstützen zunächst im Dreipunktegang schmerzadaptiert mobilisiert. Besteht hierbei weitgehende Schmerzfreiheit, so ist bereits in dieser Phase eine volle Belastung des operierten Beines erlaubt. Spätestens mit abgeschlossener Wundheilung, somit ab dem 12.-14. Tag nach dem gelenkersetzenden Eingriff, kann dann – bei weiterem Einsatz zweier Unterarmgehstützen – mit dem sog. Wechselschritt (Vierpunktegang) begonnen werden.

Grundsätzlich gilt für die axiale Aufbelastung natürlich die jeweilige Empfehlung des Operateurs. Als generelle Ausnahmen für eine längere Teilentlastung des operierten Beines (lediglich Dreipunktegang mit Teilbelastung von 20–30 kp möglich) gelten:

 

eine intraoperativ aufgetretener Fissur/Fraktur (Femurschaft, Femurkondyle, Tibiakopf) (Abb. 2),

ein intraoperativ aufgetretener knöcherner Abriss bzw. eine erfolgte Osteotomie (Trochanter major, Tuberositas tibiae) mit anschließender Osteosynthese,

ein intraoperativ erfolgter Aufbau mit Spongiosaplastik oder kortikalem Knochen im Zuge von Austauscheingriffen (Pfannengrund, lateraler Pfannenerker, Tibiakopf u.a.)

eine primäre Implantatfehlposition mit unklarer Stabilität (Abb. 3),

Wechseloperationen mit schlechtem Knochenlager und unklarer Stabilität.

 

Die Frage, ob die Abschulung von Gehstützen über den vorübergehenden Einsatz nur einer kontra-lateval eingesetzten Gehhilfe erfolgen sollte oder ob sofort mit einem freien Gehen begonnen werden kann, wird teilweise kontrovers diskutiert. Die Möglichkeit, auf eine Gehstütze zurückzugreifen, hat sicherlich den Nachteil, dass der Patient sich möglicherweise zu stark auf diese abstützt und somit ein schiefes Gangbild entwickeln kann. Andererseits ist aber auch die Umstellung von zwei Unterarmgehstützen auf überhaupt keine Gehhilfe mehr relativ groß, wird von einigen Patienten als oft unangenehm empfunden und daher auch nicht gerne toleriert. Bei längeren Wegstrecken treten oft Ermüdungserscheinungen der hüft- bzw. knieumspannenden Muskulatur hinzu, die dann, trotz zunächst zufriedenstellender Gangabwicklung, wieder einen Hinkmechanismus entstehen lassen. Insofern kann ein längere postoperativer Einsatz einer oder sogar beider Gehhilfen durchaus sinnvoll sein (Tab. 4).

 

Als Faustregel im Falle unkomplizierter Verhältnisse gilt:

Übergang auf eine kontralateral einzusetzende Gehstütze nach 4–6 Wochen (im Falle eines minimal-invasiven Vorgehens auch schon früher).

Nach 6 postoperativen Wochen sollte das Gehen mit einer Gehstütze möglich sein.

Ab der 9. postoperativen Woche kann dann zumindest auf kürzeren Wegstrecken auf eine Gehstütze ganz verzichtet werden.

Ab der 12. postoperativen Woche sollte in aller Regel ein freies Gehen erreicht sein.

 

Unterstützt wird das Abschulen der Gehstützen durch die Fortführung krankengymnastischer Maßnahmen, insbesondere aus der gerätegestützten Funktionsbehandlung.

Postoperatives sozialmedizinisches Management

Nach dem operativen gelenkersetzenden Eingriff ist eine sinnvolle Rehabilitation unabdingbar. An zeitlichen Vorgaben gelten hier:

etwa zweiwöchige Behandlung im Akuthaus,

drei- (bis vier-) wöchige stationäre oder teilstationäre Rehabilitation in einer entsprechenden Nachsorgeabteilung.

Im Anschluss daran erfolgt über weitere sechs Wochen die engmaschige ambulante Weiterbetreuung durch den niedergelassenen Arzt.

 

In Deutschland nehmen aktuell etwa 50% aller Patienten nach endoprothetischer Versorgung (insgesamt > 330.000 primäre Hüften und Knie/Jahr) eine stationäre Rehabilitation im Sinne einer Anschlussheilbehandlung (AHB) wahr. Die Nachbehandlung ist hier heutzutage meist standardisiert (durch sog. Behandlungsmodule; [24]) mit Kombination bewegungstherapeutischer, physikalischer, balneologischer und trainingstherapeutischer Therapieeinheiten. Eine Ossifikationsprophylaxe über eine Woche (nur bei Hüft-TEP), eine Thromboembolieprohylaxe über zumindest 4 Wochen bei Hüft-TEP bzw. 2 Wochen bei Knie-TEP (mit fraktioniertem Heparin bzw. oralen Thrombinhemmern u.a.) ist unabdingbar.

Etwa 12 Wochen nach Implantation eines künstlichen Hüft- oder Kniegelenkes ist in aller Regel ein Zustandsbild erreicht, das dem Patienten eine Reintegration in das Erwerbsleben ermöglicht. Selbstverständlich ist dies abhängig von der Art der beruflichen Tätigkeit. Schwere körperliche Tätigkeiten sind nach einem alloplastischen Gelenkersatz im Bereich der unteren Extremität sicherlich, auf Dauer im Hinblick auf die Implantatbelastung (klassisches Verschleißteil !) nicht mehr sinnvoll. Allerdings können leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung durchaus wieder vollschichtig verrichtet werden. Für Patienten im Erwerbsleben bietet hier der Rentenversicherungsträger im Allgemeinen die Möglichkeit eines sinnvollen Stufeneinstiegs. Der GdB (Grad der Behinderung) nach dem Schwerbehindertengesetz beträgt im Regelfall bei einseitiger gut funktionstüchtiger Hüft-TEP 20, im Falle einer Knie-TEP meist 30.

Sportliche Belastbarkeit

Neben dem Belastungsaufbau nach endoprothetischem Gelenkersatz im Bereich der unteren Extremität ist für den Patienten heutzutage natürlich auch die Frage eminent wichtig, welche sportlichen und körperlichen Aktivitäten er/sie nach dem Eingriff noch durchführen kann.

Mit leichteren körperlichen Belastungen, z.B. im Rahmen der medizinischen Trainingstherapie, kann sicherlich früh bereits nach 3–4 postoperativen Wochen begonnen werden (Übungen dann möglichst nur in einer Raumebene). Dies kann nach zwölf postoperativen Wochen noch weiter intensiviert werden.

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