Übersichtsarbeiten - OUP 06/2016

Die instabile Hüftendoprothese
Ursachen, Diagnostik, BehandlungsoptionenCauses, diagnostics, treatment options

Implantatabhängige Faktoren: Es steht eine Vielzahl von unterschiedlichen azetabulären und femoralen Komponenten sowie auch Gleitpaarungen zur Verfügung. Das Implantatdesign kann einen entscheidenden Einfluss auf die Reluxationsrate haben. Dieses insbesondere dann, wenn überhemisphärische Pfannen- und Inlaykomponenten oder verlängerte Prothesenköpfe Anwendung finden, die dann gleichzeitig zu einem Impingementphänomen führen.

Von besonderer Bedeutung für die Prothesenstabilität ist der sogenannte impingementfreie Bewegungsumfang, das heißt das Verhältnis zwischen Kopf- und Halsdurchmesser [49, 50] (Abb. 5). Größere Köpfe (> 36 mm) erlauben im Vergleich zu kleineren Köpfen ein größeres mechanisches Bewegungsausmaß, bevor es zum Kontakt zwischen Prothesenhals und Pfannenrand kommt [51, 52, 53]. Weiterhin muss sich der größere Prothesenkopf um eine größere Distanz vom Pfannenzentrum wegbewegen (sog. jumping distance), bevor er über den Rand luxieren kann. Prinzipiell hat somit ein größerer Prothesenkopf eine größere Luxationssicherheit [54, 55]. Dieser Vorteil muss jedoch mit einer geringeren Inlaydicke erkauft werden.

Grossmann et al. [37] wiesen nach, dass ein Alter über 72,2 Jahre zum Zeitpunkt der Erstoperation sowie Prothesenmodelle mit einem designbedingten CCD-Winkel von > 142° luxationsfördernde Faktoren sind.

Weichteilbedingte Faktoren

Zunehmend wird die Luxation ohne Nachweis einer ersichtlichen Ursache auch unter dem Standpunkt eines sensomotorischen Defizits betrachtet. Gächter [19], Chandler et al. [2] und Morrey [30] haben gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit einer Luxation bei Zweit- und Wechseleingriffen bei Alloarthroplastik massiv ansteigt. Neben der Schädigung und Fibrosierung der umgebenden Weichteile ist auch eine Schädigung des sensomotorischen Systems mit in Betracht zu ziehen. So wiesen Chandler et al. [2] ebenfalls nach, dass ein wiederholtes Trauma der Hüfte zu einem gestörten Gangbild und einer schlechteren Stabilisierung des Gelenks führt.

Diagnostik

Ziel der Diagnostik ist die Klärung der Luxationsursache. Erst dann ist eine gezielte Behandlung und gegebenenfalls operative Reintervention indiziert.

Anamnese: Der Luxationsweg muss genau erfragt oder dokumentiert werden, da sich daraus Behandlungskonsequenzen ergeben. Sollte dem Patienten ein auslösendes Moment bekannt sein, sollte dieses festgehalten werden.

Der Zeitpunkt der Erstluxation sowie die Anzahl der erfolgten Luxationen sind relevant. Weiterhin sind gesicherte Faktoren, die die Stabilität einer Hüftalloarthroplastik beeinflussen, zu dokumentieren. Nach Morrey [30] gehören hierzu Alkoholmissbrauch, vorhergehende Operationen an der Hüfte, Alter des Patienten und Geschlecht. Paterno et al. [35] fanden bezüglich Alter oder Geschlecht keinerlei Korrelation zur Luxation der Hüftalloarthroplastik in ihrem Patientenkollektiv, konnten jedoch Alkoholmissbrauch als signifikanten Faktor nachweisen. Nach Grossmann et al. [37] ist auch das Patientenalter von Relevanz.

Körperliche Untersuchung: Zunächst ist das Gangbild des Patienten zu beurteilen. Liegt ein gestörtes Gangbild vor, ist nach der Ursache zu suchen. Beinlängendifferenzen können Hinweis für eine Imbalance der Weichteile sein. Die Beurteilung der Kraft der Hüftmuskulatur ist von Bedeutung für ein adäquates Behandlungsprotokoll. Dorr und Wan [21] empfehlen die Untersuchung in Seitenlage zur Beurteilung der aktiven Abduktion. Falls eine Abduktion nicht oder nur ohne Widerstand möglich ist, ist die Funktion des M. gluteaus medius und der oberen Anteile des M. gluteaus maximus als gestört zu werten. Ein ausgeprägtes Genu valgum sowie eine Adduktionskontraktur sollten ausgeschlossen werden.

Rezidivierende Luxationen können auch durch eine fehlende oder unzureichende neuromuskuläre Kontrolle aufgrund einer Nervenläsion durch die Primäroperation hervorgerufen werden [56]. Dabei findet diese Komplikation oftmals wenig Beachtung. So fanden Weber und Coventry [57] bei bis zu 70 % aller Patienten subklinische Nervenläsionen nach Hüftalloarthroplastik. Die Erhebung eines kompletten neurologischen Status ist zu empfehlen. Zerebralparese und Petit-mal-Epilepsien sind auszuschließen [37].

Auch seltene neurologische Ursachen sind in Betracht zu ziehen, zum Beispiel eine Schädigung auf höherer Ebene, wie von Bunning anhand eines thorakalen Bandscheibenvorfalls berichtet [58].

Bildgebung: Ein standardisiertes Vorgehen bei der Bildgebung ist zu empfehlen. Nativradiologische anteroposteriore und axiale Aufnahmen sind als Basis unentbehrlich. Um einen Seitenvergleich zur Beurteilung der Beinlängendifferenz zu ermöglichen, ist die Gegenseite ebenfalls zu röntgen.

Von Relevanz sind dabei die Anteversion und Inklination der Pfanne, Anteversion des Schafts und ein Vergleich der Weichteilsituation mit der Gegenseite bezüglich der Vorspannung. Dabei ist zu bedenken, dass insbesondere nativradiologische Bilder mit einem erheblichen Fehler bezüglich der Anteversionsmessung der Pfanne behaftet sind [59]. Tönnis [60] zeigte, dass eine Lordosierung mit entsprechender Beckenkippung einhergeht und so ein flacherer Pfanneneingangswinkel gemessen wird. Ghassem et al. [61] stellten eine Positionsbestimmung aus einer anterioposterioren Aufnahme des Hüftgelenks vor, wobei jedoch auch hier Rotation oder Kippung des Beckens nicht berücksichtigt wurden. Im Zweifelsfall empfiehlt sich eine Schnittbilddarstellung (CT oder MRT), die auch ohne mathematische Modelle eine genauere Messung erlaubt [59, 62, 63] (Abb. 6–7). Bei einer Bewertung der Pfanneneingangsebene sind der Leistungsanspruch des Patienten sowie seine Belastungssituation mit in Betracht zu ziehen. Je größer der Anteil sitzender Tätigkeit ist, desto größer sollte auch die Anteversion der Pfanne gewählt werden, um eine posteriore Instabilität zu verhindern.

Eine Beurteilung der Weichteile, insbesondere der Kapsel sowie – noch wichtiger – der hüftumgebenden Muskulatur, lässt sich mittels eines MRT erreichen. So konnten Jaramaz et al. [62] bei allen Patienten, die Dislokationen erlitten hatten, abnormale Pseudokapselverhältnisse nachweisen. Es ist jedoch zu bedenken, dass diese Studie nach erfolgter Luxation durchgeführt wurde, es also nicht geklärt ist, ob die Luxationen den Verlust der Pseudokapsel zur Folge hatten oder umgekehrt. Das MRT erlaubt gleichzeitig den Nachweis von Flüssigkeitsansammlungen oder eingeschlagenen Weichteilen, die als Ursache einer Luxation relevant sein können.

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8