Übersichtsarbeiten - OUP 06/2021

Ein Arthrosemanagement ist nur multimodal und interdisziplinär vollständig

Jörg Jerosch

CME

1

Punkt

Lernziele:

Vermittlung der grundlegenden epidemiologischen Kenntnisse zur Arthrose

Vermittlung der Pathogenese des Knorpelschadens

Darstellung der üblichen Klassifikation des Knorpelschadens

Darstellung der Diagnostik des Knorpelschadens

Vermittlung der konservativen therapeutischen Ansätze

Zusammenfassung:
Im vorliegenden Artikel werden die Grundkonzepte des Arthrosemanagements zusammengefasst. Hierbei ist darauf zu achten, dass aufgrund der multiplen möglichen Ursachen für eine Arthrose sowie der Tatsache, dass Arthrosepatienten mit Co-Morbiditäten behaftet sind und deshalb in der Regel auch eine Vielzahl von Co-Medikationen erhalten, ein eindimensionaler Therapieansatz fehlschlagen muss. Es ergibt sich vielmehr zwangsläufig die zwingende Notwendigkeit zu einem individuell abgestimmten multimodalen und interdisziplinären Vorgehen.

Schlüsselwörter:
Arthrose, Ursachen, Diagnose, Therapie

Zitierweise:
Jerosch J: Ein Arthrosemanagement ist nur multimodal und interdisziplinär vollständig.
OUP 2021; 10: 293–301
DOI 10.3238/oup.2021.0293–0301

Summary: The present article presents the basic concepts of OA management. Due to the multiple different causes for OA and the fact that OA patients suffer from multiple co-morbidities and take multiple co-medications, the treatment of OA never be unidimensional. There need to be, however, an individual multimodal and interdisziplinary concept for every patient.

Keywords: OA, reasons, diagnosis, treatment

Citation: Jerosch J: Osteoarthritis management is only complete, if it is multimodal and interdisciplinary.
OUP 2021; 10: 293–301. DOI 10.3238/oup.2021.0293–0301

Wissenschaftsbüro Jörg Jerosch, Meerbusch

Einleitung

In Deutschland leiden etwa 5 Millionen Menschen an einer Arthrose; etwa 2 Millionen haben tägliche Schmerzen an den Gelenken. Ab dem 60. Lebensjahr sind etwa die Hälfte der Frauen und ein Drittel der Männer betroffen. Am häufigsten betroffen sind Hände, Knie und Hüfte. Bei den Hüftgelenken sind beider Geschlechter etwa gleich betroffen; bei Hand- und Kniearthrosen sind Frauen im Alter jedoch doppelt so häufig betroffen wie Männer.

Während vor 30 Jahren die Hauptindikation zur Arthrose-Therapie und Endoprothesen-Implantation die Schmerzen und Behinderung waren, so hat sich dieses deutlich verändert. Heute stellt die Einschränkung der Lebensqualität die primäre Indikation dafür dar, dass Patienten nach einer entsprechenden Arthrose-Therapie suchen. Es hat sich somit eine gewisse Metamorphose der Arthrose-Therapie von der „Greisen-Therapie“ zur „Lifestyle-Therapie“ entwickelt.

Leider wird in vielen Publikationen zur Arthrosetherapie zu sehr auf eindimensionalen Therapieansätzen abgehoben. Es liegt eine AWMF-Leitlinie für die Behandlung der Gonarthrose vor, welche den aktuellen Wissensstand gut wiederspiegelt [2]. Sie unterstreicht die Notwendigkeit zu einem multimodalen Therapieansatz; was im klinischen Alltag jedoch nicht ausreichend realisiert wird.

Momentan befinden wir uns beim Arthrosemanagement dort, wo wir beim Diabetes mellitus vor 20 oder mehr Jahren waren. Bei der Arthrose werden mehrheitlich nur die Arthrosefolgen durch knorpelchirurgische Maßnahmen oder Gelenkersatzoperationen behandelt. Beim Diabetes mellitus haben wir gelernt, dass eine frühzeitige Diagnostik und entsprechende Therapie, Folgeschäden weitgehend vermeiden kann. Eine derartige Einstellung wäre beim Arthrose-Management ebenso sinnvoll.

Der vorliegende Artikel zum Arthrosemanagement bespricht die folgenden Aspekte:

  • - Epidemiologie des Knorpelschadens
  • - Pathogenese des Knorpelschadens
  • - Klassifikation des Knorpelschadens
  • - Diagnostik des Knorpelschadens
  • - Therapeutische Ansätze

Epidemiologie des
Knorpelschadens

Aus epidemiologischer Sicht hat sich die Situation in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert und verändert sich auch weiterhin. Lebenserwartung, BMI (Body Mass Index) sowie die Aktivitäten des täglichen Lebens sind deutlich gestiegen; weiterhin haben die Patienten einen höheren Anspruch an ihre Gelenke. Daneben muss man realisieren, dass bereits Ende 2010 laut WHO 50 % der Frauen, die 50 Jahre alt wurden, eine Chance haben, auch 100 Jahre alt zu werden. Die Anzahl der Patienten in einem Lebensalter von über 65 Jahren wird voraussichtlich in der nächsten Dekade um 20 % ansteigen.

Bei den degenerativen Veränderungen führen bei Weitem Knie- und Hüftgelenke. Daneben sind jedoch auch Großzehengrundgelenke, Schultergelenke und Ellenbogengelenke in einem klinisch relevanten Anteil betroffen.

Alle Kennzahlen erwarten eine deutliche Zunahme der primären Schulter-, Knie- und Hüft-Endoprothesen im nächsten Jahrzehnt. Betrachtet man die Daten des statistischen Bundesamtes für Deutschland, so zeigt sich dementsprechend auch ein deutlicher Anstieg der Krankheitskosten für die Arthrose-Therapie in der BRD.

Pathogenese des
Knorpelschadens

Bereits die möglichen Ursachen von Knorpelveränderungen zeigen die Notwendigkeit eines multimodalen und interdisziplinären Zuganges für eine adäquate Therapie auf. Hier sind folgende Faktoren zu nennen:

  • - Mechanische Faktoren (z.B. Beinachsenveränderungen, Hüftdysplasie, posttraumatische Veränderungen, Slope-Veränderungen am Kniegelenk, Meniskusverletzungen u.v.m.)
  • - Neurologische Veränderungen (Verlust von Mechanorezeptoren nach Kreuzbandruptur)
  • - Hohes Körpergewicht als mechanischer Faktor: Personen mit einem Körpergewicht von mehr als 30 % Übergewicht haben ein dreimal höheres Risiko, an einer Arthrose zu erkranken, als Patienten mit einem Übergewicht von unter 20 %. Hier wirkt sich die generelle Zunahme des BMI in Zivilisationsländern deutlich ungünstig aus. Der Anteil der Erwachsenen mit dem Risikofaktor Adipositas hat sich in Deutschland zwischen 2000 und 2015 auf knapp 25 % verdoppelt [13, 62]. Bedingt durch die Corona Krise hat sich diese Situation noch weiter verschärft.
  • - Hohes Körpergewicht als metabolischer Faktor: Messparameter wie BMI, Bauchumfang, Verhältnis von Taille und Hüftumfang korrelieren mit der Notwendigkeit zur Implantation einer Hüft-Endoprothese. Besonders in der rheumatologischen Literatur ist der metabolische Aspekt der Osteoarthrose besonders intensiv dargestellt. Schon Hummer et al. zeigten die Zusammenhänge sehr deutlich auf und demonstrierten die Funktion des Fettes als endokrines Organ [31]. Hier scheint insbesondere das viszerale Fett besonders intensiv inflammatorische Faktoren (Interleukin-1, Interleukin-8, Interleukin-18, Interleukin-6, TNF?, Leptin, Resistin, Visfatin, SP, NGF) zu produzieren, die sich negativ auf den Gelenkknorpel, die Synovialmembran, aber auch auf den subchondralen Knochen auswirken [35].
  • - Krankheitsbilder aus dem rheumatischen Formenkreis
  • - Molekulargenetische Ursachen: Im Laufe des Lebens kommt es zum Verlust der Proteinsignalwege, die den Gelenkknorpel während der reproduktiven Lebensphase schützen, z.B. TGF-?-Signal (Chondrozyten Transforming Growth Factor Beta) [56].

Klassifikation des
Knorpelschadens

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