Übersichtsarbeiten - OUP 06/2021

Ein Arthrosemanagement ist nur multimodal und interdisziplinär vollständig

Hilfsmittel

Varus- und Valgus-Malalignement stellen einen Risikofaktor für die Kniearthrose dar. Hierbei besteht die Indikation zu Schuhranderhöhungen, Pufferabsätzen oder Braces [52]. Ideale Patienten für Bracing sind jüngere Patienten, die körperlich aktiv sind, kein relevantes Übergewicht haben und nur eine unikompartmentelle, symptomatische, tibiofemorale Arthrose mit entsprechendem Malalignement aufweisen, das korrigierbar ist durch Varus- oder Valgusstress. Es kann auch sinnvoll sein, Braces mit Fußorthesen und entsprechendem Schuhwerk zu kombinieren. Es besteht keine ausreichende Evidenz, inwieweit Braces oder andere Schutzvorrichtungen die Progression der Arthrose verlangsamen. In den EULAR-Richtlinien finden sich z. B. keine positiven Empfehlungen für die Schuhzurichtungen bei der Kniearthrose, da durchaus auch negative Effekte auftreten können. Leitlinien oder RCTs finden sich bezüglich Schutzvorrichtungen auch nicht Hand-, Finger- oder Sprunggelenkarthrosen. Ein klinisch erfahrener Orthopädietechniker wird jedoch durchaus auch für derartige Patienten entsprechende Hilfsmittel empfehlen können. Ein entsprechendes Schuhwerk generell (schockabsorbierende Sohlen, Fußgewölbeunterstützungen), eine Pronationskontrolle sowie die Vermeidung von hochhackigen Schuhen werden durchaus empfohlen [18]. Hilfsmittel wie Schuhaußenranderhöhung, Unloader-Braces oder Pufferabsätze haben sich über Jahrzehnte bewährt und finden auch in der AWMF-Leitlinie ihren Niederschlag. In diesem Bereich ist eine orthopädietechnische Unterstützung bei der individuellen Patientenberatung zu integrieren.

Sonstige Maßnahmen

Wärmebehandlungen und Ultraschall zeigten in einigen Studien eine gewisse Effektivität. Das Gleiche gilt für die manuelle Therapie in Kombination mit einer Bewegungstherapie sowie ein Patella-Taping. Balneotherapie und Akupunktur zeigten in Metaanalysen die höchste Evidenz aller physikalischen Therapiemaßnahmen [12]. In den ACR-Guidelines [29] findet sich eine Empfehlung dahingehend, dass TENS und Akupunktur reserviert sind als nichtpharmakologische Alternative zur Operation, wenn die Operation kontraindiziert ist oder der Patient dieser nicht zustimmt. Auch eine Blutegel-Behandlung zeigt in verschiedenen Studien einen nachweisbaren Effekt, so dass durchaus auch naturheilkundliche Ansätze mit integriert werden sollten.

Eine wesentliche Rolle spielt das Selbstmanagement des Patienten. Der behandelnde Arzt klärt hinsichtlich Selbstmedikation auf und unterstützt anleitend. Bei einer Umfrage von mehr als 18.000 Erwachsenen litten 83 % mindestens einmal pro Jahr an Muskelschmerzen, 73 % an Gelenkschmerzen (Arthrose oder rheumatoide Arthritis) und 61 % an Schmerzen in Bändern, Sehnen und Knochen [23–25]. Hinsichtlich des Selbstmanagements gaben 91 % der Befragten an, dass sie eigenständig eine Schmerzbehandlung durchführten; hierbei hatten Analgetika mit 60 % den größten Anteil. Auch der nicht-medikamentöse Bereich zeigte einen erheblichen Prozentsatz. 48 % der Befragten behandelten ihre Beschwerden mit körperlicher Entspannung bzw. Schlafen, 25 % verfolgten eine Bewegungstherapie und 23 % andere nicht medikamentöse Ansätze wie Kryo- oder Wärmetherapie. Der Anteil der Befragten, die ärztlichen Rat aufsuchten lag bei lediglich 25 %. Dies bedeutet, dass 75 % der Betroffenen die Schmerzen ohne ärztliche Konsultation in Eigenregie behandelten.

Medikamentöse Therapie

NOPA (Nicht-Opioid-Analgetika)

Bei der Verwendung von NOPAs sind verschiedene Aspekte zu bedenken [7]. Paracetamol wird in den aktuellen Leitlinien nicht mehr empfohlen. Die analgetische Wirkung ist zu gering und die freie Verfügbarkeit für den Patienten führt schnell dazu, dass der Patient mit seiner Dosierung in einen hepatotoxischen Bereich kommt. Metamizol ist als Schmerzmittel auch und gerade im Bereich der Orthopädie und Unfallchirurgie weit verbreitet, hat jedoch kein Label für die Erstanwendung bei der Arthrose. Die primäre Indikation liegt im Bereich der perioperativen Schmerztherapie sowie bei Schmerzzuständen, die anders schon frustran gehandelt wurden. Daneben ist dringend eine Risiko- und Sicherungsaufklärung zu beachten [34].

Topische oder orale NSAR

Es bleibt somit relativ rasch das Feld der nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR). Hier hat sich in verschiedenen Studien gezeigt, dass NSAR in der topischen Anwendung durchaus effektiv ist und mit deutlich weniger Nebenwirkungen behaftet ist [54].

Pharmakokinetik der topischen NSAR

Mit der Entwicklung von Pflastern, Gelen und Sprays wurden verschiedene Strategien verfolgt, um eine gewünschte Wirkstoffexposition lokal zu erzielen [8, 17, 19, 21, 46, 48, 51, 60, 61]. Eine Studie bei 23 Patienten mit prothesenpflichtiger Gonarthrose zeigte, dass bei einer kutanen Applikation von Diclophenac Diethylamin 1,16 % Gel (3 x täglich 80 mg) eine therapeutisch wirksame Konzentration in oberflächennahen Kompartimenten und im periartikulären Gewebe erreicht wurde [21]. Eine andere Studie mit Diclophenac Diethylamin 2,32 % Gel (2 x täglich 4 g Gel entsprechend 74,4 mg Wirkstoff) bei Patienten mit einer Gonarthrose zeigte, dass bei einer 7-tägigen kutanen Applikation auch noch nach 12–15 Stunden eine Wirkstoffkonzentration im Synovialgewebe und in der Synovialflüssigkeit oberhalb der Nachweisgrenze gemessen werden konnte [51].

Evidenz topischer NSAR

Diclofenac, Ibuprofen, Ketoprofen, Piroxicam und Indometacin sind die klinisch relevanten Vertreter der nicht verschreibungspflichtigen topischen NSAR. Hierzu liegen entsprechende Studien vor [14, 15, 59]. Ein Cochrane-Review hat die meist placebokontrollierten, randomisierten und doppelblinden Studien dokumentiert und ausgewertet. Eingeschlossen wurden in diesen Studien vornehmlich Patienten mit akuten Schmerzen aufgrund von Zerrungen, Verstauchungen und Überbeanspruchung. Die topische Behandlung begann innerhalb von wenigen Stunden oder Tagen und dauerte zwischen 5 Tagen und 3 Wochen an. Die Auswertung erfolgte nach ca. 7 Behandlungstagen mit dem Endpunkt der erfolgreichen Behandlung, definiert durch eine mindestens 50 %ige Reduktion des Schmerzes. Die Cochrane-Analyse belegte bei diesen Patienten kollektiv durchaus einen therapeutischen Effekt. Auch für chronische Schmerzen gibt es ein Cochrane-Review mit guter Übersicht über die Wirksamkeit und Verträglichkeit von topischen NSAR [14, 59]. Hierin wurden berücksichtigt randomisierte, kontrollierte, doppelblinde klinische Studien bei Patienten mit Arthroseschmerzen von zu mindestens 3 Monaten und zu mindestens moderater Schmerzintensität. Das Durchschnittsalter lag zwischen 59 und 65 Jahren und die Behandlungsdauer zwischen 2 und 12 Wochen. Auch in diesem Cochrane-Review war der primäre Endpunkt die erfolgreiche Behandlung, die definiert war als mindestens 50%ige Reduktion der Schmerzen bzw. eine sehr gute oder exzellente Bewertung oder fehlende bzw. schwache Schmerzen in Ruhe oder in Bewegung.

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