Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2016

Korrektur von Achsabweichungen und Längendifferenzen der unteren Extremität im Wachstumsalter
Wachstumslenkung kompaktGuided growth in a nutshell

Die 2-Loch-Platten werden seitlich am Knochen angebracht und mit je einer Schraube über und unter der Wachstumsfuge fixiert (Abb. 12). Die Platte liegt außerhalb des Periosts und der Fuge, wodurch eine permanente Schädigung der Fuge verhindert wird. Die beiden Schrauben können sich am Schraubenkopf an der Platte bewegen und so während der Korrektur auseinanderweichen. Pro Fuge ist das Setzen lediglich einer Platte erforderlich, wodurch sich eine deutliche Verkürzung der Operationszeit ergibt und der Zugang und der Hautschnitt deutlich kleiner gehalten werden können. Die Schrauben und Schraubendreher sind kanüliert, wodurch mit Bohrdrähten im Bildwandler eine genaue Positionierung der Platte und Schrauben erfolgen kann. Postoperativ ist eine sofortige Vollbelastung schmerzlimitiert möglich. Nur in seltenen Fällen benötigen die Kinder (schmerzbedingt oder aus Verunsicherung) vorübergehend für wenige Tage Stützkrücken. Eine Entlassung kann meist am 2.–3. postoperativen Tag durchgeführt werden. Sportkarenz wird für 4 Wochen empfohlen. Wir führen Nachuntersuchungen nach Implantation eines 2-Loch-Platten-Systems alle 3–4 Monate durch. Bei klinisch noch eindeutiger Fehlstellung kann auf eine Röntgenaufnahme verzichtet werden, wobei gegen Ende der Korrektur Röntgenaufnahmen meist alle 3–4 Monate erforderlich sind (Abb. 13a, b).

Die Entfernung der Platten wird bei Erreichen des Korrekturziels durchgeführt. Die Korrekturgeschwindigkeit hängt von dem Alter des Patienten, der Diagnose und der Anzahl der Platten pro Extremität ab. Grundsätzlich ist zu beachten, dass die Korrektur bei jüngeren Patienten, gesunden Fugen, Extremitäten mit Platten an Femur und Tibia, Platten am Femur gegenüber Platten an der Tibia und Patienten ohne deutlich erhöhten BMI schneller erfolgt.

Wachstumslenkung:
Was sagt die Literatur?

Stevens [27] berichtete bereits 2007 die Ergebnisse von 34 konsekutiven Patienten, bei denen 65 Fehlstellungen (Femur und/oder Tibia) mittels einer 2-Loch-Platte (Eight-Plate, Orthofix) korrigiert wurden. Bei 32 der 34 Patienten wurde die Fehlstellung innerhalb von durchschnittlich 11 Monaten berichtigt. Er fand dabei eine um 30 % raschere Korrektur als mit den herkömmlichen Klammern. Bereits in dieser ersten Serie beobachtete er aber auch ein Phänomen, das sich als eine der größten Schwierigkeiten bei dieser Methode herauskristallisiert hat: den Rebound, das Wiederauftreten der Fehlstellung nach Plattenentfernung im Verlauf des weiteren Wachstums.

Schon 2010 präsentierten wir unsere erste Fallserie mit einer 2-Loch-Platte (Eight-Plate) mit 52 Platten bei 23 Patienten. Bei nur einem Patienten konnte die Fehlstellung nicht vollständig korrigiert werden [28]. Ebenfalls 2010 beschrieben Burghardt und Herzenberg [29] 43 Patienten, bei denen Korrekturen mit Eight-Plate bei 51 Extremitäten durchgeführt wurden. Nach Plattenentfernung zeigte sich keine Wachstumsstörung, jedoch ein Rebound von durchschnittlich 15,7 mm MAD bei 10 Extremitäten.

Die geringere Operationszeit beim Einbringen sowie bei der Explantation der Eight-Plate verglichen mit herkömmlichen Klammern wurde von Jelinek et al. 2012 beschrieben [30]. Auch die Notwendigkeit, die Platten bei langsamem Wachstum bei pathologischen Fugen früher einzusetzen, wurde inzwischen wissenschaftlich bestätigt [31]. Die Wichtigkeit der regelmäßigen Nachuntersuchung zeigte sich in einer anderen Studie, in der 12 % der Patienten im Nachuntersuchungszeitraum nicht zu den vereinbarten Kontrollen erschienen. Von diesen 23 Patienten konnten später 7 nachuntersucht werden, wobei von diesen nur 3 ohne Fehlstellung den Wachstumsabschluss erreichten, aber 4 in einer Überkorrektur endeten [32].

Wachstumslenkung:
Wo noch?

Eine seltene Indikation stellt der Sprunggelenk-Valgus dar – hier kann eine Wachstumslenkung an der distalen medialen Tibia durchgeführt werden [33]. Bei dieser Anwendung empfiehlt sich die Verwendung von Low-profile-Platten wie z.B. der low profile Pediplate (OrthoPediatrics), die bei geringer Weichteildeckung in dieser Region weniger auftragen. Ein weiteres, seltenes Anwendungsgebiet der Wachstumslenkung stellt die Epiphysiodese des Trochanters dar [34, 35]. Im Gegensatz zur Frontalebene werden Epiphysiodesen zur Wachstumslenkung von Deformitäten in der Sagittalebene äußerst selten durchgeführt. Ein Beispiel dafür ist die Bremsung der anterioren distalen Femurfuge zur Korrektur einer Flexionsstellung des Knies bei Kindern mit infantiler Zerebralparese [36, 37]. Eine Indikation, die in der Literatur und aus persönlicher Erfahrung der Autoren kontrovers zu sehen ist, stellt die Hemiepiphysiodese an der ventralen distalen Tibiafuge zur Korrektur einer Spitzfußfehlstellung dar [38]. Rein experimentell wird die Wachstumslenkung auch zur Korrektur von Rotationsfehlstellungen untersucht [39].

Wachstumsbremsung:
Wo und Wann?

Klassisch stellt sich die Indikation zur Korrektur einer Beinlängendifferenz ab 2 cm. Dies ergibt sich aus der Diskussion, ab wann eine Beinlängendifferenz als pathologisch zu werten ist und ab welchem Ausmaß mit Folgen für den Haltungsapparat zu rechnen ist. Hier ist die Literatur sehr uneinig und der Wert für eine relevante Beinlängendifferenz wird von 3–22 mm angegeben [1]. Friberg [40] fand 1983 bei 798 Patienten eine Korrelation zwischen chronischer Lumbalgie und/oder Hüftschmerz und dem Ausmaß einer Beinlängendifferenz. Durch einen Ausgleich mittels Schuherhöhung konnten in dieser Serie die Symptome in den meisten Fällen reduziert bzw. behoben werden. Bei großen Differenzen kommt es zusätzlich zur Mehrbelastung des ipsilateralen Kniegelenks sowie zur Minderüberdachung der kontralateralen Hüfte durch den starken Beckenschiefstand [41].

Wir empfehlen einen operativen Ausgleich ab 2 cm, wenn eine Angleichung der Beinlänge nicht mehr über eine Schuheinlage, sondern nur noch über eine orthopädietechnische Schuhsohlenerhöhung möglich wäre. Diese wird besonders von jungen Menschen meist abgelehnt und nicht getragen. Bei einer Verkürzung von > 2 cm, die nicht konservativ ausgeglichen wird, rechnen wir mittelfristig mit dem Auftreten von Symptomen und langfristig mit Spätschäden am Bewegungsapparat.

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