Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2016

Korrektur von Achsabweichungen und Längendifferenzen der unteren Extremität im Wachstumsalter
Wachstumslenkung kompaktGuided growth in a nutshell

Bei Beinverkürzung muss zuerst eine grundsätzliche Frage beantwortet werden: Soll die verkürzte Extremität verlängert oder die längere Extremität am Wachstum gehindert werden? Liegt zusätzlich zur Verkürzung eine deutliche Fehlstellung vor, so ist in der Regel mit größeren Beinlängendifferenzen am Wachstumsende zu rechnen und oft eine Korrektur mit Verlängerung zu empfehlen.

Am Beginn dieser Überlegungen sollte eine Berechnung der zu erwartenden Beinlängendifferenz und der Gesamtkörpergröße am Ende des Wachstums durchgeführt werden. Dazu müssen die exakte Größenmessung des Patienten mit Unterlage unter dem kürzeren Bein und die Bestimmung des Knochenalters erfolgen.

Knochenalter

Für die Bestimmung des Knochenalters gibt es verschiedene Methoden, wobei wir die einfache und dennoch sehr exakte Methode nach Greulich und Pyle [42] verwenden. Im ihrem Atlas sind geschlechtsspezifisch Röntgenbilder der linken Hand im a.p.-Strahlengang von Kindern abgebildet, wobei hier jeweils typische Bilder für das jeweilige Alter ausgewählt wurden. Die Details dieser a.p.-Röntgenaufnahme der linken Hand vergleicht man nun mit der korrespondierenden Röntgenaufnahme des Patienten. Eine rezente Studie konnte zeigen, dass heute viele amerikanische Adoleszenten entsprechend ihres Knochenalters nach Greulich und Pyle deutlich weiter entwickelt sind, als es ihrem chronologischen Alter entspricht. Dies trifft insbesondere auf Mädchen zwischen dem 12. und 15. Lebensjahr zu [43].

Die Sauvegrain-Methode evaluiert a.p.- und laterales Röntgen des Ellenbogens. Diese Methode ist limitiert auf den pubertären Wachstumsschub (Mädchen 10–13 Jahre, Jungen 12–15 Jahre) und ist in dieser Phase eine gute Ergänzung zum Atlas von Greulich und Pyle [42].

Die Methode nach Tanner und Whitehouse [45] beurteilt 20 Indikatoren am a.p.-Handröntgen und ist damit sehr zeitaufwendig. Die Evaluierung der Beckenkammapophyse sowie anderer Wachstumsfugen nach Hoppenfeld wird eher zur Prognose des Wachstumsendes der Wirbelsäule verwendet [46].

Die Endgröße des Patienten kann mithilfe der CDC Growth Charts oder mit dem daraus errechneten Multiplier [47] durchgeführt werden.

Die Beinlängendifferenz bei Wachstumsabschluss kann für Verkürzungen mit proportionalem Wachstumsmuster [4] einfach vorhergesagt werden. Hierfür kann nach Bestimmung der Perzentile des Patienten und dem Knochenalter die Kurve von Anderson et al. [48] verwendet werden. Einfacher ist es wiederum, den daraus errechneten Multiplier zu verwenden [49].

Liegt der Patient unterhalb der 50. oder 25. Perzentile, so ist eine weitere Reduktion der Gesamtgröße durch Wachstumsbremsung der längeren Seite eher nicht zu empfehlen. Bei Patienten mit hoher Endgröße kann diese jedoch eine gute Option darstellen. Bei kleineren Beinlängendifferenzen von etwa 3–4 cm ist ebenfalls die Wachstumsbremsung eine gute Option. Bei großer Beinlängendifferenz ist natürlich auch der kosmetische Aspekt im Hinblick auf die Relation der Beinlänge zur Armlänge und der Sitzhöhe zur Beinlänge zu bedenken.

Ist schließlich die Entscheidung zur Wachstumsbremsung gefallen, muss der Zeitpunkt dafür exakt berechnet werden. Hier stoßen wir – genauso wie bei der Berechnung der Endgröße und der Beinlängendifferenz am Wachstumsende – auf allerlei Schwierigkeiten.

Zur Bestimmung des Restwachstums der einzelnen Fugen und damit des Korrekturpotenzials und auch zum Festsetzen des Zeitpunkts der Zerstörung der Fuge können die Green-Anderson-Kurven [50] verwendet werden. Eine weitere Möglichkeit ist die lineare Methode nach Moseley [51]. Der Moseley Straight-line-graph beruht auf einer mathematischen Konvertierung der Daten von Green und Anderson in eine Linie. Mit dieser Linie wird mithilfe des Knochenalters und 2 Messpunkten die Beinlängendifferenz zum Wachstumsende und schließlich der Zeitpunkt der notwendigen Epiphysiodese grafisch ermittelt. Die Anleitung ist sehr umfangreich und die Bestimmung ist schwierig.

Eine einfachere mathematische Berechnung ist wiederum durch die Multiplierformeln möglich, wobei diese ebenfalls auf die Daten von Green und Anderson zurückgreifen, diese jedoch nicht wie bei Moseley grafisch, sondern mathematisch verwandeln [49]. Diese Formel beruht auf der Verwendung des chronologischen Alters; die Bestimmung der Perzentilen erfolgt nur indirekt über Eingabe der Länge des langen Beins. Eine Verbesserung der Genauigkeit kann gegen Wachstumsabschluss durch die Verwendung des Skelettalters erfolgen [52].

Während sich die Berechnungsmethode mit Einführung von Apps wie dem Multiplier [53] deutlich vereinfacht hat, ist dennoch die Genauigkeit der Berechnungen nicht gestiegen. Trotz allem ist die Berechnung mit dem Multiplier auch für den Zeitpunkt der Epiphysiodese – ebenfalls in Hinblick auf die Relation Genauigkeit zu Durchführbarkeit – die von uns empfohlene Methode.

Problem Wachstumsbestimmung

Abweichungen bei diesen Berechnungen ergeben sich daraus, dass fast alle erwähnten Methoden während der Pubertät, in der diese Eingriffe durchgeführt werden, am ungenauesten sind. Auch sind die Relationen des Anteils der distalen Femurfuge am Gesamtwachstum des Femurs und der proximalen Tibiafuge am Gesamtwachstum der Tibia nicht konstant. Sie werden üblicherweise mit 71 % für das distale Femur und 57 % für die proximale Tibia stark vereinfacht angegeben [50]. Zusätzlich beruhen alle Wachstumsformeln wie bereits erwähnt auf denselben Daten aus der Originalpublikation von Green und Anderson. Diese Daten stammen von irischen Einwandererkindern aus Süd-Boston in den 1940er-Jahren (700 Kinder, davon 87 % Lähmung auf der Gegenseite bei Polio und 158 gesunde Kinder). Obwohl die Berechnungen im Durchschnitt extrem genau sind, können beim einzelnen Patienten deutliche Abweichungen auftreten [54]. In einer Studie konnte für den Multiplier zur Epiphysiodese eine Genauigkeit von durchschnittlich 0,9 cm erhoben werden, wobei aber auch ein maximaler Fehler von 2,9 cm Unterkorrektur gefunden wurde [55].

Wachstumsbremsung:
Wie und womit?

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