Übersichtsarbeiten - OUP 07/2018

Moderne bildgebende Diagnostik der Arthrose im Allgemeinen und der großen Gelenke der unteren Extremität

Die Entwicklung der subchondralen Sklerosen zeigt, dass das Stadium 1 der röntgenologischen OA-Klassifikationssysteme kein initiales bzw. frühes Stadium der OA im äthiopathogenetischen Sinn darstellen kann, sondern diese ossären Reaktionen v.a. als sekundäre bzw. Folgereaktionen (Knochenveränderungen) im Arthroseprozess zu interpretieren sind. Über die Situation am Gelenkknorpel lässt sich röntgenologisch nur indirekt etwas aussagen. Von zunehmender Bedeutung ist jedoch die Diagnostik der sogenannten Präarthrosen. Dazu zählen ätiologisch unterschiedliche Fehlstellungen, Fehlformen, intraartikuläre Pathologien (z.B. Labrumläsionen, Meniskopathien, Osteomalazien etc.), deren Gemeinsamkeit die frühzeitige Entwicklung einer OA ist, wenn sie ausgeprägt sind und unbehandelt bleiben. Andere bessere bildgebende Verfahren zur frühzeitigen OA-Diagnostik sind daher auch im klinischen Alltag gefragt, um dem gerechtfertigten Anspruch auf Früherkennung degenerativer Veränderungen am Gelenk gerecht werden zu können. Auch in Anbetracht eines vielfältigen und zunehmenden Spektrums unterschiedlicher konservativer und operativer Behandlungsmöglichkeiten von Knorpelschäden sowie evtl. Begleitpathologien [28] steigen die Anforderungen an eine suffiziente Knorpeldiagnostik. Hinsichtlich klinischer und tierexperimenteller Studien, wonach die frühzeitige operative Sanierung von Knorpelschäden einer verzögerten operativen oder konservativen Therapie überlegen ist, ist die nichtinvasive Knorpeldiagnostik im klinischen Alltag möglicherweise von einer bislang unterschätzten Bedeutung [15, 32, 104]. Diesbezüglich zeigt die MRT einen erhöhten diagnostischen Nutzen.

Kernspin-/Magnetresonanz-tomografie (MRT)

Die differenzierte schnittbildgebende Diagnostik des Gelenkknorpels ist die Domäne der MRT (Goldstandard). Das Krankheitsbild der OA beschränkt sich nicht nur auf den Gelenkknorpel und den angrenzenden subchondralen Knochen, sondern es bezieht insbesondere durch inflammatorische Prozesse auch intra- (Synovialmembran) und periartikuläre Strukturen (Kapsel, Bänder, Sehnen, Muskulatur) mit ein [139]. So beobachtet man häufig durch die chronische Fehlbelastung bei ausgeprägter OA Muskel-, Sehnen- und (oder) Bandschäden. Die MRT ist die bisher einzige Methode, mit der sich sämtliche Gewebestrukturen eines Gelenks (Knorpel, gelenknaher und subchondraler Knochen, Bänder, Synovia, Gelenk-Cavum mit oder ohne Erguss, Muskulatur, Sehnen, Gefäße und Nerven) bildlich darstellen lassen. Anatomische Gegebenheiten sind, im Gegensatz zur röntgenologischen Verfahren, exakt kompartimentell erfassbar. Darüber hinaus vermag die MRT eine begleitende Muskelatrophie darzustellen. Freie Gelenkkörper in Form von Knorpel-Knochen-Abschilferungen sind ebenfalls ein typisches Arthrosezeichen und mit der MRT sensitiver als mittels Röntgendiagnostik zu detektieren. Durch kleinste Abschilferungen kommt es bei OA zu einer reaktiven (Detritus-)Synovialitis mit Ergussbildung und Synovialisverdickung in der MRT, die als Zeichen der „Aktivierung“ gewertet werden.

Die Indikationen zur MRT mit Fokus Abklärung auf OA/Präarthrosen sind eine große Diskrepanz zwischen Klinik und röntgenologischem Schweregrad der OA, unklare Arthralgien und keine Symptombesserung unter konservativer Therapie, um dabei evtl. den Nachweis einer Frühform der OA zu bestätigen. Weitere Indikationen sind der Nachweis einer aktivierten OA (Knochenmarködem, Synovialitis, Erguss). Bereits geringgradige protonenassoziierte Gewebeveränderungen (Entzündung etc.) bedingen in der MRT eine Signalveränderung. Diese können in den T1- und T2-gewichteten Sequenzen und einer Vielzahl technischer Variationen (Fast- bzw. Turbo-Spin-Echo (FES/TSE), Gradienten-Echo (GE), Fettsättigungen (fs) oder Protonenwichtungen (PD) etc. – Protokolle der AG BVB der DRG (s. www.ag-bvb.drg.de – in mindestens 2 Ebenen erfasst und spezifisch charakterisiert werden. Insbesondere bei jungen Patienten bei klinischem OA-Verdacht ist die differenzierte Abklärung intraartikulärer Gewebe indiziert, v.a. Knorpel, beim Hüft- und Schultergelenk Pfannenlabrum bzw. Rotatorenmanschette, beim Kniegelenk auch Menisken, Kreuzbänder, Plicae (Abb. 4) etc. Knorpelschäden können sich durch eine ödematöse Knorpelschwellung, kleinere Knorpeldefektbildungen (Abb. 10), Fibrillationen, Delaminationen (Abb. 6a2) bis hin zum großflächigen Knorpelverlust (Abb. 11–12) äußern [139].

Arthrose-Klassifikation
mittels MRT

Die bekannteste und am meisten verwendete Methode zur Beurteilung von Gelenkknorpelschäden ist die Klassifikation nach Outerbridge [85]. Initial hat Outerbridge sein verlässliches Klassifikationssystem zur quantitativen, makroskopischen Beurteilung des Schädigungsgrads des retropatellaren Knorpels bei der Chondromalacia patellae im Rahmen der Kniegelenksarthroskopie entwickelt [19, 85, 86]. Dies wurde jedoch dann für alle chondralen Oberflächen des Kniegelenks auf die MRT mit deren TSE-Sequenz erweitert [12, 94] und liegt aktuell für alle Gelenke mit hyalinem Gelenkknorpel für die STIR-Sequenz (short time fast spin-echo inversion-recovery) zur Beschreibung der chondralen Situation bei OA im MRT vor [48, 78]. Nahezu alle aktuellen MR-Klassifikationssysteme zu Veränderungen am Gelenkknorpel basieren auf der Outerbridge-Klassifikation und lassen jedoch bis heute eine etablierte Graduierung der degenerativen Knorpelveränderungen mit Abgrenzung zu fokalen (posttraumatischen) Knorpelschäden vermissen [121, 134, 135]. Häufig wird dabei die Vallotton-Klassifikation verwendet, die in Analogie zur Outerbridge-Klassifikation steht [131]. In Erweiterung dieser initial 4-stufigen Klassifikation von 1961 wurde 2003 durch die International Cartilage Research Society (ICRS) das „ICRS Hyaline Cartilage Lesion Classification System“ veröffentlicht, das als internationale Standardklassifikation angesehen werden kann [102] (Tab. 2). Die Gradeinteilung von Knorpelschäden ist zur Abschätzung des Schwergrads und zur Planung weiterer Therapiewege von praktischem Nutzen.

Wertigkeit der Knorpel-MRT

Doch die derzeit in der klinischen Routine angewandte MRT ist bezüglich der Beurteilung des Schweregrads von Knorpelschäden keineswegs sehr genau. In vielen Studien wurde der diagnostische Nutzen der MR-Knorpeldiagnostik ermittelt, indem verschiedene Grade von Knorpelschäden zu einem positiven (z.B. Grad II bis IV) und einem negativen Befund (z.B. Grad 0 und I) zusammengefasst wurden [22, 72, 82, 94, 117, 142, 146]. Diese Vereinfachung entspricht sicher nicht den Anforderungen des behandelnden Arztes, der bei der Beurteilung ein möglichst exaktes Grading der Knorpelschäden benötigt. Auch die unterschiedlichen statistischen Methoden zur Ergebnisauswertung vieler Korrelationsstudien zwischen MR-Knorpelgrading und i.o.-Status führen mit zu den vorliegenden unterschiedlichen Ergebnissen [5, 8, 14, 24, 50, 76].

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