Übersichtsarbeiten - OUP 03/2022

Osteoporose aus rehabilitativer Sicht

Hartmut Bork

Zusammenfassung:
Rehabilitationsmaßnahmen haben bei Patienten mit einer Osteoporose insbesondere im Rahmen eines Frakturereignisses einen wichtigen Stellenwert. Sie können helfen, Schmerzen zu reduzieren, beeinträchtigte Funktionen zu verbessern, Folgeschäden zu limitieren und Lebensqualität sowie soziale Teilhabe der Betroffenen zu erhalten. Gerade ältere Menschen zeigen nach einem Frakturereignis aufgrund oftmals bestehender multipler Vorerkrankungen eine reduzierte psychophysische Kompensationsfähigkeit und bedürfen eines ganzheitlichen Therapieansatzes zur Rekonvaleszenz. Zudem können den weiteren Verlauf beeinflussende Risikofaktoren im Rahmen der Rehabilitation identifiziert und durch den interdisziplinären Therapieansatz positiv beeinflusst werden. Durch Aufklärung und Schulung lässt sich hier mitunter die Compliance für notwendige Therapien stärken und das Ernährungs- und Bewegungsverhalten modulieren. Rehabilitation kann daher zu verschiedenen Zeitpunkten mit unterschiedlichen Schwerpunkten zum Erhalt der funktionalen Gesundheit, Vermeidung von Pflegebedürftigkeit und dem Erhalt der Erwerbstätigkeit bei Patienten mit einer Osteoporose beitragen.

Schlüsselwörter:
Osteoporose, Sturz, Sturzangst, Osteoporose bedingte Fraktur, Bewegungstherapie

Zitierweise:
Bork H: Osteoporose aus rehabilitativer Sicht
OUP 2022; 11: 0116–0121
DOI 10.53180/oup.2022.0116-0121

Summary: Rehabilitation measures have an important significance for patients with osteoporosis, especially in the context of a fracture event. They can help to reduce pain, improve impaired functions, limit consequential damage and maintain the quality of life and social participation of those affected. Older people in particular show a reduced psychophysical compensatory capacity after a fracture event due to often existing multiple pre-existing diseases and require a holistic therapy approach for convalescence. In addition, risk factors that influence the further course of the disease can be identified during rehabilitation and positively influenced by the interdisciplinary therapy approach. Through education and training, compliance with necessary therapies can be strengthened and dietary and exercise behaviour can be modulated. Rehabilitation can therefore contribute to the preservation of functional health, avoidance of the need for care and the preservation of employment in patients with osteoporosis at different points in time with different focuses.

Keywords: Osteoporosis, falls, fear of falling, osteoporosis induced fracture, exercise

Citation: Bork H: Osteoporosis from a rehabilitative point of view.
OUP 2022; 11: 0116–0121. DOI 10.53180/oup.2022.0116-0121

Hintergrund

Die Osteoporose als systemische Skeletterkrankung zählt vor allem aufgrund ihrer Folgeprobleme mit Wirbelkörper- und hüftnahen Frakturen zu einer für das Gesundheitssystem ökonomisch bedeutsamen Erkrankung in Deutschland. Ihre Relevanz wird in den nächsten Jahren infolge der demografischen Entwicklung noch um ein Vielfaches zunehmen, da Inzidenz und Prävalenz der Osteoporose und insbesondere hierdurch bedingte Frakturen stark altersassoziiert sind. Zur Prävalenz der altersassoziierten Osteoporose gibt es für Deutschland leider nur wenige Daten. In der EPOS Studie stieg diese von etwa 15 % bei postmenopausalen Frauen auf 45 % im Alter von mehr als 70 Jahren und bei Männern (bezogen auf eine erniedrigte Knochendichte am Schenkelhals) von 2,4 % im Alter von 50–60 Jahren auf 17 % bei über 70-Jährigen [42].

Schwerwiegendste Komplikation ist mithin die Osteoporose bedingte Fraktur, die im Alter eine der Hauptursachen für funktionelle Einschränkungen, Behinderung, chronische Schmerzsyndrome sowie eine erhöhte Morbidität und Mortalität darstellt [6, 26]. Sie trägt entscheidend zum Verlust an Lebensqualität und Autonomie älterer Menschen bei und erfordert neben einer oft notwendigen operativen Versorgung im Weiteren einen zeitnahen multidisziplinären und multimodalen rehabilitativen Therapieansatz, zumal eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren das Krankheitsgeschehen und ihren Verlauf beeinflusst.

Zielsetzung rehabilitativer Maßnahmen

Rehabilitationsmaßnahmen können helfen, nicht nur verlorene Funktionen wiederherzustellen bzw. noch vorhandene Funktionen zu bewahren, sondern auch durch Aufklärung die Compliance für eine notwendige medikamentöse Therapie zu stärken und das Ernährungs- und Bewegungsverhalten zu modulieren. Zudem können Risikofaktoren, die zu der Erkrankung/Verletzung beigetragen haben identifiziert und möglicherweise beeinflusst werden. Gerade nach Wirbelkörper- und Hüftfrakturen ist daher die Einleitung einer zeitnahen rehabilitativen Behandlung ambulant oder stationär sinnvoll, um bei älteren Menschen eine Pflegebedürftigkeit zu vermeiden und jüngere Patienten im Erwerbsleben zu halten. Faktoren, die eher für eine stationäre Rehabilitation sprechen, sind u.a. mangelnde Mobilität und Sturzgefahr, Komplikationen nach einem operativen Eingriff, höheres Lebensalter mit reduziertem Allgemeinzustand, rehabilitationsrelevante Multimorbidität und vorbestehende Pflegebedürftigkeit, keine Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel, Probleme in der häuslichen Versorgung (alleinstehend, Pflegeperson im Haushalt) und psychosoziale Belastungsfaktoren.

Die Rehabilitations-/Therapiezielsetzung ist immer ein dynamischer Prozess. Aufgrund des individuellen Behandlungsfortschrittes können sich daher Zielsetzungen während der Rehabilitation auch verändern. Abweichungen vom normalen Heilverlauf sollten zeitgerecht erkannt und entsprechend notwendige Therapieschritte eingeleitet werden, um das Ziel der Teilhabe an den Aktivitäten des täglichen Lebens und die soziale Reintegration zu gewährleisten [8].

Neben der medikamentösen Therapie haben im Rehabilitationskonzept vor allem physikalische, edukative und oftmals auch psychologische Interventionen einen hohen Stellenwert, um negative Auswirkungen der Erkrankung bzw. Verletzung auf den Alltag und Beruf mit möglichen psychosozialen Folgen zu verhindern. Um das individuelle Rehabilitationspotential bzw. die Rehabilitationsprognose besser abschätzen zu können, ist insbesondere bei geriatrischen Patienten zur Erfassung der medizinischen, psychosozialen und funktionellen Beeinträchtigungen ein standardisiertes und interdisziplinäres Aufnahmeassessment in den Bereichen Mobilität, Selbsthilfefähigkeit, Kognition, Emotion und soziale Versorgung notwendig [40].

Im Weiteren soll daher ein Überblick über das interdisziplinäre Therapiekonzept in der Rehabilitation gegeben werden.

Medikamentöse Therapie

Nach einem stationären Krankenhausaufenthalt infolge einer Frakturversorgung wird von unfallchirurgischen Kollegen häufig die Einleitung einer medikamentösen Therapie zur Behandlung der Osteoporose empfohlen. Daher sollte in der nachbehandelnden Rehabilitationsklinik nach Erfassung von möglichen Risikofaktoren für die Erkrankung bzw. Verletzung und Durchführung einer Knochendichtemessung auch möglichst eine medikamentöse Therapie eingeleitet werden. Einnahmemodalitäten, eventuell auftretende Unverträglichkeiten und Nebenwirkungen sollten mit den Patienten besprochen werden, um langfristig eine ausreichende Compliance für die Einnahme zu gewährleisten.

In der Regel wird nach einer Frakturversorgung der Schwerpunkt ärztlicherseits zunächst auch auf eine wirksame und nebenwirkungsarme Schmerztherapie liegen. Eine ausbalancierte Schmerztherapie ist eine wesentliche Voraussetzung für eine frühe Mobilisierung gerade älterer Patienten. Schmerztherapie ist immer eine interdisziplinäre Aufgabe, sie sollte multimodal ausgerichtet sein und sich an den jeweiligen individuellen Bedürfnissen orientieren [8]. Neben der medikamentösen Behandlung können auch Physio-, Bewegungs- und Ergotherapie, physikalische Maßnahmen, Entspannungstherapie und natürlich menschliche Zuwendung zu einer Schmerzlinderung beitragen. Neben einer festen Basismedikation sollte immer auch eine Bedarfsmedikation für Schmerzdurchbrüche verordnet werden, wobei die richtige Dosierung speziell bei Patienten mit einer chronischen Schmerzkrankheit oder Demenz nicht immer einfach ist. Rückmeldungen seitens der Pflege und Physiotherapie können hier oftmals hilfreich sein.

Neben der Wirksamkeit der analgetischen Therapie müssen bei der Auswahl der Schmerzmedikation gerade im Alter die individuellen Risiken durch die zunehmende Multimorbidität (wie z.B. Leber- und Niereninsuffizienz, Herzinfarkt, Schlaganfall, Allergien etc.) berücksichtigt werden. Darüber hinaus führt die präoperativ bereits bei Älteren oftmals vorhandene Multimedikation zusammen mit der im Alter veränderten Pharmakodynamik und -kinetik zu einem erhöhten Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen [18, 19].

Bei Aufnahme des Patienten in die rehabilitative Einrichtung muss daher die bestehende medikamentöse Therapie überprüft und auf ihre Plausibilität hin kontrolliert werden. Zur besseren Beurteilung einer potentiell inadäquaten Multimedikation empfiehlt sich vor allem bei älteren Patienten ein Blick auf die PRISCUS- bzw. FORTA-Liste [15, 38] oder PIM-Liste (potentiell inadäquate Medikation).

Bewegungstherapie

Seit vielen Jahren hat sich die Bewegungstherapie mit ihrer vielfältigen funktionell somatischen und psychosozialen Wirkung als Basis konservativer Behandlungsstrategien zur Verbesserung beeinträchtigter Körperfunktionen und Regeneration geschädigter Strukturen am Haltungs- und Bewegungsapparat bei diversen Indikationen sowie zur Reduktion von Schmerzen etabliert. Die wissenschaftliche Datenlage ist zwar derzeit noch etwas heterogen, dennoch gibt es eine Vielzahl von Studien, welche den positiven Einfluss von Bewegung belegen [16, 21, 30, 32, 33, 39].

Grund für den empfohlenen Einsatz der Bewegungstherapie ist neben dem Erhalt der Beweglichkeit an Gelenken und der Wirbelsäule insbesondere ihr Einfluss auf den weiteren Muskel- und Knochenabbau. So produziert die Skelettmuskulatur nicht nur kinetische Energie und Wärme, sondern wirkt auch als endokrines Organ, in dem sie entzündungshemmende Myokine freisetzt und immunmodulatorische Effekte induziert [35]. Zudem hat der Skelettmuskel Einfluss auf zahlreiche andere Organe wie z.?B. Fettgewebe, Leber, Pankreas und Gehirn [5]. Auch im Behandlungskonzept der Osteoporose zählt die Bewegungstherapie daher zu einer wichtigen Therapiesäule, zumal für den Erhalt der Knochenmasse und der Mikrostruktur des Knochens Bewegung unabdingbar ist.

Körperlich aktive Menschen weisen eine signifikant höhere Knochendichte auf als inaktive Menschen [10]. Zudem belegen prospektive Kohortenstudien und konsistente Ergebnisse aus Fall-Kontrollstudien ein reduziertes Risiko von 20–40 % für periphere Fakturen bei älteren Menschen, die ein hohes Aktivitätslevel haben, was insofern von Bedeutung ist, da durch Osteoporose bedingte Frakturen eine der Hauptursachen für funktionelle Einschränkungen, Behinderung und chronische Schmerzsyndrome sind [30] und Hüftfrakturen zwischen dem 50. und 90. Lebensjahr pro Dekade um das Zwei- bis Vierfache zunehmen. Gerade nach einem Frakturereignis ist es daher sinnvoll, eine frühe Mobilisierung einzuleiten und schmerzadaptiert gezielt bewegungstherapeutische Übungen einzusetzen.

Auch eine frühzeitige Wiederaufnahme von Alltagsaktivitäten scheint sinnvoll zu sein, um muskuläre und koordinative Defizite zu minimieren und chronische Rückenschmerzen zu vermeiden, obwohl ein systematischer Cochrane Review von Gibbs et al. [17] darauf hinweist, dass die Effekte eines körperlichen Trainings nach einer osteoporotischen Wirbelkörperfraktur (positive wie negative durch weitere Frakturen) bislang nicht ausreichend untersucht sind.

Zielsetzungen

Bewegungstherapie wird in einer Rehabilitationsklinik von verschiedenen Berufsgruppen wie Physio-, Ergo- und Sporttherapeuten eingesetzt und umfasst je nach angestrebtem Behandlungsziel eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden und Übungsformen wie klassische Krankengymnastik, Ergotherapie, Geräte- und Aquatraining sowie Ausdauer-/Koordinations- und Beweglichkeitstraining.

Die Zielsetzungen können dabei individuell unterschiedlich sein. Bei der Auswahl und Trainingsintensität der einzelnen Therapieverfahren/Übungsformen müssen unter anderem Stabilität einer Osteosynthese, aktuelle Schmerzsymptomatik, Alter der Patienten, Allgemeinzustand und die Begleiterkrankungen mit berücksichtigt werden [6].

Krafttraining

Da die Maximalkraft bereits ab dem 30. Lebensjahr langsam abnimmt und es in der 6. Lebensdekade zu einer weiteren beschleunigten, nicht linearen Abnahme kommt, die sich in der 8. Dekade nochmals steigern kann, wird mit zunehmendem Alter für den Erhalt der Mobilität und auch der Fähigkeit, sich im Alltag selbst zu versorgen, ein den veränderten Bedingungen angepasstes Krafttraining bedeutsam. Auch für die Entwicklung und den Erhalt der Knochenmasse und -festigkeit gilt körperliche Aktivität und die daraus resultierende mechanische Beanspruchung des Knochens als unabdingbar.

Je inaktiver der Lebensstil, desto frühzeitiger zeigen sich altersbedingte degenerative Veränderungen. Neben einer reduzierten Anzahl an Muskelfasern (Typ-1– und betont Typ-2-Fasern, vor allem der unteren Extremität) sind hierfür neuronale Einflüsse (unter anderem eine Reduktion spinaler Motoneurone bzw. spinale Inhibitionen) sowie eine Einschränkung der mechanischen Muskelfunktion verantwortlich. Dies führt zu einer erheblichen Beeinträchtigung im sensomotorischen Informationsaustausch mit einer Minderung der Qualität der inter- und intramuskulären Koordination. Generell kommt es im Alter zu einer Vielzahl von physiologischen Veränderungen mit funktionellen Einschränkungen im Bereich sämtlicher Organsysteme, wobei der individuelle Alterungsprozess variabel ist [11]. In der Regel treten die typischen altersassoziierten Veränderungen etwa ab dem 70. Lebensjahr auf [31].

Verschiedene Arbeiten zeigen, dass Krafttraining den beschriebenen altersbedingten Einschränkungen entgegengewirkt. Krafttraining führt bei älteren Menschen durch isometrische und dynamische Muskelarbeit zu einer Zunahme der Muskelkraft durch Erhöhung des Muskelvolumens sowie zu einer Optimierung der Rekrutierung und Frequenzierung motorischer Einheiten, wodurch sich Gangsicherheit und Ganggeschwindigkeit oftmals verbessern lassen [2, 27]. Das Ausmaß der Anpassung bei älteren Menschen über 60 Jahren ist dabei mit dem von Jüngeren durchaus vergleichbar.

Die sarkopenische Muskelfaser verfügt somit nicht per se über eine reduzierte mechanische Muskelfunktion, sondern besitzt ein nachweisbares Adaptationspotenzial. Da die muskuläre Kapazität auch im hohen Alter noch gut trainierbar ist, liegt in diesem Bereich ein großes Potential der Prävention, um einem Abbau an Funktionsfähigkeit im Alter entgegenzuwirken, zumal der Anteil der Älteren, die ein Krafttraining zum Erhalt bzw. dem Aufbau von Knochenmasse und -festigkeit praktizieren, gering ist.

Allerdings ist nicht abschließend geklärt, welche Trainingseffekte mit welcher Belastungsintensität bzw. Beanspruchung im Einzelnen erreicht werden. Eine Steigerung der Muskelmasse (Hypertrophie) wird allgemein erzielt, wenn in einem Zeitraum von 40 bis maximal 60 Sekunden eine erschöpfende Beanspruchung ausgelöst wird, unabhängig davon, ob dies mit einer Intensität von 40, 60 oder 80 % der willkürlich erreichbaren Maximalkraft (Einwiederholungsmaximum, 1 RM) oder mit 5, 10 oder 15 Wiederholungen geschieht [29]. Die Wirkung der Belastungshöhe variiert daher beim Krafttraining mit personenspezifischen Eigenschaften und Fähigkeiten. Steht die Steigerung der schnell verfügbaren Kraft (Kraftentwicklungsrate) im Vordergrund, sind eher höhere Intensitäten (> 85 %) bzw. Frequenzen notwendig. Ein progressives Krafttraining bei 60–80 % des 1 RM hat laut jetziger Datenlage [13] allgemein einen positiven Effekt auf die Knochenmasse an Hüfte und Wirbelsäule. Ein Maximalkrafttraining von 70–90 % des 1 RM für alle Hauptmuskelgruppen hat dabei einen größeren Effekt auf die Knochenmasse als ein Kraftausdauertraining. Ein Krafttraining mit 80 % des 1 RM mit Betonung der Muskelleistung (hohe Geschwindigkeit) für alle Hauptmuskelgruppen zeigt auf die Knochenmasse von Hüfte und Wirbelsäule bessere Ergebnisse als ein langsam durchgeführtes Training von 80 % des 1 RM. Der trabekuläre Knochen der Wirbelkörper reagiert dabei schneller auf mechanische Verformung als der cortikale Knochen des Schenkelhalses.

Mischtraining

Auch tägliches Walken im aeroben Bereich kann den Knochenaufbau an der Wirbelsäule bei osteoporotischen Frauen stimulieren, insbesondere wenn dieses mit einem zusätzlichen täglichen Gymnastikprogramm oder Krafttraining koordiniert wird. Zudem haben sich zur Senkung des Sturz- und Verletzungsrisikos für über 80-jährige Frauen und Männer individuelle Übungsprogramme mit einem Kraft- und Geschicklichkeitstraining mindestens dreimal pro Woche je 30 Minuten als effektiv erwiesen [9].

Für Personen über 60 Jahren, die bereits einen Sturz erlitten haben ist auch ein funktionelles Balancetraining sinnvoll, um weitere Stürze zu vermeiden. Auch mit Tai Chi dreimal pro Woche über jeweils eine Stunde für 6 Monate unter Anleitung und weitere 6 Monate in Eigenregie konnte ein signifikanter Effekt auf die Sturzreduktion erzielt werden [28].

Vibrationstraining

Im Hinblick auf die Zunahme der Knochenmasse an Hüfte und Wirbelsäule lassen die bislang publizierten Daten zum Vibrationstraining keine sichere Beurteilung bzw. Empfehlung zu. Unterschiedliche Gerätetypen mit physikalisch verschiedenen Vibrationsverfahren erschweren dabei die Vergleichbarkeit der Studienergebnisse. Auch sind mit zunehmendem Alter viele Patienten mit einem endoprothetischem Gelenkersatz an Hüfte und Kniegelenk versorgt und scheiden somit für ein Vibrationstraining aus. Ein positiver Effekt des Trainings auf das Gleichgewicht wurde von Verschueren et al. beschrieben [45].

Dosierung/Dauer

Noch nicht abschließend geklärt ist, welche Trainingseffekte sich mit welcher Belastungsintensität bzw. Beanspruchung im Einzelnen erreichen lassen, zumal personenspezifische Eigenschaften und Fähigkeiten variieren. Eine selbst gewählte moderat-intensive Belastungsintensität und langsame Belastungssteigerung, verbunden mit einer schmerzfreien Bewegungsausführung stellen die wichtigsten Trainingsprinzipien dar. Häufigere kürzere Trainingseinheiten (z. B. dreimal pro Woche 20–30 Minuten) scheinen gerade für ältere Patienten sinnvoller zu sein als längere wenige Einheiten [25]. Einzelne Therapiearten weisen laut derzeitiger Studienlage gegenüber anderen keine Überlegenheit auf, sodass die Therapien anhand individueller Präferenzen zusammen mit den Therapeuten ausgewählt werden sollten. Bewegung muss Spaß machen, um eine langfristige Bindung an körperliche Aktivität zu erzielen, da bei Abbruch die erzielten Effekte wieder rückläufig sind. Zu beachten ist, dass mitunter Schmerz und die Angst, dass Bewegungen schädlich sein könnten, die Umsetzung in den Alltag mitunter blockieren. Um Übungsinhalte sicher zu vermitteln und für weitere selbständig durchzuführende Eigenübungen eine hohe Compliance zu erzielen, sollte das Training durch erfahrene Therapeuten begleitet werden.

Sturzgefahr/Sturzangst

Wesentlicher Risikofaktor für eine Fraktur ist neben der verminderten Knochenmasse und -festigkeit vor allem ein Sturz durch Gangunsicherheit infolge einer im Alter reduzierten Muskelkraft und eines reduzierten Gleichgewichtsvermögens [12]. Zur Reduktion der motorischen Kompetenz gesellschaftet sich im Alter noch eine Minderung der visuellen und vestibulären Fähigkeiten, wodurch das Sturzrisiko zusätzlich erhöht wird. Altersassoziierte Stürze sind multikausal bedingt mit einer komplexen Interaktion aus intrinsischen und extrinsischen Faktoren wie Medikation oder „Stolperfallen“ im häuslichen Umfeld [13].

Epidemiologische Daten zur Sturzprävalenz und -inzidenz fehlen in Deutschland weitgehend. Internationale Studien belegen aber, dass 40 % der über 80-jährigen zu Hause lebenden Personen mindestens einmal pro Jahr stürzen, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer. In Pflegewohnheimen wird das Sturzrisiko noch höher eingeschätzt [20, 43, 44].

Postoperativ ist das Sturzrisiko zusätzlich durch Schmerzen, die Wirkung schmerzreduzierender Medikamente, Unruhezustände sowie die insgesamt herabgesetzte neuromuskuläre Koordination erhöht. Der Vermeidung von Stürzen und sturzbedingten Verletzungen kommt daher postoperativ eine maßgebliche Bedeutung im Rahmen der Patientensicherheit zu, zumal mit Stürzen assoziierte Folgen zu verlängerten Aufenthalten, einem erhöhten Ressourcenverbrauch und insgesamt einem schlechteren Behandlungsergebnis führen [1, 23, 24]. In Krankenhäusern und auf Stationen, in denen eher ältere Patienten behandelt werden, ist die steigende Sturzhäufigkeit bei höherem Lebensalter ebenfalls belegt [22, 46].

Zur Abschätzung des Sturzrisikos älterer Patienten sollten daher einfach durchführbare Assessments, die sich in den Pflegeprozess implementieren lassen, routinemäßig eingesetzt werden (Morse- Sturzrisikoskala, STRATIFY 15-Risikoassessment-Instrument [3]). Weiterhin können Tests wie z.B. der Chair Rising Test, Functional
Reach Test, 1-Beinstand, Statische
Balance Tests (FICSIT), die Gehgeschwindigkeit oder der Timed-up-and-go-Test zur Überprüfung von Muskelkraft und -leistung der unteren Extremitäten sowie der Tinetti und Geh-/Zähltest ergänzende Informationen für die Beurteilung der Sturzgefahr liefern [37, 43, 44].

Stürze können ältere Menschen nachhaltig verunsichern. Sturzangst und die damit verbundene Einschränkung der körperlichen Aktivität ist unter älteren Menschen weit verbreitet. Bewegungstherapie kann hier einen wertvollen Beitrag sowohl zur Verminderung der Sturzangst als auch zur Prävention von Stürzen durch Stärkung der Muskelkraft leisten. So kann das Selbstvertrauen in die eigene körperliche Leistungsfähigkeit bei Betroffenen wieder aufgebaut und versucht werden, den Teufelskreislauf einer durch Sturzangst bedingten späteren Selbstbeschränkung und damit zunehmenden Dekonditionierung zu durchbrechen.

Da viele Patienten neben der Sturzangst auch Angst vor medikamentösen Nebenwirkungen durch die erforderliche langjährige Medikamenteneinnahme haben, sollten auch psychologische Interventionen während der Rehabilitation zum Einsatz kommen und darauf abzielen, Betroffenen Alltagsstrategien für eine bessere Krankheitsverarbeitung an die Hand zu geben.

Physikalische Therapie

Auch bei Patienten mit einer Osteoporose bzw. osteoporotischen Fraktur kann der Einsatz physikalischer Maßnahmen als unterstützende Maßnahme in einem multimodalen Behandlungskonzept sinnvoll sein. Physikalische Therapien werden aufgrund von positiven Erfahrungen in der Praxis ergänzend zu den aktiven Therapieverfahren insbesondere mit dem Ziel eingesetzt, Schmerzen zu lindern, muskuläre Verspannungen zu verringern und zu einer Verbesserung des physischen und psychischen Wohlbefindens beizutragen. Die Datenlage zur Evidenz ist allerdings nach wie vor aufgrund der häufiger mangelnden Qualität der Studien und der mitunter geringen Probandenzahl heterogen.

Da physikalische Therapien für den Körper aber auch mit Nebenwirkungen verbunden sein können, muss die Dosierung der Reizintensität und Reizdauer jeweils der individuellen Reaktionslage, den aktuellen Beschwerden und bestehenden Komorbiditäten angepasst sein.

Ergotherapie

Die Ergotherapie leitet im Rahmen der Rehabilitation Patienten u.a. zu einem gelenk- und rückenschonendem Verhalten an und schult hierfür Eigenübungen. Eine mögliche Beeinträchtigung von Alltagstätigkeiten sollte z.B. über den Funktionsfragebogen Hannover (FFbH) erfasst werden, um durch Beratung und eine alltags- bzw. betätigungsorientierte Ergotherapie unterstützende Hilfestellungen und Aufklärung über Hilfsmittel geben zu können.

Ergotherapeutische arbeitsplatzorientierte Therapien tragen nachgewiesener Weise zu einer Verminderung krankheitsbedingter Einschränkungen am Arbeitsplatz und damit zum Erhalt der Erwerbsfähigkeit und zu einer Verringerung von Arbeitsunfähigkeitszeiten bei [4] und sind bei Erwerbstätigen im Rahmen der Rehabilitation immer mit in die Behandlung einzubeziehen.

Orthopädietechnik

Bei Patienten mit einer osteoporotischen Wirbelkörperfraktur kann, um eine schmerzarme Mobilisation im Rahmen einer konservativen Behandlung und Rehabilitation zu ermöglichen, die Versorgung mit einer wirbelsäulenaufrichtenden Orthese erwogen werden. In Bezug auf die Schmerzreduktion, Funktionsverbesserung und Lebensqualität besteht mittelgradige Evidenz. Positive Effekte durch eine semirigide Orthese wurden auch auf die Muskelkraft der Rückenstrecker und auf die Abdominalmuskulatur beschrieben [36]. Die Orthesen sollten immer in Verbindung mit physiotherapeutischen Übungsprogrammen und Haltungsschulungen eingesetzt werden [34] und Patienten über den Tragemodus informiert werden. Eine tägliche Tragedauer von 2–4 Stunden über einen Zeitraum von 3–6 Monaten scheint hierbei am effektivsten zu sein, wobei auf eine korrekte Anpassung der Orthese und Kontrolle während der Behandlungszeit zu achten ist.

Patientenschulung

Schulungen auf der Grundlage verhaltensorientierter Methoden sind für Patienten mit einer Osteoporose in Rehakliniken seit vielen Jahren etabliert. Sie sollen mit dazu beitragen, die Erkrankung und Therapiemöglichkeiten besser zu verstehen und so das Selbstmanagement und die Compliance der Betroffenen stärken. Die Wirksamkeit von Schulungen ist dabei insbesondere bei rheumatischen Erkrankungen grundsätzlich belegt [14], obwohl eine dauerhafte Veränderung von gewohnten Lebensstilen vielen Patienten schwer fällt.

Ernährungsberatung

Viele ältere und vor allem geriatrische Patienten haben einen reduzierten Appetit und trinken zu wenig. Hierdurch kommt es auf Dauer zu einer Mangelernährung, was auch die Versorgung mit Vitaminen betrifft. Zur Erfassung einer Mangelernährung hat sich u.a. das Mini Nutritional Assessment etabliert [41]. Mit zunehmendem Alter nimmt zudem die Fähigkeit zur Vitamin-D-Produktion in der Haut ab. Gleichzeitig bewirken die nachlassende Magensäureproduktion und die reduzierte Resorptionsleistung des Dünndarms, dass weniger Kalzium resorbiert werden kann. Ist die Kalziumzufuhr vermindert und besteht ein Vitamin-D-Mangel, kann ein sekundärer Hyperparathyreoidismus entstehen, der die chronische Entkalkung des Skeletts bedingt und Frakturen mit begünstigt. Zum Behandlungskonzept der Osteoporose gehört daher eine ausreichende Calcium- und Vitamin D-haltige Ernährung bzw. aufgrund der Möglichkeit von Hypokalzämien auch Substitution bei Patienten unter einer antiresorptiven Therapie. Die Sicherstellung der Calcium und Vitamin-D-Versorgung sollte daher im Rahmen einer Ernährungsschulung/-beratung thematisiert werden, wobei die Vorteile der Therapie gegenüber möglichen Risiken (Nierensteine oder Nierenerkrankungen, Magen-Darmerkrankungen, Herzerkrankungen) bei noch nicht therapiebedürftiger Osteopenie abgewogen werden muss. Schulungen mit Information über eine gesunde Ernährung und praktischen Beispielen in einer Lehrküche zur besseren Nachhaltigkeit sind zusätzlich empfehlenswert.

Sozialmedizinische
Begutachtung und Nachsorge

Die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung und Beratung hat einen besonderen Stellenwert in der Rehabilitation, zumal hier festgelegt wird, ob die aktuelle Tätigkeit bzw. der jetzige Beruf weiterhin ausgeübt werden kann und ob evtl. sogenannte Leistungen zur Teilhabe (Qualifizierungs-, Umschulungsmaßnahmen, Arbeitsplatzhilfen, Integrationsmaßnahmen mit Praktika, Lohnkostenzuschuss etc.) einzuleiten sind. Auch Anregungen in Bezug auf eine ergonomische Ausstattung des Arbeitsplatzes können in diesem Rahmen angesprochen werden. Die Leistungsbeurteilung sollte immer in Zusammenarbeit mit dem therapeutischen Team (Physio-, Ergotherapeuten, Psychologen, Sozialarbeiter) erfolgen, da die Erfahrungen und therapeutischen Eindrücke innerhalb des Rehabilitationszeitraums maßgebliche Informationen für die Begutachtung liefern können [7].

Für ältere Patienten ist in diesem Rahmen abzuklären, ob für die weitere häusliche Versorgung spezielle Unterstützungsmaßnahmen notwendig sind oder ein Pflegegrad beantragt werden sollte bzw. weitere Hilfsmittel oder Umbaumaßnahmen erforderlich sind, um die Selbständigkeit zu erhalten.

Interessenkonflikte:

Der Autor erklärt, dass aufgrund des Beschäftigungsverhältnis in einer Rehabilitationsklinik ein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de

Korrespondenzadresse:

Dr. Hartmut Bork

Reha-Zentrum am St. Josef-Stift

Westtor 7

48324 Sendenhorst

bork@reha-sendenhorst.de

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