Übersichtsarbeiten - OUP 03/2022

Osteoporose aus rehabilitativer Sicht

Verschiedene Arbeiten zeigen, dass Krafttraining den beschriebenen altersbedingten Einschränkungen entgegengewirkt. Krafttraining führt bei älteren Menschen durch isometrische und dynamische Muskelarbeit zu einer Zunahme der Muskelkraft durch Erhöhung des Muskelvolumens sowie zu einer Optimierung der Rekrutierung und Frequenzierung motorischer Einheiten, wodurch sich Gangsicherheit und Ganggeschwindigkeit oftmals verbessern lassen [2, 27]. Das Ausmaß der Anpassung bei älteren Menschen über 60 Jahren ist dabei mit dem von Jüngeren durchaus vergleichbar.

Die sarkopenische Muskelfaser verfügt somit nicht per se über eine reduzierte mechanische Muskelfunktion, sondern besitzt ein nachweisbares Adaptationspotenzial. Da die muskuläre Kapazität auch im hohen Alter noch gut trainierbar ist, liegt in diesem Bereich ein großes Potential der Prävention, um einem Abbau an Funktionsfähigkeit im Alter entgegenzuwirken, zumal der Anteil der Älteren, die ein Krafttraining zum Erhalt bzw. dem Aufbau von Knochenmasse und -festigkeit praktizieren, gering ist.

Allerdings ist nicht abschließend geklärt, welche Trainingseffekte mit welcher Belastungsintensität bzw. Beanspruchung im Einzelnen erreicht werden. Eine Steigerung der Muskelmasse (Hypertrophie) wird allgemein erzielt, wenn in einem Zeitraum von 40 bis maximal 60 Sekunden eine erschöpfende Beanspruchung ausgelöst wird, unabhängig davon, ob dies mit einer Intensität von 40, 60 oder 80 % der willkürlich erreichbaren Maximalkraft (Einwiederholungsmaximum, 1 RM) oder mit 5, 10 oder 15 Wiederholungen geschieht [29]. Die Wirkung der Belastungshöhe variiert daher beim Krafttraining mit personenspezifischen Eigenschaften und Fähigkeiten. Steht die Steigerung der schnell verfügbaren Kraft (Kraftentwicklungsrate) im Vordergrund, sind eher höhere Intensitäten (> 85 %) bzw. Frequenzen notwendig. Ein progressives Krafttraining bei 60–80 % des 1 RM hat laut jetziger Datenlage [13] allgemein einen positiven Effekt auf die Knochenmasse an Hüfte und Wirbelsäule. Ein Maximalkrafttraining von 70–90 % des 1 RM für alle Hauptmuskelgruppen hat dabei einen größeren Effekt auf die Knochenmasse als ein Kraftausdauertraining. Ein Krafttraining mit 80 % des 1 RM mit Betonung der Muskelleistung (hohe Geschwindigkeit) für alle Hauptmuskelgruppen zeigt auf die Knochenmasse von Hüfte und Wirbelsäule bessere Ergebnisse als ein langsam durchgeführtes Training von 80 % des 1 RM. Der trabekuläre Knochen der Wirbelkörper reagiert dabei schneller auf mechanische Verformung als der cortikale Knochen des Schenkelhalses.

Mischtraining

Auch tägliches Walken im aeroben Bereich kann den Knochenaufbau an der Wirbelsäule bei osteoporotischen Frauen stimulieren, insbesondere wenn dieses mit einem zusätzlichen täglichen Gymnastikprogramm oder Krafttraining koordiniert wird. Zudem haben sich zur Senkung des Sturz- und Verletzungsrisikos für über 80-jährige Frauen und Männer individuelle Übungsprogramme mit einem Kraft- und Geschicklichkeitstraining mindestens dreimal pro Woche je 30 Minuten als effektiv erwiesen [9].

Für Personen über 60 Jahren, die bereits einen Sturz erlitten haben ist auch ein funktionelles Balancetraining sinnvoll, um weitere Stürze zu vermeiden. Auch mit Tai Chi dreimal pro Woche über jeweils eine Stunde für 6 Monate unter Anleitung und weitere 6 Monate in Eigenregie konnte ein signifikanter Effekt auf die Sturzreduktion erzielt werden [28].

Vibrationstraining

Im Hinblick auf die Zunahme der Knochenmasse an Hüfte und Wirbelsäule lassen die bislang publizierten Daten zum Vibrationstraining keine sichere Beurteilung bzw. Empfehlung zu. Unterschiedliche Gerätetypen mit physikalisch verschiedenen Vibrationsverfahren erschweren dabei die Vergleichbarkeit der Studienergebnisse. Auch sind mit zunehmendem Alter viele Patienten mit einem endoprothetischem Gelenkersatz an Hüfte und Kniegelenk versorgt und scheiden somit für ein Vibrationstraining aus. Ein positiver Effekt des Trainings auf das Gleichgewicht wurde von Verschueren et al. beschrieben [45].

Dosierung/Dauer

Noch nicht abschließend geklärt ist, welche Trainingseffekte sich mit welcher Belastungsintensität bzw. Beanspruchung im Einzelnen erreichen lassen, zumal personenspezifische Eigenschaften und Fähigkeiten variieren. Eine selbst gewählte moderat-intensive Belastungsintensität und langsame Belastungssteigerung, verbunden mit einer schmerzfreien Bewegungsausführung stellen die wichtigsten Trainingsprinzipien dar. Häufigere kürzere Trainingseinheiten (z. B. dreimal pro Woche 20–30 Minuten) scheinen gerade für ältere Patienten sinnvoller zu sein als längere wenige Einheiten [25]. Einzelne Therapiearten weisen laut derzeitiger Studienlage gegenüber anderen keine Überlegenheit auf, sodass die Therapien anhand individueller Präferenzen zusammen mit den Therapeuten ausgewählt werden sollten. Bewegung muss Spaß machen, um eine langfristige Bindung an körperliche Aktivität zu erzielen, da bei Abbruch die erzielten Effekte wieder rückläufig sind. Zu beachten ist, dass mitunter Schmerz und die Angst, dass Bewegungen schädlich sein könnten, die Umsetzung in den Alltag mitunter blockieren. Um Übungsinhalte sicher zu vermitteln und für weitere selbständig durchzuführende Eigenübungen eine hohe Compliance zu erzielen, sollte das Training durch erfahrene Therapeuten begleitet werden.

Sturzgefahr/Sturzangst

Wesentlicher Risikofaktor für eine Fraktur ist neben der verminderten Knochenmasse und -festigkeit vor allem ein Sturz durch Gangunsicherheit infolge einer im Alter reduzierten Muskelkraft und eines reduzierten Gleichgewichtsvermögens [12]. Zur Reduktion der motorischen Kompetenz gesellschaftet sich im Alter noch eine Minderung der visuellen und vestibulären Fähigkeiten, wodurch das Sturzrisiko zusätzlich erhöht wird. Altersassoziierte Stürze sind multikausal bedingt mit einer komplexen Interaktion aus intrinsischen und extrinsischen Faktoren wie Medikation oder „Stolperfallen“ im häuslichen Umfeld [13].

Epidemiologische Daten zur Sturzprävalenz und -inzidenz fehlen in Deutschland weitgehend. Internationale Studien belegen aber, dass 40 % der über 80-jährigen zu Hause lebenden Personen mindestens einmal pro Jahr stürzen, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer. In Pflegewohnheimen wird das Sturzrisiko noch höher eingeschätzt [20, 43, 44].

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