Übersichtsarbeiten - OUP 03/2022

Osteoporose aus rehabilitativer Sicht

Nach einem stationären Krankenhausaufenthalt infolge einer Frakturversorgung wird von unfallchirurgischen Kollegen häufig die Einleitung einer medikamentösen Therapie zur Behandlung der Osteoporose empfohlen. Daher sollte in der nachbehandelnden Rehabilitationsklinik nach Erfassung von möglichen Risikofaktoren für die Erkrankung bzw. Verletzung und Durchführung einer Knochendichtemessung auch möglichst eine medikamentöse Therapie eingeleitet werden. Einnahmemodalitäten, eventuell auftretende Unverträglichkeiten und Nebenwirkungen sollten mit den Patienten besprochen werden, um langfristig eine ausreichende Compliance für die Einnahme zu gewährleisten.

In der Regel wird nach einer Frakturversorgung der Schwerpunkt ärztlicherseits zunächst auch auf eine wirksame und nebenwirkungsarme Schmerztherapie liegen. Eine ausbalancierte Schmerztherapie ist eine wesentliche Voraussetzung für eine frühe Mobilisierung gerade älterer Patienten. Schmerztherapie ist immer eine interdisziplinäre Aufgabe, sie sollte multimodal ausgerichtet sein und sich an den jeweiligen individuellen Bedürfnissen orientieren [8]. Neben der medikamentösen Behandlung können auch Physio-, Bewegungs- und Ergotherapie, physikalische Maßnahmen, Entspannungstherapie und natürlich menschliche Zuwendung zu einer Schmerzlinderung beitragen. Neben einer festen Basismedikation sollte immer auch eine Bedarfsmedikation für Schmerzdurchbrüche verordnet werden, wobei die richtige Dosierung speziell bei Patienten mit einer chronischen Schmerzkrankheit oder Demenz nicht immer einfach ist. Rückmeldungen seitens der Pflege und Physiotherapie können hier oftmals hilfreich sein.

Neben der Wirksamkeit der analgetischen Therapie müssen bei der Auswahl der Schmerzmedikation gerade im Alter die individuellen Risiken durch die zunehmende Multimorbidität (wie z.B. Leber- und Niereninsuffizienz, Herzinfarkt, Schlaganfall, Allergien etc.) berücksichtigt werden. Darüber hinaus führt die präoperativ bereits bei Älteren oftmals vorhandene Multimedikation zusammen mit der im Alter veränderten Pharmakodynamik und -kinetik zu einem erhöhten Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen [18, 19].

Bei Aufnahme des Patienten in die rehabilitative Einrichtung muss daher die bestehende medikamentöse Therapie überprüft und auf ihre Plausibilität hin kontrolliert werden. Zur besseren Beurteilung einer potentiell inadäquaten Multimedikation empfiehlt sich vor allem bei älteren Patienten ein Blick auf die PRISCUS- bzw. FORTA-Liste [15, 38] oder PIM-Liste (potentiell inadäquate Medikation).

Bewegungstherapie

Seit vielen Jahren hat sich die Bewegungstherapie mit ihrer vielfältigen funktionell somatischen und psychosozialen Wirkung als Basis konservativer Behandlungsstrategien zur Verbesserung beeinträchtigter Körperfunktionen und Regeneration geschädigter Strukturen am Haltungs- und Bewegungsapparat bei diversen Indikationen sowie zur Reduktion von Schmerzen etabliert. Die wissenschaftliche Datenlage ist zwar derzeit noch etwas heterogen, dennoch gibt es eine Vielzahl von Studien, welche den positiven Einfluss von Bewegung belegen [16, 21, 30, 32, 33, 39].

Grund für den empfohlenen Einsatz der Bewegungstherapie ist neben dem Erhalt der Beweglichkeit an Gelenken und der Wirbelsäule insbesondere ihr Einfluss auf den weiteren Muskel- und Knochenabbau. So produziert die Skelettmuskulatur nicht nur kinetische Energie und Wärme, sondern wirkt auch als endokrines Organ, in dem sie entzündungshemmende Myokine freisetzt und immunmodulatorische Effekte induziert [35]. Zudem hat der Skelettmuskel Einfluss auf zahlreiche andere Organe wie z.?B. Fettgewebe, Leber, Pankreas und Gehirn [5]. Auch im Behandlungskonzept der Osteoporose zählt die Bewegungstherapie daher zu einer wichtigen Therapiesäule, zumal für den Erhalt der Knochenmasse und der Mikrostruktur des Knochens Bewegung unabdingbar ist.

Körperlich aktive Menschen weisen eine signifikant höhere Knochendichte auf als inaktive Menschen [10]. Zudem belegen prospektive Kohortenstudien und konsistente Ergebnisse aus Fall-Kontrollstudien ein reduziertes Risiko von 20–40 % für periphere Fakturen bei älteren Menschen, die ein hohes Aktivitätslevel haben, was insofern von Bedeutung ist, da durch Osteoporose bedingte Frakturen eine der Hauptursachen für funktionelle Einschränkungen, Behinderung und chronische Schmerzsyndrome sind [30] und Hüftfrakturen zwischen dem 50. und 90. Lebensjahr pro Dekade um das Zwei- bis Vierfache zunehmen. Gerade nach einem Frakturereignis ist es daher sinnvoll, eine frühe Mobilisierung einzuleiten und schmerzadaptiert gezielt bewegungstherapeutische Übungen einzusetzen.

Auch eine frühzeitige Wiederaufnahme von Alltagsaktivitäten scheint sinnvoll zu sein, um muskuläre und koordinative Defizite zu minimieren und chronische Rückenschmerzen zu vermeiden, obwohl ein systematischer Cochrane Review von Gibbs et al. [17] darauf hinweist, dass die Effekte eines körperlichen Trainings nach einer osteoporotischen Wirbelkörperfraktur (positive wie negative durch weitere Frakturen) bislang nicht ausreichend untersucht sind.

Zielsetzungen

Bewegungstherapie wird in einer Rehabilitationsklinik von verschiedenen Berufsgruppen wie Physio-, Ergo- und Sporttherapeuten eingesetzt und umfasst je nach angestrebtem Behandlungsziel eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden und Übungsformen wie klassische Krankengymnastik, Ergotherapie, Geräte- und Aquatraining sowie Ausdauer-/Koordinations- und Beweglichkeitstraining.

Die Zielsetzungen können dabei individuell unterschiedlich sein. Bei der Auswahl und Trainingsintensität der einzelnen Therapieverfahren/Übungsformen müssen unter anderem Stabilität einer Osteosynthese, aktuelle Schmerzsymptomatik, Alter der Patienten, Allgemeinzustand und die Begleiterkrankungen mit berücksichtigt werden [6].

Krafttraining

Da die Maximalkraft bereits ab dem 30. Lebensjahr langsam abnimmt und es in der 6. Lebensdekade zu einer weiteren beschleunigten, nicht linearen Abnahme kommt, die sich in der 8. Dekade nochmals steigern kann, wird mit zunehmendem Alter für den Erhalt der Mobilität und auch der Fähigkeit, sich im Alltag selbst zu versorgen, ein den veränderten Bedingungen angepasstes Krafttraining bedeutsam. Auch für die Entwicklung und den Erhalt der Knochenmasse und -festigkeit gilt körperliche Aktivität und die daraus resultierende mechanische Beanspruchung des Knochens als unabdingbar.

Je inaktiver der Lebensstil, desto frühzeitiger zeigen sich altersbedingte degenerative Veränderungen. Neben einer reduzierten Anzahl an Muskelfasern (Typ-1– und betont Typ-2-Fasern, vor allem der unteren Extremität) sind hierfür neuronale Einflüsse (unter anderem eine Reduktion spinaler Motoneurone bzw. spinale Inhibitionen) sowie eine Einschränkung der mechanischen Muskelfunktion verantwortlich. Dies führt zu einer erheblichen Beeinträchtigung im sensomotorischen Informationsaustausch mit einer Minderung der Qualität der inter- und intramuskulären Koordination. Generell kommt es im Alter zu einer Vielzahl von physiologischen Veränderungen mit funktionellen Einschränkungen im Bereich sämtlicher Organsysteme, wobei der individuelle Alterungsprozess variabel ist [11]. In der Regel treten die typischen altersassoziierten Veränderungen etwa ab dem 70. Lebensjahr auf [31].

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