Übersichtsarbeiten - OUP 03/2022

Osteoporose aus rehabilitativer Sicht

Postoperativ ist das Sturzrisiko zusätzlich durch Schmerzen, die Wirkung schmerzreduzierender Medikamente, Unruhezustände sowie die insgesamt herabgesetzte neuromuskuläre Koordination erhöht. Der Vermeidung von Stürzen und sturzbedingten Verletzungen kommt daher postoperativ eine maßgebliche Bedeutung im Rahmen der Patientensicherheit zu, zumal mit Stürzen assoziierte Folgen zu verlängerten Aufenthalten, einem erhöhten Ressourcenverbrauch und insgesamt einem schlechteren Behandlungsergebnis führen [1, 23, 24]. In Krankenhäusern und auf Stationen, in denen eher ältere Patienten behandelt werden, ist die steigende Sturzhäufigkeit bei höherem Lebensalter ebenfalls belegt [22, 46].

Zur Abschätzung des Sturzrisikos älterer Patienten sollten daher einfach durchführbare Assessments, die sich in den Pflegeprozess implementieren lassen, routinemäßig eingesetzt werden (Morse- Sturzrisikoskala, STRATIFY 15-Risikoassessment-Instrument [3]). Weiterhin können Tests wie z.B. der Chair Rising Test, Functional
Reach Test, 1-Beinstand, Statische
Balance Tests (FICSIT), die Gehgeschwindigkeit oder der Timed-up-and-go-Test zur Überprüfung von Muskelkraft und -leistung der unteren Extremitäten sowie der Tinetti und Geh-/Zähltest ergänzende Informationen für die Beurteilung der Sturzgefahr liefern [37, 43, 44].

Stürze können ältere Menschen nachhaltig verunsichern. Sturzangst und die damit verbundene Einschränkung der körperlichen Aktivität ist unter älteren Menschen weit verbreitet. Bewegungstherapie kann hier einen wertvollen Beitrag sowohl zur Verminderung der Sturzangst als auch zur Prävention von Stürzen durch Stärkung der Muskelkraft leisten. So kann das Selbstvertrauen in die eigene körperliche Leistungsfähigkeit bei Betroffenen wieder aufgebaut und versucht werden, den Teufelskreislauf einer durch Sturzangst bedingten späteren Selbstbeschränkung und damit zunehmenden Dekonditionierung zu durchbrechen.

Da viele Patienten neben der Sturzangst auch Angst vor medikamentösen Nebenwirkungen durch die erforderliche langjährige Medikamenteneinnahme haben, sollten auch psychologische Interventionen während der Rehabilitation zum Einsatz kommen und darauf abzielen, Betroffenen Alltagsstrategien für eine bessere Krankheitsverarbeitung an die Hand zu geben.

Physikalische Therapie

Auch bei Patienten mit einer Osteoporose bzw. osteoporotischen Fraktur kann der Einsatz physikalischer Maßnahmen als unterstützende Maßnahme in einem multimodalen Behandlungskonzept sinnvoll sein. Physikalische Therapien werden aufgrund von positiven Erfahrungen in der Praxis ergänzend zu den aktiven Therapieverfahren insbesondere mit dem Ziel eingesetzt, Schmerzen zu lindern, muskuläre Verspannungen zu verringern und zu einer Verbesserung des physischen und psychischen Wohlbefindens beizutragen. Die Datenlage zur Evidenz ist allerdings nach wie vor aufgrund der häufiger mangelnden Qualität der Studien und der mitunter geringen Probandenzahl heterogen.

Da physikalische Therapien für den Körper aber auch mit Nebenwirkungen verbunden sein können, muss die Dosierung der Reizintensität und Reizdauer jeweils der individuellen Reaktionslage, den aktuellen Beschwerden und bestehenden Komorbiditäten angepasst sein.

Ergotherapie

Die Ergotherapie leitet im Rahmen der Rehabilitation Patienten u.a. zu einem gelenk- und rückenschonendem Verhalten an und schult hierfür Eigenübungen. Eine mögliche Beeinträchtigung von Alltagstätigkeiten sollte z.B. über den Funktionsfragebogen Hannover (FFbH) erfasst werden, um durch Beratung und eine alltags- bzw. betätigungsorientierte Ergotherapie unterstützende Hilfestellungen und Aufklärung über Hilfsmittel geben zu können.

Ergotherapeutische arbeitsplatzorientierte Therapien tragen nachgewiesener Weise zu einer Verminderung krankheitsbedingter Einschränkungen am Arbeitsplatz und damit zum Erhalt der Erwerbsfähigkeit und zu einer Verringerung von Arbeitsunfähigkeitszeiten bei [4] und sind bei Erwerbstätigen im Rahmen der Rehabilitation immer mit in die Behandlung einzubeziehen.

Orthopädietechnik

Bei Patienten mit einer osteoporotischen Wirbelkörperfraktur kann, um eine schmerzarme Mobilisation im Rahmen einer konservativen Behandlung und Rehabilitation zu ermöglichen, die Versorgung mit einer wirbelsäulenaufrichtenden Orthese erwogen werden. In Bezug auf die Schmerzreduktion, Funktionsverbesserung und Lebensqualität besteht mittelgradige Evidenz. Positive Effekte durch eine semirigide Orthese wurden auch auf die Muskelkraft der Rückenstrecker und auf die Abdominalmuskulatur beschrieben [36]. Die Orthesen sollten immer in Verbindung mit physiotherapeutischen Übungsprogrammen und Haltungsschulungen eingesetzt werden [34] und Patienten über den Tragemodus informiert werden. Eine tägliche Tragedauer von 2–4 Stunden über einen Zeitraum von 3–6 Monaten scheint hierbei am effektivsten zu sein, wobei auf eine korrekte Anpassung der Orthese und Kontrolle während der Behandlungszeit zu achten ist.

Patientenschulung

Schulungen auf der Grundlage verhaltensorientierter Methoden sind für Patienten mit einer Osteoporose in Rehakliniken seit vielen Jahren etabliert. Sie sollen mit dazu beitragen, die Erkrankung und Therapiemöglichkeiten besser zu verstehen und so das Selbstmanagement und die Compliance der Betroffenen stärken. Die Wirksamkeit von Schulungen ist dabei insbesondere bei rheumatischen Erkrankungen grundsätzlich belegt [14], obwohl eine dauerhafte Veränderung von gewohnten Lebensstilen vielen Patienten schwer fällt.

Ernährungsberatung

Viele ältere und vor allem geriatrische Patienten haben einen reduzierten Appetit und trinken zu wenig. Hierdurch kommt es auf Dauer zu einer Mangelernährung, was auch die Versorgung mit Vitaminen betrifft. Zur Erfassung einer Mangelernährung hat sich u.a. das Mini Nutritional Assessment etabliert [41]. Mit zunehmendem Alter nimmt zudem die Fähigkeit zur Vitamin-D-Produktion in der Haut ab. Gleichzeitig bewirken die nachlassende Magensäureproduktion und die reduzierte Resorptionsleistung des Dünndarms, dass weniger Kalzium resorbiert werden kann. Ist die Kalziumzufuhr vermindert und besteht ein Vitamin-D-Mangel, kann ein sekundärer Hyperparathyreoidismus entstehen, der die chronische Entkalkung des Skeletts bedingt und Frakturen mit begünstigt. Zum Behandlungskonzept der Osteoporose gehört daher eine ausreichende Calcium- und Vitamin D-haltige Ernährung bzw. aufgrund der Möglichkeit von Hypokalzämien auch Substitution bei Patienten unter einer antiresorptiven Therapie. Die Sicherstellung der Calcium und Vitamin-D-Versorgung sollte daher im Rahmen einer Ernährungsschulung/-beratung thematisiert werden, wobei die Vorteile der Therapie gegenüber möglichen Risiken (Nierensteine oder Nierenerkrankungen, Magen-Darmerkrankungen, Herzerkrankungen) bei noch nicht therapiebedürftiger Osteopenie abgewogen werden muss. Schulungen mit Information über eine gesunde Ernährung und praktischen Beispielen in einer Lehrküche zur besseren Nachhaltigkeit sind zusätzlich empfehlenswert.

Sozialmedizinische
Begutachtung und Nachsorge

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