Übersichtsarbeiten - OUP 06/2015

Patellainstabilität bei Trochleadysplasie
Diagnostik und BehandlungsmöglichkeitenDiagnostics and treatment options

Lars Victor von Engelhardt1, 2, Jörg Jerosch1

Zusammenfassung: Die Rekonstruktion des medialen
patellofemoralen Ligaments (MPFL) trotz zugrunde liegender Trochleadysplasie zeigt ein vergleichsweise schlechtes klinisches Outcome und birgt ein erhöhtes Risiko für Rezidivluxationen. Somit sollte eine höhergradige Trochleadysplasie bei entsprechenden klinischen Befunden auch adressiert werden. Hierzu werden die heutzutage gängigen Methoden einer Trochleaplastik vorgestellt. Bereits nach der Erstluxation reißt das MPFL in über 90 % der Fälle. Zudem liegt die Patella im Rahmen einer Trochleaplastik in einer veränderten mechanischen Position nach dorsomedial verlagert. Die logische Konsequenz ist, dass bei einer Trochleaplastik eine MPFL-Plastik nicht nur aufgrund der Ruptur, sondern auch im Sinne einer medialen Weichteilbalancierung bzw. Alignementanpassung notwendig wird. Gerade in solchen Fällen ist unsere Methode der MPFL-Plastik besonders geeignet, die sich durch einfache Möglichkeiten auszeichnet, die Graftspannung intraoperativ zu optimieren.

Schlüsselwörter: Trochleadysplasie, mediales patellofemorales
Ligament, patellofemorale Instabilität, vorderer Knieschmerz

Zitierweise
von Engelhardt LV, Jerosch J. Patellainstabilität bei Trochleadysplasie. Diagnostik und Behandlungsmöglichkeiten.
OUP 2015; 6: 308–314 DOI 10.3238/oup.2015.0308–0314

Summary: An isolated medial patellofemoral ligament (MPFL) reconstruction in the presence of a severe dysplasia of the trochlea shows a relatively poor clinical outcome and leads to an increased risk for recurrent patella dislocation. Therefore, a severe dysplasia of the trochlea should be addressed when corresponding clinical findings are present. Current surgical procedures of a trochleoplasty are presented in this report. Following first patellar dislocation, the MPFL is torn in more than 90 % of the cases. During a throchleoplasty, the patella is moved to a more medial and dorsal mechanical position. As a logical consequence, an MPFL plastic is necessary in regard to the torn ligament as well as in regard to a balancing and alignment of the medial soft tissue restraints. Especially in these cases, our MPFL plastic technique, which allows a simple intra-operative testing and adjustment of the graft tensioning, is very convenient.

Keywords: trochlea dysplasia, medial patellofemoral ligament, patellofemoral instability, anterior knee pain

Citation
von Engelhardt LV, Jerosch J. Patella instability in dysplasia of the trochlea. Diagnostics and treatment options.
OUP 2015; 6: 308–314 DOI 10.3238/oup.2015.0308–0314

Einleitung

Um zu verstehen, dass das Thema Trochleadysplasie bei der Therapie der Patellainstabilität nicht von der Hand zu weisen ist, sind u.a. 3 Zahlen von Bedeutung: Dejour zeigte bei Patienten mit wiederholten Luxationen, dass in bis zu 85 % Prozent im Röntgen oder im CT Zeichen einer Trochleadysplasie zu finden sind [1]. Die zweite Zahl beschreibt das Ergebnis einer MPFL-Naht bzw. eines Re-Attachements trotz zugrunde liegender Trochleadysplasie. In diesen Fällen führt eine solche Operation nach einem mittleren Follow-up von etwas mehr als 3 Jahren in bis zu 46 % der Fälle zu Rezidivluxationen [2]. Bis dahin sind viele Patienten aber auch nicht gerade glücklich. So zeigt eine Metaanalyse zu 25 Studien zum isolierten MPFL-Ersatz, dass unter den Patienten mit Komplikationen mit einer Häufigkeit von 32 % anhaltende Instabilitätsbeschwerden mit einem entsprechend positiven Apprehensionstest bestehen. In dieser Analyse schlussfolgerte der Autor, dass diesem Beschwerdebild häufig nicht adressierte Trochleadysplasien zugrunde lagen bzw. als Risikofaktor zu werten waren [3]. Dies zeigt recht deutlich, dass wir uns bei einer Instabilität der Patella mit einer zugrunde liegenden Trochleadysplasie beschäftigen müssen und sie abhängig von den klinischen und bildgebenden Befunden auch adressieren sollten. Neben diesen Daten zu anhaltenden Instabilitäten ist auch an die Gefahr fortschreitender degenerativer Gelenkschäden zu denken. Liegt bei einer Instabilität eine auf einer geraden oder konvex geformten Trochlea reitende Patella vor, besteht bei einer reinen MPFL-Plastik das Risiko, dass eine erfolgreiche Stabilisierung nur durch eine straffe Fesselung der Patella erkauft werden kann. Somit sind die Untersuchungsergebnisse, wonach Patienten nach isolierter MPFL-Plastik trotz zugrunde liegender, höhergradiger Trochleadysplasie ein vergleichsweise schlechtes klinisches Outcome zeigen [29], nicht unbedingt erstaunlich. Auch wenn weitere evidenzbasierte Daten hierzu fehlen, ist davon auszugehen, dass eine mangelhaft adressierte Operation letztlich einen nicht unwesentlichen Risikofaktor für degenerative Gelenkschäden und zunehmende retropatellare Schmerzen darstellt.

Bildgebende Diagnostik

Die gebräuchlichste Einteilung der Trochleadysplasie geht auf Dejour zurück und unterteilt die Schweregrade A bis D. Diese Graduierung der Trochleadysplasie ist am besten auf transversalen MRT- oder CT-Schichten erkennbar (Abb. 1a-b). Sie können aber auch auf einer seitlich eingestellten Röntgenaufnahme, auf der die dorsalen Anteile der medialen und lateralen Femurkondyle genau übereinander liegen, als sog. Crossing Sign, als supratrochleärer Sporn und/oder als Doppelkontur erkannt werden [1]. Die leichte Form, der Grad A, ist in der Schnittbildgebung durch einen erhaltenen, aber abgeflachten Sulkuswinkel > 145° und in der seitlichen Röntgenaufnahme durch ein sog. „Crossing Sign“ gekennzeichnet. Der Grad B zeigt eine flache oder beginnend konvexe Trochlea in der Schnittbildgebung und einen supratrochleären Sporn im Röntgen. Bei den Graden C und D besteht zusätzlich eine Asymmetrie und zunehmende Hypoplasie der medialen zur lateralen Trochleafacette. Beim Grad C besteht eine prominente Konvexizität der lateralen Femurkondyle, die als Doppelkontur im Röntgen zu sehen ist. Beim Grad D zeigt sich neben der Doppelkontur ein supratrochleärer Sporn. An dieser Stelle bildet die vergleichsweise kräftige laterale Kondyle gegenüber dem medialen Anteil eine regelrechte Klippe aus.

Weitere, im Rahmen der Patellainstabilität zu beurteilende Befunde, sind ein möglicher Patellahochstand, wobei unter den hierfür beschriebenen Indices, der Insall-Salvati-Index sicherlich der Bekannteste ist. Hierbei wird die größte diagonale Länge durch die seitlich dargestellte Patella durch den Abstand von der Patellaspitze zur Tuberositas tibiae gemessen (Norm 0,8–1,2) [4]. Der TTTG-Abstand (engl. tibial tuberosity to trochlear groove) beschreibt die Distanz zwischen dem Sulkus der Trochlea und der Tuberositas tibiae (Norm < 20 mm). Schöttle et al. konnten zeigen, dass sowohl das CT als auch die MRT hierfür zuverlässige Messergebnisse liefern [5]. Zudem kann ein vergrößerter femoraler Antetorsionswinkel, der zwischen der Schenkelhalsachse und der Tangente der Hinterkante der Femurkondylen gemessen wird (Norm: ca. 20°), eine Lateralisation sowie einen Tilt der Patella bewirken und somit eine derotierende Osteotomie erforderlich machen [6]. Ähnlich kann eine vermehrte Tibiatorsion, die als Winkel zwischen den beiden längsten Linien durch das Tibiaplateau oberhalb des Fibulaköpfchens und auf Höhe des Pilon tibiale gemessen wird (Norm: < 40°), wiederum eine Lateralisierung der Patella nach sich ziehen. Die bei einer Instabilität der Patella meist an der femoralen Insertion zu beobachtenden MPFL-Rupturen [8] und insbesondere die wiederum recht häufigen Knorpelschäden sind in diesem Patientengut im MRT vergleichsweise sicher diagnostizierbar [9].

Klinische Diagnostik und
Indikationstellung

Die Indikationsstellung ist immer recht individuell, wobei für den Einsatz der Trochleaplastik bei Patienten mit wiederholten Luxationen und einer Trochleadyspalsie die folgenden Untersuchungsbefunde sprechen: Bittet man den sitzenden Patienten um eine aktive Extension, so zeigt sich in strecknahen Positionen ein superolaterales Herausgleiten der Patella aus dem knöchernen Sulkus (J-Sign). Der Einfluss der Trochleadysplasie an einer Instabilität der medialen Bandstrukturen lässt sich durch passive Lateralisation der Patella in verschiedenen Beugegraden am schlaff hängenden Bein im Seitenvergleich gut überprüfen. Biomechanische Studien zeigen hierbei, dass die Patella in diesem Untersuchungsgang zwischen 20°- und 30°-Beugung um nicht mehr als die Hälfte ihrer Breite lateralisierbar sein sollte [11]. Zeigt der Patient zudem eine Muskelanspannung im Sinne einer Abwehrreaktion, bezeichnen wir dies als positiven Apprehensionstest. Zeigt sich eine solche vermehrte Lateralisation und ein positiver Apprehensionstest zwischen 30°- und 60°-Beugung, deutet dies auf eine zusätzliche Insuffizienz des knöchernen Gleitlagers und in seltenen Fällen auch auf einen Rotationsfehler hin. Zusammen mit den bildgebenden Befunden einer schweren Dysplasie (Grad B bis D) deuten entsprechende klinische Befunde auf die Notwendigkeit einer knöchernen Containmentanpassung hin. Nachdem eine aktuelle Arbeit von Lippacher und Dejour gezeigt hat, dass die Interobserver-Reliabilität) beim Grading nach Dejour ausgesprochen hoch ist [12], reicht es hinsichtlich der Schnittbildgebung bei der Entscheidungsfindung nur zwischen einer leichten (Grad A) und einer schweren Dysplasie (Grad B bis D) zu unterscheiden. Zumindest sollte es nicht allzu sehr stören, wenn die Klassifikation der Dysplasie bei unterschiedlichen Betrachtern nicht genau übereinstimmt. Eine mögliche Kontraindikation zur Trochleaplastik sehen wir bei offenen Wachstumsfugen. Hier ist unserer Meinung nach aufgrund der noch möglichen Wachstumskorrektur ein abwartendes Vorgehen gerechtfertigt. Wichtig ist bei diesen Patienten die röntgenologische Beurteilung der Beinachsen, da bei einer Valgusfehlstellung die Möglichkeit einer einfachen Korrektur mittels medialer, temporärer Epiphysiodese nicht verspielt werden sollte.

Ein besonderer Aspekt sind die Fälle mit höhergradigen Knorpelschäden und möglicherweise vorhandenen degenerativen Veränderungen des Retropatellargelenks beim jungen Patienten. Hier könnte eine alleinige Weichteilkorrektur neben den Instabilitätsbeschwerden auch die retropatellaren Schmerzen verschlechtern und einen zusätzlichen Risikofaktor für fortschreitende degenerative Gelenkschäden darstellen. In solchen Fällen ist die Indikation zur Trochleaplastik sicherlich erschwert und bedarf einer besonderen Aufklärung. Dennoch haben wir auch in diesen Fällen, sofern die Instabilitätsbeschwerden führend waren, gute klinische Erfahrungen sammeln können.

Geschichte und
unterschiedliche Techniken der Trochleaplastik

Die erste Trochleaplastik wurde 1915 von Frederik Albee beschrieben, dem Pionier des Bone-Grafting [13]. Er beschrieb für solche Fälle mit einer abgeflachten lateralen Trochlea eine Erhöhung derselben mittels Osteotomie und Knochengraft. Wegen der erhöhten Spannung der Patella und der Entstehung einer sekundären Arthrose gilt diese Methode heutzutage als obsolet. 1978 beschrieb Yves Masse die erste vertiefende Trochleaplastik. Er unterminierte und entfernte den spongiösen Kochen unterhalb des Gleitlagers. Anschließend wurde die darüber liegende Knorpel-Knochen-Schicht mit einem Stößel und Hammerschlägen vertieft. Trotz der beobachteten Knorpelschäden und Femurfrakturen konnte er mit dieser Technik erste gute Ergebnisse vorweisen [14].

Damit hatte er das Grundprinzip entwickelt, auf dem die heute anerkannten Techniken basieren. Viel bekannter wurde dann die als „Lyons Procedure“ beschriebene Vertiefung, bei der über gewinkelte Osteotomien und eine Spaltung der Gelenkfläche eine V-förmige Trochlearinne geformt wird (Abb 2.). Die Fixierung dieser Knorpel-Knochen-Blöcke erfolgte dann mittles Schrauben oder Stapler [15]. Die Recession-Wedge-Technik wurde 2002 von Goutallier vorgestellt. Hierbei handelt es sich um eine Closing-Wedge-Methode, bei der der prominente laterale Dom nach Entfernung eines dreieckförmigen Keils auf das Niveau des anterioren femoralen Kortex zurückgesetzt wird (Abb 2.). Ziel dieser Technik ist es also nicht, eine trochleäre Gleitrinne mit einem normalen Sulkuswinkel zu schaffen, vielmehr soll die Tochleakonvexizität auf Niveau gebracht werden. Dies soll das Abrutschen der Patella, aber auch die auf dem Dom reitende Subluxaxtionsfehlstellung vermeiden. Auch sollen so die patellofemoralen Anpressdrücke durch die Erweiterung des Winkels zwischen dem Kraftvektor des Quadriceps-Muskels und der Patellarsehne reduziert werden.

Somit wurde diese Technik bei Instabilitäten und Patienten mit einem vorderen Knieschmerz angewendet. Um den lateralen Knorpel-Knochen-Block angepresst zu halten, werden von schräg lateral 2 Herbertschrauben versenkt [16–18]. 1994 präsentierte Bereiter die „Thin-flap“-Technik, bei der im ersten Schritt ein ca. 3–5 mm dünner Knorpel-Knochen-Lappen abgehoben wird [19]. Im nächsten Schritt wird die Trochlea mit Fräsen vertieft und geformt. Der osteochondrale Lappen ist flexibel und wird dann mittels Vicrylfäden und Ankern auf den vertieften Knochen aufge-steppt. Prima vista ist dies eine logische Technik, da hierdurch die normale Anatomie wiederhergestellt wird, ohne den Druck hinter der Kniescheibe zu erhöhen.

Trochleaplastik nach Bereiter in Kombination mit unserer Methode einer Implantat-
freien MPFL-Plastik

Unsere Technik erfolgt sowohl bei der Rekonstruktion des MPFL als auch bei der Trochleaplastik nach Bereiter ohne Verwendung von Knochenankern. Der Hautschnitt erfolgt hinsichtlich evtl. Folgeoperationen wie bspw. einem Retropatellarersatz als gerade Inzision über der Kniescheibe. Neben einem geraden Hautschnitt über der Kniescheibe bis zum Pes anserinus, erfolgt je nach Fall auch ein hälftiger Schnitt im oberen Bereich und eine zusätzliche kleine Inzision über dem Pes. Nach der Sehnenentnahme und der Darstellung der Trochlea erfolgt, ausgehend von der Knorpel-Knochen-Grenze, die Ablösung der osteochondralen Lamelle bis weit distal in die Trochlea mit einem Meißel (Abb. 3).

Die Dicke des noch vorhandenen subachondralen Knochens sollte hier annäherungsweise bei 2 mm liegen. Um einen genügend flexiblen osteochondralen Lappen zu erhalten, ist an einigen Stellen des Lappens eine Ausdünnung des subchondralen Knochens mit einer hochtourigen Diamantfräse nötig. Um den Knorpel hierbei nicht zu schädigen, erfolgt dies unter sanftem Anheben des Lappens unter Sicht von kranial. Eine ständige Spülung soll ein Überhitzen der Fräse vermeiden (Abb. 4). Ein spezielles Führungsinstrument ist hierbei unserer Meinung nach nicht unbedingt erforderlich; vielmehr erscheint es uns am ehesten sicher, den subchondralen Knochen an den erforderlichen Stellen mit sanft touchierenden Bewegungen auszudünnen.

Anschließend erfolgt die vertiefende Knochenabtragung, wobei der ostechondrale Lappen zur Einsicht wiederum ein wenig angehoben wird. Insbesondere in Fällen mit einem grenzwertigen oder auch geringfügig erweiterten TT-TG (15–20 mm) erfolgt die Abtragung ein wenig nach lateral hin, um die Gleitrinne etwas zu lateralisieren. Hierunter erhoffen wir uns, das Gleiten und den Anpressdruck zu verbessern. Im nächsten Schritt erfolgt dann die Schaffung der Passagelöcher für das Vicrylband mit einem feinen Pfriem.

Für die distale Passage durch den Knorpel ist es wichtig, ausreichend weit distal und lateral einzugehen, da der Verlauf des Bands später der neuen, leicht lateralisierten Geitrinne entsprechen soll. Proximal erfolgt das Eingehen mit dem Pfriem genau auf Höhe der Knorpel-Knochen-Grenze (Abb. 5). Über eine ausreichend feste, große Ösennadel erfolgt dann die Passage beider Bandenden nach kranial und kraniolateral. Anschließend erfolgt das Einpressen des osteochondralen Lappens in den vertieften Knochen und die Fixierung in der Tiefe über den vorgelegten und an der Femuraußenseite straff verknoteten Vicrylfaden (Abb. 6). Zur MPFL-Plastik erfolgt zunächst die Darstellung der medialen Patellakante. Hier wird ein 2 cm langer, V-förmiger Knochenkanal gebohrt. Hierbei wird einmal vom superomedialen Pol und einmal von der Mitte der medialen Facette möglichst vertikal aufeinander zugebohrt.

Nachdem gezeigt wurde, dass horizontal angelegte Knochenbohrungen bei den über die Patellar- und Quadrizepssehne in Längsrichtung wirkenden Zugkräften zu den meist querverlaufenden Patellafrakturen prädisponieren [33], erscheinen solche nahezu vertikal verlaufenden Knochentunnel sinnvoll. Nach der Graftpassage durch die Patella (Abb. 7) wird der Weg zwischen den beiden Kapselblättern zum femoralen Insertionspunkt präpariert (Abb. 8). Der femorale Insertionspunkt nach Schöttle [25] wird unter seitlicher Bildwandlerkontrolle unter deckungsgleich eingestellten posterioren Kondylen aufgesucht. Nach Einbringen eines Kirschner-Drahts zur Führung (Abb. 7), erfolgt das Aufbohren eines blind endenden Knochenkanals. Über das blinde Ende dieses Tunnels erfolgt die Passage zweier divergierender Ösendrähte durch den lateralen Femurkortex (Abb. 9).

Die beiden freien Enden des Gracilis-transplantats werden zum anatomischen femoralen Insertionspunkt geführt und jeweils in die Fadenösen eingeführt. Durch Zug am lateralen Ende der Ösendrähte werden die beiden Graftenden in den Knochenkanal eingeführt und im Weiteren die Armierungen durch den lateralen Femurkortex durchgezogen. Im letzten Schritt werden die Fadenpaare auf dem lateralen Kortex zusammengeführt und in der 30°-Flexionsstellung, in der die Anspannung des MPFL am größten ist [26], mit einem Nadelhalter temporär fixiert. Hiermit kann das Gleiten der Patella in Funktion, der Quadrantentest und die Transplantatspannung in unterschiedlichen Beugegraden beurteilt und ggf. eingestellt werden. Abschließend erfolgt die dauerhafte Verknüpfung. Hierdurch gelingt unserer Meinung nach eine individuelle, recht einfache Alignementanpassung mit einer hohen Chance eine Überspannung mit vorderen Knieschmerzen oder gar Beugedefiziten zu vermeiden [27].

Diskussion

Nach isolierter MPFL-Plastik trotz zugrunde liegender Trochleadysplasie zeigten Wagner et al. ein vergleichsweise schlechtes klinisches Outcome [29]. Somit sollte eine höhergradige Trochleadysplasie bei entsprechenden klinischen Befunden neben der MPFL-Plastik auch adressiert werden. Viele Kollegen stehen der Trochleaplastik dennoch eher kritisch gegenüber, da sie durch die Abhebung eines osteochondralen Lappens und die Vicrylbandfixierung Schäden wie Nekrosen an den Gelenkflächen erwarten. Mehrfache eigene arthroskopische Nachuntersuchungen und Publikation von Blønd et al. [23] und Schöttle et al. [24] zeigten, dass sich das Vicrylband vollständig resorbiert und v.a. keine Knorpelschäden im Bereich der versetzten und plastisch verformten Gelenkflächen auftreten. Zur histologischen Beurteilung konnten Schöttle et al. 2 osteochondrale Biopsien 6 und 9 Monate nach Trochleaplastik entnehmen. Neben einer histologischen Untersuchung zur Beurteilung der Knorpel-Knochen-Qualität erfolgte eine Konfokalmikroskopie zur Beurteilung der Lebens- und Funktionsfähigkeit der Knorpelzellen. Trotz der Osteotomie, die ca. 2 mm unterhalb des Knorpels durchgeführt wird, zeigte sich ein normaler histologischer Knorpel-Knochen-Befund mit einer entsprechenden Knochenneubildung in der Osteotomiezone. Insbesondere Knorpel- oder Knochennekrosen zeigten sich nicht [24].

Zur Trochleaplastik nach Bereiter erfolgten mehrere Follow-up-Studien u.a. durch von Knoch et al. [20], Utting et al. [21], Blønd et al. [23], Neelitz et al. [28] sowie Fucentese et al. [10, 22]. In allen Untersuchungen zeigten sich hinsichtlich der Kniefunktion, der Stabilisierung, der Komplikationen und auch hinsichtlich der Patientenzufriedenheit überzeugende Ergebnisse. Sucht man sich unter den Nachuntersuchungen zu den verschiedenen Methoden einer Trochleaplastik jene heraus, bei denen u.a. der Kujala Score erhoben wurde, so zeigen die Studien zur Bereiter-Methode sowohl im Vergleich zur Lyons-Procedure nach Dejour [30–32] als auch im Vergleich zur Recession-Wedge-Technik meist höhere Punktwerte.

Wir sehen die Trochleaplastik immer zusammen mit einer MPFL-Plastik zur Alignementanpassung des Weich-teilapparats. Hierzu ist anzumerken, dass das MPFL bereits nach der Erstluxation in > 90 % der Fälle reißt [8]. Damit ist es eigentlich bereits logisch, dass das MPFL in der Operation auch adressiert werden sollte. Gerade in den Fällen, in denen in der transversalen MRT ein deutlicher Patella-Tilt sichtbar ist, ist von einer ausgeprägten Insuffizienz des medialen Bandapparats auszugehen. Nicht nur der intraoperative Eindruck, sondern auch eine CT-Studie [10] zeigt, dass die Patella während einer erfolgreichen Trochleaplastik (Abb. 10) in einer veränderten mechanischen Position nach dorsal und medial verlagert ist. Die logische Konsequenz ist, dass bei einer Trochleaplastik eine MPFL-Plastik nicht nur wegen der Ruptur, sondern auch im Sinne einer medialen Weichteilbalancierung bzw. Alignementanpassung notwendig wird (Abb. 10).

Die Fallserien, bei denen neben der Bereiter-Methode routinemäßig in gleicher Sitzung eine MPFL-Plastik erfolgte, zeigten mit 95 bzw. 96 Punkten die bislang besten Ergebnisse im postoperativen Kujala-Score. In diesen Fallserien zeigte sich keine erneute Luxation [23, 28]. Nur einer von 23 Patienten zeigte Instabilitätssymptome im Sinne eines weiterhin positiven Apprehensionstests [28] und 2 von 29 Patienten zeigten erneute Subluxationen mit einem erneut zu beobachtenden J-Sign [23]. Unsere eigenen Erfahrungen mit der Kombination aus der Bereiter-Methode und unserer Technik der Anker-freien MPFL-Plastik zeigte in den ersten Auswertungen von Patienten nach mehr als 2,5 Jahren ähnlich gute Ergebnisse im Kujala Score, keine Luxationsrezidive und eine entsprechend hohe Patientenzufriedenheit.

Zusammenfassend scheint die Kombination aus einer vertiefenden Trochleaplastik nach Bereiter und einer MPFL-Plastik bei richtiger Indikation ein vergleichsweise erfolgversprechendes Verfahren zu sein. Insbesondere die Möglichkeit, die Graftspannung intraoperativ zu testen und zu optimieren, erscheint bei unserem Vorgehen einfach und hilfreich. Letztlich ist unserer Meinung nach zum einem die individuelle Containmentanpassung bezüglich der knöchernen Formstörung und zum anderen die MPFL-Plastik mit dem Ziel einer individuellen intraoperativen Alignementanpassung wesentlich, um zu einem guten Outcome zu kommen.

Interessenkonflikt: Keine angegeben

Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Lars Victor von Engelhardt

Fakultät für Gesundheit der Universität Witten/Herdecke

Abteilung für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin

Johanna-Etienne-Krankenhaus

Am Hasenberg 46

41462 Neuss

larsvictor@hotmail.de

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Fussnoten

1 Abteilung für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin, Johanna-Etienne-Krankenhaus Neuss

2 Fakultät für Gesundheit, Private Universität Witten/Herdecke

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