Übersichtsarbeiten - OUP 06/2015

Patellainstabilität bei Trochleadysplasie
Diagnostik und BehandlungsmöglichkeitenDiagnostics and treatment options

Weitere, im Rahmen der Patellainstabilität zu beurteilende Befunde, sind ein möglicher Patellahochstand, wobei unter den hierfür beschriebenen Indices, der Insall-Salvati-Index sicherlich der Bekannteste ist. Hierbei wird die größte diagonale Länge durch die seitlich dargestellte Patella durch den Abstand von der Patellaspitze zur Tuberositas tibiae gemessen (Norm 0,8–1,2) [4]. Der TTTG-Abstand (engl. tibial tuberosity to trochlear groove) beschreibt die Distanz zwischen dem Sulkus der Trochlea und der Tuberositas tibiae (Norm < 20 mm). Schöttle et al. konnten zeigen, dass sowohl das CT als auch die MRT hierfür zuverlässige Messergebnisse liefern [5]. Zudem kann ein vergrößerter femoraler Antetorsionswinkel, der zwischen der Schenkelhalsachse und der Tangente der Hinterkante der Femurkondylen gemessen wird (Norm: ca. 20°), eine Lateralisation sowie einen Tilt der Patella bewirken und somit eine derotierende Osteotomie erforderlich machen [6]. Ähnlich kann eine vermehrte Tibiatorsion, die als Winkel zwischen den beiden längsten Linien durch das Tibiaplateau oberhalb des Fibulaköpfchens und auf Höhe des Pilon tibiale gemessen wird (Norm: < 40°), wiederum eine Lateralisierung der Patella nach sich ziehen. Die bei einer Instabilität der Patella meist an der femoralen Insertion zu beobachtenden MPFL-Rupturen [8] und insbesondere die wiederum recht häufigen Knorpelschäden sind in diesem Patientengut im MRT vergleichsweise sicher diagnostizierbar [9].

Klinische Diagnostik und
Indikationstellung

Die Indikationsstellung ist immer recht individuell, wobei für den Einsatz der Trochleaplastik bei Patienten mit wiederholten Luxationen und einer Trochleadyspalsie die folgenden Untersuchungsbefunde sprechen: Bittet man den sitzenden Patienten um eine aktive Extension, so zeigt sich in strecknahen Positionen ein superolaterales Herausgleiten der Patella aus dem knöchernen Sulkus (J-Sign). Der Einfluss der Trochleadysplasie an einer Instabilität der medialen Bandstrukturen lässt sich durch passive Lateralisation der Patella in verschiedenen Beugegraden am schlaff hängenden Bein im Seitenvergleich gut überprüfen. Biomechanische Studien zeigen hierbei, dass die Patella in diesem Untersuchungsgang zwischen 20°- und 30°-Beugung um nicht mehr als die Hälfte ihrer Breite lateralisierbar sein sollte [11]. Zeigt der Patient zudem eine Muskelanspannung im Sinne einer Abwehrreaktion, bezeichnen wir dies als positiven Apprehensionstest. Zeigt sich eine solche vermehrte Lateralisation und ein positiver Apprehensionstest zwischen 30°- und 60°-Beugung, deutet dies auf eine zusätzliche Insuffizienz des knöchernen Gleitlagers und in seltenen Fällen auch auf einen Rotationsfehler hin. Zusammen mit den bildgebenden Befunden einer schweren Dysplasie (Grad B bis D) deuten entsprechende klinische Befunde auf die Notwendigkeit einer knöchernen Containmentanpassung hin. Nachdem eine aktuelle Arbeit von Lippacher und Dejour gezeigt hat, dass die Interobserver-Reliabilität) beim Grading nach Dejour ausgesprochen hoch ist [12], reicht es hinsichtlich der Schnittbildgebung bei der Entscheidungsfindung nur zwischen einer leichten (Grad A) und einer schweren Dysplasie (Grad B bis D) zu unterscheiden. Zumindest sollte es nicht allzu sehr stören, wenn die Klassifikation der Dysplasie bei unterschiedlichen Betrachtern nicht genau übereinstimmt. Eine mögliche Kontraindikation zur Trochleaplastik sehen wir bei offenen Wachstumsfugen. Hier ist unserer Meinung nach aufgrund der noch möglichen Wachstumskorrektur ein abwartendes Vorgehen gerechtfertigt. Wichtig ist bei diesen Patienten die röntgenologische Beurteilung der Beinachsen, da bei einer Valgusfehlstellung die Möglichkeit einer einfachen Korrektur mittels medialer, temporärer Epiphysiodese nicht verspielt werden sollte.

Ein besonderer Aspekt sind die Fälle mit höhergradigen Knorpelschäden und möglicherweise vorhandenen degenerativen Veränderungen des Retropatellargelenks beim jungen Patienten. Hier könnte eine alleinige Weichteilkorrektur neben den Instabilitätsbeschwerden auch die retropatellaren Schmerzen verschlechtern und einen zusätzlichen Risikofaktor für fortschreitende degenerative Gelenkschäden darstellen. In solchen Fällen ist die Indikation zur Trochleaplastik sicherlich erschwert und bedarf einer besonderen Aufklärung. Dennoch haben wir auch in diesen Fällen, sofern die Instabilitätsbeschwerden führend waren, gute klinische Erfahrungen sammeln können.

Geschichte und
unterschiedliche Techniken der Trochleaplastik

Die erste Trochleaplastik wurde 1915 von Frederik Albee beschrieben, dem Pionier des Bone-Grafting [13]. Er beschrieb für solche Fälle mit einer abgeflachten lateralen Trochlea eine Erhöhung derselben mittels Osteotomie und Knochengraft. Wegen der erhöhten Spannung der Patella und der Entstehung einer sekundären Arthrose gilt diese Methode heutzutage als obsolet. 1978 beschrieb Yves Masse die erste vertiefende Trochleaplastik. Er unterminierte und entfernte den spongiösen Kochen unterhalb des Gleitlagers. Anschließend wurde die darüber liegende Knorpel-Knochen-Schicht mit einem Stößel und Hammerschlägen vertieft. Trotz der beobachteten Knorpelschäden und Femurfrakturen konnte er mit dieser Technik erste gute Ergebnisse vorweisen [14].

Damit hatte er das Grundprinzip entwickelt, auf dem die heute anerkannten Techniken basieren. Viel bekannter wurde dann die als „Lyons Procedure“ beschriebene Vertiefung, bei der über gewinkelte Osteotomien und eine Spaltung der Gelenkfläche eine V-förmige Trochlearinne geformt wird (Abb 2.). Die Fixierung dieser Knorpel-Knochen-Blöcke erfolgte dann mittles Schrauben oder Stapler [15]. Die Recession-Wedge-Technik wurde 2002 von Goutallier vorgestellt. Hierbei handelt es sich um eine Closing-Wedge-Methode, bei der der prominente laterale Dom nach Entfernung eines dreieckförmigen Keils auf das Niveau des anterioren femoralen Kortex zurückgesetzt wird (Abb 2.). Ziel dieser Technik ist es also nicht, eine trochleäre Gleitrinne mit einem normalen Sulkuswinkel zu schaffen, vielmehr soll die Tochleakonvexizität auf Niveau gebracht werden. Dies soll das Abrutschen der Patella, aber auch die auf dem Dom reitende Subluxaxtionsfehlstellung vermeiden. Auch sollen so die patellofemoralen Anpressdrücke durch die Erweiterung des Winkels zwischen dem Kraftvektor des Quadriceps-Muskels und der Patellarsehne reduziert werden.

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