Wissenschaft - OUP 06/2018
Radiuskopfendoprothetik
Kay Schmidt-Horlohé1, Alexander Klug2
Zusammenfassung: Frakturen des Radiuskopfs gehören zu den häufigsten Verletzungen des adulten Skeletts. Während nicht dislozierte Frakturen eindeutig konservativ und gering dislozierte Frakturen mit guten Ergebnissen durch eine offene Reposition und Osteosynthese behandelt werden können, ist die Therapie komplexer Radiuskopffrakturen mit osteoligamentären Begleitverletzung ausgesprochen anspruchsvoll. Der endoprothetische Ersatz des Radiuskopfs stellt hierbei einen Teilaspekt des möglichen therapeutischen Spektrums dar. Im Folgenden werden die anatomischen und biomechanischen Grundlagen vermittelt und die Indikationsstellung sowie die operative Technik dargestellt.
Schlüsselwörter: Radiuskopffraktur, Radiuskopfprothese,
Overstuffing, Instabilität, Radiuskopfresektion
Zitierweise
Schmidt-Horlohé K, Klug A: Radiuskopfendoprothetik.
OUP 2018; 7: 305–310 DOI 10.3238/oup.2018.0305–0310
Summary: Fractures of the radial head are common in adult trauma. Simple fractures without dislocation and fractures with simple articular involvement can be treated easily non-surgical or with open reduction and osteosynthesis. However, the treatment of comminuted fractures with associated osseus and ligamentous lesions is still on debate. Radial head arthroplasty is considered to be a good treatment option, since clinical results are mostly good and predictable. This article highlights the anatomic and biomechanical backgrounds and discusses indications and the surgical technique.
Keywords: radial head fracture, radial head prosthesis,
overstuffing, instability, radial head resection
Citation
Schmidt-Horlohé K, Klug A: Radial head arthroplasty.
OUP 2018; 7: 305–310 DOI 10.3238/oup.2018.0305–0310
1 Orthopaedicum Wiesbaden, Praxis für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin, Zentrum für Ellenbogenchirurgie, Wiesbaden
2 Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik, Zentrum für Unfallchirurgie und orthopädische Chirurgie, Frankfurt am Main
Einleitung
Die Radiuskopffraktur ist mit einer Inzidenz von 1,7–5,4 % eine der häufigsten Frakturen überhaupt [19]. Circa ein Drittel aller knöchernen Verletzungen des Ellenbogengelenks betreffen auch den Radiuskopf. Die Radiuskopffraktur betrifft typischerweise Erwachsene zwischen dem 2. und 6. Lebensjahrzent. Bei den unter 50-Jährigen ist das männliche Geschlecht häufiger betroffen, bei den über 50-Jährigen das weibliche Geschlecht. Die Frakturhäufigkeit über Geschlecht und Alter weist typische Verteilungsmerkmale einer Osteoporose-assoziierten Fraktur auf.
Einfache Frakturen des Radiuskopfs kommen in der Regel isoliert vor. Bei dislozierten und komplexen Frakturformen liegen in bis zu 80 % der Fälle Begleitverletzungen vor. Diese finden sich überwiegend in Form ligamentärer Pathologien. Die Begleitverletzungen betreffen überwiegend direkt das Ellenbogengelenk, obwohl auch Verletzungen im Bereich des Unterarms, des Handgelenks und der Handwurzel vorkommen.
Daneben tritt die Radiuskopffraktur bei 10–15 % der Patienten im Rahmen einer Ellenbogengelenkluxation auf. In diesem Kollektiv sind begleitende Frakturen des Proc. coronoideus sowie ligamentäre Verletzungen besonders häufig anzutreffen. Diese Verletzungen sind meist mit einer relevanten klinischen Instabilität vergesellschaftet.
Während nicht dislozierte Frakturen (Mason Typ I) unter konservativer Therapie in der Regel nahezu folgenlos ausheilen, werden einfache, aber dislozierte Frakturen (Mason II) nach offener Reposition durch eine Osteosynthese stabilisiert. Auch in diesen Fällen sind gute funktionelle Ergebnisse die Regel.
Bei der Therapie mehrfragmentärer Radiuskopffrakturen (Mason Typ III) kommen die Radiuskopfresektion, die Rekonstruktion mit Osteosynthese sowie der endoprothetische Ersatz in Betracht.
Da bei begleitenden Pathologien am Proc. coronoideus sowie dem medialen oder lateralen Bandapparat die Radiuskopfresektion zu einer erheblichen Alteration der Kinematik und Stabilität führt, gilt diese in diesem Fall als obsolet [2, 3].
Vielmehr wird mit anatomisch präformierten und winkelstabilen Plattensystemen auch bei komplexen Frakturformen ein Erhalt des Radiuskopfs angestrebt. Die Ergebnisse sind jedoch variabel und die Komplikationsfrequenzen teils hoch [9, 17, 20, 29].
In den letzten Jahrzenten hat sich die Rationale und Technik des Radiuskopfersatzes kontinuierlich weiterentwickelt.
Die Radiuskopfprothese erfüllt bei der Therapie der komplexen Radiuskopffraktur verschiedene Aufgaben. Erstens dient sie in der akuten Phase der Stabilisierung des Gelenks und ermöglicht so eine suffiziente Ausheilung der ligamentären und ossären Begleitverletzungen. Durch die erzielte Gelenkstabilität ist eine frühfunktionelle Nachbehandlung möglich, welche das Risiko einer posttraumatischen Gelenkeinsteifung reduziert. Zweitens simuliert die Prothese die native Anatomie und ermöglicht so die Kraftübertragung vom Unterarm auf den Oberarm über das humeroradiale Gelenk. Dies verhindert eine humeroulnare Überlastung, beugt einer Insuffizienz des medialen Kollateralbands vor und verhindert die Entstehung eines Cubitus valgus [2, 18].
Bisherige klinische Nachuntersuchungen konnten in 68–97 % der Patienten gute und sehr gute Ergebnisse feststellen [1, 5, 9, 15, 21, 23, 28, 30]. Allerdings können in bis zu 40 % der Fälle auch Komplikationen nach primärer Radiuskopfendoprothetik gefunden werden, wobei operative Revisionen bei bis zu 26 % der Patienten notwendig werden [12, 13, 16, 24]. Dennoch findet sich eine Zunahme der Prothesenimplantationen um 53 % von 2006 bis 2013.
Anatomie und Biomechanik
Das Ellenbogengelenk stellt kinematisch ein hochkomplexes Gelenk dar. Der Radiuskopf ist eine biomechanisch wichtige Struktur, dessen Bedeutung mit zunehmender ossärer und ligamentärer Verletzungsschwere zunimmt. Die Radiuskopf-Prothesenimplantation verfolgt das Ziel einer stabilen Rekonstruktion der radialen Säule, um die Anatomie und Biomechanik möglichst exakt wiederherzustellen.
Sechzig Prozent der am Handgelenk eingeleiteten Kräfte werden über den Radiuskopf auf den Oberarm übertragen. Extensionsnah sowie in Pronation des Unterarms sind die Kräfte am größten, sie können bis zu 90 % des Körpergewichts betragen. Das ulnohumerale Gelenk wird nach Resektion des Radiuskopfs mit bis zum 9-fachen des Körpergewichts vermehrt belastet. Der anterolaterale Radiuskopf stellt zudem neben dem Proc. coronoideus einen relevanten Stabilisator gegen eine posteriore Luxation des Ellenbogengelenks dar. Des Weiteren ist er ein primärer Stabilisator für die longitudinale Unterarmstabilität.