Wissenschaft - OUP 06/2018
Radiuskopfendoprothetik
Ist bei der intraoperativen Stabilitätsprüfung des Gelenks nach Resektion des Kopfs eine laterale, mediale oder longitudinale Instabilität (Essex-Lopresti) nachweisbar, besteht zur Stabilisierung der radialen Säule somit die eindeutige Indikation zum endoprothetischen Ersatz des Radiuskopfs.
Daneben spricht bei komplexen Radiuskopffrakturen mit begleitender Instabilität das Risiko eines Osteosyntheseversagens mit Destruktion des Radiuskopfs sowie ein Malunion gegen die Osteosynthese. In diesen Fällen ist ebenso eine Prothesenimplantation angezeigt.
Allerdings können Frakturfragmente, die einer Osteosynthese nicht zugänglich sind, reseziert werden, sofern weniger als 25 % der Gelenkfläche betroffen sind. Bei größeren Defekten dagegen ist mit einer relevanten Destabilisierung des Gelenks zu rechnen.
Als Kontraindikation zur Prothesenimplantation werden floride Infekte sowie ausgeprägte chondrale Veränderungen am Capitulum angesehen.
Technik
Die Radiuskopfprothese wird üblicherweise über einen lateralen Zugang zum Gelenk implantiert. Alternativ kann bei begleitenden Frakturen der proximalen Ulna auch der Zugang durch die Fraktur gewählt werden.
Die tiefe laterale Präparation richtet sich auch nach dem begleitenden Weichgewebeschaden und dem ligamentärem Verletzungsmuster. Oftmals liegen großflächige Ablösungen der Extensoren und der posterolateralen Gelenkkapsel vor (Abb. 1c und d). Dieser traumatische Schaden wird dann für den Zugang genutzt. Bei intaktem radialen Bandapparat kann die Prothesenimplantation über einen Extensor-Split-Zugang erfolgen. Da jedoch in der Regel eine laterale Bandverletzung vorliegt und diese über den Kocher-Zugang am Besten adressiert werden kann, wird dieser am häufigsten verwendet. Nach Eröffnung der Faszie wird der feine Fettstreifen zwischen dem M. anconeus und dem Extensor carpi ulnaris identifiziert und stumpf auseinander gedrängt. Man gelangt so direkt auf die laterale Kapsel, die dann ventral des lateralen ulnaren Kollateralbands (LUCL) zusammen mit dem Lig. anulare inzidiert wird. Sofern nicht traumatisch abgelöst, wird zur besseren Exposition der Extensorenursprung am Epikondylus radialis partiell abgelöst. Sollte das LUCL intakt sein, wird dieses im Verlauf geschont. Liegt eine nicht rekonstruierbare Fraktursituation vor, werden die Kopffragmente zunächst entfernt und asserviert. Ex situ wird zur Kopfgrößenbestimmung eine Rekonstruktion angestrebt. Ein Oversizing der Prothese sollte konsequent vermieden werden. Nach Débridement des Gelenks kann im Folgenden die Therapie assoziierter Verletzungen des Proc. coronoideus von lateral erfolgen (Abb. 1c und d) [22]. Bei Defektsituationen kann ein Radiuskopffragment zum Coronoidaufbau verwendet werden.
Abhängig von dem verwendeten Prothesenmodell erfolgt die weitere Präparation am Radiusschaft mit entsprechenden Resektionslehren. Bei Verwendung von Haken am Radiushals muss der Verlauf des Ramus profundus des N. radialis bedacht werden. Nach Vorbereitung des Radiusschafts wird eine Probeprothese eingebracht. Dies ist in Extension und Supination in der Regel am einfachsten, da in dieser Stellung bei insuffizientem lateralem Bandapparat leicht eine Subluxation oder Luxation des instabilen Gelenks gelingt. Besondere Aufmerksamkeit muss der Höhenreferenzierung zur Vermeidung eines Overstuffing geschenkt werden. Eine gute anatomische Landmarke zur Prothesenhöhenbestimmung ist die dorsal gut einsehbare Kante der Incisura radialis ulnae (Abb 1d, weißer Pfeil). Die Prothese sollte mit dem proximalen Gelenkrand abschließen oder diesen maximal 1–2 mm überragen [11, 39]. Die „gefühlte“ Stabilisierung durch das Implantat darf nicht als Maßstab herangezogen werden, da durch die insuffizienten Bänder eine Aufweitung der lateralen Artikulation möglich ist. Eine radiologische Referenzierung ist ebenfalls ungenau und sollte nicht als Maßstab herangezogen werden. Nach definitiver Prothesenimplantation wird das Lig. anulare wieder verschlossen. Insbesondere bei hochgradigen longitudinalen Instabilitäten muss anschließend die Stellung des distalen Radioulnargelenks vor und nach Prothesenimplantation im Seitenvergleich kontrolliert werden. Die Refixation des in der Regel humeral traumatisch abgelösten lateralen Bandapparats erfolgt am lateralen Epikondylus radialis mittels Fadenanker oder transossär, ebenso die oftmals beobachtete, dorsal der Gelenkfläche des Capitulum gelegene Deperiostierung des Humerus. Die Extensoren werden zuletzt gegen den Epikondylus fixiert und die Faszie verschlossen. Wenn durch Osteosynthese oder Prothese der radiale Pfeiler des Ellenbogengelenks stabil rekonstruiert werden kann und keine Luxationsneigung besteht, muss der ulnare Bandapparat nicht zwingend adressiert werden [25, 41]. Der endopothetische
Ersatz des Radiuskopfs ist aber meist nur ein Einzelaspekt im Behandlungskonzept der komplexen Ellenbogengelenkverletzung [31].
Nachbehandlung
Um Spannungsblasen durch Pflasterverbände zu vermeiden, sollte der postoperative Verband lediglich mit Watte angewickelt werden. Ein Cast in 90° Flexion stellt das Gelenk ruhig und schützt vor einer akzidentiellen Belastung. Das zur physiotherapeutischen Beübung erlaubte Bewegungsausmaß hängt von dem intraoperativ bestimmten stabilen Bewegungsausmaß ab. Prinzipiell sollte nach einer operativen Therapie eine Übungsstabilität vorliegen. Generell ist frühzeitig eine aktive Physiotherapie sinnvoll, da hierdurch die dynamischen Stabilisatoren (Extensoren und Flexoren des Ellenbogengelenks) zusätzlich zur Zentrierung des Gelenks beitragen. Moderne Nachbehandlungsprotokolle wie das „overhead protocol“ sollten konsequent angewandt werden [35].
Die Nachbehandlung mit einer Bewegungsorthese dient weniger der Stabilisierung gegen Varus-Valgus-Belastungen als vielmehr einer Limitation der endgradigen Bewegungsausschläge. Mit dem Ziel einer knöchernen Integration des Prothesenschafts und suffizienter Heilung der ligamentären Strukturen ist für 6 Wochen nach Prothesenimplantation eine funktionelle Behandlung ohne Belastung einzuhalten.
Ergebnisse und
Komplikationen
Aktuelle klinische Nachuntersuchungen konnten in 68–97 % der Patienten gute und sehr gute Ergebnisse feststellen [1, 5, 9, 15, 21, 23, 28, 30]. Ein relevanter Unterschied zwischen den verschiedenen Prothesenmodellen und Verankerungsphilosophien konnte in den bisherigen Studien (mit kleineren Fallzahlen) allerdings nicht nachgewiesen werden. Dabei müssen jedoch neben den kleinen Fallzahlen auch die kurzen Nachuntersuchungszeiträume bis maximal 10 Jahre angemerkt werden. Komplikationen im Langzeitverlauf lassen sich somit kaum abschätzen. Endgradige Bewegungseinschränkungen (10–15° Extensions- und Flexionsdefizit) werden nahezu regelhaft vorgefunden und sollten nicht als Komplikation betrachtet werden. In kurz- bis mittelfristigen Nachuntersuchungen finden sich Komplikationen nach primärer Radiuskopfendoprothetik in bis zu 40 % der Fälle, wobei operative Revisionen bei bis zu 26 % der Patienten beschrieben [12, 13, 16, 24, 32] werden.