Wissenschaft - OUP 06/2018

Radiuskopfendoprothetik

Das Lig. collaterale mediale ist der primäre Stabilisator gegen Valgusstress. Bei Insuffizienz übernimmt der Radiuskopf die valgusstabilisierende Funktion. Der Radiuskopf kann somit als der sekundäre Stabilisator gegen Valgusbelastung bezeichnet werden. Die Kombination aus Ruptur des medialen Seitenbandkomplexes und Radiuskopfresektion resultiert in einer hochgradig instabilen Situation. Ebenso kommt es nach Resektion des Radiuskopfs – bedingt durch die verminderte Spannung des lateralen ulnaren Collateralbandes (LUCL) – zu einer posterolateralen Instabilität.

Daneben muss außerdem die enge anatomische Beziehung zu den neurovaskulären Strukturen beachtet werden. Insbesondere der unter dem M. brachioradialis verlaufende N. radialis ist bei Nutzung eines lateralen Zugangs in unmittelbarer Nähe des operativen Situs.

Zur sicheren Schonung des R. profundus muss eine weit nach distal des Lig. anulare radii verlängerte Inzision und die Retraktion der Gewebe nach distal vermieden werden. Bei Pronation des Unterarms wird der N. radialis ramus profundus vom operativen Situs weggedreht und kann so sicher geschont werden.

Historie und
Prothesenmodelle

Mit dem Ziel der Vermeidung von Ossifikationen im Bereich des resezierten Radiuskopfs wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht rekonstruierbare Frakturen des Radiuskopfs durch eine Metallkappe ersetzt. Im weiteren Verlauf stellte Carr fest, dass diese Metallkappe die Stabilität des Gelenks verbessert. Somit wurde die Prothese nun mit dem Ziel einer besseren Stabilisierung des Gelenks implantiert.

Im Verlauf des letzten Jahrhunderts zeigte sich ein reger Wechsel verschiedener Prothesendesigns und Materialien. Die ehemals weit verbreiteten Swanson-Silastik-Prothesen sowie Modelle aus Acrylharz sind heute dabei weitgehend vom Markt verschwunden, da diese weder den biologischen (Biounverträglichkeit mit Synovialitis) noch den biomechanischen (Bruch der Prothese) Anforderungen genügen. Nahezu alle aktuell verfügbaren Prothesen weisen einen runden Kopf auf und spiegeln somit nicht die anatomischen Gegebenheiten des nativ elliptischen Kopfes wider.

Formal lassen sich Radiuskopfprothesen nach verschiedenen Charakteristika unterscheiden.

Zum einen hinsichtlich der Größenanpassung in Monoblock und modulare Prothesen: Während bei Monoblockprothesen eine Einheit aus Kopf und Schaft besteht, sind die modularen Prothesen durch variable Schaft-Hals-Kopf-Kombinationen individuell der Anatomie anpassbar.

Zum anderen durch die Art der Fixierung des Kopfs mit dem Schaft: Monopolare Prothesen weisen eine Verbindung mit fixer Angulation des Kopfs gegenüber dem Schaft auf. Bipolare Prothesen ermöglichen eine limitierte Bewegung des Kopfs gegen den Schaft (ca. 15° Achsabweichung) und können sich dadurch dynamisch auf das Capitulum zentrieren. Biomechanisch hat das monopolare Prothesendesign eine höhere Stabilität gegenüber einer posterioren Translation des Capitulums.

Entsprechend der Verankerungstechnik kann in stabil verankerte Schäfte (press-fit oder zementiert) oder „intentionally loose“ Implantate differenziert werden. Bei osteointegrativen Prothesen sollte, um eine hohe Primärstabilität des im Radius fixierten Schafts zu erreichen, der größtmögliche Schaft-Durchmesser verwendet werden. Die Schaftform und -länge spielen entsprechend biomechanischer Studien eine eher untergeordnete Rolle.

Der capituloradiale Gelenkersatz hat sich bisher auch in der Revisionschirurgie kaum etabliert. Erste Studien mit kleinen Fallzahlen zeigen jedoch im kurzen Nachuntersuchungszeitraum gute Ergebnisse mit akzeptablen Komplikationsraten.

Im Vergleich zum traumatologischen endoprothetischen Ersatz an anderen Gelenken wie Hüfte oder Schulter ist die Implantation einer Radiuskopfprothese bei nicht rekonstruierbaren Frakturen ein seltener Eingriff. Die Verwendungshäufigkeit zeigt jedoch in den vergangenen Jahren einen kontinuierlichen Anstieg der Implantationszahlen.

Indikationen

Prinzipiell sollte das primäre Behandlungsziel in einer Rekonstruktion des Gelenks und seiner Funktion liegen [26]. Dies gilt insbesondere bei jungen Patienten, bei denen im Falle einer Radiuskopfprothesenimplantation mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Komplikationen im Langzeitverlauf gerechnet werden muss. Ein Erhaltungsversuch ist auch bei komplexen Frakturen in diesem Kollektiv indiziert. In diesem Fall kann auch eine passagere Ruhigstellung zum Schutz der Osteosynthese und das Akzeptieren einer Bewegungseinschränkung gerechtfertigt sein. Eine sekundäre Arthrolyse bei konsolidierter Fraktur kann dann erforderlich
werden.

Ob die Implantation einer Radiuskopfprothese indiziert ist, hängt von zahlreichen Faktoren ab: Frakturmorphologie, Knochenqualität, ossäre und ligamentäre Begleitverletzungen und letztendlich auch vom funktionellen Anspruch des Patienten.

Beim Versuch, den Radiuskopf zu erhalten, ist eine absolut anatomische Reposition der Fraktur sowie eine stabile Osteosynthese obligat. Eine stabile Rekonstruktion ist allerdings bei Frakturen mit mehr als 3 artikulären Fragmenten und insbesondere bei einer metaphysären Defektzone kaum zu erreichen. So finden sich nach Osteosynthese von Mason-II-Frakturen sehr gute und gute Ergebnisse bei 100 % der Patienten, bei Mason-III-Frakturen allerdings nur bei 33 % [25, 29, 42]. Inwieweit bei Mason-III- und IV-Frakturen die funktionellen Ergebnisse durch die Nutzung neuer, anatomisch vorgeformter winkelstabiler Implantate positiv beeinflusst werden können, bleibt abzuwarten. Erste Publikationen zeigen vielversprechende Ergebnisse [10].

Beim Vergleich von Osteosynthesen mit Radiuskopfprothesen bei komplexen Radiuskopffrakturen konnte ein signifikant besserer Broberg/Morrey-elbow-score aufzeigt werden, eine höhere Anzahl an sehr guten Ergebnissen und weniger Komplikationen bei Verwendung von Prothesen [9].

Die Radiuskopfresektion ist bei isolierten mehrfragmentären Frakturen ohne Begleitverletzungen zu erwägen, die nicht rekonstruierbar sind. Da jedoch Mason-III- und IV-Frakturen fast immer mit Begleitverletzungen vergesellschaftet sind, ist die Radiuskopfresektion in diesen Fällen obsolet. Insbesondere muss die funktionelle Integrität des medialen Kollateralbands sichergestellt sein. Ohne diese ist eine Radiuskopfresektion sogar als Behandlungsfehler zu werten. Durch seine Bedeutung bei der posterolateralen Stabilisierung ist die Radiuskopfresektion auch bei Begleitverletzungen des lateralen Kollateralbands und des Proc. Coronoideus kontraindiziert [33] (Abb. 1a und 1b). Durch die Bedeutung in der longitudinalen Stabilisierung des Unterarms gilt Gleiches auch bei Verletzungen der Membrana interossei sowie bei Läsionen des distalen radioulnaren Gelenks [18].

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