Übersichtsarbeiten - OUP 12/2018

Regulation und Erstattung zellbasierter Therapien
Innovationsbremse oder Qualitätsförderung?Innovation brake or improvement of quality?

Christoph Gaissmaier1, Kristin Schindler1, André Roeder1, Klaus Maleck1

Zusammenfassung: Insbesondere größere, nicht oder falsch behandelte fokale artikuläre Knorpelschäden erhöhen signifikant das Arthroserisiko. Die matrixassoziierte autologe Chondrozyten-Implantation (ACI-M) weist in der operativen Behandlung solcher Defekte die derzeit beste Evidenz auf. ACI-M Produkte sind als ATMP klassifiziert und müssen ein zentralisiertes europäisches Genehmigungsverfahren durchlaufen, um die EU-weite Verkehrsfähigkeit zu erlangen. Gleichzeitig sieht der Gesetzgeber auf nationaler Ebene eine Ausnahmeregelung vor, die in der BRD nach § 4b AMG vom Paul-Ehrlich-Institut erteilt wird. §-4b-genehmigte Produkte sind in Deutschland vollumfänglich verkehrsfähig. Vom G-BA wurde die ACI-M als Methode eingestuft, die entsprechend der bestehenden Rechtslage im Krankenhaus zu erstatten ist.

Schlüsselwörter: Knorpelschaden, autologe Chondrozyten-
Implantation, Arthrose, Evidenz, §-4b-Genehmigung,
Kostenerstattung

Zitierweise
Gaissmaier C, Schindler K, Roeder A, Maleck K: Regulation und
Erstattung zellbasierter Therapien. Innovationsbremse oder
Qualitätsförderung?
OUP 2018; 7: 589–603 DOI 10.3238/oup.2018.0589–0603

Summary: Especially larger, untreated or incorrectly treated localized articular cartilage defects significantly increase the risk to develop osteoarthritis. Matrix-assisted autologous chondrocyte implantation (ACI-M) has shown to be the most reliable cartilage repair procedure for these indications based on the best available evidence. From a regulatory point of view, the ACI-M products are classified as an ATMP and must undergo a centralized European approval process in order to gain EU-wide marketability. At the same time, the legislator provides for a derogation at national level. For Germany, there is a § 4b AMG approval, which is issued by the Paul-Ehrlich-Institute and thus makes § 4b-approved products fully accessible to the domestic patients. The G-BA has classified the ACI-M as a method, which has to be reimbursed in accordance with the existing legal situation in the hospitals under the German DRG system.

Keywords: cartilage defect, autologous chondrocyte implantation, osteoarthritis, evidence, hospital exemption,
reimbursement

Citation
Gaissmaier C, Schindler K, Roeder A, Maleck K: Regulation and
reimbursement of cell therapies. Innovation brake or improvement of quality? OUP 2018; 7: 589–603 DOI 10.3238/oup.2018.0589–0603

1 TETEC – Tissue Engineering Technologies AG, Reutlingen

Einleitung

Lokalisierte, artikuläre Knorpel- oder Knorpel-Knochen-Schäden entstehen durch unterschiedliche Ursachen. Die hiermit verbundenen Beschwerden und die Einschränkung der Lebensqualität sind oft ähnlich groß wie bei Patienten mit Arthrose, bei denen ein künstliches Gelenk implantiert werden muss [20]. Auch nimmt das resultierende Arthroserisiko eines zunächst fokalen Knorpelschadens ab einer Größe von 2 cm2 signifikant zu, sofern der Defekt nicht oder falsch behandelt wird [24]. Dies zeigt auch eine größere, kürzlich veröffentlichte klinische Studie zum Kniegelenk, bei der nach 15 Jahren bei 26 % und nach 30 Jahren bei 70 % der Patienten eine Arthrose festgestellt wurde (Ø Alter bei Diagnose des Knorpelschadens: 26,1 Jahre) [26]. Ähnliche Daten existieren für die Hüfte [16].

Aus Untersuchungen ist weiter bekannt, dass bis zu 57 % der Patienten nach Implantation einer Knieprothese nicht vollständig schmerz- und beschwerdefrei werden. Auch ist bei Patienten unter dem 60. Lebensjahr die frühe Versagenswahrscheinlichkeit einer primären Knie- oder Hüftprothese signifikant höher als bei älteren Patienten, weshalb im weiteren Verlauf häufig Wechseloperationen erforderlich werden, die bei jüngeren Patienten dann ebenfalls mit höheren Versagensquoten und allen hiermit zusammenhängenden Risiken und Kosten des großen Revisionseingriffs verbunden sind. Der frühe Einsatz der Endoprothetik wird daher nicht nur aus klinischen Gründen zunehmend kritisch gesehen und sollte soweit wie möglich auch verhindert werden [2, 24].

Gemäß den Ergebnissen neuerer klinischer Studien kann die rechtzeitige biologische Rekonstruktion relevanter Knorpel- oder Knorpel-Knochen-Schäden einen signifikanten Beitrag hierzu leisten [4, 12, 22, 26].

Bestverfügbare Evidenz der autologen Chondrozyten-
Implantation (ACI)
im Knie- und Hüftgelenk

Für das Kniegelenk konnte in klinischen Studien, darunter solche mit höchstem Evidenzniveau, gezeigt werden, dass zwischen den Ergebnissen einer matrixassoziierten Implantation autologer Chondrozyten (ACI-M), den knochenmarkstimulierenden Techniken oder auch dem osteochondralen Transfer, insbesondere bei größeren Defekten und nach längeren Verlaufszeiten, nicht nur statistisch signifikante, sondern auch klinisch relevante Ergebnisunterschiede bestehen [1, 3, 7, 9, 10, 24, 25, 27, 29].

Im Gegensatz zu knochenmarkstimulierenden Techniken wie der Mikrofrakturierung (MFx), entsteht nach ACI-M meist ein Knorpelgewebe, das nach einer gewissen Reifungszeit hyaline Eigenschaften aufweist [8, 13, 24]. In einer Metaanalyse klinischer Studien wurde eine signifikante Korrelation zwischen guten klinischen und histologischen Befunden festgestellt, wobei die schlechtesten histologischen Ergebnisse nach MFx gefunden wurden [13]. Ähnliche Zusammenhänge wurden auch von anderen Autoren und nicht nur für das Kniegelenk beschrieben [11, 21]. In einer erst kürzlich veröffentlichten Untersuchung zu Versorgungsdaten in den USA nach MFx, autologer Chondrozyten-Implantation (ACI) und osteochondralem Transfer wurde nach 2 Jahren eine signifikant höhere Prothesenrate (p < 0,0001) für MFx-behandelte Patienten festgestellt [17].

Aufgrund dessen wird die ACI – vor allem matrixgekoppelt und unter Berücksichtigung bestimmter Ein- und Ausschlusskriterien – mittlerweile von vielen Autoren und Fachgesellschaften ab einer Defektgröße von 2–4 cm2 als primäres Behandlungsverfahren für lokalisiert vollschichtige und klinisch symptomatische Knorpelschäden des Kniegelenks empfohlen [5, 24]. Das bedeutet auch, dass sie für diese Indikationen nicht nur von einzelnen Ärzten, sondern von der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute und -kreise als Therapie der Wahl angesehen wird und sie somit auch den Anspruch als geeignetes Behandlungsverfahren gemäß dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse erfüllt.

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