Übersichtsarbeiten - OUP 12/2018

Regulation und Erstattung zellbasierter Therapien
Innovationsbremse oder Qualitätsförderung?Innovation brake or improvement of quality?

Ferner sollte noch erwähnt werden, dass die ACI-M für diese Indikationen von verschiedenen Autoren (darunter NICE, National Institute for Health and Care Excellence) nach Evidenzbewertung und Kosten-Wirksamkeits-Analysen auch als wirtschaftlich eingestuft wurde [23, 24], wobei in den Berechnungen der NICE ein Implantatpreis verwendet wurde, der das ca. Dreifache beträgt, was derzeit in der BRD dafür vorgesehen ist.

Im Vergleich zum Kniegelenk ist die Evidenzlage im Hüftgelenk zu den bereits erwähnten Verfahren der Knorpeldefektsanierung bisher weniger gut untersucht. Dennoch existieren zunehmend Hinweise darauf, dass die für das Kniegelenk beschriebenen Defizite der knochenmarkstimulierenden Techniken auch im Hüftgelenk bestehen. So wurden in einer prospektiven Studie zum Vergleich von MFx (n = 16) und ACI-M (n = 21) nach einem Jahr im MOCART-Score signifikant bessere Ergebnisse (p ? 0,001) für Patienten nach ACI-M festgestellt [19]. Im 3-Jahres-Verlauf mussten 4 Patienten nach MFx wegen eines Therapieversagens mit einem künstlichen Hüftgelenk versorgt werden (3 Patienten der MFx-Gruppe stehen für die 3-Jahres-Untersuchung noch aus), in der ACI-M-Gruppe aus diesem Grund bisher noch keiner. Bei umschriebenen und vollschichtigen Knorpelschäden ab 1,5–2 cm2 stellt die ACI-M im Hüftgelenk vor dem Hintergrund der zur Verfügung stehenden Datenlage das zu bevorzugende Therapieverfahren dar, sofern keine wesentliche Gelenkdegeneration besteht [16].

Die ACI wurde Anfang der 90er-Jahre erstmals in Schweden beim Menschen angewendet [6]. Im Laufe der Zeit wurde sie als knorpelregenerative Methode weiterentwickelt, verbessert und hat sich als Methode der Wahl bei größeren umschriebenen Knorpeldefekten etabliert [5, 24]. Zu Beginn dieser Entwicklung existierten allein in Deutschland mindestens 7 Firmen mit jeweils unterschiedlichen ACI-Produkten, für deren Herstellung und Verkehrsfähigkeit in den meisten EU-Ländern eine Herstellungserlaubnis nach § 13 AMG erforderlich war.

Regulatorische Vorgaben

Von der Europäischen Kommission wurden die ACI-M-Produkte dann den sogenannten „Arzneimitteln für neuartige Therapien“ (Advanced Therapy Medicinal Products, ATMPs) zugeordnet, was in der Folge zu erheblichen regulatorischen Auflagen geführt hat, verbunden mit einem hohen finanziellen und personellen Aufwand, selbst für bereits schon im Markt befindliche Chondrozytenpräparate. Viele der anfänglich verfügbaren ACI-M-Produkte sind aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wieder vom Markt verschwunden.

Um die EU-weite Verkehrsfähigkeit zu erlangen, ist gemäß der zum 01.01.2013 in Kraft getretenen Verordnung 1394/2007/EG ein zentralisiertes europäisches Genehmigungsverfahren durchzuführen. Artikel 28 der Verordnung sieht jedoch eine Ausnahmeregelung vor, auf deren Basis die einzelnen Mitgliedstaaten der EU ein ATMP auch auf nationaler Ebene genehmigen können. Im Rahmen der 15. Novelle des AMG (Arzneimittelgesetz) wurde mit § 4b Abs. 3 AMG eine entsprechende Regelung für Deutschland eingeführt.

Eine §-4b-Genehmigung kann u.a. nur dann erteilt werden, wenn das ATMP dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht, die vorgesehene Funktion erfüllt und sein Nutzen-Risiko-Verhältnis günstig ist, d.h., wenn auch die erforderlichen Anforderungen zur Qualität und Sicherheit erfüllt sind. Eine entsprechende Überprüfung dieser Anforderungen im Sinne des öffentlichen Gesundheitsschutzes erfolgt vor Erteilung einer §-4b-Genehmigung durch das Paul-Ehrlich-Institut, der hierfür zuständigen Bundesoberbehörde.

Die auf EU-Ebene auch als „Hospital Exemption“ bezeichnete Ausnahmeregelung wurde dazu geschaffen, um die Entwicklung von Innovationen zu fördern und um diese den Patienten möglichst schnell zur Verfügung stellen zu können. In Deutschland befinden sich nach § 4b genehmigte genauso wie zentral genehmigte ATMPs rechtmäßig in Verkehr. Eine in diesem Zusammenhang manchmal fälschlicherweise vorgenommene Differenzierung, wonach für § 4b AMG genehmigte ACI-M-Produkte „nur“ eine Genehmigung, jedoch keine Zulassung erteilt wurde, führt zu falschen Schlussfolgerungen, da die zentrale europäische Zulassung entsprechend der EU-Verordnung (EG) Nr. 726/2004 dem Gesetzeswortlaut nach auch „nur“ eine Genehmigung ist.

Ferner ist noch anzumerken, dass die meisten der derzeit nach § 4b genehmigten ACI-M-Produkte auch ein zentrales Genehmigungsverfahren bei der Europäischen Arzneimittelagentur mit entsprechenden Zulassungsstudien durchlaufen. So wurde z.B. für das Produkt Novocart 3D die weltweit größte prospektiv randomisierte Zulassungsstudie gegen MFx mit 263 Patienten durchgeführt.

Neben den Vorgaben für das Inverkehrbringen wurden vom Gesetzgeber auch umfangreiche Auflagen für die Gewebeentnahme zur Herstellung eines ATMP gemacht. Hierzu gehören vertragliche Vereinbarungen zwischen Kliniken und Hersteller zur Verantwortungsabgrenzung, Verwendung qualifizierter OP-Säle und Materialien (z.B. OP-Instrumente) sowie validierter Entnahmemethoden.

Auch müssen in den entnehmenden Stellen verantwortliche Ärzte nach TPG (Transplantationsgesetz) benannt werden, Standardarbeitsanweisungen und Hygienepläne zur Gewebeentnahme erstellt werden, Schulungen von Ärzten und assistierendem Personal, GMP-Überwachungen von Kühl- und Gefrierschränken und regelmäßige Audits durch die Hersteller in den Kliniken durchgeführt werden.

Die behördliche Überwachung ist dabei föderal geregelt, d.h., dass hierzu keine einheitlichen Vorgaben von einer Stelle existieren, sondern teils deutlich unterschiedliche Gesetzesinterpretationen von den regional jeweils zuständigen Landesbehörden vorgenommen werden. Insgesamt ist hiermit ein erheblicher personeller, finanzieller und auch bürokratischer Aufwand für die Kliniken und Hersteller verbunden, die einen negativen Einfluss auf die Versorgungssituation betroffener Bevölkerungsteile in Bezug auf neuartige Therapien haben können.

Rechtsgrundlagen
der Kostenerstattung

Seit Ende 2006 wird die ACI zulasten der GKV außerhalb von klinischen Studien erstattet und beschäftigt den G-BA bzw. dessen Vorgängerinstitution schon seit 20 Jahren. Mittlerweile ist die Methode in ihrer matrixassoziierten Form fester Bestandteil des G-DRG-Systems. Anfänglich noch über NUB-Anträge weniger Krankenhäuser ins System gelangt, wurde aus dem erstmals 2007 im Fallpauschalenkatalog des InEK hinterlegten krankenhausindividuellen Zusatzentgelt für die ACI-M (ZE2007-47) im Jahr 2011 ein bewertetes, d.h. bundesweit einheitliches Zusatzentgelt (ZE 126). Dieses ergänzt die über die Fallpauschalen für die Biopsatentnahme und Zellimplantation nicht abbildbaren zusätzlichen Kosten der Produktentwicklung und -herstellung bis dato noch nicht hinlänglich, da z.B. die Kosten der Hersteller für international durchgeführte bzw. laufende multizentrische, randomisierte klinische Prüfungen dabei nicht eingepreist wurden. Dennoch entwickeln sich das ZE 126 und auch die G-DRG-Gesamterlöse mit Ausnahme weniger Plateaus durchweg positiv, sodass Anwender neben dem medizinisch nachgewiesenen Nutzen für ihre Patienten über die Leistung ACI-M auch einen positiven Deckungsbeitrag für ihre Träger erwirtschaften können.

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