Übersichtsarbeiten - OUP 01/2022

Schulterarthrose
Wie erzielen wir mit der anatomischen Schulterendoprothese oder auch mit konservativen und arthroskopischen gelenkerhaltenden Optionen optimale Ergebnisse?

Eine Studie untersuchte bei zementierten Glenoiden die Risikofaktoren für eine Lockerung. Ein glenohumerales Mismatch, rückseitig flach geformte Polyethylen-Designs sowie B2-Glenoide mit einem dorsalen Knochenverlust oder aber ein starker Knochenverlust im Rahmen der Fräsung des Implantatbettes zeigen ein erhöhtes Lockerungsrisiko [70]. Das für eine zementierte Standardversorgung ideale Glenoid ist ein Typ A-Glenoid mit einer Retroversion < 10°. In einem großen Teil der Fälle einer Omarthrose trifft dies aber nicht zu [89]. Problemglenoide sind v.a. solche, die bspw. aufgrund eines dorsalen Knochenverlustes u./o. aufgrund einer vermehrten Retroversion (Walch-Typ B2 und B3) eine korrigierende Fräsung des Implantatbettes erfordern. Diese als “Ream and Run“ bezeichnete Verfahren ist in vielen Fällen eine sinnvolle Lösung, die eine zentrisch geführte, im Langzeit-Verlauf stabile Endoprothese ermöglicht. Die Ergebnisse zeigen dann gute, sogar mit A1-Glenoiden vergleichbare, klinische Outcomes und Standzeiten [66, 80, 83]. Zieht das asymmetrische Fräsen bspw. beim B2-Glenoid eine stark verminderte Knochensubstanz nach sich, so dass viel von dem stabilen, prinzipiell zu schonenden, subchondralen Knochen entfernt wird u./o. in der Tiefe die Aufnahme der peripheren Verankerungszapfen nicht mehr vollständig möglich ist, so führt dies zu einem mehrfach erhöhten Risiko für eine Lockerung [4, 14, 35, 49, 70, 83]. Wird bei B3-Glenoiden die Retroversion nicht vollständig korrigiert, führt dies weiterhin zu einer exzentrischen Belastung des Glenoids, die mit einer vorzeitigen Lockerung, in ausgeprägten Fällen sogar mit einer dorsalen Luxation, einhergeht [19]. Somit ist bei dem asymmetrischen Fräsen zu beachten, dass dies nur in einem beschränkten Umfang ein sicheres Verfahren ist. Bei einer sehr hohen Retroversion eines B3-Glenoides nach Walch > 15° oder einem Typ B3-Glenoid mit einem sehr starken Knochenverlust ist das Korrekturvermögen des asymmetrischen Fräsens somit erschöpft. In solchen Fällen ist ein Glenoidaufbau mit einer Knochenscheibe, dem sog. “Bone Grafting“, eine Alternative. Der Knochen wird dabei meist vom Humeruskopf entnommen [97]. In der Vergangenheit erfolgte dies insbesondere in Form einer Kombination aus knöchernem Aufbau und zementierter PE-Pfanne. Allerdings zeigte sich hierbei im Verlauf ein hohes Risiko für einen ungenügenden Knocheneinbau, hohe Resorptionsraten und vorzeitige Lockerungen [31, 51]. Besser ist hier ein Konzept, dass den Knochenaufbau in Kombination mit einem Metal-Back-Glenoid verfolgt. Hier finden sich bei Verwendung moderner Metal-back-Implantate, insbesondere mit einem erweiterten zentralen Verankerungszapfen, vielversprechende Ergebnisse. Die vom Humeruskopf entnommenen Grafts können nach Fräsung des Glenoides als große, je nach Situs angeschrägte Scheiben sowohl die Retroversion als auch eine evtl. gestörte Inklination ausgleichen [81]. Auch sehr sinnvoll ist die Verwendung augmentierter Glenoide, die sowohl bei den Polyethylenglenoiden als auch bei den Metal-back-Glenoiden verfügbar sind (Abb. 2). Auch hiermit zeigen sich gute, knochensparende Korrekturmöglichkeiten. Sie werden bspw. bei einer Retroversion ab 15° empfohlen und zeigen hier gute erste klinische Ergebnisse [24]. Bei älteren, eher gering aktiven Patienten, bei denen der Knochenstock sehr deutlich reduziert und die Zentrierung der Schulter mit einer entsprechenden Weichteilbalancierung erschwert ist, ermöglicht auch die inverse endoprothetische Versorgung, evtl. auch mit einem Knochenaufbau oder einer augmentierten Metaglene, ein gutes klinisches Ergebnis [50].

Humeruskopfersatz

Bei der endoprothetischen Versorgung spielt auch der Ersatz des Humeruskopfes, ebenso wie der Glenoidersatz, sowohl für das klinische Outcome aber auch hinsichtlich der Standzeiten eine entscheidende Rolle. Klinische und biomechanische Studien zeigen, dass hierbei eine exakte Wiederherstellung der individuellen Gelenkgeometrie wesentlich ist (Abb. 1). Unserer Erfahrung nach finden sich Prothesen, die entweder zu groß u./o. zu hoch eingebracht sind recht häufig. Dieses, auch als “Overstuffing“ (dt. Überfüllung) bezeichnete Phänomen, sehen wir bei erforderlichen Revisionsoperation sehr oft (Abb. 4a–b). Dies erscheint logisch. Genauso, wie ein vermehrt retrovertiertes Glenoid zu einer exzentrischen Belastung am Glenoid und hier zu einer Lockerung führt, kann eine solche exzentrische Belastung ebenso Folge einer fehlpositionierten u./o. fehldimensionierten humeralen Endoprothese sein. Somit ist die Wiederherstellung der Gelenkgeometrie des proximalen Humerus nicht nur für das klinische Outcome, sondern auch für die Standzeit der Endoprothese wichtig. [5, 12, 20, 23, 88, 93]. Darüber hinaus kann ein Overstuffing eine symptomatische Rotatorenmanschetteninsuffizienz nach sich ziehen. In diesen Fällen ist im Prinzip immer eine Wechseloperation auf eine inverse Prothese erforderlich. Ein systematisches Review zeigt, dass solche Rotatorenmanschetteninsuffizienzen nach Versorgung mit einer anatomischen Schulterendoprothese mit einer Inzidenz von 11 % gar nicht so selten sind [44]. Somit gibt es viele Gründe, sich dem Thema Gelenkgeometrie des Humeruskopfersatzes genauer zuzuwenden. Der Humeruskopf ist nicht nur in seiner Größe und Form, sondern auch in seiner Stellung zum Humerus in allen Parametern wie Retroversionsstellung, Inklination und auch dem Offset nach medial und hinten erstaunlich variabel [11]. Vor diesem Hintergrund stellt die genaue Wiederherstellung der Anatomie ein zu beachtendes Problem der anatomischen Schulterendoprothetik dar. Die traditionell gestielte Schulterendoprothetik basiert auf Prinzipien der Hüftendoprothetik des letzten Jahrhunderts. Ebenso wie vom Gelenkersatz der Hüfte bekannt, sind stielbezogene Komplikationen, wie ein durch Stress-Shielding bedingter proximaler Qualitäts- und Substanzverlust des Knochens, Schaftfrakturen die bspw. bei der Implantation oder ggf. anstehenden Wechseln auftreten etc. auch bei gestielten Schulterprothesen gar nicht so selten [3, 63, 69]. Zudem erschwert der in den Humerus eingebrachte Prothesenschaft die exakte anatomische Rekonstruktion. Fehlerquellen sind hierbei die Retroversion, die Inklination und dorsale Neigung sowie das dorsale und mediale Offset des Kopfes gegenüber dem Humerusschaft. Auch die Höheneinbringung und natürlich die Größe der gewählten Endoprothesen sind wichtig. Möglichkeiten, dies ein wenig zu vereinfachen sind Oberflächenersatzprothesen, die “ähnlich einer Kappe“ dem Humeruskopf aufgesetzt werden. Der wesentliche Nachteil dieser Kappenprothesen ist der beschränkte Zugang zur Pfanne, der den meist empfehlenswerten Glenoidersatz erheblich erschwert. So wurden für Kappenprothesenoperationen in Kombination mit einem Glenoidersatz in über 15 % neurologische Ausfälle berichtet [67]. Zudem ist die Exposition des Glenoides, was für eine zuverlässige Präparation und Zementierung erforderlich ist, nicht immer einfach. Aus diesem Grund sind Prothesen, die – genauso wie die Kappen – auf einen konventionellen Schaft verzichten, aber eine Resektion der Kalotte erlauben, eine logische Weiterentwicklung. Hierbei erlaubt die Kalottenresektion einen ebenso praktikablen und v.a. sicheren Zugang zur Pfanne wie bei den gestielten Implantaten. Darüber hinaus vereinfachen die schaftlosen Implantate die anatomische Rekonstruktion. Stielbezogene Komplikationen und damit verbundene Revisionsoperationen bleiben dem Patienten erspart. Sollte eine Revision einmal anstehen, ist diese bspw. aufgrund des “gesparten Knochens“ und v.a. aufgrund der ausbleibenden, nicht unerheblichen Probleme mit dem Schaftwechsel deutlich vereinfacht [7]. Charakteristisch für viele moderne kalottenresizierende, schaftfreie Implantate ist die peripher-metaphysäre Verankerung die nahe dem harten, kortikalen Knochen erfolgt. Dabei wird nach der humeralen Resektion ein Metaphysenimplantat mit einem möglichst großen Durchmesser in die Metaphyse eingeschlagen. Diese Art der peripher-metaphysären Verankerung mittels verschiedener Größen findet sich bspw. bei der Easytech Endoprothese (EasytechTM, Fa. Fx Solutions, Viriat, Frankreich), dem SMR Stemless system (Shoulder Modular Replacement System, LimaCorporate, San Daniele del Friuli, Italy) und beim T.E.S.S. Anatomic Stemless System (Total Evolutive Shoulder System, Zimmer Biomet, Warsaw, Idiana, USA) (Abb. 1). Mit diesen Implantaten besteht unserer Erfahrung nach eine feste peripher-metaphysäre Verankerung. Andere Firmen setzen mehr auf zentrale metaphysäre Verankerungskonzepte wie z.B. die zentrale Hohlschraube bei der Eclipse Prothese (Arthrex, Naples, Florida), oder das eher zentral verankernde 4- bzw. 3-schenklige Kreuz der Sidus (Zimmer Biomet, Warsaw, Idiana) bzw. der Simpliciti Prothese (Wright Medical Group N.V., Amsterdam, Niederlande & Stryker Corporation, Kalamazoo, Michigan). Egal welche dieser Prothesen der Operateur bevorzugt, in jedem Fall sollte ein System für eine geschaftete Implantation, bspw. wenn der Knochen im Rahmen osteoporotischer Veränderungen schlecht ist oder aber während der OP geschädigt wurde, zur Verfügung stehen.

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