Übersichtsarbeiten - OUP 04/2016

Strahlenschutz bei C-Bogen-gestützten Wirbelsäulenprozeduren in Orthopädie und Unfallchirurgie

Bis zur irgendwann hoffentlich endgültigen Antwort auf die Frage des Tumorrisikos im medizinischen Niedrigdosisbereich bleibt im Strahlenschutz nichts anderes übrig, als über eine vernünftige Annahme das Risiko im niedrigen Bereich aus dem bekannten Risikokoeffizienten im mittleren Dosisbereich abzuschätzen. Aus Hiroshima und Nagasaki errechnet sich dieser mit 10 % pro Sv. Die IRCP errechnete auf Basis ihrer Daten für locker ionisierende Strahlung (Röntgen-, Gamma- und Beta-Strahlung) einen „Dosis-Dosisleistungs-Reduktionsfaktor“ von 2 und geht daher in ihrer Publikation 60 von 1991 [17] von einem Risikokoeffizienten von 5 % pro Sv aus. Es lässt sich also für die Gesamtbevölkerung eine Wahrscheinlichkeit von rechnerisch 5 %/Sv ED ableiten, an einem strahleninduzierten Malignom zu versterben (Tab. 1).

In ihrer Publikation 103 von 2008 [18] hat die ICRP Grenzwerte für verschiedene Organe (OD) definiert und die ED durch berufliche Strahlenexposition hierbei auf 20 mSv/Jahr festgelegt (Tab. 1). Durch das Einhalten dieser Grenzwerte können aber nur deterministische Schäden verhindert werden. Aufgrund des stochastischen Tumorrisikos gibt es biologisch betrachtet keine Schwelle, unter der es unter keinen Umständen zu Strahlenschäden kommt [9, 19, 20, 21]. Je höher die absorbierte Strahlendosis ist, desto größer ist das Potenzial der Induktion einer Neoplasie [3].

Aktuell gilt nach der RöV in Deutschland für nicht beruflich exponierte Personen ein Grenzwert von 1 mSv/Jahr. Für beruflich strahlenexponierte Personen wurden in 2002, wie bereits im Anwendungsbereich der Strahlenschutzverordnung (StV), die Grenzwerte der ED von 50 mSv/Jahr auf 20 mSv/Jahr (Kategorie A) bzw. von 15 mSv/Jahr auf 6 mSv/Jahr (Kategorie B) gesenkt. Auch wurden die Grenzwerte der OD angepasst. Die Jahresdosen werden hierbei über einen 5-Jahres-Zeitraum gemittelt. Literaturbasierte Angaben über deterministische und stochastische Grenzwerte, Risikoabschätzungen und Dosisrichtlinienwerte für Patienten und med. Personal finden sich in Tabelle 1.

Dosisermittlung

Ein großes Problem bei der exakten Bestimmung der Strahlung im OP stellen die Messverfahren dar. Generell gibt es mehrere Möglichkeiten, die Strahlungsexposition zu messen: Ionisationskammern (Stabdosimeter), Photoemulsion (Filmdosimeter), Szintillationszähler (Gamma-Kamera), Lumineszenz-Detektoren: Thermolumineszenz (TLD), Photolumineszenz (PLD). Bei den meisten v.a. älteren Dosisevaluationsstudien wurden TLD-Hautdosimeter verwendet, welche die Bestimmung der HED im direkt strahlenexponierten Hautbereich zulässt. Unter Erhitzung geben diese die absorbierte Strahlung als Licht wieder frei und machen diese somit messbar. Die Ermittlung der HED im Hautbereich der maximalen Dosisapplikation von Patient und Operateur (Hände) ist bei MIODL-Prozeduren weiterhin von Wichtigkeit bezüglich des Strahlenschutzes im OP, um deterministische Strahlungsfrühschäden der Körperoberfläche vermeiden zu können [23]. Aber eine genaue Evaluation der maximalen HED kann schwierig sein. Sie hängt für das bestrahlte Areal vom Fokus-Haut-Abstand, Röhrenspannung (kV), Röhrenstrom (mA) und akkumulierter DL-Zeit ab. Diese Parameter können sich jedoch während einer Prozedur verändern.

So wäre natürlich eine automatische Methode wie das HED-Mapping, bei dem durch Messung von Veränderungen in Röhrenspannung und Röhrenstrom, Expositionszeit, Strahlungsareal und Strahlenpositionierung eine sofortige HED-Map auf einem simulierten Patientenmodell generiert und aufgezeigt wird, wünschenswert [24]. Doch solche technischen Möglichkeiten sind für gewöhnlich aufgrund der hohen Kosten und/oder mangelndem Interesse nicht erhältlich [25]. Die Entwicklung normierter Hautdosis-Messungen (in Gy pro Minute) für spezifische DL-Systeme, Focus-Haut-Distanz, Patientenvolumen (z.B. gering, mittel, groß) unter Zuhilfenahme eines Medizinphysikers ist wünschenswert. So kann z.B. die Hautdosis anhand der akkumulierten Expositionszeit für jede Projektion unter Nutzung der Methode von Perisinakis et al [26] für Vertebroplastie und Kyphopolastie gut geschätzt werden.

Für die Abschätzung des stochastischen Risikos hinsichtlich neoplastischer Spätschäden sind für den Kliniker jedoch 5 andere Dosisgrößen relevant. Diese sind für die MIODL die ED und das Dosisflächenprodukt (DFP). Die für das CT relevanten Dosisgrößen (CT-Dosisindex (CTDI) [mGy]: Dosis pro Schicht, Volumen CTDIvol [mGy]: Mittlere Dosis im CT-Scanvolumen = CTDI + Pitch, Dosis-Längen-Produkt (DLP) [mGy cm] = Patientenexposition) sollen hier nicht weiter ausgeführt werden, auch wenn diese beim direkten Dosisvergleich CT-navigierter Operationen mit MIODL-basierten Prozeduren eine relevante Rolle spielen. Die typische ED und Gonadendosen der Patienten während einer fluorokopischen Prozedur werden anhand von DFP-Metern und mittels anthropometrischen Phantomen evaluierter normalisierter Konversionstabellen geschätzt [14]. Das DFP ist grob gesagt unabhängig von der Focus-Patienten-Distanz, korreliert mit der Feldgröße und hängt von der angewandten DL-Technik ab. Das Risiko für stochastische Effekte (Spätschäden) wie Tumorinduktion und adverse heriditäre Effekte kann damit prinzipiell bestimmt werden. So errechneten Perisinakis et al. [26] eine radiogene Tumorinduktionsrate durch eine konventionell MIODL-gestützte Pedikelschraubeneinbringung an der LWS von 110 pro Million Prozeduren bzw. 0,01 %/Schraube (Tab. 1). Doch auch die Evaluierung partieller Körperdosen von DFP-Messungen müssen als sehr grober Ansatz betrachtet werden, der die wahre Dosis aufgrund der variierenden Arbeitsbedingungen substanziell unter- oder überschätzen kann (z.B. MIODL-Gerätschaft/-Typ, Strahlenschutzmessungen, Art der Intervention/operativen Prozedur, Erfahrung des Operateurs etc.).

Die Frage, ob eine Korrelation zwischen Patientendosis (DFP) und der Strahlenexposition des medizinischen Personals besteht, wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Einige Studien identifizieren eine Beziehung zwischen beiden Dosisquantitäten [27, 28, 29], wohingegen andere Autoren einen Zusammenhang als unsicher oder schwierig herzustellen bewerten [30, 31]. Die Messung der wahren Dosen sollte favorisiert werden und gibt einen realistischeren Einblick in den notwendigen Strahlenschutz. Als der geeignetste dosimetrische Parameter für die Quantifizierung des stochastischen Strahlenrisikos (Risiko ionisierender Strahlung für den Gesamtorganismus) wird daher derzeit allgemein die ED angesehen, da sie die Radiosensitivität aller Organe in die Dosisberechnung mit einbezieht. Die ED kann jedoch selber nicht direkt gemessen werden, sondern errechnet sich aus der Summe der gemessenen Organdosen multipliziert mit den jeweiligen organspezifischen Wichtungsfaktoren [32]: ED = ?T wT *OD. Die OD ist definiert als die totale Energie, die einem Gewebe oder Organ zugeführt wird, dividiert durch die Masse des Gewebes: OD =
ET/mT. Die ED kann mit Hilfe anthropomorpher Phantome, über am Patienten befestigte TLD, oder bei der CT aus dem DLP ermittelt werden, das mit Konversionsfaktoren für einzelne Körperregionen multipliziert wird. Eine patientenindividuelle Abschätzung der Strahlenexpositionsrisikos ist aufgrund zeit- und rechenintensiver Simulationen und den großen Unsicherheiten in den Berechnungen im klinischen Alltag jedoch nicht praktikabel.

C-Bogen-Technik

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