Übersichtsarbeiten - OUP 04/2016

Strahlenschutz bei C-Bogen-gestützten Wirbelsäulenprozeduren in Orthopädie und Unfallchirurgie

Auch die rapide Weiterentwicklung der MIODL-Technologie macht einen Literaturvergleich hinsichtlich Strahlungsemission und Strahlungsrisiko bei der C-Bogen-Technologie immer schwieriger. Die klassische MIODL gliedert sich auf in Monitoreinheit und C-Bogen-Stativ mit DL-Gerät (Schaltgerät), Verlängerungsarm (Säule mit Querarm für Horizontalbewegungen) und C-Bogen, welcher Röntgenquelle (Röntgengenerator, -strahler, -röhre) und Röntgendetektor (analog: Bildverstärker, seit 2006 auch digital: Flat-Panel-Technik) fest miteinander verbindet. Seit der Einführung des ersten C-Bogens 1955 hat sich die Technologie rapide weiterentwickelt. Die klassischen C-Bogen-basierten MIODL-Geräte sind in der letzten Dekade leichter und leichtgängiger geworden. Sie sind i.d.R. so gebaut, dass man sie von sämtlichen Seiten aus bedienen kann. Durch die C-förmige Verbindung der beiden Elemente kann das Gerät horizontal, vertikal sowie um die Schwenkachsen bewegt werden und aus nahezu jedem Winkel Röntgenbilder des Patienten erstellen. Die DL kann als automatische Dosisleistungsregelung oder als halbautomatischer Betrieb durchgeführt werden. Bei der ersten Methode werden die DL-Daten vom Gerät eingeregelt, bei der zweiten wird der gewünschte mA-Wert eingegeben, der kV-Wert wird vom Gerät selbstständig geregelt. Im Allgemeinen sind sie mit 2 Monitoren ausgestattet. Der linke „Live-Monitor“ zeigt immer das aktuelle DL-Bild, der 2. „Referenzbildmonitor“ dient zur Wiedergabe von Bildern, die als Referenz gespeichert wurden. Der Digitalbildspeicher liefert einerseits am Monitor ein Bild zur sofortigen Betrachtung und verkürzt andererseits durch das Halten des letzten DL-Bilds (LIH-Funktion, „last image hold“) die DL-Zeiten.

Die progrediente Dynamik der Nutzung der MIODL hält auch die Fragen zum potenziellen Risiko für Patient und OP-Personal aktuell und spiegelt sich auch in der permanenten Verbesserung und Weiterentwicklung der MIODL-Technik hinsichtlich Bildqualität, Bedienbarkeit, Reduzierung der Strahlenbelastung und technische Raffinesse wieder. In der letzten Dekade haben sich zunehmend 3D-basierte C-Bogen-Anwendungen (3D-MIODL) etabliert.

3D-MIODL

Eine sinnvolle und technische Verbesserung bietet die (isozentrische) 3D-C-Bogen-Technik, da sie eine direkte Einschätzung der räumlichen Gegebenheiten des ossären Operationsfeldes zulässt [33]. Die Basiseinstellungen zur Erlangung 3-dimensionaler Schnittbilder sind mit denen in der einfachen (2D-)-Röntgendarstellung identisch. Mit der Einführung der sog. C-Bogen-CT („C-arm-CT“, Synonyme: Flachdetektor-CT (FD-CT) und „Cone-beam-CT“) im Jahr 2004 wurde der Grundstein für ein völlig neues Konzept der interventionellen Bildgebung gelegt. (Von den Herstellern wurden verschiedene Produktbezeichnungen wie XperCT (Philips), InnovaCT (GE), Low Contrast Imaging (LCI, Toshiba), syngoDynaCT (Siemens) eingeführt.) Durch einen speziellen C-Arm, der eine kreisförmige oder elliptische Orbitalbewegung des C-Bogens um den Patienten zulässt, lässt sich ein CT-ähnlicher Volumendatensatz aus bis zu 100 Einzelaufnahmen generieren, aus dem anschließend mit dem CT vergleichbare Schnittbilder direkt intraoperativ rekonstruiert und in allen Ebenen betrachtet werden können. Mit der C-Bogen-CT können erstmals alle Schritte einer Intervention von der Therapieplanung über die Therapiedurchführung bis zur unmittelbaren Therapiekontrolle direkt mit einer Interventionseinheit vollzogen werden.

CAS-3D-MIODL

Diese Technik eröffnete den Weg zur Computernavigation. Computer-assistierte chirurgische (CAS) Technologien können neben der Verbesserung der operativen Präzision auch helfen, die Strahlungsemission bei Wirbelsäulenoperationen zu reduzieren [34, 35]. So konnte in diversen Arbeiten eine signifikante ED-Reduktion bei 3D-MIODL-basierten Wirbelsäulenfusionsoperation am lumbosakralen Übergang durch die navigierte Platzierung von Pedikelschrauben an der LWS bzw. von sakroiliakalen Schrauben nachgewiesen werden [34, 36, 37, 38]. Kraus et al. [39] evaluierten anhand von TDL-Messungen am Phantom für die nichtnavigierte konventionelle mit 2D-MIODL durchgeführte Wirbelsäulenfusion und SIG-Verschraubung eine mehr als 12-fach bzw. annähernd 5-fach höhere ED als die CAS-3D-MIODL-navigierte Operation (Tab. 2). Betrachtet man intraartikuläre Schraubenlagen, so ist die 3D-MIODL v.a. im schnellen Scan der CT sogar überlegen, da die verminderte Röntgenstrahlung in diesem Modus zu einer geringeren Artefaktbildung durch das Implantat führt [33]. Andere Publikationen berichten auch von signifikanten Dosisreduktionen unter Verwendung von 3D-basierter MIODL CAS auch für das OP-Personal [40, 41]. Im Bereich der Wirbelsäulenchirurgie wird heutzutage für navigierte Prozeduren die 3D-MIODL CAS viel häufiger eingesetzt als die CT-gesteuerte Wirbelsäulenoperation [42], da hier die Strahlenbelastung für den Patienten um das 5–10-fache geringer ist (Tab. 2).

4D-MIODL

In der Literatur wird auch von sog. 4D-röntgenbasierten Bildwandlersystemen berichtet, wobei hier die 4. Dimension die in die Intervention integrierte Zeitachse ist. Eine zusätzliche Reduktion der Strahlenemission im Vergleich zu biplanaren und 3D-Systemen konnte aber nicht aufgezeigt werden [43].

MIODL-Dosiswerte

Bei Einhaltung grundlegender Strahlenschutzmaßnahmen (Bleischürze, Abstandgesetze, Beschränkung der DL-Zeit) sind bei einfacheren Prozeduren, bei z.B. der DL- und Low-dose-CT-gesteuerten Injektionstherapie an der Wirbelsäule keine relevanten Dosisbelastungen des Personals zu erwarten [56] (Tab. 2). Es gibt in der DL am Bewegungsapparat aber Prozeduren, welche komplex sind und dadurch einer erhöhten Sensibilität für den Strahlenschutz bedürfen:

Um die Problematik des Strahlungsrisikos bei MIODL-Prozeduren zu verstehen, kann die Dosisbetrachtung der Vertebroplastie und Kyphoplastie beispielhaft herangezogen werden. Ohne Strahlenschutz können z.B. im Bereich der Vertebroplastien HED bei Patienten auftreten, welche in Extremfällen im Bereich der deterministischen Effektgrenzen liegen [51, 52]. Obwohl die mittlere ED und HED (8,5–12,7 mSV bzw. 173–233 mGy) bezogen auf eine durchschnittliche DL-Zeit von 10,1 Minuten relativ gering ist, darf dabei nicht übersehen werden, dass diese Ergebnisse von Perisinakis et al [26] mit erfahrenen Operateuren mit gutem medizinisch-physikalischer Unterstützung erzielt wurden. Andere Autoren berichten von DL-Zeiten von 10–60 Minuten für gleiche Prozeduren [58]. Das sind Zeiten, welche an der oberen Grenze in einem hohen Patientenrisiko für deterministische und stochastische Strahlungseffekte enden können. In einigen Fällen wurden hier HED von über 60 Gy gemessen [3]. Harstall et al. [49] haben in Ihrer prospektiven Fallkontrollstudie für die MIODL-gestützte perkutane Vertebroplastie eine signifikante Strahlenexposition für den Operateur evaluiert: 8 % der Schwellendosis (150 mSv) für die Induktion eines Katarakts und 10 % des jährlichen maximalen HED-Dosislimits (ICRP: 500 mSv) werden erreicht; das Einjahresrisiko für die Induktion eines fatalen Schilddrüsenkarzinoms liegt bei 0,0025 % und für irgendeine Tumorinduktion 0,025 %. Fitousi et al. [52] errechneten hingegen für den Patienten ein Neoplasierisiko bei von 0,17 % pro Vertebroplastie.

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