Übersichtsarbeiten - OUP 04/2016

Strahlenschutz bei C-Bogen-gestützten Wirbelsäulenprozeduren in Orthopädie und Unfallchirurgie

In der Literatur sind weit über 100 Fälle der Hautverstrahlung und Gewebeverletzung, hierunter eine großer Anteil von Gewebeuntergängen (Dermatonekrosen), durch klassische MIODL-Prozeduren dokumentiert [9]. Die wirkliche Zahl der radiogenen Verletzungen ist zweifelsfrei viel höher. In vielen dieser Fälle waren die ausführenden Ärzte in den Themen Strahlungsfolgen und Strahlenschutz sowie der Einschätzung von Strahlenverletzungen kaum ausgebildet. Fast alle dieser Fälle schweren Strahlenschäden wären vermeidbar gewesen.

Mehrere Studien zur Evaluation der Strahlungsemission während der Implantation von Pedikelschrauben [54, 55, 59] zeigen ebenfalls eine potenzielle Gesundheitsgefahr für Patienten und Operateure durch die ionisierende Strahlung auch bei Fusionsoperationen. Ein Literaturvergleich bezüglich der mittels Phantom ermittelter ED bei verschiedenen konventionellen und 3D-navigierten MIODL-assistierten Wirbelsäulenprozeduren findet sich in Tabelle 2.

Es stellen sich die unmittelbaren Fragen: Weiß die Mehrheit der Operateure, die MIODL-gestützte Operationen im Bereich der Wirbelsäule durchführen, wirklich, wie ein entsprechendes C-Bogen-Equipment optimal eingesetzt wird, um die Strahlendosis so gering wie möglich zu halten? Sind sich diese Anwender bei ihrem tagtäglichen Tun der wirkenden ED, OD und HED auf den Patienten bewusst, sowie auch bezüglich der Dosen, denen sie selbst durch Streustrahlung und gezielte Positionierung der Finger und/oder Hände im Strahlengang ausgesetzt sind. [14]? Nach unserer Empirie klafft eine überraschend große Lücke im formellen Training bezüglich der Physik der DL und der Strahlensicherheit bei Nichtradiologen, die oft operative Prozeduren mit langen DL-Zeiten durchführen und damit aufgrund der Hochdosisfluoroskopie nicht nur Patienten, sondern auch das OP-Personal einem erhöhtem Risiko aussetzen.

Dabei können diese Strahlenschäden mit optimierten Strahlenschutzmaßnahmen und OP-Techniken verhindert werden. Kruger und Faciszewski [51] geben optimale Techniken der perkutanen Vertebroplastie unter konventioneller DL an, welche eine Dosisreduktion von 43–86 % bewirken können. Mit üblichen Schutzmaßnahmen (Röntgenschürze) kann ein Chirurg ca. 150 Vertebroplastien unter MIODL durchführen, ohne die jährliche Dosisgrenzwerte zu überschreiten (für das Auge wären es 230 und bezüglich der ED-Grenzwerte 909), mit speziellen Schutzmaßnahmen für die Hand kann diese Zahlen jedoch um 75 % gesteigert werden [52]. Auch in anderen Bereichen der MIODL in O & U findet man relevante Gründe den Strahlenschutz im OP mehr als sehr ernst zu nehmen (Tab. 2). Müller et al. evaluierten bei TDL-Messungen von 41 intramedullären MIODL-gestützten Nagelungen zur Stabilisierung von Tibiafrakturen (mittlere DL-Zeit 4,6 min) eine Personendosis von 1,27 mSv beim Operateur und von 1,19 mSv beim 1. Assistenten [60].

Die Vielzahl der Literaturangaben führt im Vergleich zu keinem einheitlichen Bild und bleibt unbefriedigend (Tab. 2), da die Ermittlung effektiver Dosisbelastungen von Patienten und Personal durch die klassische MIODL schwierig ist, da die DL-Zeit bzw. ED und HED von sehr vielen Einflussfaktoren abhängt [1, 61, 62], u.a. von Prozedurenschwierigkeit, OP-Technik, C-Arm-Technik und -Positionierung [54], Kompetenz des OP-Personals [63], Patientenvolumen [64, 65] (positive Korrelation durch Erhöhung der Expositionsfaktoren kV und mA für Patient und OP-Personal), Messtechnik und Lagerungstechnik. Dennoch geben die ermittelbaren Daten einen Trend an, aus dem substanzielle Empfehlungen zum Strahlenschutz bei MIODL bei Wirbelsäuleninterventionen abgeleitet werden können.

Strahlenschutz

Beim Strahlenschutz können bauliche von apparativen und personell-operationellen Maßnahmen unterschieden werden. Bei Anwendung klassischer C-Bögen im OP finden sich im Vergleich zu den fixen DL-Anlagen radiologischer Einheiten hinsichtlich des Strahlenschutzes schwierigere Bedingungen: Wenig geräteeigene Abschirmungen, kein räumlich begrenzter Kontrollbereich, keine baulichen Schutzmaßnahmen für das OP-Personal, geringer Abstand zwischen Untersucher und Patient, oft Obertischanordnung der Strahlenquelle und oft lange DL-Zeiten. Daher müssen hier im Besonderen die personell-operationellen Maßnahmen als Schwerpunkt zur Prophylaxe von Strahlenschäden optimiert werden. Diese sind vielfach publiziert [3], teils in der StSV ausgewiesen und können mittels der 4A-Regel (Aufenthaltszeit, Aktivität, Abstand, Abschirmung = Ausbildung) zum Großteil zusammengefasst werden.

Aufenthaltszeit

Die Strahlendosis erhöht sich linear mit der Aufenthaltszeit. Bei aller Komplexität diverser Operationsverfahren darf daher der zentrale Grundsatz jeder röntgenologischen Bildgebung „so wenig Strahlung wie möglich und so viel wie nötig“ (ALARA-Prinzip: „As Low As Reasonably Achievable“) auch bei der MIODL nicht vernachlässigt werden, um die DL-Zeit so kurz wie irgend möglich zu halten. Es gilt also, immer nur so viel an Strahlung einzusetzen, wie zur Erreichung des operativen Ziels unbedingt erforderlich ist [66]. Die Umsetzung des ALARA-Prinzips hängt stark von Arbeitsabläufen und -technik im OP ab. Daher beginnt der praktische Strahlenschutz schon in der Arbeitsvorbereitung zur OP. Bevor man das MIODL-Gerät in den OP-Saal fährt, sollte sich der Bediener (sei es nun OP-Pfleger, Assistenzarzt oder der Operateur selbst) mit Art und Methode der Operation bzw. der Situation vertraut gemacht und folgende Fragen geklärt haben: Wie muss der Patient für die Operation gelagert werden? Wo steht die Anästhesie? Von welcher Seite wird operiert? Lagerung des Patienten mit Strahlenschutz? Entspricht die Monitorwiedergabe der Lagerungsposition des Patienten? Wie kommt man am besten mit dem C-Bogen zum Patienten? Optimale OP-Feld-Einstellung für den Operateur? Wo steht der Bildmonitor, damit Operateur und Durchleuchter diesen gut sehen können? Operateur und Durchleuchter sollen einen freien Blick zum Monitor haben. Es ist zu empfehlen, dass die Lagerung des Patienten und die Platzierung des C-Bogens mit Monitor in einer Hand liegen und außerdem vor dem sterilen Abdecken die erforderlichen DL-Positionen probeweise eingestellt wurden. Hierbei merkt man auch, ob Lagerung und DL zueinander passen.

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