Übersichtsarbeiten - OUP 04/2019

Versorgung von Frakturen des distalen Humerus – im Alter wie beim jungen Patienten?

Ergänzend zur AO-Klassifikation findet auch die Dubberley-Klassifikation Anwendung in der Klinik [14]. Diese Klassifikation kann man als detailliertere Einteilung für die partiell intraartikulären Frakturen in der Koronarebene bezeichnen (Typ 3B-Frakturen nach AO-Klassifikation). Sie unterscheidet die Typen 1–3 sowie die Typen A und B. Hier ist vor allem die Unterscheidung in Typ A und B relevant, da der Typ B eine dorsale Trümmerzone definiert, was für die Planung der operativen Versorgung relevant ist. In der Regel ist, im Falle einer dorsalen Trümmerzone, eine Defektauffüllung mit Spongiosa notwendig (Tab. 2).

Aufgrund des sehr dünnen Weichteilmantels über den exponierten knöchernen Strukturen des Ellenbogengelenks sind begleitende Weichteilverletzungen oder offene Frakturen relativ häufig und sollten in die Frakturbeschreibung miteingeschlossen werden, da dies auch in die Therapieentscheidung miteinfließt. Die Einteilung nach Gustilo & Anderson ist die am meisten angewandte Klassifikation und unterscheidet Typ-1-, Typ-2- und Typ-3a–c-Verletzungen (Tab. 3).

Diagnostik

Neben der Anamnese zum Unfallhergang lässt das klinische Bild eine erste Verdachtsdiagnose des Verletzungsmusters zu. Obligat ist hierbei die Überprüfung der peripheren Durchblutung und Sensibilität. Es sollte hier die Untersuchung der autonomen Versorgungsgebiete des N. medianus, N. radialis, N. ulnaris sowie der anteriore und posteriore N. interosseus antebrachii erfolgen [9]. Die periphere Pulskontrolle der A. radialis und A. ulnaris muss zum Ausschluss einer Gefäßverletzung mit der gleichen Sorgfalt durchgeführt werden. Bei geriatrischen Patienten kann bereits die Anamnese Hinweise auf das Vorliegen einer Osteoporose geben und so Rückschlüsse auf die zu erwartende Knochenqualität gezogen werden. Auch Frakturen des distalen Humerus ohne relevantes Trauma sollten als eine osteoporotische Indikatorfraktur gesehen werden, und frühzeitig sollte eine entsprechende Diagnostik mit ggf. leitliniengerechter Osteoporosetherapie eingeleitet werden [8].

Die konventionelle Röntgendiagnostik in 2 Ebenen lässt bereits eine gute Beurteilung der Frakturmorphologie zu. Aufgrund der Komplexität des Ellenbogengelenks und zur besseren Planung des therapeutischen Vorgehens muss die konventionelle Bildgebung in der Regel um eine Computertomografie ergänzt werden. Eine 3D-Rekonstruktion ist für das Verstehen der Frakturmorphologie sehr hilfreich und kann die OP-Planung um ein Vielfaches erleichtern [12]. Die Magnetresonanztomografie (MRT) bietet in der Praxis keinen weiteren Nutzen bezüglich der operativen Strategie und wird daher nur in Ausnahmefällen benötigt.

Begleitverletzungen

In Abhängigkeit der Verletzungsschwere kann es in bis zu 20 % der Fälle zu einer Nervenverletzung kommen [29]. Dies ist vor allem der Anatomie des Ellenbogengelenks geschuldet. Unfallbedingt sind Läsionen des N. radialis mit bis zu 15 % am häufigsten, gefolgt von Verletzungen des N. ulnaris mit bis zu 10 %. Verletzungen des N. medianus sind mit ca. 4 % vergleichsweise selten [20]. Hierbei steht die Häufigkeit von begleitenden Nervenverletzungen im direkten Zusammenhang mit der Verletzungsschwere. So wird die Schädigung des N. ulnaris bei Typ-C-Verletzungen nach AO mit bis zu 25 % angegeben. Da eine traumatische Durchtrennung durch scharfkantige Knochenfragmente oder das Zerreißen des Nervs selten ist, kann der Spontanverlauf in den ersten 3 Wochen nach dem Trauma abgewartet werden. Oft ist von einer Überdehnung des Nervs mit guter Heilungstendenz auszugehen. Bei persistierender Symptomatik über 3 Wochen ohne Besserungstendenz sollte eine fachärztliche Vorstellung erfolgen.

Unter den Gefäßverletzungen ist die A. brachialis mit ihrem Verlauf ventralseitig durch die Fossa cubiti durch scharfkantige Knochenfragmente besonders gefährdet. Eine Verletzung der A. brachialis bei distaler Humerusfraktur wird mit einer Häufigkeit von 1–2 % und die Häufigkeit für alle Gefäßverletzungen mit 5–10 % angegeben [27]. Als funktionelle Endarterie können somit die A. radialis und A. ulnaris nicht mehr perfundiert sein, was ein peripheres Pulsdefizit zur Folge hat.

Die Häufigkeitsangaben zu offenen Weichteilverletzungen variieren stark und werden in der Literatur zwischen 14–40 % angegeben [12].

Therapien

Das Ellenbogengelenk nimmt durch die Tendenz, frühzeitig persistierende Bewegungsdefizite zu entwickeln, sowohl beim jungen als auch beim geriatrischen Patienten eine gewisse Sonderstellung in der Versorgung ein. Das primäre Ziel bei beiden Patientenkollektiven ist somit das Erreichen von übungsstabilen Verhältnissen, um persistierenden Bewegungseinschränkungen frühzeitig entgegenwirken zu können. Hierbei unterscheiden sich die Erwartungen an das operative Ergebnis zwischen jungen und geriatrischen Patienten stark. Während junge Patienten einen hohen Anspruch an die volle Beweglichkeit und Belastbarkeit im Sinne einer restitutio ad integrum haben, steht bei älteren Patienten vor allem die Bewältigung der Aktivitäten des täglichen Lebens im Vordergrund. Funktionell beeinträchtigt dabei ein Defizit in der Extension weniger als ein Defizit in der Flexion. Nach dem Prinzip des golden arc of motion des Ellenbogens reicht ein Bewegungsumfang in der Extension und Flexion von 0–30–130° aus, um die meisten Alltagsaktivitäten problemlos durchzuführen zu können [28].

Prinzipiell kommen je nach Verletzungsmuster eine konservative Therapie, die geschlossene oder offene Reposition mit Osteosynthese als auch die primär endoprothetische Versorgung in Betracht. In die Therapieentscheidung fließen die Frakturmorphologie, die Begleitverletzungen, hier insbesondere die begleitenden Weichteilverletzungen, aber auch der Allgemeinzustand des Patienten mit ein.

Konservative Therapie

Bei einem konservativen Therapieansatz von einfachen und nicht dislozierten Frakturen erfolgt die kurzzeitige konsequente Ruhigstellung in einem Oberarmgips. Nach konventionell radiologischem Ausschluss einer sekundären Dislokation folgt eine frühfunktionelle Nachbehandlung mit passiver Beübung aus der Schiene heraus für weitere 4–5 Wochen. Nach einer erneuten Röntgenkontrolle nach insgesamt 6 Wochen kann mit einer schrittweisen Belastungssteigerung begonnen werden. Alternativ kann die Mobilisation auch in einer Orthese erfolgen. Hier sei vermerkt, dass die Evidenz für das konkrete Vorgehen gering ist und die Ruhigstellung sowie die Nachbehandlung an die Frakturmorphologie, die Knochenqualität, den Zustand sowie die Patienten-Compliance angepasst werden müssen.

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