Übersichtsarbeiten - OUP 04/2019

Versorgung von Frakturen des distalen Humerus – im Alter wie beim jungen Patienten?

Das Mitte des 20. Jahrhunderts aufkommende Therapiekonzepts des bag of bones wurde bedingt durch die noch wenig ausgereiften Osteosynthesematerialien eingeführt. Hierbei gibt es 2 Vorgehen:

  • 1. Ruhigstellung in einer Schlinge oder Cuff-&-Collar-Verband in 60–90° Flexion für 1–2 Wochen und anschließender frühfunktioneller Nachbehandlung oder
  • 2. Ruhigstellung in einem Oberarmgips in 100–125° Flexion mit zunehmender Extension innerhalb der folgenden 3 Wochen ab der Immobilisation.

Nach insgesamt 6 Wochen kann beschwerdeadaptiert mit der Belastungssteigerung begonnen werden. Unter diesem Therapieregime konnten trotz des Risikos für das Auftreten von sekundären Dislokationen und von Pseudarthrosen gute funktionelle Ergebnisse erzielt werden. Bei längerer strikter Ruhigstellung und restriktiver Nachbehandlung zugunsten der Knochenheilung müssen damit einhergehende Defizite im Bewegungsumfang bis zur Gelenksteife in Kauf genommen werden [23, 38]. Die Ergebnisse nach konservativer Therapie sind insbesondere beim nicht geriatrischen Patienten insgesamt unbefriedigend und mit einer hohen Komplikationsrate verbunden [28, 36]. Das Risiko für das Auftreten einer delayed union ist um das 4-Fache und das Auftreten einer Pseudarthrose um das 6-Fache erhöht. Insgesamt ist die Wahrscheinlichkeit eines schlechten Outcomes nach konservativer Therapie 3-fach erhöht [38, 40].

Demgegenüber zeigte eine Studie mit einem Patientenkollektiv von durchschnittlich 87 Jahren trotz eines Anteils von 55 % an posttraumatischen Arthrosen und Pseudarthrosen gute funktionelle Ergebnisse ohne relevante Einschränkungen in Bezug auf die Aktivitäten des täglichen Lebens. Auch relevante Komplikationen traten nicht auf [34]. Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass der geringere Anspruch an die Funktionalität eine wichtige Rolle bei der Beurteilung des Outcomes spielt. Unter Berücksichtigung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses kann somit bei einem schwer vorerkrankten Patienten mit hohem perioperativem Risiko die Therapieentscheidung zugunsten eines konservativen Therapiekonzepts ausfallen. Schlägt diese Strategie fehl, kann immer noch zu einem späteren Zeitpunkt die Konversion auf den endoprothetischen Gelenkersatz erfolgen [37]. Ist das Ziel aber der Gelenkerhalt mit optimalem funktionellem Ergebnis, hat die konservative Therapie sowohl beim Jungen als auch beim gesunden geriatrischen Patienten ohne relevante Vorerkrankung oder Vorschädigung des betreffenden Gelenks keinen Stellenwert und stellt keine Alternative zur operativen Versorgung dar.

Operative Therapien

Wird die Strategie einer definitiven Therapie angestrebt, sollte die operative Versorgung idealerweise in den ersten 24–48 Stunden nach dem Trauma erfolgen. Eine spätere Versorgung erhöht das Risiko für das Auftreten von heterotopen Ossifikationen und fortbestehenden Bewegungseinschränkungen.

Unabhängig vom Patientenalter ist beim Vorliegen von offenen Frakturen, begleitenden schweren Weichteil-Gefäß- oder Nervenverletzungen sowie bei einem Kompartmentsyndrom die definitive Osteosynthese nicht möglich. Hier liegt das primäre Ziel im Grundprinzip der „Länge, Achse und Rotation“, was hier primär mit einem Fixateur externe erreicht wird. Vor Anlage eines Fixateurs können hier bei Bedarf Begleitverletzungen primär versorgt werden. Vorliegende Weichteildefekte können auch bei anliegendem Fixateur plastisch gedeckt und therapiert werden. Bei komplexer Fraktur- und Weichteilsituation kann hier auch eine Ausbehandlung in einem Bewegungsfixateur erfolgen.

Osteosynthese

Für die definitive Versorgung stehen in Abhängigkeit vom Frakturtyp, die Schraubenosteosynthese, die Single- oder Doppelplattenosteosynthese sowie kombinierte Verfahren zur Auswahl. Ziel ist die anatomisch korrekte Reposition und exakte Wiederherstellung der Gelenkflächen von Trochlea und Capitulum humeri, um einer posttraumatischen Arthrose entgegenzuwirken und die Wahrscheinlichkeit einer knöchernen Konsolidierung zu erhöhen. Zudem ist die Rekonstruktion der Trochlea und des Capitulum humeri als tragende Säulen für die Nachbehandlung entscheidend. Zur Vermeidung der Ellenbogensteife ist immer eine frühfunktionelle Nachbehandlung angezeigt, die eine übungsstabile Frakturversorgung voraussetzt [23, 24]. Die Kombination aus Osteosynthese und vorübergehender Ruhigstellung zeigte sich im Ergebnis schlechter gegenüber der einer stabilen Osteosynthese und unmittelbarer funktioneller Beübung [23, 32].

Schraubenosteosynthese

Bei Frakturen des Epicondylus lateralis oder medialis humeri (Typ A1 nach AO) ist die einfache Osteosynthese ausreichend. Nach Reposition des Fragments und temporärer K-Draht-Osteosynthese erfolgt die definitive Fixierung mit einer oder 2 Schrauben. Dies kann bei guter Knochenqualität mit einer Zug-/Kompressionsschraube erfolgen oder bei schlechter/osteoporotischer Knochenqualität mit Fixationsschrauben [4].

Intraartikulären Frakturen, welche eine Frakturlinie unterhalb der Fossa olecrani und zusätzlich eine Beteiligung des Capitulum humeri aufweisen, können häufig nicht durch eine Plattenosteosynthese adressiert werden. Eine zu gelenknahe Positionierung der Platten führt zu einer Schädigung des Kollateralbandapparats und der dort inserierenden Muskulatur [8, 23, 30]. In diesen Fällen, aber auch bei komplexen mehrfragmentären Frakturen sind Kombinationsverfahren mit Platten- und Einzelschraubenosteosynthese zum Erreichen einer anatomischen Reposition notwendig.

Plattenosteosynthese

Single- oder Doppelplattenosteosynthesen? Auch hier gibt die Frakturmorphologie die OP-Taktik vor. Durchgesetzt haben sich heute flache winkelstabile und anatomisch vorgeformte Platten, die neben der einfacheren Positionierung eine höhere Stabilität garantieren und auch im osteoporotischen Knochen ausreichend Halt finden. Zudem finden auch LCDC- und Rekonstruktionsplatten Anwendung. Hierbei zeigte sich in biomechanischen Untersuchungen, dass winkelstabile Implantate der konventionellen Plattenosteosynthesen im osteoporotischen Knochen überlegen sind, während im gesunden Knochen Rekonstruktionsplatten ausreichend Halt finden [39]. Die flache Bauweise der anatomischen Platten wirkt sich zudem positiv auf die Weichteilverhältnisse aus, da sie weniger auftragen und eine Perforation der Haut unwahrscheinlicher machen [18]. Die Singleplattenosteosynthese eignet sich bei einfach artikulären Frakturen (Typ B1, B2 und A2 nach AO). Wie bei der Schraubenosteosynthese erfolgt die temporäre Fixierung mit K-Drähten. Anschließend wird das Fragment mit einer so weit wie möglich distal eingebrachten gelenkparallelen Schraube adressiert. Die Fraktur wird nun mit einer anatomisch vorgeformten Platte sicher fixiert. Hierbei werden die Platten je nach Fraktur von lateral oder medial aufgebracht. Handelt es sich bei den partiell artikulären Frakturen (Typ B3 nach AO) zusätzlich um eine Fraktur mit dorsaler Trümmerzone (Dubberley-Typ B), muss diese Trümmerzone meist mit Knochen (Spongiosa) aufgefüllt und zusätzlich über eine singuläre Platte versorgt werden [16]. Bei metaphysären Frakturen (Typ A1 und A2 nach AO) ist eine ausreichende Stabilität nur mit einer Doppelplattenosteosynthese zu erreichen [36]. Zunächst werden auch hier die Fragmente nach der anatomiegerechten Reposition mit K-Drähten fixiert. Im Anschluss wird zunächst die Platte auf den Epicondylus medialis aufgebracht. Danach folgt das Aufbringen der Platte auf den Epidondylus lateralis. Hier bieten winkelstabile Osteosynthesesysteme auch im osteoporotisch veränderten Knochen ausreichend Halt, sodass eine frühfunktionelle Nachbehandlung möglich ist [39]. Auch vollständig intraartikuläre Frakturen (Typ C1, C2 und C3 nach AO) können mit einer Doppelplattenosteosynthese übungsstabil versorgt werden. Einer guten Planung und gleichzeitig flexiblem intraoperativem Vorgehen bedarf es bei den komplexen Frakturen (C3 nach AO). Ein guter Blick auf den Gelenkblock ist hier essenziell und gelingt durch einen dorsalen Zugang in verschiedenen Modifikationen, die mit oder ohne Olecranonosteotomie auskommen [4]. Nach anatomischer Rekonstruktion des Gelenkblocks unter Sicht wird dieser zunächst über 2 gelenkparallel eingebrachte Schrauben unter Zuhilfenahme von K-Drähten gesichert. Im Anschluss erfolgt die Reposition des Gelenkblocks an die proximalen Fragmente über temporär eingebrachte K-Drähte. Ein Problem stellen tief intraartikulär gelegene Fragmente dar, die häufig nicht durch die distalen Löcher der Platte adressiert werden können und regelhaft zusätzlich eingebrachte singuläre Schrauben erfordern. Ob die parallele (180° zueinander, radial-lateral, ulnar-medial) oder die rechtwinklige (90° zueinander, radial-dorsal, ulnar-medial) Anordnung der Platten Anwendung finden sollte, ist weiterhin Gegenstand der aktuellen Diskussion. In biomechanischen Studien schien die parallele (180°) Anordnung bei metaphysären Frakturen der rechtwinkligen (90°) Anordnung in Bezug auf die Primärstabilität überlegen zu sein [22, 33, 47], sodass die Favorisierung dieses Konzepts bei einer osteoporotischen Knochenstruktur diskutiert werden kann. Klinische Vergleichsstudien konnten jedoch keinen signifikanten Unterschied der Plattenlage aufzeigen [42] (Abb. 1). Wichtig ist hierbei, dass die Platten, wenn möglich nicht auf derselben Höhe am Humerusschaft enden, da es so zu einer besseren Kraftverteilung auf den Knochen kommt und Stressfrakturen oder Materialversagen unwahrscheinlicher erscheinen [17] (Abb. 2). Um die im Anschluss notwendige Entlastung zu erreichen, kann zur Neutralisation der auf das Gelenk wirkenden Kräfte ein Bewegungsfixateur oder eine Orthese angebracht werden.

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