Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2015

Zwischen Hippokrates und Umsatzrendite – das Problem aus Sicht eines budgetverantwortlichen Arztes

Jörg Jerosch1

Zitierweise
Jerosch J: Zwischen Hippokrates und Umsatzrendite – Das Problem aus Sicht eines budgetverantwortlichen Arztes. OUP 2015; 07: 382–387 DOI 10.3238/oup.2015.0000–0000

Probleme bei der Krankenhausfinanzierung

Die strukturelle Unterfinanzierung der Krankenhäuser stellt ein zunehmendes Problem dar. 70 % der Chefärzte empfinden, dass auf Grund der Mittelknappheit im Krankenhaus negative Effekte in der Krankenversorgung entstehen. Bei den Pflegedirektoren sind dies sogar 82 %, bei den Geschäftsführern 66 %. Die Daten beruhen auf Forschungsergebnissen des Lehrstuhls für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen. Die Datenbasis bezieht sich auf die Befragung von 1.432 Chefärzten, 336 Pflegedirektoren und 284 Geschäftsführern. 45 % der Chefärzte nehmen in ihrer täglichen Praxis Entscheidungskonflikte zwischen ärztlichen und wirtschaftlichen Zielsetzungen wahr [1].

Laut Dr. med. Theodor Windhorst, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe [2], erfolgte seit 1995 eine enorme Arbeitsverdichtung mit Zunahme von Krankenhausinfektionen, Dekubitalulcera und auch Burn-out-Syndromen bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Gesundheitswesen. Die durchschnittliche Arbeitszeit je Mitarbeiter sinke insbesondere auf Grund des verschärften Arbeitszeitgesetzes. Gleichzeitig werden im gleichen Zeitraum jedoch mehr Patienten behandelt.

Die mittlere Verweildauer in deutschen Krankenhäusern reduzierte sich von 9,7 Tagen im Jahr 2000 auf 7,6 Tage im Jahr 2012. Im gleichen Zeitraum stiegen die Fallzahlen von 17,3 Millionen (Jahr 2000) auf 18,6 Millionen (Jahr 2012). Diese Zahlen zeigen deutlich die Arbeitsverdichtung.

Laut dem Gesundheitsökonom Wassem [3] werden Mittel im Gesundheitswesen zweckentfremdet. Bei fehlenden Investitionen aus den Ländermitteln sind die Krankenhäuser gezwungen, absolut zwingende, notwendige Investitionen aus den Mitteln für die Patientenversorgung zu nehmen. Bei den privaten Krankenhausträgern werden aus den Mitteln, die die Krankenkassen für die Behandlung der Patienten bereitstellen, sogar noch Ausschüttungen für die Aktionäre getätigt. Hier stellt sich die Frage, ob dieses überhaupt vom Gesetzgeber so intendiert ist.

Prof. Paul Unschuld von der Berliner Charité formulierte in der Eröffnungsveranstaltung des Deutschen Internistentages 2014 in Berlin deutlich: „Die Patienten sind die einzigen Verbündeten der Ärzte im Kampf für eine qualitativ gute Versorgung“. Er kritisierte die zunehmende Ökonomisierung im Gesundheitswesen. Patienten stehen nicht mehr als Leidende, sondern als Kunden im Fokus. Anders als ein Dienstleister-Kunden-Verhältnis sei das Arzt-Patienten-Verhältnis aber besonders von Vertrauen geprägt. Doch dieses stehe derzeit auf dem Spiel, so Prof. Unschuld. Als eines der Beispiele aus seinem klinischen Alltag führt er die klinische Gesundheitsakte an. Damit gehe jede Vertraulichkeit von Gesundheitsdaten verloren. Es besteht die Gefahr, dass es so möglich ist, bestimmte Gruppen aufzuspüren, zu überwachen und auszusondern.

Anforderungen an leitende Ärzte

Eine Vielzahl von Gründen hat dazu geführt, dass der Ärztemangel nun auch auf der Ebene der leitenden Ärzte angekommen ist. Die Besetzung von leitenden Positionen an Krankenhäusern läuft seit einiger Zeit nicht mehr so reibungslos, wie vor Jahren. Das Karriereziel leitender Arzt/Ärztin, hat aus verschiedenen Gründen an Attraktivität verloren. Es bewerben sich zunehmend weniger Oberärzte auf Leitungspositionen. Eine qualifizierte Kandidatenauswahl ist den Headhuntern in einigen Bereichen nur noch dadurch möglich, dass zunehmend Ärzte angesprochen werden, die auch bereits in Leitungspositionen als Chefärzte arbeiten.

Auf die zunehmend schwieriger werdende Akquise weist auch die Tatsache hin, dass die Träger im Deutschen Ärzteblatt weniger Chefarztpositionen ausschreiben. So lagen im Jahr 2003 beispielsweise 561 Ausschreibungen vor, im Jahr 2013 nur noch 372. Sicherlich waren die Anreize im Jahr 2003 hinsichtlich der finanziellen Situation noch deutlich günstiger als im Jahr 2013. Die Chefarztgehälter sind deutlich nach unten korrigiert worden. Gleichzeitig verdienen gerade leitende Oberärzte im außertariflichen Bereich, mit zusätzlich individuellen Vereinbarungen wie Zielleistungsvereinbarungen, deutlich mehr als vor 10 Jahren. Somit sind die Einkommensunterschiede zwischen leitenden Oberärzten und Chefarztpositionen, unter rein ökonomischen Gesichtspunkten, kaum noch lukrativ.

Das Gehalt ist jedoch keinesfalls das einzige, ausschlaggebende Kriterium für eine Bewerbung. Ein wichtiger Motivationsfaktor ist der erhoffte Zugewinn an Gestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten. Hier haben sich jedoch auch erhebliche Änderungen eingestellt. Personalmangel, teilweise äußerst rigide Sparvorgaben und überhöhte Erwartungen an die Umsatzrendite, verändern das Klima erheblich. So hat ein privater Träger im deutschen Krankenhauswesen beispielsweise die Parole 13plus an seine leitenden Ärzte herausgegeben (mehr als 13 % Umsatzrendite). Ein anderer privater Träger hat eine eigene Prothesenfirma aufgekauft, um hier die Erlöskette für das Unternehmen noch positiver zu gestalten.

In diesem Gesamtkontext darf es nicht verwundern, dass öffentliche Krankenhäuser z.Zt. die beliebtesten Arbeitgeber für angehende Chefärzte sind, gefolgt von freigemeinnützigen und konfessionellen Krankenhäusern. Dies jedenfalls zeigt die Studie „Arbeitgeberattraktivität von Kliniken: Für welche Träger sich angehende Chefärzte entscheiden“ der Personalberatung Rochus Mummert in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Marketing und Gesundheitsmanagement der Universität Freiburg, für die bundesweit 239 Ärzte in leitenden Funktionen deutscher Krankenhäuser befragt wurden. „Städtische Kliniken und Kreiskrankenhäuser genießen als Arbeitgeber ein höheres Vertrauen, da sie regional verwurzelt sind und in der Regel eine gewisse Größe haben“, sagt Henrik Räwer, Klinikexperte bei Rochus Mummert. „Sie strahlen Stabilität aus. Gerade für kleinere Privatkliniken ist es schwer, damit zu konkurrieren.“

Während die Oberärzte mit dem Arbeitszeitgesetz eine geregelte Wochenarbeitszeit haben, auf die auch die Aufsichtsbehörden achten, gilt dieses für leitende Ärzte nicht. Hier wird erwartet, dass man, um die Papierroutine abzuarbeiten, morgens zwischen 6.30 Uhr und 7 Uhr die Arbeit beginnt und dann nach getaner Klinikroutine noch abends für Sitzungen bis 20 oder 21 Uhr zur Verfügung steht. All dieses ist natürlich kein Anreiz für Oberärzte, eine solche Position anzustreben, insbesondere wenn man die sonstigen Merkmale der Generation Y betrachtet.

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