Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2015

Zwischen Hippokrates und Umsatzrendite – das Problem aus Sicht eines budgetverantwortlichen Arztes

Früher lud die eher großzügige Vergütung von Klinikleistungen zur Verschwendung ein. Hier schlägt das Pegel mittlerweile stark in die Gegenrichtung aus. Der allgemeine Sparzwang nimmt in deutschen Krankenhäusern überhand. Es gilt, hier ein vernünftiges Maß zwischen Medizin und Ökonomie in deutschen Krankenhäusern zu finden. Im Jahre 2014 hat der deutsche Ethikrat zu einer öffentlichen Tagung mit dem Titel „Vom Krankenhaus zum kranken Haus?!“ eingeladen. Im Rahmen dieser Tagung wurde von der Ärzteschaft stark bedauert, dass unter den jetzigen Bedingungen die Ärzte gezwungen sind, dem Patienten eine ganz wichtige Ressource in der Arzt-Patientenbeziehung vorzuenthalten: die Zeit. Das gleiche gilt durchaus auch für die Pflegekräfte. Pfleger und Ärzte müssen in deutschen Krankenhäusern im täglichen Ablauf ständig Entscheidungen treffen, bei denen sie zwischen medizinischen und ökonomischen Argumenten abwägen müssen. Dieses verursacht bei beiden Gruppen erheblichen emotionalen Stress. Beide Berufsgruppen erleben in ihrem Alltag, dass sie entweder im Sinne des ökonomischen Interesses oder im Sinne des Patienten agieren können. Dieses führt zu einem kontinuierlichen Interessenskonflikt.

Die Rolle des DRG-Systems

Es ist auch zu kurz gegriffen, das DRG-System für all diese Probleme verantwortlich machen zu wollen. Bereits in den 1980er Jahren zeigte sich ein zunehmender Einfluss von marktwirtschaftlich orientierten Gesundheitsökonomen auf die Krankenhauspolitik. Bereits im Jahr 1989 lag ein Grundsatzdokument des Bundesarbeitsministeriums (dieses war seinerzeit noch für die Gesundheitspolitik zuständig) vor, in dem diese Folgen in Begrifflichkeiten vorkamen:

schrittweise Weiterentwicklung zu einem Preissystem,

interne Budgetierung,

interne Wirtschaftlichkeitsanreize,

Einbeziehung der Chefärzte in die Budgetverantwortung,

erfolgsabhängige Chefarztverträge.

Wir sind mittlerweile in einem Bereich angekommen, in dem der Kostendruck auf das Lohnleitsystem, insbesondere der deutschen Krankenhäuser, enorm ist. Im DRG-System ist nur ein Gewinn zu erzielen wenn es gelingt, wirtschaftlicher zu arbeiten, als in der Kalkulation oder der DRG-Pauschale gerechnet wurde. Einen entscheidenden Einfluss hat die Liegedauer. Der interne Mechanismus des DRG-Systems sorgt hier dafür, dass der Kostendruck immer weiter zunimmt. Dabei muss allen handelnden Personen im System bewusst sein, dass es aufgrund der DRG-Eigenmechanismen zwangsläufig zu einem „unethischen Hamsterrad“ kommt:

Die Festlegung der DRG, berechnet aufgrund der Durchschnittskosten der Kalkulationen, erfordert, dass alle Krankenhäuser, die mit ihren Kosten über diesem Durchschnitt liegen, ihre Kosten entsprechend zu senken haben.

Soweit dieses möglich ist, kommt es in der darauffolgenden Kalkulationsrunde abermals zu einer Senkung des Kostendurchschnitts und konsequenterweise auch auf dieser Grundlage zu einer Absenkung des neu festgesetzten Preises.

Durch diese Senkung des Preises geraten erneut die Kliniken unter Kostendruck und müssen ihre Kosten senken.

Diese DRG-eigene Kalkulationslogik führt zu einer Abwärtsspirale der Preise, wobei das Krankenhaus selbst dafür sorgt, das es jedes Jahr zu einer Verschlechterung der Preise kommt, die Patienten für dieselbe Leistung erhalten.

In diesem Gesamtgeflecht gilt es folgende zusätzliche Aspekte zu berücksichtigen:

Es findet sich eine rückläufige bzw. überhaupt keine Investitionsförderung durch die Bundesländer für die Krankenhäuser mehr.

Die zugestandenen Leistungserweiterungen durch die Kostenträger fallen jährlich geringer aus als die Tarifsteigerung der im Krankenhaus Beschäftigten.

Das DRG-System hat somit einen solchen Kostendruck auf deutsche Krankenhäuser ausgelöst, dass mehr als die Hälfte der Häuser rote Zahlen schreibt. Alle Experten sind sich darüber einig, dass es keine Lösung sein wird in das alte Finanzierungssystem der Tagessätze zurückzufallen. Es ist aber aus Sicht vieler Fachleute geboten, die zweifelsfrei immer knapper werdenden Ressourcen adäquat einzusetzen. Die deutschen Krankenhäuser mit dem DRG-System und der DRG-eigenen Logik zum Ressourceneinsparen allein zu lassen, führt unweigerlich zum Zusammenbruch des Systems. Hier sind Politik und die öffentliche Meinung gefragt, eine ethische Ressourcenverteilung durchzuführen. Diese Aufgabe kann nicht Konzerngeschäftsführungen überlassen werden, die evtl. auch noch aktiengesteuert sind. Hierbei geht es zuallererst darum, den ökonomischen Druck in den Krankenhäusern zu mindern.

Wenn Krankenhäuser Investitionen aus den DRG-Erlösen finanzieren müssen, fehlt dieses naturgemäß bei der Versorgung der Patienten.

Letztendlich wird die Politik und auch die öffentliche Meinung den Mut aufbringen müssen, unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Hierzu zählen beispielsweise:

in überversorgten Bereichen Abteilungen oder Krankenhäuser zu schließen,

„der Flatrate“ auf Krankenkassenkarte eine Absage zu erteilen,

Basisleistungen zu definieren, die aus der Solidargemeinschaftskrankenkasse zu erbringen sind,

gemeinsam mit der Ärzteschaft „faire Zuzahlungsmodelle“ für Zusatzleistungen zu entwickeln, wie diese beispielsweise in der Zahnmedizin schon gang und gäbe sind,

das DRG-System zu renovieren, sodass beispielsweise die Krankenhausfinanzierung nicht zu 100 % an den Klinikleistungen oder Fallpauschalen hängt, sondern dass das DRG-System nur ein Instrument neben anderen bei der Vereinbarung eines krankenhausindividuellen Budgets ist.

Prof. Dr. med. Dr. phil. Dr. theol. Eckhard Nagel, Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Essen und Mitglied des Deutschen Ethikrats, formuliert in diesem Zusammenhang absolut treffend: „Je mehr die Medizin in Rentabilitätskalkülen zu denken lernt, desto mehr wird sie sich zuallererst von den Schwächsten verabschieden.“

Zweifelsfrei müssen Krankenhäuser Ressourcen mit Bedacht und Verantwortung einsetzten. Zu einem solchen verantwortungsvollen Umgang mit finanziellen Mitteln gehört zweifelsfrei auch, Arbeitsabläufe zu hinterfragen und wirtschaftlicher zu gestalten. Das Unternehmen Krankenhaus bewusst dazu zu nutzen um Gewinne zu erwirtschaften ist jedoch absolut unethisch. Auch den Terminus „Einsparpotenzial“ in direktem Zusammenhang mit Qualitätssteigerung zu bringen ist widersinnig. Die Gesellschaft muss sich die Frage stellen, ob sie unser Gesundheitswesen in eine Gesundheitswirtschaft umwandeln möchte.

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