Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2015

Zwischen Hippokrates und Umsatzrendite – das Problem aus Sicht eines budgetverantwortlichen Arztes

Ebenso empfinden die Patienten, dass die Stationsärzte freundlicher sind und mehr Zuwendung zeigen, als die leitenden Mediziner. Hygiene und Sauberkeit steht bei allen Befragten im Mittelpunkt des Interesses. Das dürfte an der breiten Diskussion über Krankenhausinfektionen liegen. Stationsärzte sind näher am Patienten und legen Wert auf gute Beratung, Freundlichkeit und Hilfestellungen. Soziale Leistungen wie Mitarbeiterwohnungen, Kindergärten für das Klinikpersonal und die Zufriedenheit am Arbeitsplatz findet bei den leitenden Klinikärzten nur wenig Berücksichtigung.

„Zu Lasten einer empathischen Arzt-Patientenbeziehung droht der Patient zum Werkstück in einem industriellen Prozess zu werden“, lautete das Zitat der Woche von Prof. Dr. med. Arved Weimann, Chefarzt am Klinikum St. Georg in Leipzig, im Deutschen Ärzteblatt [4].

Wie dieses im klinischen Alltag aussieht, stellt der Artikel von Dr. Herbert Bliemeister sehr deutlich dar [5] .

Der bisher nur Insidern bekannte negative Einfluss der Ökonomie wird nun zunehmend auch der Bevölkerung deutlich. So titelte Spiegel Online im Oktober 2014: „Hygieneskandal an Uni-Klinik Mannheim: Totes Insekt im OP-Besteck – Haare, Keime und Knochensplitter an vermeintlich sterilen Instrumenten: In der Uni-Klinik Mannheim sind die Zustände internen Unterlagen zufolge noch schlimmer als bislang bekannt.“

Stolz waren die Stadt und der Geschäftsführer Alfred Dänzer darauf, dass die Uniklinik 4,5 Millionen im Jahr 2013 und im Vorjahr sogar knapp 6 Millionen Euro erwirtschaftete. Der rentable Betrieb wurde jedoch offensichtlich mit einem harten Sparkurs und in der Folge mit Schlamperei und Unterausstattung erkauft.

Nach einer anonymen Anzeige hatte das Regierungspräsidium Karlsruhe Anfang Oktober 2014 Teile des OP-Betriebs wegen Hygienemängeln stillgelegt und mehr als ein Dutzend nichtqualifizierte Mitarbeiter nach Hause geschickt.

Klinikgeschäftsführer Alfred Dänzer rechtfertigte die Probleme bisher damit, dass „auf dem Markt kein qualifiziertes Personal vorhanden gewesen“ sei. Im Übrigen habe es aus dem Haus „keinerlei Hinweise“ auf die Probleme gegeben.

Es zeigte sich jedoch, dass die Probleme lange bekannt waren. Im CIRS (Critical Incident Reporting System) sind insbesondere Defizite im Sterilisationsbereich seit mehr als 2 Jahren vermerkt. Das Beschwerdesystem enthält Dutzende Hilferufe des Personals, die die Klinikleitung längst hätten alarmieren müssen.

Schon im März 2012 hieß es in einer Antwort der Arbeitsgruppe, die die Beschwerden bearbeitet: „Es wurde besprochen, dass die Mitarbeiter der Sterilisation regelmäßig an den Instrumentenschulungen teilnehmen sollen.“ Die jedoch fanden offenbar nicht oder nur unzureichend statt. Die Pannen nahmen zu, die Hilferufe von Ärzten und Pflegern wurden dringlicher. Im Juni 2013 fragte ein Pfleger: „Wie viel Verantwortung für regelwidriges Verhalten soll die Pflege noch tolerieren?“ Einige Monate später war zu lesen: „Wir sind kein Produktionsbetrieb, hier geht es um Menschenleben.“

Im Oktober 2013 monierte ein Arzt schlimme Mängel am Operationsgerät: „Regelmäßig sind Siebe unvollständig gepackt oder Instrumente und Geräte nicht vollständig funktionstüchtig.“ Und weiter: „In meiner OP heute fehlten 4 Instrumente.“ Etwa zur gleichen Zeit wurden nach Spiegel-Online-Informationen in 2 Sieben der Orthopädieabteilung Staphylokokken nachgewiesen. Der Befund wurde auch der Geschäftsleitung gemeldet. Abhilfe geschaffen wurde offenbar nicht.

Ein OP-Mediziner bestätigte die Missstände. Vielfach hätten bei Operationen mehrere sterilisierte Instrumentensätze geöffnet werden müssen, weil darin Werkzeug fehlte. „Die Siebe sind fehlerhaft gepackt“, sagte der Zeuge. Auch er berichtete von verschmutzten Geräten, weil sie unzureichend vorgereinigt waren oder die Sichtkontrolle ausfiel. „Es gab Haare und Knochensplitter, wo sie nicht sein sollten.“ Ein CIRS-Eintrag berichtete Anfang 2014 sogar von einem Insekt im Operationsbesteck: „Beim Öffnen eines OP-Siebes befand sich im sterilen OP-Sieb eine tote Fliege.“

Das Mannheimer Personal verzweifelte schier an der Untätigkeit der Verantwortlichen. Im November 2013 war in CIRS zu lesen: „Patienten müssen verschoben werden, weil nicht genügend Instrumente/Siebe in einem Haus der Maximalversorgung zur Verfügung stehen.“ Und nur ein paar Tage später fast schon flehentlich: „Bitte, bitte lassen Sie es nicht dazu kommen, dass Patienten zu Tode gespart werden. Mehr, viel mehr Personal im Steri.“ Als selbst im deutschen Gesundheitswesen aktiv tätige Person, kann der Autor bestätigen, dass es sich bei den oben dargestellten Vorkommnissen in der Uni Mannheim keinesfalls um Ausnahmen handelt.

Das Finanzierungssystem im Krankenhaus ist heute vorrangig auf ökonomische Effizienzaspekte ausgerichtet. Für den Arzt ist der Patient jedoch Zweck der Gesundheitsversorgung und nicht Mittel zur Erlösmaximierung. Die tägliche Routine im Krankenhaus sieht jedoch anders aus. Die Patientenversorgung wird immer marginaler. Begrifflichkeiten, die dieses sehr deutlich beschreiben, sind:

Arbeitsverdichtung,

Prozessoptimierung,

Outsourcing.

Das Ziel ist hier finanzielle Mittel einzusparen. Ein Profit ist hierbei für den Patienten nicht zu erkennen. Kurzfristig werden die Bilanzen, Umsatzrenditen und Deckungsbeiträge der Krankenhäuser mit derartigen Strategien schön gerechnet; Diese Maßnahmen sichern die Existenz der Krankenhäuser und der Abteilung jedoch nur sehr kurzfristig. Es ist ein Wandel zu fordern zu einem qualitätsorientierten nachhaltigen Finanzierungssystem, dass die ärztliche Entscheidung, die sich an den Bedürfnissen des Patienten orientiert, herausfordert und nicht ökonomisch bestraft. Der verantwortliche Arzt muss einem Patienten auch von einer bestimmten Therapie abraten dürfen, auch wenn es nicht im Sinne der Zielvereinbarungen der Ärzte und der Geschäftsführer ist. Die ärztliche und pflegerische Kompetenz darf nicht betriebswirtschaftlichen Zielen untergeordnet werden. In der Summe brauchen wir für unsere kranken Patienten eine Zone, die frei ist von ökonomischen Zwängen. Ein Krankenhaus ist eine soziale Einrichtung und darf nicht zu einem auf Profitmaximierung ausgelegten Wirtschaftsunternehmen degradiert werden. Sehr deutlich kommt dieses bei privaten Trägern zutage. Bei derartigen Unternehmen ist zwangsläufig der Shareholder Value wichtiger als das unmittelbare Wohl der Patienten. Das mag niemand so zugeben, dennoch ist die tägliche Realität die, dass mit immer weniger Geld und immer weniger Mitarbeitern medizinische und pflegerische Qualität gesteigert werden soll. Sehr drastisch zeigt das die Aussage des Fresenius Klinikkonzerngeschäftsführers Ulf Schneider, der eine Rendite von 15 % als realistisches Ziel einstuft.

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