Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2015

Zwischen Hippokrates und Umsatzrendite – das Problem aus Sicht eines budgetverantwortlichen Arztes

Von Seiten der ärztlichen Standesorganisationen wird dieses Problemfeld durchaus gesehen. Dies zeigt sich beispielsweise auf der Homepage der Bundesärztekammer (www.baek.de/aerzte), auf der ein Bereich eingerichtet wurde, der erfolgreiche Modelle der Wahrnehmung von Leitungsfunktionen in Teilzeit in Krankenhäusern sammelt. Hierin wird dargestellt, dass Arbeitnehmer grundsätzlich einen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit, nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetzt (TzBfG), besitzen. Hierbei sieht § 6 des TzBFG explizit vor, dass Teilzeit auch bei leitenden Positionen ermöglicht werden soll. Die Bundesärztekammer räumt jedoch auch ein, dass bislang Teilzeit als Arbeitsmodell wenig karrieretauglich ist. Und das für Viele weiterhin kaum vorstellbar ist, dass Oberärztinnen/-ärzte oder Chefärztinnen/-ärzte in Teilzeit tätig sind. Zweifelsfrei wächst jedoch das Interesse an familienfreundlichen Arbeitszeitkonzepten und es wird gesellschaftlich zunehmend weniger akzeptiert, dass Teilzeit zu verringerten Karrierechancen führen soll. Der 117. Deutsche Ärztetag 2014 in Düsseldorf hat sich mit diesem Thema intensiv mit mehreren Entschließungen befasst. Hier wird unter anderem gefordert, dass es möglich sein muss, eine leitende Positionen in der Klinik auch mit Familie in Teilzeit zu erreichen. Allen Beteiligten ist jedoch durchaus auch klar, dass erhebliche Widerstände zu überwinden sind, wenn derartige Gespräche mit Vorgesetzten und Krankenhausgeschäftsführungen geführt werden.

Von heutigen Chefärzten/innen erwartet man, dass sie absolute Multitalente sind. Vorausgesetzt wird die medizinische Expertise, mit der sie zum Leistungsträger für das Unternehmen werden. Gleichzeitig sollen sie auch den Spagat zum wirtschaftlichen Erfolg, und wie es in Ausschreibungstesten häufig formuliert wird, eine „ökonomische Kompetenz“ mitbringen. Darüber hinaus finden sich in Ausschreibungstexten die Begriffe „soziale und kommunikative Kompetenz, Organisationsgeschick und Führungsstärke“. Gleichzeitig sind sie verantwortlich für die ärztliche Weiterbildung und stellen zweifelsfrei ein wichtiges Vorbild für die nachrückende Ärztegeneration dar. Sie stellen das Gesicht des Hauses hinsichtlich der medizinischen Versorgung dar (siehe Focus-Listen).

Versucht man all diese Anforderungen zu erfüllen, so kommt es zu einer absoluten Zerreißprobe zwischen Beruf auf der einen Seite und Privatleben auf der anderen Seite. Alle im Gesundheitswesen müssen sich darüber im Klaren sein, dass eine derartige leitende Ärztin/leitender Arzt keinesfalls ein Vorbild für die Oberarzt- oder Assistentengeneration sein kann. Auch wenn in letzter Zeit in den Ausschreibungstexten auf eine höhere Familienfreundlichkeit abgehoben wird, so ist dieses unter den oben genannten Voraussetzungen gar nicht möglich.

Wenn immer wieder von Rollenüberforderungen gesprochen wird, so darf dieses nicht nur die berufliche Sphäre, sondern muss auch die Privatsphäre der handelnden Personen mitbeinhalten.

Es entsteht insbesondere ein ganz erheblicher Druck dadurch, dass die Schere zwischen den zu erbringenden Relativgewichten sowie den zur Verfügung gestellten Sach- und Personenressourcen immer weiter auseinander klafft.

Ärzte in Führungspositionen beklagen drastisch, dass sie nicht ausreichend bei strategischen Fragen und Zielsetzungen eingebunden sind, am Ende aber für negative Ergebnisse verantwortlich gemacht werden. Beispiele hierfür aus dem klinischen Alltag lassen sich viele finden. So gibt es beispielsweise Chefärzte, die über das Outsourcing der eigenen Apotheke erst durch Pharmareferenten erfahren. Die hierdurch verursachte differente Besteuerung bei der Erstellung und Anwendung von Chemotherapeutika fällt hingegen wieder auf das Budget der jeweiligen Abteilung zurück. Beim Outsourcing von Steri-Einheiten werden leitende Ärzte eventuell „gehört“, deren Empfehlungen jedoch nicht umgesetzt. Die hierdurch zusätzlich entstehenden Kosten durch verlängerte OP-Zeiten oder zusätzlich zu öffnende OP-Sieben, da Siebe nicht komplette gepackt oder unsteril sind, wird hingegen den Abteilungsbudgets zugeschlagen.

Die letzten Jahre zeigen auch sehr deutlich, dass bei leitenden Ärzten die sich mit ihren Problemen allein gelassen fühlen, zunehmend der Wunsch entsteht, noch einmal das Krankenhaus zu wechseln – auch wenn es ursprünglich in der persönlichen Karriere- und Familienplanung nicht vorgesehen war. Die Erfahrung zeigt jedoch häufig, dass die Probleme aus Sicht des leitenden Arztes und auch aus Sicht der Geschäftsführung in der neuen Position absolut die gleichen sind. Eine Lösung für das vorher bestandene Problem bietet sich in der Regel somit weder für den leitenden Arzt noch für die Geschäftsführung. Eigentlich kann es nur der Weg sein, die Identität und Kompetenz der ärztlichen Führungskräfte wieder zu gewinnen.

Die Realität ist jedoch, dass durch die Rollenüberforderung (beruflich und privat) in Kombination mit dem Kostendruck, sich ein zunehmendes Gefühl von Ohnmacht breit macht.

Aus ärztlicher Sicht ist auch darauf hinzuweisen, dass im Krankenhausbereich natürlich die Behandlung des Patienten im Mittelpunkt stehen muss und nicht das Interesse der Länderbudgets, die die Finanzierung der Krankenhäuser nicht mehr sicherstellen können oder das Interesse der Aktionäre, die bei privaten Krankenhausketten eine jährliche Rendite und eine Steuerung der Aktienkurse, entsprechend dem DAX-Index, erwarten.

Die Ökonomie gewinnt
(zuviel) an Einfluss

Für leitende Klinikärzte haben umsatzrelevante Steuerungsgrößen mehr Gewicht als Patientenzufriedenheit. Ebenso stehen das Wohl der Mitarbeiter und zusätzliche Sozialleistungen für das Personal nicht im Fokus der Chef- und Oberärzte. Leitende Kliniker haben laut einer Studie der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Aalen (Dr. Bodo R.V. Antonic von der HTW Aalen) zunehmend taktische und umsatzrelevante Steuergrößen im Fokus. Strategien für die Fort- und Weiterentwicklung ihrer klinischen Einrichtung finden zunehmend geringere Beachtung.

Bettenbelegungen, die Fallschwere, das Abrechnungsvolumen und das DRG-System sind bei dem leitenden ärztlichen Klinikpersonal allgegenwärtig. Assistenz- und Stationsärzte nehmen sich noch etwas Zeit für die Patienten und kümmern sich um die Patientenzufriedenheit und Hilfestellungen. Das interessiert die leitenden ärztlichen Mitarbeiter weniger.

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