Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2015

Zwischen Hippokrates und Umsatzrendite – das Problem aus Sicht eines budgetverantwortlichen Arztes

„Was meinen Sie, was in diesem Land los wäre, wenn die Menschen wüssten, was in diesem Land los ist?“ (Volker Pispers)

Das Bild aus Sicht
der Patienten

3 von 4 Patienten sind mit dem deutschen Gesundheitssystem insgesamt zufrieden; 7 von 10 Patienten mit den sie behandelnden Ärzten [6]. Gleichzeitig sehen jedoch auch 9 von 10 Patienten einen Reformbedarf im Gesundheitssystem. Hier finden sich von Seiten der Patienten vor allen Dingen 2 Problemkreise. Ein Großteil der Patienten sorgt sich um die Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens sowie auch um die Möglichkeit, bei einer Erkrankung am medizinischen Fortschritt teilnehmen zu können. 85 % der Befragten gehen davon aus, dass die Krankenkassenbeiträge in Zukunft weiterhin deutlich steigen werden. 54 % gehen davon aus, dass die Leistungsumfänge in Zukunft deutlich eingeschränkt werden müssen. 47 % befürchten eine sinkende medizinische Qualität in der Patientenversorgung.

Die Patienten schätzen die Gesamtsituation somit sehr realistisch ein. Zwei Drittel würden auch durchaus höhere Krankenkassenbeiträge in Kauf nehmen, um am medizinischen Fortschritt weiter teilhaben zu können.

Die Rolle der Geschäftsführer

Der Autor ist selbst Chefarzt an einer orthopädisch/unfallchirurgischen Klinik und hat, innerhalb seiner 15-jährigen Zugehörigkeit, in dem Unternehmen 6 neue Geschäftsführer miterlebt. Bei allen Geschäftsführern findet sich, insbesondere zum Dienstbeginn, der gleiche Reflex. Die Excel–Dateien mit den Budgetberichten werden geöffnet und es werden regelhaft jeweils 1–2 Stellen im ärztlichen und 1–2 Stellen im nicht ärztlichen Personal gestrichen, sodass sich der Deckungsbeitrag für die Vorstellung beim Aufsichtsrat positiv darstellt. Die verbleibenden Mitarbeiter/innen müssen dann ihre Arbeitsabläufe den neuen Gegebenheiten anpassen. Dieses Vorgehen führt zwangsläufig zu Qualitätsverlusten in der Patientenversorgung sowie zu Überlastungen der Mitarbeiter. Auch von ärztlicher Seite wird natürlich die Notwendigkeit zu ökonomischen Betrachtungen gesehen. Medizinisch sinnvoll wäre es jedoch, zunächst Prozesse zu optimieren und erst dann die überflüssigen Ressourcen zu streichen.

Insgesamt nimmt wegen der oben genannten Gründe das Konfliktpotenzial zwischen leitendem Arzt und Geschäftsführung zwangsläufig zu. Dieses zeigt sich allein schon durch die mittlere Unternehmenszugehörigkeit von Chefärzten und Krankenhausgeschäftsführern.

Konkrete Zahlen hierzu waren im Rahmen der Recherche zu diesem Artikel von keiner offiziellen Stelle zu erfahren (Bundesministerium für Gesundheit, Deutsche Krankenhausgesellschaft, Bundesärztekammer, Landesärztekammer Nordrhein, Verband leitender Klinikärzte, Kienbaum und Partner). Aus diesem Grund wurde im Herbst 2014 vom VLOU (Verband leitender Orthopäden und Unfallchirurgen) Sektion Mitte/West unter Leistung von Dr. Walter Schäfer und Prof. Jörg Jerosch eine Umfrage unter den leitenden Ärzten dieser Sektion durchgeführt. Die Daten von 55 leitenden Ärzten konnten ausgewertet werden. Es zeigte sich, dass leitende Ärzte im Median 9,5 Jahre in der jeweiligen Position sind, wohingegen der Median bei Geschäftsführern bei 3,5 Jahren lag. Nur wenige Chefärzte hatten einen langfristigen Partner in der Geschäftsführung. Der Mittelwert der Geschäftsführer pro Chefarzt lag bei 3 (Standardabweichung 2).

Diese Daten zeigen deutlich, dass Chefärzte durch die lange Unternehmenszugehörigkeit ihre medizinischen und strategischen Entscheidungen auf Nachhaltigkeit ausrichten, wohingegen Geschäftsführer mit zunehmend mehr 3-Jahresverträgen und jahresspezifischen Zielleistungsvereinbarungen auf kurzfristige Unternehmensziele ausgerichtet sind. Dieses führt auch zu ökonomisch nicht sinnvollen Ansätzen, wenn beispielsweise eine Firma zum Jahresende die Kyphoplastie-Sets zu einen extrem günstigen Preis für die Abnahme größerer Mengen anbietet, der Krankenhausgeschäftsführer diesem Kauf jedoch nicht zustimmt, um seine persönliche, wirtschaftliche Jahreszielvereinbarung nicht zu gefährden. Ökonomisch wäre es jedoch sinnvoll, eine große Menge von Sets für das darauf folgende Jahr abzunehmen.

Aus diesem Grund wäre es vielleicht auch sinnvoll, die Jahreszielvereinbarungen sowohl für Geschäftsführer als auch für leitende Ärzte erheblich aufzuweichen und beispielsweise vielmehr in „5-Jahres-Plänen“ zu denken, um mehr Nachhaltigkeit nicht nur auf medizinisch-strategischem, sondern auch auf den wirtschaft-strategischen Bereich auszudehnen.

Interessant in diesem Zusammenhang ist auch eine Studie der KPMG AG [7]. Diese zeigte, dass jedes 4. Krankenhaus Jahr für Jahr Mitglieder der Geschäftsführung austauscht. Die Autoren haben analysiert, dass das Risiko des Geschäftsführerwechsels um 50 % größer ist als im Vorstand eines DAX-Unternehmens. Die nähere Analyse zeigt, dass die Rate bei öffentlichen Krankenhäusern etwa 20 % beträgt, bei privaten Krankenhäusern 31,7 % und bei freigemeinnützigen 24,7 %.

Untersucht wurde in diesem Zusammenhang auch, ob ein Geschäftsführerwechsel sich auf die Ertragslage des Krankenhauses auswirkt. Unabhängig vom Wechsel der Geschäftsführung beobachten die Autoren einen Rückgang der positiven Jahresergebnisse im Untersuchungszeitraum 2009–2012 um etwa 17 %. Wechselnde Geschäftsführungen in einem Krankenhaus mit bereits negativem Jahresergebnis führten etwa in gleicher Häufigkeit zu einer Verbesserung oder einer Verschlechterung des Jahresgesamtergebnisses. Lediglich 48,4 % der Krankenhäuser mit Negativergebnis verbessern nach einem Geschäftsführerwechsel ihr Ergebnis und rund 51,6 % verschlechtern es weiter. In den Jahren 2011 und 2012 zeigte sich sogar nur bei einem Drittel der Krankenhäuser ein positiver Effekt des Geschäftsführerwechsels auf das Jahresergebnis.

Erfolgreich wird nur ein Team aus Geschäftsführung und leitenden Ärzten sein, welches sich auf langfristige medizinisch- und ökonomisch-strategische Ziele in vertrauensvoller Zusammenarbeit einigen kann, und indem die medizinisch-ökonomische Kompetenz der leitenden Ärzte bei strategischen Frage- und Zielsetzungen nicht nur gehört wird, sondern auch mit in die Planung eingebunden wird und Pawlowsche Reflexe der Geschäftsführer (Exel-Datei auf, Personalstellen raus, Exel-Datei zu) der Vergangenheit angehören.

Die Probleme kommen in der Öffentlichkeit an

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