Übersichtsarbeiten - OUP 04/2019

Heterotope Ossifikationen nach gelenknahen Frakturen
Klinische Bedeutung, aktueller Stand und Ausblick der Therapie

Heterotope Ossifikationen können bei geringer Ausprägung ein rein radiologisches Phänomen bleiben, bei gleichzeitig völlig asymptomatischen Patienten. Hingegen korreliert der radiologische Befund nicht immer mit der klinischen Symptomatik, sodass auch geringgradige Befunde zu ausgeprägten Beschwerden führen können.

Die klinische Symptomatik kann bereits 10–12 Tage nach dem zugrunde liegenden Trauma beginnen. Nach einem Trauma des Bewegungsapparats treten die heterotopen Ossifikationen bzw. die entsprechenden Symptome vor allem periartikulär um das betroffene Gelenk herum auf. Nach einem Schädel-Hirn-Trauma oder Trauma des Rückenmarks sind vor allem die Hüfte, Schulter, Ellenbogen oder Knie betroffen [29]. Im Rahmen der genetischen Erkrankung mit Fibrodysplasia ossificans progressiva können heterotope Ossifikationen disseminiert nahezu am ganzen Körper auftreten.

Die häufigsten Beschwerden, die Patienten mit heterotopen Ossifikationen äußern, sind Schmerzen [20]. Der häufigste und oftmals erste Untersuchungsbefund periartikulärer heterotoper Ossifikationen sind Bewegungseinschränkungen des betroffenen Gelenks, die im Verlauf bis zur vollständigen Versteifung und damit zum Funktionsverlust des Gelenks fortschreiten können [19, 20]. Als zweithäufigstes klinisches Merkmal wird die Schwellung der betroffenen Region beschrieben [20]. Zusammen mit einer lokalen Überwärmung sowie einem Erythem wird die differenzialdiagnostische Abklärung einer Gelenkinfektion erforderlich, insbesondere nach vorangegangener Operation. Heterotope Ossifikationen der unteren Extremitäten können u.U. zur Schwellung des gesamten Beins führen und in ihrer klinischen Präsentation einer tiefen Venenthrombose ähneln. Zu den Komplikationen, die im Verlauf heterotoper Ossifikationen auch ohne operativen Eingriff auftreten können, gehören neben der Gelenkversteifung u.a. Wundheilungsstörungen, Druckulzerationen, Muskelkontrakturen sowie die Einklemmung von Leitungsbahnen, wie z.B. des Nervus ulnaris im Bereich des Ellenbogens, oder die erschwerte Prothesenversorgung nach Amputationsverletzungen. Diese Komplikationen können ihrerseits operative Interventionen erforderlich machen, die Rehabilitation der Patienten langfristig hinauszögern, das funktionelle Outcome der Patienten maßgeblich beeinträchtigen und somit die Behandlungskosten erheblich erhöhen, weshalb es diese bestmöglich zu vermeiden gilt.

Diagnostik

Auch heutzutage verzögert sich die Diagnostik heterotoper Ossifikation oftmals bis zum Auftreten der klinischen Symptomatik. Bei bereits symptomatischer Ausprägung besteht die meist einzig zielführende Therapieoption in der chirurgischen Resektion der heterotopen Ossifikationen. Da in absehbarer Zukunft keine Behandlungsalternativen für bereits mineralisierte heterotope Ossifikationen zu erwarten sind, ist die Früherkennung von essenzieller Bedeutung, um eine effektive Behandlung mit den heutzutage und auch zukünftig zur Verfügung stehenden Therapeutika unter Vermeidung chirurgischer Interventionen und deren Komplikationen zu ermöglichen.

Konventionelle Röntgendiagnostik

Das konventionelle Röntgen ist die erste Wahl zur Diagnostik bei Patienten, die z.B. im Verlauf nach einer Fraktur Beschwerden äußern (Abb. 1, 2). Dabei können im Röntgen bereits 3 Wochen nach Trauma, durchschnittlich aber erst nach etwa 2 Monaten, erste flaue Verschattungen im Sinne heterotoper Ossifikationen beobachtet werden, die sich im weiteren Verlauf zunehmend abgrenzen [20]. Vorteile des konventionellen Röntgens sind, dass es einfach durchzuführen, in beinahe jedem Krankenhaus und vielen orthopädisch-unfallchirurgischen Praxen verfügbar und dabei vergleichsweise kostengünstig ist. Ebenso beruhen die inzwischen etablierten Klassifikationen in der Regel auf konventionellen Röntgenaufnahmen, wie z.B. die Klassifikation nach Brooker bezüglich heterotopen Ossifikationen des Hüftgelenks [7] (Tab. 1). Außerdem erleichtert es die Einschätzung des postoperativen Rezidivrisikos, da das präoperative Ausmaß der heterotopen Ossifikationen im Röntgen als Prädiktor gilt [21]. Der wesentliche Nachteil der Röntgendiagnostik, neben der Strahlenbelastung, besteht allerdings darin, dass nur bereits herangereifte, mineralisierte Knochenstrukturen fortgeschrittener heterotoper Ossifikationen dargestellt werden können. Somit ist diese Diagnostik für die Früherkennung und Einleitung einer entsprechenden Therapie ungeeignet.

Computertomografie (CT)

Das CT stellt im Vergleich zum konventionellen Röntgen die präzisere Untersuchungsmethode dar (Abb. 1). Durch die dreidimensionale Darstellung ermöglicht es eine detailliertere Einschätzung struktureller Beziehungen sowohl zwischen heterotopen Ossifikationen und physiologischen Knochenstrukturen als auch zwischen mehreren eng zusammenliegenden heterotopen Ossifikationen. Darüber hinaus erlaubt das CT eine Lokalisation der heterotopen Ossifikationen im umgebenden Weichteilmantel, ist dabei aber einem MRT deutlich unterlegen. Das CT kommt daher insbesondere zur präoperativen Planung einer chirurgischen Resektion heterotoper Ossifikationen oder bei unklaren Befunden im konventionellen Röntgen zum Einsatz.

Magnetresonanztomografie (MRT)

Die MRT-Diagnostik ist dem konventionellen Röntgen hinsichtlich Präzision und Früherkennung überlegen. Während MRT-Untersuchungen beim Einsetzen der klinischen Symptomatik bereits oftmals charakteristische Veränderungen aufzeigen, ergeben Röntgenaufnahmen erst ungefähr 3 Wochen später einen entsprechenden Befund [3]. Bei unreifen Vorstadien kann es allerdings zu Verwechslungen mit Entzündungsreaktionen oder anderen Alterationen des Weichteilgewebes kommen. Zur Differenzierung wird daher bei auffälligen MRT-Befunden z.B. die Kombination mit einer CT-Diagnostik empfohlen [40]. Aufgrund der detaillierten Darstellung des umgebenden Weichteilgewebes kommt der MRT-Diagnostik auch im Rahmen der präoperativen Abklärung struktureller Beziehungen heterotoper Ossifikationen z.B. zu Nerven, Gefäßen, Muskeln oder Sehnen eine entsprechende Bedeutung zu.

Drei-Phasen-Skelettszintigrafie

Die Skelettszintigrafie wurde vor über 40 Jahren in die klinische Anwendung eingeführt und gilt bis heute als die sensitivste klinisch verfügbare Methode zur Früherkennung heterotoper Ossifikationen [16]. Dabei erfasst die Skelettszintigrafie die vermehrte Vaskularisierung und Durchblutung des betroffenen Areals, die bereits in den Frühstadien der heterotopen Ossifikationen zu beobachten sind [18]. Daher können Frühstadien mittels Szintigrafie oftmals 4–6 Wochen vor der Darstellung im Röntgen erfasst werden [18]. Darüber hinaus ermöglicht sie die Beurteilung des Metabolismus der heterotopen Ossifikationen im Verlauf. Dabei wird ein Rückgang der Stoffwechselaktivität mit normwertigen szintigrafischen Befunden nach durchschnittlich 12 Monaten als Hinweis für die Ausreifung des Lokalbefunds gewertet [20]. Allerdings geht die Skelettszintigrafie mit einer Strahlenbelastung des Patienten sowie hohen Kosten einher und ist nur an speziellen Zentren verfügbar, sodass diese nur bei selektierten Hochrisikopatienten zur Anwendung kommt.

Sonografie

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