Originalarbeiten - OUP 12/2012

Injektionsverfahren im Bereich der Lendenwirbelsäule

A. Lange1

Zusammenfassung: Nur ca. 15 % der Rückenschmerzen sind spezifisch, d.h., sie haben klar definierte
Ursachen. Bei akuten spezifischen Rückenschmerzen (bis zu 6 Wochen bestehend) mit oder ohne radikuläre Ausstrahlung wird zunächst versucht, durch eine adäquate orale Schmerztherapie den „Circulus vitiosus“ zu beeinflussen. Kommt es innerhalb weniger Tage bis Wochen nicht zu einer Abnahme der Schmerzsymptomatik, sollte eine begleitende Physiotherapie begonnen werden. Zudem sind, v.a. bei Therapieresistenz oder drohender Immobilisation, therapeutische
lokale Injektionen sinnvoll, um eine rasche Therapiefähigkeit und Mobilisation der Patienten zu erreichen, wodurch eine Schmerzchronifizierung verhindert werden kann. Dieser
Beitrag befasst sich mit den wirbelsäulennahen minimalinvasiven Injektionsverfahren (s. Abb. 1, Tab. 1)

Schlüsselwörter: Wirbelsäulennahe Injektionen, perineurale
Injektion, epidurale Injektion, Facetteninfiltration, sakrale
Überflutung, transforaminale Injektion, interlaminäre epidurale Injektion, Racz-Katheter

Summary: Only about 15 % of low back pain are specific, that means they have a clear defined reason. Acute specific low back pain (ongoing up to 6 weeks) with or without
radicular pain first will be treated with painkillers to influence the „circulus vitiosus“. If the pain is not reduced in a few days or weeks, physiotherapy should be started. Beside this, especially if pain goes on or immobilisation keeps on or
develops, therapeutic local injections are useful to reach a quicker ability for physiotherapy and mobilisation to avoid chronic manifestation of pain. This article is about minimal invasive spinal injections (fig. 1, tab.1)

Key words: spinal injections, perineural injection, epidural
injection, facet-joint injection, caudal epidural injection,
transforaminal epidural injection, interlaminar epidural
injection, Racz-Catheter

Einleitung

Die Infiltrationstherapie an der Wirbelsäule (therapeutische lokale Injektion, TLI) hat verschiedene Ansatzpunkte (Tab. 1, Abb.1) und wird als fester Bestandteil der orthopädischen Schmerztherapie und auch als adjuvante Therapie im Rahmen einer multimodalen Schmerztherapie eingesetzt. Man unterscheidet in wirbelsäulenferne Injektionen (z.B. die Neuraltherapie nach
Hunecke, Injektion an Triggerpunkte oder in paraspinale Muskeln und Sehnenansätze, oberflächliche Quaddelung, Prolotherapie) und wirbelsäulennahe Injektionen (epidurale und perineurale Injektion, Facetten- und ISG-Infiltration bzw. -Injektion).

Bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts werden Lokalanästhetika (LA) als therapeutische Lokalanästhesie (TLA) eingesetzt [1]. Ziel ist die Blockade sensibilisierter (hypererger) Nervenfasern zur Schmerzreduktion, Verbesserung der Durchblutung sowie Abnahme der Nervenerregbarkeit [1]. Die TLA erfolgt niedrigdosiert, weil dadurch die dünneren sensiblen Schmerzfasern (A?- und C-Fasern) hinreichend blockiert werden und die Erregbarkeit der dickeren motorischen Fasern i.d.R. erhalten bleibt. Die desensibilisierende Wirkung der LA ist einerseits bedingt durch die Verminderung der „neurogenen Entzündung“ mit einer Abnahme der Ausschüttung von Prostaglandin- und Zytokinbildung fördernden Neuropeptiden wie Substanz P, CGRP [2] sowie andererseits durch direkt antiinflammatorische LA-Effekte [3].

Wiederholungen können durch eine verlängerte Wirkung der Desensibilisierung [4] der Schmerzchronifizierung [2, 5] entgegenwirken. Eine sofortige begleitende krankengymnastische Therapie ist wichtig [6].

Zusätzlich verabreichte Kortikoide (TLAS: TLA mit Steroiden) können modulierend auf den pathologischen Nozizeptorschmerz (inflammatorisch gereiztes Gewebe) und neuropathischen Schmerz (mechanisch und sekundär inflammatorisch gereizte Nervenfasern) wirken („Mixed-pain“-Konzept [7]). Auch der bei Bandscheibenvorfällen oft neben dem neuropathischen radikulären Schmerz vorhandene lokale nozizeptive Rückenschmerz (überwiegend aus dem Versorgungsgebiet des in den Spinalkanal zurücklaufenden R. meningeus) lässt sich mit epiduralen Steroidinjektionen behandeln. Bei Kontraindikation für Lokalanästhetika bzw. Kortikoide können Kochsalz-Kortikoid-Injektionen (Therapeutische lokale Steroide, TLS) oder nur Kochsalz-Lösungen verwendet werden.

Kortikoide wirken über ihre vasoprotektive Wirkung und Hemmung der Interleukinsynthese sowie der Phospholipase A2 auf den Prozess der biochemischen Radikulitis, der im Wesentlichen durch cytokinproduzierende Zellen (TNF-?, IL-6, IL-1ß) aus Bandscheibenmaterial ausgelöst wird [8]. Sie hemmen die Migration von Entzündungszellen sowie deren Ausdifferenzierung zu funktionsfähigen Makrophagen. Die Kortisonpräparate werden bei epiduraler Anwendung „zulassungsüberschreitend“ („off-label-use“) angewendet. Sie sind aber nicht zwingend erforderlich. Einige prospektive doppelblind randomisierte Studien wiesen bei Injektion in die foraminoartikuläre Region (s.u.) keinen eindeutigen Vorteil der kombinierten LA-Kortikoid-Injektion gegenüber der alleinigen LA-Injektion nach [9, 10].

Grundsätze der Injektions-therapie an der LWS

Da sich akute bandscheibenbedingte Schmerzen und Lumbalsyndrome häufig innerhalb von Wochen spontan bzw. unter konservativer Therapie deutlich zurückbilden [11], sollte die wirbelsäulennahe Injektionstherapie erst nach ca. 4 Wochen erfolgloser nicht-invasiver Therapie (Allg. Schmerztherapie, Krankengymnastik, physikalische Therapie etc.) zum Einsatz kommen. Allerdings muss man die Gefahr der Schmerzchronifizierung [2, 12] beachten. Art und Ursache der Beschwerden, die persönliche Lebenssituation (z.B. Arbeitsfähigkeit) und der Wunsch des Patienten beeinflussen die Indikationsstellung. Kontraindikationen (insbesondere bei epiduralen Injektionen) sind sorgfältig auszuschließen. Hierzu zählen akute/progrediente Lähmungen, Medikamentenunverträglichkeiten bzw. -allergien, lokale Wundheilungsstörungen, lokale oder systemische Infekte, Leukopenie (z.B. bei Chemotherapie), Erkrankungen des ZNS, schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Gerinnungsstörungen. Wegen sehr seltener, aber möglicher schwerwiegender Komplikationen, sollte v.a. bei Anwendung von epiduralen Techniken die Notfallversorgung bis hin zum ACLS vorhanden sein [13].

Die präinterventionelle Einnahme von antithrombotisch wirksamen Medikamenten (z.B. NMH, Thrombozytenaggregationshemmer, Marcumar etc.) ist streng nach der aktuellen DGAI-Leitlinie „Rückenmarksnahe Regionalanästhesien und Thromboembolieprophylaxe/antithrombotische Medikation“ durchzuführen.

Präinterventionell sollte eine aktuelle Labordiagnostik (Gerinnungs- und Entzündungswerte) durchgeführt werden. Der Quick/INR und die Thrombozytenzahlen sollten mindestens Werte von 70 %/1,2 bzw. 100.000/µl haben. Eine konventionelle Röntgendiagnostik sowie, zumindest bei perineuralen/epiduralen Injektionen, eine aktuelle MRT (3–6 Monate alt) sind empfehlenswert. Das Aufklärungsgespräch mit schriftlicher Einwilligung über den elektiven Eingriff und Informationen über seine allgemeinen (Infektion, Gefäßverletzung, intravasale Injektion, Medikamentennebenwirkung, allergische Reaktion, Kreislaufdysregulation etc.) und speziellen (s.u.) Risiken sowie Behandlungsalternativen sollte v.a. bei geplanten perineuralen und epiduralen Injektionen 24 Stunden vorher geschehen. Zur Verminderung des Blutungsrisikos sind präinterventionell hyperämisierende Maßnahmen (z.B. Fango etc.) nicht ratsam. Bei relativ absehbarer Operationsindikation ist die lokale epidurale (und auch systemische) Anwendung von Kortikoiden hinsichtlich möglicher Nebenwirkungen kritisch zu überprüfen. Während der Injektion sind intravasale bzw. intrathekale Nadellagen (CAVE: neuro- bzw. kardiotoxische NW) soweit wie möglich durch wiederholte Aspiration auszuschließen.

Vorbereitung zur Infiltration:

1. Entlordosierende Lagerung der LWS:

Sitzen mit hohem Fußbänkchen mit leicht nach vorne geneigtem Oberkörper (z. B. Katzenbuckel)

Bauchlage mit Unterstützung des proximalen Beckens und Bauches durch ein Polster bzw. Kissen

Seitenlage (Knie angewinkelt zum Kopf ziehen)

2. Bei epiduralen Injektionen sind ein i.v.-Zugang und Monitoring der Vitalparameter obligat. Präinterventionell ggf. Gabe eines Plasmaexpanders oder Kristalloids

3. Strahlenreduktion:

– Bildverstärker (BV) befindet sich bei a.p.- und Schrägaufnahmen oberhalb des Patienten

– Bei lateralen Aufnahmen sollte der Untersucher auf der Seite des BV stehen (geringere Streustrahlung)

Facetteninfiltration/Facettengelenksinjektion

Prinzip:

Temporäre Ausschaltung der Nozizeption durch Verabreichen von LA (und ggf. von Kortikoiden) in die Gelenkkapsel (Injektion) oder um die Gelenkkapsel (Infiltration) der kleinen Wirbelgelenke.

Indikation:

– Therapeutisch: Facettensyndrom, pseudoradikuläre Syndrome, hyperlordosebedingte Lumbalgie

– Diagnostisch: Ermittlung der Schmerzursache (Schmerzgenerator)

Technik:

Facetten LWK1/2 bis LWK4/5: Senkrechte ca. 2 cm paraspinale Einstichstelle auf interspinöser Höhe. 1,0 ml bis max. 5 ml LA-Kortikoid-Gemisch (z.B. 10 mg Triamcinolon) pro Gelenk intra- und perikapsulär.

Facette LWK5/SWK1: Auf der Verbindungslinie zwischen den Spinae iliacae posteriores superiores (SIPS) 2 cm paraspinal senkrechtes Infiltrieren wie o.b.

Bei C-Bogenanwendung wird auf den unteren Recessus der dorsalen Gelenkkapsel (oberhalb des Nackens des „Scotty dog“, Abb. 2) gezielt. Unter Beachtung der Endplattenparallelität erfolgt die Injektion bei ca. 10–20° (LWK1/2 und LWK2/3) und bei ca. 20°–40° (LWK3-SWK1) ipsilateraler Rotation des deckenwärts positionierten Bildwandlers (BV). Bei therapeutischer Indikation erfolgt oft eine gleichzeitige bilaterale Injektion der unteren 2–3 Segmente, bei diagnostischer Fragestellung wird nur ein Gelenk mit wenig Volumen (max. 0,5–1,0 ml) behandelt. V.a. bei diagnostischer Zielsetzung können weitere bildgebende Verfahren (Sonographie, MRT und CT) verwendet werden.

Spezielle Risiken:

Kapselruptur, intrathekale Injektion

 

Ergebnisse nach intraartikulärer Facettengelenksinjektion:

Wenige aussagefähige Daten zur Wirksamkeit von intraartikulären Facettengelenksinjektionen vorhanden!

 

bzw. limitierte Wirksamkeit therapeutischer Facettengelenksinjektionen.

Boswell et al. [15]: Moderater Beweis für Kurz- (< 6 Wochen) und Langzeitwirkung (> 6 Wochen) für therapeutische Facettengelenksinjektionen (systematische Literaturbewertung, 161 Patienten).

Blockade des lumbalen
Ramus medialis

Syn.: lumbar medial branch block (LMBB)

 

Prinzip:

Selektive Blockade des R. medialis des R. dorsalis nervi spinalis, der den dorsalen Wirbelgelenkanteil des gleichen (distaler Anteil) und nächsttieferen (proximaler Anteil) Segmentes innerviert [13, 16].

 

Indikation:

Siehe Facetteninfiltration/Facettengelenksinjektion (v.a. vor geplanter Facettendenervation)

Technik:

R. medialis Blockade L1–L4: Bauchlage. Rotation des BV zur ipsilateralen Seite (ca. 20°). Zielpunkt der Injektion ist der Übergang (Notch) zwischen Processus transversus (PT) und Basis des Processus articularis superior (PAS), wo der R. medialis verläuft („Scotty dog“: Oberkante des „Auges“ sollte mit der lateralen Basis des PAS zusammenfallen). Ein zweiter Zielpunkt liegt wenige mm tiefer auf dem PT im weiteren Verlauf des R. medialis. Stichkanalanäs thesie, Nadelplatzierung in „Tunnel View“-Technik, Injektion von 0,3–0,5 ml LA [16, 17].

R. dorsalis Blockade L5: Bei dem Segment LWK5/SWK1 wird bereits der R. dorsalis L5 blockiert. Ipsilaterale Schrägeinstellung von 15–20°. Zielpunkt 5 mm kaudal des Überganges (Notch) zwischen PAS SWK1 und Ala sacralis (Pars lateralis sacralis). Weiteres Vorgehen s.o. [13].

Eine Besserung ab 80 % gilt als Hinweis für einen Facettenschmerz [16].

Spezielle Risiken:

Siehe Facettengelenksinjektion

 

Ergebnisse nach lumbaler „Medial branch“-Blockade (LMBB):

 

Boswell et al. [15]: Moderater Beweis für Kurz- (< 6 Wochen) und Langzeitwirkung (> 6 Wochen) von therapeutischen MBB mit LA (mit oder ohne Kortikoid, 348 Patienten, davon 133 LMBB).

ISG-Injektion/ligamentäre ISG-Infiltration

Prinzip:

Nozizeptoren-Blockade der Gelenkkapsel bzw. des Lig. iliolumbale mittels extrakapsulärer Infiltration oder intrakapsulärer/intraartikulärer Injektion. Das intraartikuläre Volumen variiert zwischen 0,8 und 2,5 ml (Ø 1,–1,6 ml; [1, 18]).

Indikation:

ISG-Syndrom, ISG-Blockade, Sakroiliitis, Lumbalgien, pseudoradikuläre LWS-Syndrome

Technik :

Ligamentäre Infiltration: Hauteinstich 45° zur Sagittalebene nach lateral in der Mitte der Verbindungslinie ipsilaterale SIPS-Processus spinosus SWK1. Fächerförmige Infiltration von 10 ml LA-Kortikoid-Gemisch an den dorsalen Kapselbandapparat.

BV-gesteuerte ISG-Injektion (inferiorer Zugang, [13]): Bauchlage. Kippen des BV um 10–20° zur Gegenseite, bis sich die vordere und hintere Gelenklinie fast überlagern. Manchmal ist es zur überlagerungsfreien Darstellung des gut punktierbaren dorso-distalen Recessus notwendig den BV um bis zu 20–25° nach kranial zu kippen. Punktion des dorsalen Recessus in „Tunnel blick“-Technik. Ggf. max. 0,5 ml KM-Gabe (Abb. 3). Bei diagnostischer Blockade Injektion von 1,5–2,0 ml LA, bei therapeutischer Zielsetzung zusätzliche Injektion von z.B. 10–20 mg Triamcinolon.

Spezielle Risiken:

Kontakt mit dem N. ischiadicus, Eintritt ins kleine Becken.

 

Ergebnisse nach diagnostischer /therapeutischer intraartikulärer ISG-Injektion:

 

Insgesamt wenig aussagefähige Daten zur Wirksamkeit von ISG-Injektionen!

Rupert et al. [19]: Deutlicher bis moderater Beweis zur Diagnosestellung bei vergleichenden kontrollierten intraartikulären ISG-Blockaden. Valide Studien hinsichtlich der therapeutischen Wirksamkeit von ISG-Injektionen fehlen (Systematische Literaturbewertung).

Hansen et al. [20]: Moderater Beweis für Aussagekraft diagnostischer ISG-Injektionen, limitierter Beweis für therapeutische ISG-Injektionen, häufig Kurzzeitwirkung von weniger als 6 Wochen (Systematische Literaturbewertung).

Epidurale/perineurale
Injektionstechniken

Historischer Überblick

Die Anfänge der periduralen Schmerztherapie über den Hiatus sacralis liegen am Anfang des letzten Jahrhunderts [1]. Pagés (1921) gilt als Pionier der Periduralanästhesie über einen lumbalen interlaminären Zugang [21] durch Anwendung der „loss of resistance“(LOR)-Methode, die allerdings erst später durch Dogliotti populär gemacht wurde. Wurzelreizsyndrome (WRS) wurden schon seit Anfang der 50er Jahre durch posterolaterale Injektionen in die sog. „foraminoartikuläre Region“ behandelt [4]. 1952 erfolgte von Robecchi bei einer S1-Foramen-Infiltration die erste epidurale Anwendung von Kortison. Inzwischen sind die epiduralen Injektionsverfahren (oft mit LA und Kortison durchgeführt) in der Therapie des lumbalen Wurzelreizsyndroms mit radikulärer Ausstrahlung etabliert [13, 23].

 

Indikationen für eine epidurale Injektionstherapie [16, 23, 24]:

Radikuläres WRS

Multisegmentale Erkrankung (z.B. Spinalkanalstenose)

Lokaler Rückenschmerz (z.B. diskogener Schmerz), nach Ausschluss anderer Ursachen (z.B. Facettengelenk, ISG)

Nicht erfolgreiche konservative Therapie

Drohende Schmerzchronifizierung

 

Ca. 60–75 % der Patienten mit WRS profitieren von der Gabe epiduraler Steroide [23]. Der Steroid-Effekt ist oft von limitierter Dauer. Der Behandlungsvorteil im Vergleich zur nicht invasiven Therapie beträgt Wochen bis zu 3 Monate [23]. Bei kürzerer Schmerzanamnese sind bessere Ergebnisse zu erwarten.

Bei Versagen der konservativen Therapie des lumbalen Wurzelreizsyndroms besteht die Indikation zur frühzeitigen Kortikoidinjektion, v.a. um der Schmerzchronifizierung vorzubeugen [2, 5, 12]. Trotz eines nur kurz- bis mittelfristigen Erfolges kann der „Circulus vitiosus“ des Schmerzes durchbrochen und der Patient einer aktiven Physiotherapie zugeführt werden [5].

 

Es besteht heute Einigkeit darüber, dass epidurale Steroide zur Behandlung des Wurzelreizsyndroms mit radikulärer Schmerzsymtomatik, bei dem oft zusätzlich lokaler axialer Rückenschmerz vorliegt, nützlich sind. Der Einsatz beim Rückenschmerz ohne radikuläre Symptomatik wird kontrovers diskutiert.

 

Angriffspunkt bei periduralen Injektionen ist i.d.R der ventrale bzw. ventrolaterale Epiduralraum, wo sich üblicherweise der pathologische Prozess befindet. Die epidurale Injektatverteilung kann durch Narbengewebe oder ligamentäre Verbindungen (Plica mediana dorsalis, transforaminale Ligg. etc.) beeinflusst werden [23]. Bekanntermaßen gelangen epidural applizierte Substanzen über mikrovaskuläre Transportmechanismen zu den betroffenen Spinalnervenwurzeln [25].

 

Ergebnisse nach epiduraler
Steroid-Injektion (ESI):

Luijsterburg et al. [26]: Geringe Hinweise für Kurzwirksamkeit von ESI, fehlende Langwirksamkeit bei Lumboischialgie (Systematische Literaturbewertung, 880 Patienten).

Watts et al. [27]: Im Vergleich zum Placebo geringer Wirksamkeitsnachweis der ESI zur Behandlung

 

der Lumboischialgie. Bessere Kurzwirksamkeit (2 Monate) als Langwirksamkeit (12 Monate), CESI wirksamer als ILESI (Meta-Analyse aus 907 Patienten).

Interlaminäre Verfahren

Syn.: Single-Shot-Periduralanästhesie (SS-PDA), interlaminäre epidurale Steroidinfiltration (ILESI)

Prinzip:

Dorsaler (interlaminärer) Zugang zum Epiduralraum unter Verwendung der „loss of resistance“(LOR)-Technik

Indikation:

Pathologie Etage LWK 1/2 bis LWK 5/SWK1

Technik:

I.d.R. sitzend („Katzenbuckel“), alternativ Seitenlage oder bei BV-Anwendung Bauchlage.

Zur Höhenlokalisation Orientierung an den Beckenkämmen (entspricht in etwa Processus spinosus des 4. LWK, Intercristale Linie, Tuffier-Linie).

Nach Desinfektion und Abdeckung mit Lochtuch Setzen eines kleinen LA-Depots. Unter ständiger Überprüfung der medianen Nadelführung Einstechen (ansteigender Winkel von ca. 10°) der ledigen „Epidural“-Nadel (i.d.R. 18- oder 19-G-Touhy-Nadel, Standardlänge 8 cm) mit kranialseitiger Öffnung durch das ca. 1 cm dicke Lig. supraspinale in das Lig. interspinale (oft „knirschender“ Widerstand). Aufsetzen der 10 ml LOR-Spritze (z.B. Omnifix von Braun) mit 10 ml 0,9%iger NaCl-Lsg.. Unter konstantem Stempeldruck weiteres gleichmäßiges medianes Vorschieben bis in das mehrere mm dicke Lig. flavum (fühlbarer zunehmender Stempeldruck). Bei Eintritt in den Epiduralraum mit typischem Widerstandsverlust (“loss of resistance“) lässt sich i.d.R. die Kochsalzlösung leicht („butterweich“) applizieren.

Vorsichtige Aspiration zum Ausschluss einer intravasalen oder subduralen/intrathekalen Lage. Absetzen der Spritze, um einen spontanen Rückfluss von Liquor oder Blut auszuschließen.

Bei korrekter Nadellage langsame Injektion der LA-Testdosis von ca. 3–4 ml, anschließend ca. 5 Minuten abwarten.

 

Merke: Bei Hinweisen für ein inkorrekte Nadellage, ist die Injektion zu unterbrechen und im gleichen oder benachbarten Segment neu durchzuführen, bzw. bei V. a. subdurale / intrathekale Nadellage abzubrechen.

 

Merke: Eine „subdurale/intrathekale“ oder intravasale Injektion ist trotz negativer Aspiration oder negativer Testinjektion möglich!

 

Technische Hinweise:

Bei Injektionen in voroperierten Segmenten besteht ein erhöhtes Risiko für eine Durapunktion [23].

Untersuchungen zur Segmentlokalisation aufgrund anatomischer Landmarks (z.B. Beckenkamm) zeigten nur in ca. 30 % der Fälle eine korrekte Höhenlokalisation, in ca. der Hälfte der Fälle wurde die Etage zu hoch gewählt [28]. Deswegen sollten interlaminäre Injektion ohne BV-Kontrolle überwiegend kaudal der „geschätzten“ Etage LWK 2/3 durchgeführt werden.

Modifikationen:

– ILESI unter Durchleuchtung mit KM (Tab. 3).

– Epiduralkatheter zur mehrtägigen Injektion.

– paramediane Zugänge mit gerader [21] oder leicht schräger Nadelführung [1].

– Schräge (kontralaterale) epidurale-perineurale Injektion nach Krämer [6].

Spezielle Risiken:

Gefäß-/Nervenverletzung, subdurale/intrathekale Injektion, postpunktioneller Kopfschmerz, epidurale Blutung bzw. Infektion

 

Ergebnisse nach ILESI:

Parr et al. [29]: Systematische Literaturbewertung der ILESI (687 Patienten mit NPP und/oder SKS), deutlicher Beweis für Kurzzeitwirkung (< 6 Monate) und geringer Beweis für Langzeitwirkung bei Lumboischialgie durch NPP, geringer Beweis für Kurz- und Langzeitwirkung bei spinalkanalstenose-bedingtem oder diskogenem Rückenschmerz.

 

Abdi et al. [30]: Systematische Literaturbewertung der ILESI (990 Patienten); starker Beweis für Kurzzeitwirkung (< 6 Wochen) und limitierter Beweis für Langzeitwirkung(> 6 Wochen).

Posterolaterale Injektionen in den foraminoartikulären Bereich

Historischer Überblick

Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts wurden thorakale und lumbale paravertebrale Blockaden mit Kokain durchgeführt [1]. Reischauer wandte seit 1951 in den Segmenten LWK4/5 und LWK 5/SWK1 die Zwischenwirbelloch-Infiltration mit großem Volumen (30 ml 1%ige Novocain-Lsg.) als „paravertebrale Umflutung“ zur Behandlung der Lumboischialgie bei WRS L5 und S1 zur Desensibilisierung hypererger Nervenfasern an. MacNab stellte 1971 mit Kontrastmittel den Spinalnerven und Nervenwurzeln als „diagnostische Wurzelscheideninfiltration“ bei unklarer Operationsindikation dar [22]. Wenig später wurde diese Technik mit zusätzlicher Kortikoidgabe zur Behandlung der Radikulopathie genutzt [1]. Inzwischen existieren mehrere modifizierte Injektionstechniken in die Zwischenwirbellochregion (Tab. 4).

Injektionstechniken

Man unterscheidet prinzipiell in die diagnostische selektive Nervenblockade (SNB) sowie die therapeutische transforaminale epidurale Steroidinfiltration (TFESI) und die sog. paravertebrale „Wurzelblockade“ (Blockade des Spinalnerven bzw. R. ventralis und ggf. der segmentalen Nervenwurzeln).

Die selektive Nervenblockade (SNB) mit max. 0,5 ml LA hat zum Ziel, den Ort der Schmerzentstehung zu bestimmen (epidurale Ausbreitung zu segmentbenachbarten Nervenwurzeln muss vermieden werden). Je nach Platzierungstiefe im Foramen besteht zumindest theoretisch die Möglichkeit einen extraforaminalen selektiven ventral ramus block“ (SVRB, [31]) oder innerhalb des Foramens einen „selective spinal nerve block“ (SSNB, Spinalnerv) oder „selective nerve root block“ (SNRB, Nervenwurzeln inklusive Spinalganglion) durchzuführen.

Der Zugang der therapeutischen transforaminalen epiduralen Steroidinfiltration (TFESI) ist der gleiche wie bei der selektiven Spinalnerven-Blockade. Bei nicht erforderlicher Selektivität betragen die injizierten Volumina 3–5 ml, um die Pathologie im ventrolateralen Epiduralraum [23] in Höhe der Nervenwurzelaffektion (Bandscheibe, knöcherne Enge etc.) sicher zu erreichen, wodurch der Entzündungsprozess kausal beeinflusst wird.

Bei der therapeutischen Spinalnervenanalgesie, die auch mit einem Kortikoid durchgeführt werden kann, erfolgt eine partielle Analgesie und Desensibilisierung des hyperergen Spinalnerven und der hyperergen Spinalnervenwurzeln. Der Anteil des Injektats (i.d.R. 10 ml), der sich durch das Foramen intervertebrale epidural im Bereich der segmentalen sensiblen und motorischen Spinalnervenwurzel bis zum Ort der Pathologie verteilt, hängt von der Nadelposition ab. Diese wird in der Regel aber nicht röntgenologisch kontrolliert.

Selektive Nervenblockade (SNB)/Transforaminale
Epidurale Kortikoidinjektion (TFESI)

Prinzip:

Zielpunkt der diagnostischen und therapeutischen Injektion in das Zwischenwirbelloch ist der obere äußere Quadrant im Bereich des sog. „safe triangle“, um einen Nervenwurzelkontakt sowie eine Duraverletzung zu vermeiden. Das rechtwinklige Dreieck wird in der a.p.-Projektion aus der horizontalen Tangente an der Pedikelunterkante, der vertikalen lateralen Wirbelkörperbegrenzung und der schräg verlaufenden (Hypotenuse) duralen Nervenwurzelscheide gebildet. Aufgrund der Pathologie des WRS ist es üblich, den näher zum ventrolateralen Epiduralraum liegenden vorderen Anteil des Quadranten zu wählen (subpedikulärer anteriorer Zugang; Syn.: „konventioneller“ oder “rostraler“ Zugang).

Indikation:

Diagnostisch (SNB):

– Evaluierung des Schmerzgenerators bei Multisegmenterkrankung

Therapeutisch (TFESI):

– Akutes und chronisches monoradikuläres WRS

– Intraforaminaler bzw. lateraler Vorfall

– Misserfolg der interlaminären oder sakralen Infiltration

– Postnukleotomie-Syndrom

Technik:

TFESI über subpedikulären Zugang [13, 17]: In Bauchlage Einstellung der Endplattenparallelität des Ziel-Segmentes in der a.p.-Projektion. Rotation des BV über dem Patienten nach ipsilateral (ca. 25–40°) bis die Senkrechte durch den kaudalen Processus articularis superior (Ohr des „scotty dog“) den kranialen Wirbelkörper in etwa drittelt. Die 22– bis 25-G-Nadel wird im „Tunnelblick“ (Nadel nur als Punkt erkennbar) etwa 6–8 cm paramedian eingestochen und dabei oberhalb der Spitze des PAS und ca. 2 mm unterhalb der Pedikelunterkante positioniert. Vorschieben der Nadel zunächst in schräger BV-Stellung. Anschließend Kontrolle der Einstichtiefe in der seitlichen Projektion (Ziel: oberer vorderer Quadrant) und Nähe zum Spinalkanal in der a.p.-Projektion (Ziel: subpedikuläre Lage, rechts ca. 5:30, links ca. 6:30 in Projektion auf den Pedikelquerschnitt). Ausschluss einer intravasalen oder intrathekalen (z. B. Wurzeltasche) Nadellage durch Injektion von 0,2–0,5 ml KM. Im Idealfall zeigt sich bei Injektion in die Zirkumneuralscheide (setzt sich intraspinal in die Periduralmembran fort) ein epiduraler KM-Abfluss nach medial (z.B. sichelförmig um den medialseitigen Pedikel, Epidurographie, Abb. 4) und ggf. auch ein distaler Abfluss zum Spinalnerven bzw. R. ventralis (Nervographie, Abb. 4). Injektion von max. 0,5 ml LA (SNB) bzw. ca. 3–5 ml LA-Kortikoid-Lsg. (z.B. 0,375%iges Ropivacain mit 10 mg Triamcinolon, TFESI).

Technische Hinweise:

Bei diagnostischem selektivem Block dürfen nicht mehr als 0,5 ml LA verwendet werden [34]. Eine Schmerzverbesserung von mindestens 80% wird als positiver Block gewertet [13].

Segment LWK5/SWK1: In der schrägen Projektion bildet sich ein kleiner dreieckiger Zugang zum Foramen, der durch den Darmbeinkamm, den Proc. transversus des LWK 5 und den Proc. articularis superior des SWK 1 gebildet wird.

Modifizierter retroneuraler (dorsaler) Zugang: Die Nadelspitze wird in der a.p.-Projektion ca. 3 mm subpedikulär in 6:00-Position und in der lateralen Ansicht des Foramens im kranio-dorsalen Drittel positioniert [13]. Eine Affektion der Nervenwurzel sowie versorgenden Gefäße ist dabei sehr unwahrscheinlich.

Spezielle Risiken:

Siehe interlaminäre Injektion, Schädigung des Spinalnerven und des arteriellen R. spinalis, intrathekale Injektion in die Wurzeltasche

Lumbale Spinalnervenanalgesie (LSPA)

Prinzip:

Posterolaterale Injektion eines Lokalanästhetikums in die foraminoartikuläre Region zur Schmerzreduktion durch Analgesie und Desensibilisierung des lumbalen Spinalnerven, der Nervenwurzeln sowie des Spinalganglions.

Indikation:

Wie TFESI

Technik:

In sitzender Position direkt über dem Darmbeinkamm ca. 8 cm paravertebraler Hauteinstich mit einer 10–15 cm langen 21-G-Nadel. Einstichwinkel in der Horizontalebene zur Sagittalebene von ca. 60°. Die Nadel wird in der Frontalebene horizontal geführt (Foramen LWK3/4 mit Spinalnerv L3) oder abgesenkt (30° LWK4/5; 50–60° LWK5 /SWK1). Ca. 5 ml LA (0,5–1,0%) werden im Bereich der Muskulatur und des dorsalen Wirbelgelenkes und weitere 5 ml direkt in die foraminoartikuläre Region infiltriert. Zusätzlich eventuell periradikulär nochmals Injizieren von 2–5 ml eines länger anhaltenden Lokalanästhetikums (z.B. Ropivacain) und eines Glukokortikoids (z.B. 10–20 mg Triamcinolon).

Spezielle Risiken:

Siehe SNB/TFESI

 

Ergebnisse bei diagnostischer „Wurzel“infiltration (selective nerve root block, SNRB):

Castro et Akkerveeken [35]: Sensitivität (24 Patienten) bei diskogenem WRS 100 % positiver Vorher-

 

sagewert (30 Patienten), bei degenerativem WRS (Spinalkanalstenose) 70–80 %.

Furman et al. [34]: Volumenabhängige Selektivität von lumbalen SNRB (30 Patienten). Bei 0,5 ml KM 70 %, bei 1,0 ml KM 33 %, bei 1,5 ml KM 13 % und bei 2,5 ml KM 10%.

Datta et al. [36]: Systematische Literaturbewertung (975 Patienten). Limitierter Beweis für SNRB zur Diagnosestellung bei Wirbelsäulenschmerz. Moderater Beweis für SNRB zur Diagnosestellung bei Wurzelreizsyndromen.

 

Ergebnisse bei transforaminaler epiduraler Steroidinfiltration (TFESI):

DePalma et al. [37]: Systematische Literaturbewertung (377 Patienten); moderater Beweis für Behandlung des lumbosakralen Wurzelreizsyndroms.

Abdi et al. [30]: Systematische Literaturbewertung (922 Patienten); starker Beweis für Kurzzeitwirkung (< 6 Wochen) und moderater Beweis für Langzeitwirkung bei lumbalem radikulären Schmerz.

Injektion Neuroforamen S1

Prinzip:

Injektion eines LA-Kortikoid-Gemisches durch das dorsale S1-Neuroforamen (enthält R. dorsalis S1) direkt an den Spinalnerven bzw. an die Nervenwurzel S1.

Indikation:

S1-Radikulopathie (z.B. NPP LWK5/ SWK1), v.a. bei wirkungsloser ILESI oder CESI

Anterior-posteriorer Zugang: Bauchlage. Je nach Anatomie leichte ipsilaterale Schrägeinstellung (BV nach lateral) um ca. 10–15°, um das ventrale und dorsale Foramen übereinander zu projizieren sowie ggf. leichter kaudozephaler Strahlengang (BV nach kranial geschwenkt mir Neigung nach kaudal). Hauteinstich etwas lateral und kranial des Foramens, welches kranial vom S1-Pedikel begrenzt wird. Vorschieben der Nadel (22– bis 25-G) bis zum Knochenkontakt (11:00-Position links bzw. 01:00-Position rechts). Absenken der Nadel um 2–3 mm nach medio-kaudal. Beim weiteren Vorschieben verspürt man i.d.R. einen leicht nachlassenden Widerstand (Abstand zum Boden des Sakralkanals sollte mindestens 5 mm betragen, Kontrolle in seitlicher Projektion). Injektion von 0,5 ml KM zur Darstellung eines S1-Nervogramms mit Epidurogramm. Zur selektiven Nervenblockade (SNB) werden 1 ml LA, bei therapeutischer TFESI ca. 3–5 ml LA mit z.B. 20–40 mg Triamcinolon injiziert.

Technische Hinweise:

Die Darstellung des S1-Foramen kann erheblich erschwert sein, die „versehentliche“ oder alternativ geplante Injektion in das S2-Foramen sollte dann mit etwas mehr Volumen (6–10 ml) durchgeführt werden.

Schräger Zugang („S1-Scotty dog“): Darstellung des S1-Pedikels in ipsilateraler schräger Projektion (ca. 30–40°) als obere Begrenzung des S1-Foramens. Als Hilfe kann zusätzlich der Abstand zwischen dem LWK4- und LWK5-Pedikel interpoliert werden.

Spezielle Risiken:

Siehe SNB/TFESI, Durchtritt durch das ventrale Neuroforamen ins kleine Becken

Kaudaler Zugang/CESI

Syn.:

a) Sakrale Überflutung, sakrale Blockade, Kaudalanästhesie

b) Mit Steroid: Caudale epidurale
Steroidinfiltration (CESI)

Prinzip:

Medikamenteninjektion (i.d.R. LA-Kortikoid-Gemisch) über den relativ gut zugänglichen Hiatus sacralis in den sakralen und lumbalen Epiduralraum.

Indikationen:

NPP mit L4- bis S1-Symptomatik (hauptsächlich bei Pathologie im Segment LWK 4/5 und LWK5/SWK1)

Multisegmentale LWS-Degeneration

Mono-/multisegmentale Spinalkanalstenose (SKS)

Kokzygodynie

 

Technik:

Kaudalanästhesie ohne BV [33]: Bauchlage oder Knie-Ellenbogen-Lage. Orientierung am gleichschenkligen Dreieck zwischen beiden Spinae iliacae posteriores superiores (SIPS) und Hiatus sacralis. Palpation der beiden Cornua sacralia mit Daumen und Zeigefinger. Sparsame Stichkanalanästhesie. Einführen einer 8–10 cm langen 21– bis 22-G-Nadel in einem nach kaudal spitzen Winkel von ca. 70° bis zum Knochenkontakt. Nach Rückziehen der Nadel um ca. 5 mm Senkungsmanöver (bei Männern auf ca. 10–20°, bei Frauen auf ca. 20–30°). Weiteres Vorschieben in den Sakralkanal um max. 3–4 cm, um eine Punktion des Thekalsackes zu vermeiden. Sorgfältige Aspiration zum Ausschluss einer intravasalen oder intrathekalen Lage.

Bei korrekter Nadellage Gabe einer Testdosis von ca. 3–4 ml. Nach weiteren 5 min. mit unauffälligem Verlauf fraktionierte Gabe des Restvolumens (Gesamtvolumen von z.B. 10–30 ml 0,375%iges Ropivacain mit 40–80 mg Triamcinolon).

Kaudalanästhesie mit BV: Technik wie o.b. unter BV-Kontrolle im seitlichen Strahlengang. Nach Ausschluss einer Blut- oder Liquoraspiration ggf. Injektion von 1–2 ml KM zum Nachweis des epiduralen Abflusses. Weitere Injektion wie oben beschrieben.

Technische Hinweise:

Bei 20 ml Injektionsvolumen erreicht man häufig das Segment LWK2/3 [38].

Versagerrate von 25–45% bei „blinder“ Nadelpositionierung [39].

Spezielle Risiken:

Rektumperforation, sehr selten intrathekale Injektion

Lumbale perkutane epidurale Neurolyse nach Racz

1989 publizierte Prof. Gabor Racz die Technik der epiduralen Adhäsiolyse durch einen direktionierbaren Epiduralkatheter. Die Methode kann im Bereich der gesamten Wirbelsäule (bevorzugt lumbal) angewendet werden. Der Wirksamkeitsnachweis ist immer noch umstritten, weswegen die Behandlung nach wie vor von der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung als experimentelles Behandlungsverfahren eingestuft wird [40], obwohl mehrere Untersuchungen zeigen konnten, dass sich bandscheibenbedingte chronische Radikulopathien günstig beeinflussen lassen [41].

Prinzip [12, 42]:

Kausale Therapie lokaler Veränderungen wie Inflammation, venöse Stase, perineurale Fibrose und Ödeme durch:

KM-Applikation Nachweis pathologischer Veränderungen im Epiduralraum

Hyaluronidase-Injektion in Narbengewebe zur Adhäsiolyse

Epidurographie zur Kontrolle des Behandlungsergebnisses

Gezielte Injektion von Medikamenten (LA, Steroide, hypertone NaCl-Lsg., Hyaluronidase)

Beträchtlicher Spüleffekt bei Volumina bis 70 ml.

Indikation [42]:

Postlaminektomie-Syndrom

Bandscheibenvorfall

Spinalkanalstenose

Multilevel-Arthritis der Facettengelenke

Facettensyndrom

Technik [42]:

Standardzugang ist der Hiatus sacralis. Einführen des Katheters über eine 16-G-Coudé-Kanüle. Vollständige Epidurographie der LWS („christbaumartig“) durch Injektion von 10 ml KM zum Nachweis von epiduralen Füllungsdefekten (epidurale Narbe, Adhäsionen, NPP). Einbringen des Sprungfeder-Epiduralkatheters (z.B. TUN-L-XL, Epimed) durch die „Coudé“-Kanüle in die Region des Füllungsdefektes zur Adhäsiolyse. Ggf. mehrfache Katheterkorrektur. KM-Kontrolle des Behandlungserfolges (Verringerung oder Beseitigung des Füllungsdefekts). Injektion von 10 ml physiologischer NaCl-Lsg. (fakultativ mit 1500 IE Hyaluronidase). Anschließend fraktionierte Gabe von 10 ml LA-Kortikoid-Gemisch (Testdosis 3 ml, z.B. 0,2%iges Ropivacain mit 40 mg Triamcinolon). Lagerung zur betroffenen Seite für 30 min und anschließende Injektion von 10 ml einer 10%igen NaCl-Lösung (antiödematöse Wirkung an zuvor entzündeten bzw. vernarbten Nervenwurzeln) über weitere 30 min. Katheterspülung mit 2 ml physiologischer NaCl-Lsg.. Folgebehandlung unter Antibiotikaprophylaxe über sicher fixierten Katheter für 3 Tage.

Technische Hinweise:

Bei unzugänglichem Hiatus sacralis, kann über das Foramen intervertebrale der anterolaterale Epiduralraum erreicht werden [42].

Im Gegensatz zu nicht-direktionierbaren Epiduralkathetern wird mit einem direktionierbaren Katheter häufiger der ventrale Epiduralraum erreicht [12].

Zur Adhäsionsprophylaxe ist eine postinterventionelle kontinuierliche Krankengymnastik mit Gleitübungen für die betroffenen Nervenwurzeln bzw. Duraareale notwendig [42].

Spezielle Risiken [12]:

 

Dura mater-Perforation (3 %)

Katheterabscherung (3 %)

Epidurale Infektion (1,6 %)

Arachnoiditis

 

Ergebnisse durch Racz-Katheter:

Racz et al. [43]: starker Beweis für Kurzzeitwirksamkeit (< 3 Monate), moderater Beweis für Langzeitwirksamkeit.

 

HTA der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zur minimalinvasiven Wirbelsäulenkathetertechnik nach Racz: kein etabliertes Behandlungsverfahren, sondern experimentelle Methode [40].

Korrespondenzadresse

Andreas Lange

KKH Rheinfelden

Orthopädie

Am Vogelsang 4

79618 Rheinfelden

Andreas-Lange@gmx.ch

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Fussnoten

KKH Rheinfelden

DOI 10.3238/oup.2012.0484–0494

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