Originalarbeiten - OUP 12/2012

Injektionsverfahren im Bereich der Lendenwirbelsäule

A. Lange1

Zusammenfassung: Nur ca. 15 % der Rückenschmerzen sind spezifisch, d.h., sie haben klar definierte
Ursachen. Bei akuten spezifischen Rückenschmerzen (bis zu 6 Wochen bestehend) mit oder ohne radikuläre Ausstrahlung wird zunächst versucht, durch eine adäquate orale Schmerztherapie den „Circulus vitiosus“ zu beeinflussen. Kommt es innerhalb weniger Tage bis Wochen nicht zu einer Abnahme der Schmerzsymptomatik, sollte eine begleitende Physiotherapie begonnen werden. Zudem sind, v.a. bei Therapieresistenz oder drohender Immobilisation, therapeutische
lokale Injektionen sinnvoll, um eine rasche Therapiefähigkeit und Mobilisation der Patienten zu erreichen, wodurch eine Schmerzchronifizierung verhindert werden kann. Dieser
Beitrag befasst sich mit den wirbelsäulennahen minimalinvasiven Injektionsverfahren (s. Abb. 1, Tab. 1)

Schlüsselwörter: Wirbelsäulennahe Injektionen, perineurale
Injektion, epidurale Injektion, Facetteninfiltration, sakrale
Überflutung, transforaminale Injektion, interlaminäre epidurale Injektion, Racz-Katheter

Summary: Only about 15 % of low back pain are specific, that means they have a clear defined reason. Acute specific low back pain (ongoing up to 6 weeks) with or without
radicular pain first will be treated with painkillers to influence the „circulus vitiosus“. If the pain is not reduced in a few days or weeks, physiotherapy should be started. Beside this, especially if pain goes on or immobilisation keeps on or
develops, therapeutic local injections are useful to reach a quicker ability for physiotherapy and mobilisation to avoid chronic manifestation of pain. This article is about minimal invasive spinal injections (fig. 1, tab.1)

Key words: spinal injections, perineural injection, epidural
injection, facet-joint injection, caudal epidural injection,
transforaminal epidural injection, interlaminar epidural
injection, Racz-Catheter

Einleitung

Die Infiltrationstherapie an der Wirbelsäule (therapeutische lokale Injektion, TLI) hat verschiedene Ansatzpunkte (Tab. 1, Abb.1) und wird als fester Bestandteil der orthopädischen Schmerztherapie und auch als adjuvante Therapie im Rahmen einer multimodalen Schmerztherapie eingesetzt. Man unterscheidet in wirbelsäulenferne Injektionen (z.B. die Neuraltherapie nach
Hunecke, Injektion an Triggerpunkte oder in paraspinale Muskeln und Sehnenansätze, oberflächliche Quaddelung, Prolotherapie) und wirbelsäulennahe Injektionen (epidurale und perineurale Injektion, Facetten- und ISG-Infiltration bzw. -Injektion).

Bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts werden Lokalanästhetika (LA) als therapeutische Lokalanästhesie (TLA) eingesetzt [1]. Ziel ist die Blockade sensibilisierter (hypererger) Nervenfasern zur Schmerzreduktion, Verbesserung der Durchblutung sowie Abnahme der Nervenerregbarkeit [1]. Die TLA erfolgt niedrigdosiert, weil dadurch die dünneren sensiblen Schmerzfasern (A?- und C-Fasern) hinreichend blockiert werden und die Erregbarkeit der dickeren motorischen Fasern i.d.R. erhalten bleibt. Die desensibilisierende Wirkung der LA ist einerseits bedingt durch die Verminderung der „neurogenen Entzündung“ mit einer Abnahme der Ausschüttung von Prostaglandin- und Zytokinbildung fördernden Neuropeptiden wie Substanz P, CGRP [2] sowie andererseits durch direkt antiinflammatorische LA-Effekte [3].

Wiederholungen können durch eine verlängerte Wirkung der Desensibilisierung [4] der Schmerzchronifizierung [2, 5] entgegenwirken. Eine sofortige begleitende krankengymnastische Therapie ist wichtig [6].

Zusätzlich verabreichte Kortikoide (TLAS: TLA mit Steroiden) können modulierend auf den pathologischen Nozizeptorschmerz (inflammatorisch gereiztes Gewebe) und neuropathischen Schmerz (mechanisch und sekundär inflammatorisch gereizte Nervenfasern) wirken („Mixed-pain“-Konzept [7]). Auch der bei Bandscheibenvorfällen oft neben dem neuropathischen radikulären Schmerz vorhandene lokale nozizeptive Rückenschmerz (überwiegend aus dem Versorgungsgebiet des in den Spinalkanal zurücklaufenden R. meningeus) lässt sich mit epiduralen Steroidinjektionen behandeln. Bei Kontraindikation für Lokalanästhetika bzw. Kortikoide können Kochsalz-Kortikoid-Injektionen (Therapeutische lokale Steroide, TLS) oder nur Kochsalz-Lösungen verwendet werden.

Kortikoide wirken über ihre vasoprotektive Wirkung und Hemmung der Interleukinsynthese sowie der Phospholipase A2 auf den Prozess der biochemischen Radikulitis, der im Wesentlichen durch cytokinproduzierende Zellen (TNF-?, IL-6, IL-1ß) aus Bandscheibenmaterial ausgelöst wird [8]. Sie hemmen die Migration von Entzündungszellen sowie deren Ausdifferenzierung zu funktionsfähigen Makrophagen. Die Kortisonpräparate werden bei epiduraler Anwendung „zulassungsüberschreitend“ („off-label-use“) angewendet. Sie sind aber nicht zwingend erforderlich. Einige prospektive doppelblind randomisierte Studien wiesen bei Injektion in die foraminoartikuläre Region (s.u.) keinen eindeutigen Vorteil der kombinierten LA-Kortikoid-Injektion gegenüber der alleinigen LA-Injektion nach [9, 10].

Grundsätze der Injektions-therapie an der LWS

Da sich akute bandscheibenbedingte Schmerzen und Lumbalsyndrome häufig innerhalb von Wochen spontan bzw. unter konservativer Therapie deutlich zurückbilden [11], sollte die wirbelsäulennahe Injektionstherapie erst nach ca. 4 Wochen erfolgloser nicht-invasiver Therapie (Allg. Schmerztherapie, Krankengymnastik, physikalische Therapie etc.) zum Einsatz kommen. Allerdings muss man die Gefahr der Schmerzchronifizierung [2, 12] beachten. Art und Ursache der Beschwerden, die persönliche Lebenssituation (z.B. Arbeitsfähigkeit) und der Wunsch des Patienten beeinflussen die Indikationsstellung. Kontraindikationen (insbesondere bei epiduralen Injektionen) sind sorgfältig auszuschließen. Hierzu zählen akute/progrediente Lähmungen, Medikamentenunverträglichkeiten bzw. -allergien, lokale Wundheilungsstörungen, lokale oder systemische Infekte, Leukopenie (z.B. bei Chemotherapie), Erkrankungen des ZNS, schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Gerinnungsstörungen. Wegen sehr seltener, aber möglicher schwerwiegender Komplikationen, sollte v.a. bei Anwendung von epiduralen Techniken die Notfallversorgung bis hin zum ACLS vorhanden sein [13].

Die präinterventionelle Einnahme von antithrombotisch wirksamen Medikamenten (z.B. NMH, Thrombozytenaggregationshemmer, Marcumar etc.) ist streng nach der aktuellen DGAI-Leitlinie „Rückenmarksnahe Regionalanästhesien und Thromboembolieprophylaxe/antithrombotische Medikation“ durchzuführen.

Präinterventionell sollte eine aktuelle Labordiagnostik (Gerinnungs- und Entzündungswerte) durchgeführt werden. Der Quick/INR und die Thrombozytenzahlen sollten mindestens Werte von 70 %/1,2 bzw. 100.000/µl haben. Eine konventionelle Röntgendiagnostik sowie, zumindest bei perineuralen/epiduralen Injektionen, eine aktuelle MRT (3–6 Monate alt) sind empfehlenswert. Das Aufklärungsgespräch mit schriftlicher Einwilligung über den elektiven Eingriff und Informationen über seine allgemeinen (Infektion, Gefäßverletzung, intravasale Injektion, Medikamentennebenwirkung, allergische Reaktion, Kreislaufdysregulation etc.) und speziellen (s.u.) Risiken sowie Behandlungsalternativen sollte v.a. bei geplanten perineuralen und epiduralen Injektionen 24 Stunden vorher geschehen. Zur Verminderung des Blutungsrisikos sind präinterventionell hyperämisierende Maßnahmen (z.B. Fango etc.) nicht ratsam. Bei relativ absehbarer Operationsindikation ist die lokale epidurale (und auch systemische) Anwendung von Kortikoiden hinsichtlich möglicher Nebenwirkungen kritisch zu überprüfen. Während der Injektion sind intravasale bzw. intrathekale Nadellagen (CAVE: neuro- bzw. kardiotoxische NW) soweit wie möglich durch wiederholte Aspiration auszuschließen.

Vorbereitung zur Infiltration:

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7