Übersichtsarbeiten - OUP 11/2019

Landmarkengestützte Injektionstechniken an der Wirbelsäule

Theodoros Theodoridis, Ulricke Randel, Constantinos Georgallas

Zusammenfassung:

Spinalnervanalgesien, epidurale Injektionen, Facettengelenk- und ISG-Infiltrationen wirken direkt
am Ausgangspunkt der Nozizeption im Bewegungssegment und führen häufig zu der „entscheidenden“ Befundbesserung schmerzgeplagter Rückenpatienten, die möglicherweise sogar vor einem operativen
Eingriff stehen. Diese Injektionen lassen sich sicher und effektiv anhand topografisch anatomischer
Orientierungspunkte durchführen. Dies geschieht vor allem strahlenfrei, ohne kostenintensiven
apparativen Einsatz und mit einem geringen organisatorischen und zeitlichen Aufwand. Der vorliegende Beitrag gibt eine Übersicht über die wichtigsten neuroanatomischen Landmarken und vermittelt
praxisnahe Tipps und Tricks zur sicheren und effizienten Durchführung der landmarkengestützten
Injektionstechniken an der Wirbelsäule.

Schlüsselwörter:

anatomische Landmarken, Wirbelsäuleninjektionen, Spinalnervanalgesie, Facetteninjektionen,
ISG-Injektionen, epidurale Injektionen

Zitierweise:

Theodoridis T, Randel U, Georgallas C: Landmarkengestützte Injektionstechniken an der Wirbelsäule.
OUP 2019; 8: 528–539

DOI 10.3238/oup.2019.0528–0539

Summary: Nerve root blocks, epidural injections, facet and sacroiliac joint injections are procedures that influence the pathological process directly in the spine motion segment. They often lead to the decisive improvement of back pain patients, who may even think about a surgery. It is possible to perform these spinal injections considering only topographic anatomical landmarks. That happens without ionizing radiation and expensive equipment and with a low administrative and low time effort. The present article gives an overview on the important topographic anatomical landmarks and presents practically oriented tips and tricks for an efficient and safe performance of spinal injections without imaging.

Keywords: anatomical landmarks, spinal injections, nerve root blocks, periradicular treatment, facet injections, sacroiliac joint injections, epidural injections

Citation: Theodoridis T, Randel U, Georgallas C: Spinal injection techniques supported by anatomical landmarks. OUP 2019; 8: 528–539 DOI 10.3238/oup.2019.0528–0539

Theodoros Theodoridis, Ulricke Randel, Constantinos Georgallas: Viktoria Klinik Bochum, Abt. Minimalinvasive und operative Wirbelsäulentherapie

Einleitung

Die Injektionstherapie an der Wirbelsäule gehört zu den gängigsten und erfolgversprechendsten Therapiearten bei der Behandlung der degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen. Wer seinen Patienten mittels einer Injektion von Schmerzen befreit hat, weiß um die Wichtigkeit und hohe Bedeutung dieser Therapieform. Es handelt sich hierbei um minimalinvasive Vorgehensweisen als Single-shot-Techniken, in Form von epiduralen Injektionen, Nervenwurzelblockaden und Facetten- sowie ISG-Infiltrationen. Die segmentnahe, lokale Applikation von schmerzstillenden, entzündungshemmenden und abschwellenden Präparaten an den Ausgangspunkt der Nozizeption in der Region unmittelbar am Wirbelkanal oder im Wirbelkanal selbst beeinflusst direkt die Primärstörung [38].

Bei den landmarkengestützten Injektionstechniken gelingt das Vorschieben der Kanülen nach palpatorisch-anatomischen Orientierungspunkten, sogenannten anatomischen Landmarken. Das bedeutet, dass während der Intervention auf die Anwendung bildgebender Verfahren verzichtet wird. Diese sind üblicherweise die Sonografie, die Durchleuchtung mittels eines Röntgenbildwandlers, die CT-Steuerung und seltener die MRT-Steuerung. Bei der präinterventionellen Vorbereitung einer landmarkengestützten Injektion wird die Vorgehensweise anhand der bereits vorhandenen Röntgen-, MRT- und ggf. CT-Aufnahmen, die ohnehin zur Diagnosesicherung erforderlich sind, akribisch geplant. Die Injektionen werden nach bestimmten vorgegebenen Winkeln- und Längenangaben durchgeführt. Diese können zusätzlich durch exakte Messungen an den vorhandenen diagnostischen Bildern vor der Injektion nochmal verifiziert und bestätigt werden. Im Grunde genommen ist nur bei der landmarkengestützten Technik aufgrund der Beschränkung auf den eigenen Tastsinn das Augenmerk ausschließlich auf den Injektionsbereich gerichtet, da der behandelnde Arzt nicht durch die Betrachtung eines Monitors „abgelenkt“ wird. Der zeitliche und organisatorische Aufwand der landmarkengestützten Intervention ist im Vergleich zu allen anderen Techniken deutlich kürzer bzw. geringer. Das interventionelle Handling erfolgt ohne größere hygienische Risiken und Manipulationen am Injektionsareal. Die Injektionen werden v.a. strahlenfrei (für Patient und Arzt) und ohne kostenintensiven apparativen Aufwand durchgeführt. Dadurch lässt sich auch die in der Regel notwendige Wiederholung der Injektionen in einem Behandlungszyklus bereits in der Facharztpraxis zweifellos einfacher planen und gestalten.

Somit ist die Durchführung der landmarkengestützten Injektionen in der Hand des Erfahrenen genauso sicher und wirkungsvoll wie die Sonografie-, Bildwandler- oder CT-gesteuerten Techniken, können aber im Vergleich ohne größeren kostenintensiven apparativen und organisatorischen Aufwand strahlenfrei angewandt werden. Indikationen für die Anwendung eines bildgebenden Verfahrens ergeben sich, z.B. bei fehlender Wirkung einer abgelaufenen Injektionsserie ohne Bildgebung, aus besonderen anatomischen Verhältnissen mit der Schwierigkeit, spezielle Landmarken aufzufinden wie bei ausgeprägten Skoliosen, Übergangsanomalien oder sehr adipösen Patienten sowie bei einer präoperativen Diagnostik, wenn z.B. eine Kontrastmitteldarstellung einer Nervenwurzel erforderlich ist. Alle Verfahren haben schließlich eine lange Lernkurve und ein gemeinsames Ziel. Neben der schnellen Beschwerdelinderung gilt es, die komplikationsträchtigen offenen Operationen zu vermeiden, welche irreversible Folgeerscheinungen hinterlassen können. Dies ist bei einer sorgfältig durchgeführten Injektionstherapie nicht der Fall [36].

Hauptindikationen stellen lokale, radikuläre und pseudoradikuläre Wirbelsäulensyndrome mit einer Korrelation zwischen klinischem und bildgebendem Befund dar. In den zervikalen Segmenten C5/6 und C6/7 sowie in den lumbalen Segmenten L4/5 und L5/S1 finden sich die stärksten Form- und Funktionsstörungen. Hier findet sich eine besondere Belastungssituation an den Biegungsstellen des zervikothorakalen Übergangs und der unteren Lendenwirbelsäule, wo in unmittelbarer Nähe die Spinalnerven mit ihren abgehenden Ästen liegen. Der Kopf-Hals-Übergang im Bereich der Atlantookzipitalgelenke, der Atlas-/Axisgelenke sowie die Kreuzbein-Darmbein-Fugen, die funktionell zu den unteren lumbalen Bewegungssegmenten gehören, sind häufig in das Schmerzgeschehen miteinbezogen. Dagegen betreffen lediglich 2 % aller schmerzhaften Wirbelsäulensyndrome die Brustwirbelsäule und spielen im Vergleich zu denen an Hals- und Lendenwirbelsäule eine untergeordnete Rolle. Dies gilt sowohl für die Frequenz als auch für die Schwere der Krankheitserscheinungen [33].

Anatomische Landmarken

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